IPA/FLŽ: Strategie zur Bekämpfung mediatischer Syndrome

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Internationale Psychoanalytische Assoziation / Freudianisch-Lacanianisch-Žižekianisch
IPA/FLŽ — Eine neue psychoanalytische Frontlinie

(Türkisch, Englisch)

EINLEITUNG: Warum soll die Psychoanalyse unter mediatischem Regime intervenieren?

In der heutigen Welt ist der Bildschirm nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern hat sich zu einem regulierenden System entwickelt, in dem das Unbewusste direkt rekonstruiert wird. Die Medien – insbesondere soziale Netzwerke, Kino und Serien – greifen unmittelbar in jene Bereiche ein, die Freud mit dem „Traum“, Lacan mit der „symbolischen Leere“ und Žižek mit der „ideologischen Fantasie“ beschrieben hat. Diese Plattformen sind längst keine Räume mehr, in denen das Begehren frei strukturiert wird; sie sind disziplinäre Felder, in denen das Begehren von Content-Produzenten manipuliert, gelenkt und zur Ware gemacht wird. Daher muss die Medienordnung als eine Bedrohung begriffen werden, die das Wahrheitsregime des Unbewussten auf den Kopf stellt.

Obwohl soziale Medien, Kino und die Serienindustrie als unterschiedliche Bereiche erscheinen mögen, sind sie in Wahrheit aufeinanderfolgende Glieder desselben ideologischen Systems. Jedes von ihnen dringt in die Konflikte zwischen dem Begehren des Subjekts und dem Unbewussten ein; sie ästhetisieren Symptome, normalisieren die Exposition und machen ideologische Strukturen unsichtbar, wodurch sie eine kontinuierliche pathologische Produktion sicherstellen. Diese Strukturen sind nicht nur in der inneren Welt des Individuums wirksam, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene Hauptmechanismen einer zunehmenden Neurotisierung.

Die Psychoanalyse war historisch nie nur auf die vier Wände des Therapieraums beschränkt, sondern ist eine Praxis des Kampfes, die sich an den Schnittpunkten gesellschaftlicher Konflikte formiert hat. Heute muss sich dieser Kampf nicht nur gegen individuelle Symptome richten, sondern sich neu positionieren gegen die Kolonialisierung des Begehrens, gegen visuellen Totalitarismus und gegen den algorithmischen Über-Ich-Druck. Eine der heutigen Aufgaben der Psychoanalyse ist es, die koloniale Herrschaft der Medien über das Unbewusste aufzudecken. Es geht dabei nicht um die individuelle Suche nach Lösungen, sondern um die kollektive Verteidigung des Unbewussten.

Aus diesem Grund greift die IPA/FLŽ in die Wirkungen der Bildschirmkultur auf das Unbewusste ein: um dem durch Medien unterdrückten Begehren erneut zur Sprache zu verhelfen; um Traumata aufzudecken, die im Licht des Bildschirms unsichtbar bleiben; um die Rolle von sozialen Medien, Kino und Serien in der Produktion von Symptomen offenzulegen. Das mediatische Regime ist nicht nur ein Symptom – es ist eine pathogene Struktur, die das Symptom verwaltet, ästhetisiert und ökonomisiert. Und gegen diese Struktur muss die Psychoanalyse heute nicht bloß als „Therapie“, sondern als Widerstandstechnik zurückkehren.

I. Mediatische Syndrome: Visuelle Pathologie als Formierung gesellschaftlicher Neurose

Soziale Medien, Kino und Serien sind heute nicht mehr bloß Unterhaltungs-, Kommunikations- oder kulturelle Ausdrucksmittel. Sie sind pathogene Technologien, die direkt in die Struktur des Unbewussten des Subjekts eindringen, die Richtung des Begehrens neu bestimmen und die Symptomproduktion kollektivieren. Zudem sind diese Medien nicht unabhängig voneinander; sie sind komplementäre Glieder desselben ideologischen Systems, das auf die Unterdrückung und Steuerung desselben Begehrens abzielt.

Soziale Medien funktionieren durch ein algorithmisches Über-Ich-Regime, das von der Sichtbarkeitsökonomie erzwungen wird. Metriken wie Likes, Shares und Views errichten eine äußere Herrschaft über das Begehren des Subjekts, indem sie es von seiner symbolischen Logik abkoppeln. Das Subjekt begehrt nicht mehr, weil es begehrt, sondern um gesehen zu werden. Der Blick selbst wird pathogen – jedes Foto, jede Story, jede Content-Produktion ist kein fortlaufender Subjektivierungsprozess mehr, sondern ein ständiges Bemühen um Sichtbarkeit. Dies ist eine Szene gesellschaftlicher Übertragung, in der neurotische Energie in einem narzisstischen Kreislauf gefangen wird, der über „Likes“ funktioniert.

Kino und Serien hingegen fungieren als zentrale narrative Apparate, die die fiktionale Grundlage des Begehrens festlegen. Die symbolische Leere, wie Freud sie im Traum aufzeigte, wird hier aufgehoben; stattdessen entsteht ein Fantasieraum, der mit konsumierbaren, vorgefertigten Bedeutungen gefüllt ist. Die Identifikation mit Serienfiguren ist nicht nur ein dramatisches Vergnügen, sondern eine strukturelle Verschiebung des Begehrens. Diese Erzählungen ermöglichen nicht die Repräsentation des Traumas, sondern dessen Ästhetisierung und Unterdrückung. Depression wird zu einer Charaktereigenschaft, Psychose zu einem visuellen ästhetischen Element, Perversion zu einem „Stil“. Das Ergebnis: Nicht das Verstehen des echten Symptoms, sondern seine Entleerung durch das Zuschauen.

Das Zusammenwirken dieser beiden Bereiche führt zu einem gesellschaftlich umfassenden Neuroseproduktionsprozess. Während soziale Medien die äußere Oberfläche des Subjekts codieren, intervenieren Kino und Serien direkt ins Unbewusste. Diese doppelte Exposition verursacht nicht nur individuelle Pathologien, sondern führt zur Entstehung kollektiver Symptome. Die Sprache des Begehrens wird durch Inhalte ersetzt, Konflikt durch „Story“, Verlust durch „Reels“. So beginnt eine Gesellschaft in einem neurotischen Zustand zu leben, der ständig sichtbar, aber nie erkennbar ist.

Soziale Medien, Kino und Serien sind drei Gesichter derselben Struktur: Sie unterdrücken das Begehren, ästhetisieren das Symptom und errichten ein visuelles Neurose-Regime. Dieses Regime entfernt das Subjekt vom ethischen Raum des Begehrens und platziert es stattdessen in eine ideologische Grundlage, die auf narzisstischer Anerkennung, traumatischer Wiederholung und Lustfetischismus basiert. Und auf diesem Boden ist keine Analyse möglich – es gibt nur die Schau. Die Psychoanalyse greift hier ein, um diese Schau zu unterbrechen, die symbolische Leere neu zu etablieren und das Begehren zu befreien.

II. Pathologische Repräsentationen: Die Zirkulation psychoanalytischer Symptome in den Medien

Der mediatische Raum ist heute nicht mehr nur eine Oberfläche der Symptomrepräsentation; er ist ein Pathologiekreislauf, der das Symptom selbst neu produziert und sogar fördert. Dieser Kreislauf funktioniert über die Oberflächlichkeit, mit der durch Medien psychoanalytisch definierte Symptome in Content verwandelt werden. Es scheint eine Repräsentation zu sein; in Wirklichkeit ist es die Verdrängung des Traumas. Dieser Verdrängungsprozess erzeugt eine neue Symptomkultur, die klinisch nicht behandelbar, aber gesellschaftlich ausstellbar ist.

Das „Blick-Syndrom“ [*] ist eines der spezifischen Pathogene dieser zeitgenössischen Schauge­sellschaft. Der Blick bedeutet heute nicht mehr nur Sehen – er bedeutet Begehren, Vergleichen, Bewerten und Kontrollieren. Jeder Beitrag, jede Content-Produktion ist eine Verlängerung der Obsession, den verdrängten Bereich des Unbewussten „sichtbar zu machen“. Überwacht zu werden ist für das heutige Subjekt nicht nur eine Bedrohung, sondern ein Objekt des Begehrens. Doch die Quelle dieses Begehrens gehört nie dem Subjekt. Es ist der Blick eines äußeren Über-Ichs, das von Algorithmen gesteuert und ständig neu konstruiert wird. Die pathogene Wirkung dieses Blicks rührt nicht vom Begehren des Subjekts her, sondern von der Notwendigkeit, durch Gesehen-Werden zu existieren. Das Ergebnis: Eine Identität, die unter dem Blick zu zerfallen beginnt, ein Subjekt, das versucht, durch die Ausstellung seines Symptoms sichtbar zu bleiben.

Die gleiche Struktur funktioniert über die Ästhetisierung des Traumas. In Kino und Serien werden traumatische Erfahrungen nicht mehr nur erzählt; sie werden verschönert, dramatisiert und sogar marktfähig gemacht. Melancholie, bipolare Störung, Borderline-Verhaltensmuster – all dies wird als visuelles ästhetisches Objekt konstruiert. Das Symptom wird nicht mehr als ein zu lösender Zusammenbruch begriffen, sondern zu einem tragbaren Stil. Dies ist nicht die Repräsentation realen Schmerzes, sondern die Normwerdung der Performance von Schmerz. So reproduziert das Subjekt sein Trauma nicht in der Konfrontation, sondern wie eine „Serienszene“ – und jede Reproduktion verwurzelt das Trauma noch tiefer.

Die dritte und vielleicht zerstörerischste Dimension des mediatischen Symptomregimes ist eine Symptompornografie, in der Lust und Ekel miteinander verschmelzen. Themen wie Zerstörung, Krise, Krankheit und Verlust werden Teil einer schaulustigen Lustproduktion. YouTube-Dokumentationen, TikTok-„Krankheitsgeschichten“, ästhetisierte Depressionserzählungen… All dies sind Bestandteile eines Lustregimes, das von den Medien die dunkle Seite der jouissance ausbeuten lässt. Das Symptom, wie Freud es definierte, war die Rückkehr des Verdrängten; die Medien aber verdrängen dieses Verdrängte durch visuelle Inhalte erneut und schreiben das Symptom ein weiteres Mal ein. Es handelt sich nicht mehr um Ausdruck, sondern um eine ästhetische Montage des erstickten Schreis.

Infolgedessen werden psychiatrische Syndrome in den Medien nicht nur dargestellt – sie werden fortgesetzt. Jede „pathologische“ Figur, jede Szene einer „emotionalen Krise“ schafft einen Raum, in dem das Symptom nicht durch Analyse, sondern durch Zurschaustellung reproduziert wird. Die Psychoanalyse deckt die innere Struktur dieses Raums auf: Die Medien machen das Symptom sowohl zur Ware als auch zum Subjekt zurück. Und solange dieser Kreislauf nicht durchbrochen wird, wird die Gesellschaft in einem kollektiven neurotischen Zustand sowohl krank bleiben als auch diese Krankheit beklatschen.

III. Gegen das Begehren: Algorithmus, Ego-Diktatur und das Zeitalter des Simulakrums

In der heutigen digitalen Kultur ist das Subjekt nicht mehr Träger seines eigenen Begehrens, sondern Übermittler einer von Algorithmen geformten, gesteuerten und gelenkten Ego-Fantasie. Diese Transformation ist aus psychoanalytischer Sicht nicht nur ein individueller neurotischer Bruch, sondern ein struktureller symbolischer Zusammenbruch. Begehren entsteht auf der symbolischen Ebene; es wird durch Mangel strukturiert. Im algorithmischen Zeitalter jedoch hat endlose Verfügbarkeit den Platz des Mangels eingenommen, und das Begehren wurde durch datenbasiertes Lustempfinden ersetzt. Dies ist das Zeitalter des Simulakrums, in dem das Subjekt in seinem historischen Sinne aufgelöst wird.

Die Instagram-Ästhetik ist das hegemoniale Gesicht dieses Simulakrumregimes. Hier lebt das Subjekt unter der Herrschaft des „Ideal-Ichs“ in einem Zustand ständiger imaginärer Korrektur und falscher Vollständigkeit. Gefilterte Körper, geometrische Gesichtszüge, fixe Posen und farblich codierte Leben… All diese visuellen Codes sind nicht nur ästhetische Vorlieben, sondern bedeuten die Aufhebung der symbolischen Kastration. Doch im theoretischen Rahmen Lacans ist Begehren nur durch Mangel möglich. In einer Welt, in der der Mangel unterdrückt wird, verschwindet auch das Begehren. Was bleibt, ist ein Lustzwang, der durch endlose Korrekturen den symbolischen Mangel maskiert.

In dieser Struktur schlagen Algorithmen nicht nur Inhalte vor; sie bestimmen die Richtung des Begehrens. TikToks „Für dich“-Seite, YouTubes empfohlene Videos, Netflix’ Nutzerprofile… All das kodiert nicht nur Sehgewohnheiten, sondern auch die Komponenten des Begehrens neu. Die Struktur, die Freud als Trieb beschrieb, wird hier zu Datengewohnheiten umgeformt. Der Trieb funktioniert nicht mehr in einem sich selbst wiederholenden Lustkreislauf, sondern innerhalb der vom System bestimmten Begehrenslandkarte. Und diese Karte zeigt dem Subjekt nicht sein eigenes Begehren, sondern das Begehren, das es zeigen soll.

Am gefährlichsten ist jedoch die Verleugnung des symbolischen Mangels. Der von Lacan als le Nom-du-Père definierte Name-des-Vaters – also das Gesetz, die Unterbrechung und die strukturierende Grenze – existiert nicht mehr. An seine Stelle ist ein allzeit bereiter, alles sehender, alles erlaubender algorithmischer Anderer getreten. Dieser Andere verbietet nicht; er schlägt vor. Er blockiert nicht; er „zeigt mehr“. Das erzeugt einen Druck, der dem sadistischen Imperativ des Über-Ichs im psychoanalytischen Sinne ähnelt: „Genieße. Genieße mehr. Hör niemals auf.“ Dies ist nicht nur ein Befehl, der das Individuum verbraucht, sondern der Zusammenbruch der symbolischen Ordnung. Das Subjekt existiert nicht mehr im ethischen Raum des Begehrens, sondern in der algorithmischen Kolonie der Lust.

Im Ergebnis ist das Ego im Zeitalter des Algorithmus nicht mehr, wie Freud sagte, der „Herr im eigenen Haus“, sondern ein „digitaler Diktator“, der die Herrschaft des Systems verinnerlicht hat. Begehren entsteht nicht mehr aus Mangel, sondern aus programmierten Vorschlägen. Und diese Programmierung entfernt das Subjekt von der symbolischen Leere und reduziert es auf ein Schauobjekt. Die Aufgabe der Psychoanalyse ist es, diese Ordnung der Schau zu unterbrechen, den Mangel ins Begehren zurückzubringen und die neue Diktatur des Egos offenzulegen. Denn Begehren spricht nicht durch Algorithmen, sondern durch das Gesetz. Und solange dieses Gesetz nicht zurückkehrt, bleibt das Subjekt nur ein Schatten in den Daten.

IV. Der Beitrag mediatischer Syndrome zu psychiatrischen Pathologien

Das mediatische Regime ist heute nicht mehr nur kulturell, sondern ein pathologischer Produktionsraum mit direkten klinischen Folgen. Die über soziale Medien, Kino und digitale Plattformen verbreiteten Bilder, Repräsentationen und Verhaltensmuster beeinflussen nicht nur die unbewusste Struktur des Subjekts, sondern auch die konkrete Verteilung psychiatrischer Syndrome. Es handelt sich nicht nur um gesellschaftliche Beeinflussung – sondern um eine strukturelle Exposition, die die psychiatrische Nosologie transformiert.

Zunächst sind Depression, Zwangsstörung und Essstörungen zu den am weitesten verbreiteten Pathologien einer bildschirm- und inhaltsintensiven Kultur geworden. Depression ist heute nicht mehr bloß ein Rückzug, sondern ein Trauma des „algorithmischen Absturzes“, das dort entsteht, wo Sichtbarkeit nicht aufrechterhalten werden kann. Digitale Erfahrungen wie „Ghosting“, „gesehen um“ oder „entfolgt werden“ ersetzen die klassische Trennungstraumatik und versetzen das Affektleben in einen pathologischen Kreislauf. Zwanghafte Verhaltensweisen richten sich heute nicht mehr auf Objekte, sondern auf Benachrichtigungen, Kommentare und Posting-Zeiten. Und Essstörungen – insbesondere Anorexie und Bulimie – werden unter der visuellen Gewalt des ästhetischen Totalitarismus über die Obsession mit dem imaginären Körper neu produziert.

Diese Pathologien verbreiten sich nicht nur individuell, sondern auch kollektiv. Denn digitale Medien bieten einen Raum, in dem pathologische Verhaltensweisen „beispielhaft“ gemacht werden können. Eine „fröhliche“ Version einer Essstörung in einem TikTok-Video zu sehen oder ein Borderline-Muster als attraktive Identität bei einer Netflix-Figur zu erleben, steigert die Ansteckungskraft des Symptoms. Das von der Psychoanalyse als „Symptomübertragung“ bezeichnete Phänomen funktioniert in dieser neuen Medienumgebung als ein auf die ganze Gesellschaft ausgedehntes Verhaltensmodell.

Das Gefährlichere ist die rasante Zunahme von „Persönlichkeitsstörungs-Performances“. Unter jungen Nutzer:innen erleben wir eine Zeit, in der DSM-Etiketten fast wie Ausweise getragen werden. Aussagen wie „Ich bin Borderline“, „Ich bin ADHS“, „Ich bin bipolar“ sind weniger Diagnosen eines Symptoms als vielmehr soziale Passwörter zur Zugehörigkeit in digitalen Gemeinschaften geworden. Hier verdampft die Grenze zwischen dem Klinischen und dem Kulturellen. Persönlichkeitsstörungen hören auf, Strukturen zu sein, die analysiert und aufgelöst werden müssen; sie werden zu auffälligen Identitäten, die zur Content-Produktion verwendet werden können. Das lähmt die Möglichkeiten echter psychiatrischer Intervention.

Und was all diesen Prozess möglich macht, ist die Kontinuität der Exposition. Es gibt keinen einzigen Moment, in dem das Subjekt visuell, auditiv oder emotional vom Medienstrom abgeschottet ist. Wenn der Raum verschwindet, in dem sich das Begehren strukturieren kann, produziert das Unbewusste nur noch Symptome. In diesem ununterbrochenen Fluss kann das Subjekt nicht allein mit seinem Trauma sein, es nicht erträumen, nicht transformieren. Wie Lacan sagt: „Ein Subjekt, das nicht auf das Reale prallt, verschwindet in der Simulation.“ Und genau dieses Verschwinden steht im Hintergrund jener neuen Falltypen, die heute psychiatrische Kliniken überfluten.

Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Mediensysteme ästhetisieren das Symptom nicht nur – sie greifen direkt in seinen Produktions-, Verbreitungs- und Definitionsprozess ein. Die digitale Kultur verwandelt psychiatrische Syndrome einerseits in ästhetisches Material; andererseits verbreitet sie eine Obsession der Sichtbarkeit, die die Realität dieser Syndrome verschleiert. Die Psychoanalyse ist verpflichtet, auf die Leere hinter dieser Sichtbarkeit hinzuweisen und den kulturellen Hintergrund der Pathologie offenzulegen. Denn der Bildschirm zeigt heute nicht nur das Trauma – er ist ein Apparat, der es produziert. Und ohne die Wirkung dieses Apparats zu erkennen, kann keine klinische Intervention als abgeschlossen gelten.

V. Medizinische Enthüllung: Eine Warnung der Psychoanalyse an das Gesundheitssystem

Der mediale Raum ist heute nicht nur ein ideologisches, sondern auch ein medizinisches Problem. Zwischen den Symptombildern, denen man durch soziale Medien, Kino und Serieninhalte ausgesetzt ist, und den Fällen, denen man in psychiatrischen Kliniken begegnet, besteht inzwischen ein nicht mehr zu leugnender direkter Zusammenhang. Dieser Zusammenhang ist keine zufällige Ähnlichkeit, sondern das Ergebnis einer systematischen Ausbeutung der unbewussten Struktur durch das visuelle Regime. An diesem Punkt greift die Psychoanalyse nicht nur als klinisches, sondern als enthüllendes Kampfmittel ein: Sie erklärt nicht nur das Symptom, sondern legt auch die kulturellen, ideologischen und mediatischen Bedingungen offen, die es hervorbringen.

Das heutige Gesundheitssystem bewertet das Symptom meist im Rahmen individueller Pathologie: Hormonhaushalt, genetische Faktoren, Kindheitstraumata, neurologische Sensibilitäten… Doch inzwischen ist klar: Das Symptom nährt sich nicht nur vom Individuum, sondern auch vom medialen Regime, dem es ausgesetzt ist. Die in Kliniken „unerklärlich“ zunehmenden Essstörungen, dissoziativen Anfälle, Panikattacken und Identitätsauflösungen stehen in engem Zusammenhang mit den pathologischen Bildern, die durch soziale Medien und dramatisierte Serienfiguren ins Unbewusste eingespeist werden.

Hier bietet die Psychoanalyse dem Gesundheitssystem keine einfache therapeutische Lösung, sondern eine Warnung: Was die visuelle Produktion repräsentiert, ist nicht das Symptom, sondern dessen Reproduktion. Eine Netflix-Figur, ein auf TikTok viral gegangenes „emotionales Zusammenbruch“-Video oder vermeintlich therapeutische Erzählungen auf YouTube… All diese Inhalte ästhetisieren nicht nur Symptome, sondern kodieren, verbreiten und befeuern sie fortwährend. Das Ergebnis ist ein Patient, der nicht nur „leidend“, sondern in einer Struktur gefangen ist, in der er ausgesetzt und wiederholend ist.

Die grundlegendste Aufgabe der Psychoanalyse ist es, die Codes dieser Struktur zu entschlüsseln und zu verhindern, dass das Gesundheitssystem blind gegenüber diesen Mechanismen bleibt. Denn das Symptom wird nicht nur von innen, sondern auch von außen, im Rahmen einer systematischen Produktionslinie, aufgezwungen. Unheilbare Krankheiten sind in Wahrheit nicht offengelegte strukturelle Pathologien.

Strategisch muss an diesem Punkt ein Riss zwischen medizinischem Diskurs und kultureller Produktion geöffnet werden. Das heißt, Medieninhalte sollten nicht nur ethisch kontrolliert, sondern auch in Bezug auf ihre pathologischen Wirkungen untersucht, offengelegt und im Gesundheitssystem als ernsthafte Einflussfaktoren anerkannt werden. Die Psychoanalyse muss als ethisches Zentrum dieser Kontrolle positioniert werden. Denn nur sie verfügt über das theoretische Instrumentarium, um die ideologische Verkleidung des Symptoms zu entlarven.

Das Ergebnis ist klar: Mediatische Symptome sind heute kein ästhetisches oder kulturelles Phänomen mehr, sondern ein medizinischer Fall. Und jede Gegenmaßnahme, die diesem Fall gerecht werden will, muss sich nicht auf die Exposition konzentrieren, sondern die Natur seiner Produktion enthüllen. Die Psychoanalyse existiert nicht, um die pathologische Brücke zwischen Klinik und Medien zu zerstören, sondern um sie sichtbar zu machen. Eine medizinische Lösung beginnt erst mit dieser Sichtbarmachung.

VI. Begrenzung der Exposition: Die visuelle Diät als Recht des Unbewussten

Die pathogenetische Macht mediatischer Syndrome liegt nicht nur in der Qualität der Inhalte, sondern in ihrer unaufhörlichen Exposition. Dies ist längst keine „Sehgewohnheit“ mehr; es ist eine ar­zulo­se Hypnose, eine Verletzung des Schweigerechts des Unbewussten. Auf psychoanalytischer Ebene braucht das Subjekt, um sein Begehren zu strukturieren, symbolische Lücken, Sprachpausen und Repräsentationslosigkeit. Doch das heutige visuelle Regime zeigt alles und lässt nichts unbezeichnet. Genau hier schlagen wir ein radikales strategisches Konzept vor: die visuelle Diät.

Diese Diät ist keine Zensur oder Inhaltsverbotsmaßnahme. Denn das Problem ist nicht, was gezeigt wird, sondern wie viel gezeigt wird und dass selbst das, was nie gezeigt werden dürfte, inzwischen visuelles Material geworden ist. Die visuelle Diät verteidigt das Unbewusste gegen diese Bilderflut, die sich über das Begehren legt. In einer Ordnung, die nicht durch Sehen, sondern durch Gesehenwerden funktioniert, wird das Subjekt nicht nur zum Blickenden, sondern auch zum Betrachteten, Bewerteten, Überwachten und Aufgezeichneten. Diese Verobjektivierung ist nicht nur narzisstisch, sondern zu einer psychotischen Bedrohung geworden.

Die Psychoanalyse lehrt, dass der Mangel – das Nicht-Gezeigte – das konstituierende Element des Subjekts ist. Die Begrenzung visueller Exposition ist deshalb ein ethischer Eingriff. Dieser Eingriff fordert eine Stille, in der das Begehren wieder sprechen kann, eine Dunkelheit, in der das Unbewusste atmen kann. Die ständig auf dem Bildschirm flackernden Bilder zerstören diese Dunkelheit; aber die Psychoanalyse weiß: Die Wahrheit fürchtet sich immer am meisten vor der Dunkelheit.

In diesem Zusammenhang ist die Befreiung der Gesellschaft von der Bildschirmsucht nicht durch einen zensurhaften Reflex möglich, sondern durch eine strukturelle Unterbrechung. Diese Unterbrechung ist ein eingefordertes Recht auf Leere im Namen des Unbewussten. Der Strom sozialer Medien muss unterbrochen, die endlosen Staffeln von Serien beendet, anstelle algorithmischer Sichtbarkeit der Raum des Nicht-Begehrbaren, des Nicht-Darstellbaren wieder geöffnet werden. Denn der Ort, an dem das Begehren entsteht, ist nicht der Ort, an dem Bilder aufgezwungen werden, sondern jener, an dem das Mögliche hinausgezögert wird, an dem das Nicht-Gezeigte widerhallt.

Deshalb ist die visuelle Diät für die Psychoanalyse keine Therapie, sondern eine Frage des Rechts: Das Recht des Unbewussten zu schweigen. Dieses Recht ist von der zeitgenössischen Kultur ausgelöscht worden. Dieses Regime, das alles zeigt, kann das Gefährlichste nicht zeigen – das Fehlende. Die Psychoanalyse steht genau auf der Seite dieses Unzeigbaren. Die visuelle Diät ist notwendig, damit das Begehren neu entstehen, das Subjekt wieder Subjekt sein und das pathologische Regime der Zurschaustellung aufgelöst werden kann. Das Auge hält nicht alles aus. Das Subjekt kann nicht alles sehen. Und das Unbewusste ist frei, nicht allem ausgesetzt zu sein.

VII. Interventionsstrategien auf klinischer und ideologischer Ebene

Der Kampf gegen mediatische Syndrome muss nicht nur in individuellen Therapieräumen, sondern auf öffentlicher und struktureller Ebene geführt werden. Denn diese Syndrome entstehen nicht nur aus inneren Konflikten, sondern aus der Verbindung kultureller Produktion, ideologischer Steuerung und visueller Herrschaftssysteme. Die Psychoanalyse muss sich an diesem Punkt nicht nur als therapeutisches Mittel, sondern als Mechanismus der Enthüllung und Intervention positionieren. Intervention umfasst sowohl die Konfrontation mit dem Symptom auf klinischer Ebene als auch die Enthüllung pathologischer Produktionsbedingungen auf kultureller Ebene.

Die erste strategische Aufgabe besteht darin, eine neue Allianz zwischen Psychiatrie und Psychoanalyse zu schaffen. Diese Allianz muss das Symptom nicht nur als individuelle chemische Dysbalance oder neurologische Störung verstehen, sondern auch als Resultat pathogenetischer Repräsentationen und digitaler Ideologie, die durch die Medien konstruiert wurden. Kliniken sollten sich nicht mehr nur mit der Innenwelt des Individuums beschäftigen, sondern auch damit, welchen Bildern es ausgesetzt war, durch welche Inhalte es sich definiert hat und wie es seine Symptome darstellt. Die Psychoanalyse bietet hier keine Lösung, sondern eine Ethik der Befragung. Diese Ethik stellt nicht das Subjekt infrage, sondern die kulturellen Codes, die es krank machen.

Die zweite Ebene der Intervention muss sich direkt an Medienproduzent:innen und algorithmische Designer:innen richten. Denn hinter dem Bildschirm befindet sich heute nicht nur eine Content-Produktion, sondern ein Engineering, das die Routen des Begehrens bestimmt und die Muster des Unbewussten lenkt. Die ethische Verantwortung dieser Strukturen ist nicht nur medizinisch, sondern auch politisch. So wie Pharmakonzerne einer Kontrolle unterliegen, müssen auch Inhaltsalgorithmen in Bezug auf ihre psychoanalytischen und gesellschaftlichen Auswirkungen untersucht werden. Denn Medien sind längst kein Unterhaltungsinstrument mehr, sondern ein Interventionsapparat, der die gesellschaftliche Neurose formt.

Die dritte und letzte Strategie besteht darin, gemeinsame Kampagnen zur Enthüllung pathologischer Repräsentationen in akademischen und künstlerischen Feldern zu starten. Universitäten, Festivals, Galerien, digitale Plattformen – all diese Bereiche sind nicht nur Orte der Content-Produktion, sondern Bühnen, auf denen offengelegt werden muss, wie das Unbewusste ideologisch geformt wird. Es geht nicht um Kunsttherapie, sondern darum, die Kunst selbst zu entlarven. Das ästhetisierte Symptom ist kein Ausdruck, sondern eine Technik der erneuten Verdrängung. Daher ist die Allianz von kritischer Kulturforschung und Psychoanalyse von zentraler Bedeutung für die Entschlüsselung der mediatischen Pathologien.

Diese Interventionsstrategien dürfen sich nicht auf einfache Vorschläge wie „weniger Bildschirmzeit“ beschränken. Das Problem ist nicht, wie viel Bildschirm genutzt wird, sondern welches Begehren geformt, welches Symptom produziert, welche Leere gefüllt wird. Die psychoanalytische Strategie verteidigt die ethische Struktur des Begehrens gegen seine Kodierung durch den Algorithmus. Das ist nicht nur eine gesundheitspolitische Maßnahme, sondern ein Aufruf zur politischen Befreiung des Unbewussten.

Deshalb muss die Intervention nicht nur für das Individuum, sondern für die gesamte Gesellschaft geplant werden. Ein Symptom wird nicht nur erlebt – es wird produziert. Und solange die es produzierenden Mechanismen nicht sichtbar gemacht werden, gilt kein klinischer Erfolg als echter Bruch. Genau an diesem Punkt wird die revolutionäre Linie der IPA/FLŽ deutlich: Intervention bedeutet nicht nur Heilung, sondern Enthüllung, Offenlegung und Unterbrechung. In der Klinik, in der Kultur, im Code.

VIII. SCHLUSS: Die Revolution des Bildschirms ist nur durch die Rückkehr des Unbewussten möglich

Das mediatische Regime ist der am weitesten entwickelte Unterdrückungsapparat, der auf dem Unbewussten errichtet wurde. Soziale Medien, Kino und Serien beschränken sich nicht darauf, das Symptom zur Schau zu stellen – sie reproduzieren, ästhetisieren und kapitalisieren es. Dieser Kreislauf stützt sich auf ein ideologisches Programm, das hinter der glänzenden Oberfläche des Bildschirms verborgen ist: Ersticke das Begehren, lösche den Mangel, verschönere das Symptom und konsumiere alles im Namen der Sichtbarkeit. Deshalb ist der Kampf gegen dieses System nur durch eine radikale Rückberufung des Unbewussten möglich.

Die Psychoanalyse greift hier nicht als bloße Therapieform ein, sondern als Widerstandspraxis. Denn das Unbewusste spricht dort, wo die Repräsentation nicht hinreicht; es hallt wider an den Rissen des Systems. Heute zeigt der Bildschirm alles, aber er lässt nichts sprechen. Jeder visuelle Inhalt unterbricht die Sprache des Begehrens, indem er das Fehlende verbirgt, und verwandelt das Subjekt in ein Bild, das nicht begehren kann. Die Psychoanalyse muss die Stimme dieses verstummten Raums sein.

Der strategische Vorschlag der IPA/FLŽ ist eindeutig: Soziale Medien, Kino und Serienindustrie sind keine verschiedenen Werkzeuge – sie sind aufeinanderfolgende Glieder desselben Unterdrückungsapparats. Jedes arbeitet nach derselben ideologischen Logik: Kontrolliere den Blick, kodiere das Begehren, normalisiere das Symptom. Deshalb kann der psychoanalytische Kampf nicht fragmentiert sein. Die Intervention muss ganzheitlich, entschlossen und systemstörend sein.

Solange das Unbewusste unterdrückt wird, kann weder das Individuum noch die Gesellschaft frei werden. Ein Subjekt, dem das Recht auf Repräsentation seines Begehrens entzogen ist, wird auf ein Objekt des Überwachens oder Überwachtwerdens reduziert. Daher ist die Rückkehr des Unbewussten nicht nur ein psychoanalytischer, sondern ein politischer und kultureller Umsturz. Diese Revolution wird nicht durch Zensur geschehen, sondern durch Unterbrechung, Mangel und das Recht auf Schweigen.

Und wenn jener Moment kommt, wird die Revolution des Bildschirms beginnen – aber sie wird keine Content-Revolution sein, sondern eine Explosion, in der visuelle Gewalt auf symbolisches Gesetz trifft. Der Bildschirm wird verstummen. Die Leere wird sprechen. Das Begehren wird seine eigene Stimme wieder hören.

Denn man darf nicht vergessen:

Der Löwe springt nur einmal. Und dieser Sprung geschieht nicht auf dem Bildschirm – sondern im Unbewussten.

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