Die Geschichte des Krampustages in Tirol: Wandel eines Brauchtums vom Morgen bis zur Nacht

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Die Geschichte des Krampustages in Tirol (Numerische Diskurse) 🎙️

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Einleitung

„Grüß vom Krampus!“ – mit diesem Ausruf wurde seit Generationen in Tirol und den umliegenden Alpenregionen die Ankunft einer furchteinflößenden Gestalt angekündigt. Der Krampus, eine gehörnte Dämonenfigur in zotteligem Fell mit rasselnden Ketten und langer scharfer Zunge, begleitet traditionell den heiligen Nikolaus in der Adventszeit. Am Vorabend des Nikolaustages, am 5. Dezember, ist Krampustag: Dann ziehen die finsteren Gesellen durch Dörfer und Städte, um unartige Kinder zu erschrecken und symbolisch zu bestrafen, während Nikolaus die braven Kinder belohnt. Dieses alpenländische Brauchtum hat über die Jahrhunderte zahlreiche Phasen durchlaufen und sich im Spannungsfeld zwischen Volkskultur und kirchlicher Moral immer wieder verändert.

Der vorliegende Forschungsbericht unternimmt eine Zeitreise durch die Geschichte des Krampustages in Tirol – von den mutmaßlich heidnischen Ursprüngen über die Einführung des Brauchs in christlicher Zeit bis in die Gegenwart. Wir beleuchten, wie der Krampustag zu jeder Epoche gefeiert wurde, von den frühen Morgenstunden bis in die späte Nacht, und welche Rituale – ob Masken, rasselnde Ketten, Ruten, Kohle oder sogar Mehl – dabei zum Einsatz kamen. Dabei wird deutlich werden, wie stark sich Bedeutung und Ablauf dieses Tages im Laufe der Zeit gewandelt haben. Ebenso fragen wir nach den Kritikern: Wer versuchte wann, den Krampustag abzuschaffen, und aus welchen Gründen? War es die Kirche, die in der teuflischen Maskengestalt ein satanisches Böse sah? Waren es weltliche Autoritäten, die um die Ordnung oder das Kindeswohl fürchteten? Tatsächlich wurde der Brauch zu verschiedenen Zeiten unterdrückt – von der katholischen Inquisition, die Teufelsmaskeraden bei Todesstrafe verbot, bis zu Pädagogen der 1950er Jahre, die meinten, Krampus-Auftritte könnten Kinderseelen traumatisieren.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Frage, was es hieß, Kinder „das Fürchten zu lehren“ – früher und heute. Einst galt es als erzieherische Maßnahme, Kinder mit der Angst vor dem Krampus zu einem artigen Benehmen zu bewegen. In der modernen Zeit hingegen hat sich die Rolle des Krampus gewandelt: Welche Bedeutung hat das Gruseln inzwischen für Kinder und welche für Erwachsene? Wann schließlich wurde der Krampus als Symbol des satanischen Bösen angesehen, und wie entstand dadurch ein Spannungsverhältnis zur Kirche? Wir analysieren, wie die christliche Religion die Dämonengestalt zunächst an ihre Leine nahm und später zeitweise bekämpfte. Schließlich betrachten wir, wie all diese Spannungen – Gut gegen Böse, Kirche gegen Teufel, Angstlust und Moral – im Laufe der Epochen am Krampustag inszeniert wurden. Von den barocken Stubenspielen, in denen der heilige Nikolaus den Teufel bändigt, bis zu heutigen Krampusläufen, wo hunderte Maskenträger lärmend durch die Straßen toben, spiegeln die Darstellungen des Brauchs immer auch die Werte und Konflikte ihrer Zeit wider.

Mit einem Fokus auf Tirol als Kernland des Krampus-Brauches – aber unter Einbeziehung der angrenzenden Regionen Salzburg, Kärnten sowie Süd- und Osttirol – soll dieses umfassende Porträt des Krampustages zeigen, wie ein scheinbar zeitloses Brauchtum doch stets im Fluss war. Es erwartet Sie eine narrative Reise durch schneebedeckte Dörfer und nächtliche Umzüge, durch angstvolle Kinderaugen und funkelnde Lagerfeuer, durch Jahrhunderte voller Wandel – und doch ist es immer wieder derselbe rauhhaarige Krampus, der aus dem Halbdunkel tritt. Lassen Sie uns ihm auf seinen Pfaden folgen und all seine Phasen und Veränderungen vom Morgengrauen bis Mitternacht erkunden.

Ursprung des Krampus: Heidnische Wurzeln und christliche Einbindung

Die Figur des Krampus hat ihren Ursprung tief in der vorchristlichen Vorstellungswelt der Alpen. Bereits in der vorchristlichen Zeit kannten die Menschen der Region furchteinflößende Gestalten, die in der dunklen Jahreszeit ihr Unwesen trieben. Volkskundler vermuten eine Verbindung zu heidnischen Dämonen oder Naturgeistern: So wird Krampus etwa mit dem alpenländischen Perchtenbrauch in Verbindung gebracht – jenen teils schauerlichen, teils lustigen Maskengestalten (Schiachperchten), die in den Wintermonaten die bösen Geister vertreiben sollten. Viele Merkmale des Krampus – das gehörnte Aussehen, der zottelige Fellanzug, Glocken und Ruten – erinnern an archaische Ritualfiguren. Manche Autoren stellten spekulative Bezüge zu keltischen oder germanischen Gottheiten her, etwa zum gehörnten Wald- und Unterweltsgott (so wurde Krampus z.B. schon als Sohn der nordischen Unterweltgöttin Hel bezeichnet, wenngleich dafür konkrete Belege fehlen). Auch Verbindungen zum römischen Waldgott Silvanus oder zur alpinen Sagengestalt Frau Perchta wurden diskutiert. Zwar bleiben die genauen paganen Ursprünge im Dunkeln, doch in den Dörfern der Alpen hielt sich das Bewusstsein, dass im Krampus- und Nikolausbrauch „heidnische Elemente mit christlichen vermengt“ sind. So glauben viele Österreicher bis heute, dass der Krampus letztlich auf ein vorchristliches Natur- oder Dämonenwesen zurückgeht, das später mit dem christlichen Teufel gleichgesetzt wurde.

Gesicherte schriftliche Quellen zum Krampus reichen allerdings nicht in die Antike oder das frühe Mittelalter zurück. Früheste Aufzeichnungen finden sich erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Es scheint, dass der Brauch in seiner heutigen Form erst im Laufe des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit Gestalt annahm. Trotzdem war die katholische Kirche bereits im Hochmittelalter misstrauisch gegenüber winterlichen Teufelsmasken: Um das Jahr 1150 soll es in Zentraleuropa Bestrebungen gegeben haben, solche dämonischen Umtriebe zu unterbinden. Ob es wirklich schon einen „Krampus“ in erkennbarer Form gab, ist ungewiss – doch ungenutzte Berichte besagen, dass die Kirche des 12. Jahrhunderts Versuche unternahm, das Treiben des „Teufels“ in der Adventszeit gänzlich zu verbieten. Diese frühen Verbotsversuche blieben offenbar erfolglos, denn der Brauch hat bekanntermaßen bis heute überdauert. Sie zeigen jedoch, dass die kirchlichen Autoritäten sehr früh die Ähnlichkeit der Schreckgestalt mit dem christlichen Teufel erkannten und argwöhnisch beäugten.

In der Volkskultur lebten die Traditionen fort, und im Spätmittelalter integrierte man die unheimlichen Masken nach und nach in christliche Bräuche. In Kirchen- und Klosterschulen entstanden zu Nikolaus Mysterienspiele, bei denen Teufelsgestalten auftraten. Zur Zeit der Gegenreformation (im 16. und 17. Jh.) finden wir schließlich den Brauch, dass der heilige Nikolaus am 6. Dezember in Begleitung finsterer Gesellen die Häuser besucht. Diese Begleiter – ob man sie Teufel, Krampusse oder tierische Schreckgestalten wie die zottelige Habergeiß nannte – dienten dazu, das personifizierte Böse darzustellen. Der Nikolaus prüfte die Kinder und belohnte die artigen, während die ungezogenen von den düsteren Gestalten ermahnt und bestraft wurden. Hier zeigt sich die pädagogische Dualität des Brauchs, die bis heute besteht: Ein gütiger Gabenbringer auf der einen Seite und ein schreckenerregender Zuchtmeister auf der anderen. Dass gerade im katholischen Alpenraum diese Tradition aufkam, ist kein Zufall – der Nikolausbrauch war in den Klöstern und unter dem einfachen Volk verbreitet, und Teufelsdarstellungen hatten in barocken Kirchenspielen didaktische Funktion. Maskierte Teufel, die heulend und polternd Unfug trieben, sind in deutschsprachigen Landen spätestens seit dem 16. Jahrhundert verbürgt. Somit konnte die Figur des Krampus (bzw. seiner Vorläufer) hier andocken: Die wilden Heidengeister wurden zum Teufel in christlicher Interpretation umgedeutet.

Kennzeichnend für diese Christianisierung des Brauchs war, dass man den Teufel zwar auftreten ließ, ihn aber symbolisch in Ketten legte. Tatsächlich trägt der Krampus bis heute oft schwere Ketten, die er lautstark rasselt – ein direkter Hinweis darauf, dass der Teufel durch die Macht der Kirche gebunden sei. Diese Ketten sind ein eindrucksvolles Symbol: Sie verdeutlichen den Zuschauern – insbesondere den Kindern – dass die böse Macht zwar präsent ist, aber letztlich der Kontrolle des Heiligen untersteht. Ein ähnliches Bild bietet die häufig zu sehende Rute oder Birkengeißel, die der Krampus mitführt: Sie entstammt ebenfalls vorchristlichen Fruchtbarkeitsritualen, wurde aber nun zum Instrument der Züchtigung unartiger Kinder umgedeutet. In manchen Regionen (z.B. in der Steiermark) wurden solche Birkenruten sogar vergoldet und ganzjährig sichtbar in Hausfluren aufgehängt, um die Kinder beständig an den strengen Begleiter des Nikolaus zu gemahnen.

Der Name „Krampus“ selbst taucht schriftlich erstmals in der frühen Neuzeit auf. Er leitet sich vermutlich vom mittelhochdeutschen Krampen („Kralle“) ab, was auf die klauenartigen Hände der Gestalt verweist. In den verschiedenen Alpenregionen entwickelten sich indes unterschiedliche Bezeichnungen. In Tirol spricht man bis heute oft vom „Tuifl“ (Teufel) oder vom „Tuifltåg“ für den Krampustag. In Salzburg und Bayern heißt er Kramperl, in Kärnten und der Steiermark auch Bartl (eine Verkürzung von Bartholomäus). Letzteres zeigt, wie die volkstümliche Fantasie selbst Heiligennamen für die dunkle Gestalt zweckentfremdete. Sogar ins benachbarte Slowenien hat der Name Eingang gefunden: Dort heißt der Krampus Parkelj, was sich vermutlich aus dem bairischen Bartl herleitet. Diese Namensvielfalt spiegelt die weite Verbreitung des Brauchs im Ostalpenraum wider – von Altbayern über Österreich und Südtirol bis Slowenien, Kroatien und Ungarn ist die Figur in lokalen Varianten bekannt.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Krampus entstammt uralten, vorchristlichen Angstfiguren, wurde aber in der frühen Neuzeit erfolgreich in die christliche Nikolaustradition integriert. Spätestens ab dem 17. Jahrhundert tritt er fest an die Seite des heiligen Nikolaus. Damit erhielt der Brauch eine akzeptierte Form: Nikolaus selbst – als frommer Bischof – konnte es sich „nicht erlauben“, unartige Kinder zu bestrafen, daher stellte man ihm eine derbe Gehilfenfigur zur Seite. Ähnliche Aufteilungen finden sich übrigens auch in anderen Ländern: Etwa Knecht Ruprecht in Norddeutschland oder Père Fouettard in Frankreich übernehmen eine vergleichbare Rolle wie der Krampus. Im katholischen Süden war es aber der teuflische Krampus, der sich durchsetzte. So war um 1700 der Brauch im Kern etabliert: St. Nikolaus und Krampus zogen von Haus zu Haus – eine Verkörperung von göttlicher Belohnung und dämonischer Bestrafung, die gemeinsam über das Wohlergehen der Kinder „urteilten“.

Der Ablauf des Krampustages: Feierlichkeiten von morgens bis abends

Wie genau verlief und verläuft ein typischer Krampustag in Tirol eigentlich von morgens bis abends? Im Laufe der Zeit haben sich hier Veränderungen ergeben, doch lassen sich einige traditionelle Elemente herausarbeiten. Wichtig ist zunächst die zeitliche Einordnung: Der Krampustag ist eng an den Nikolaustag (6. Dezember) gebunden. In Tirol und weiten Teilen des Alpenraums begeht man am Abend des 5. Dezember die Krampus- oder Nikolausnacht (Krampusnacht), während der 6. Dezember dem Nikolaus gewidmet ist. Entsprechend erstrecken sich die Bräuche über beide Tage: vom Vorabend mit Umzügen und Besuchen bis zum Morgen des Nikolaustages, an dem die Kinder die Gaben (oder Strafen) vorfinden.

Am Morgen des 5. Dezember – dem Krampustag selbst – herrschte in früheren Zeiten oft eine gespannte Stimmung unter den Kindern. Der Tag wurde auch Kramperltag oder Tuifltag genannt. Schon Tage zuvor hatten die Kleinen vielleicht gedroht bekommen: „Wart’, bis der Krampus kommt!“ Viele Kinder bemühten sich daher kurz vor dem Termin noch einmal extra, brav zu sein. Eine verbreitete Sitte war es, dass die Kinder am 5. Dezember vor die Haustür oder ans Fenster ihre geputzten Stiefel stellten, damit der Nikolaus sie über Nacht mit Süßigkeiten füllen konnte – oder aber, im Falle der Unartigkeit, nur Kohle und eine Rute hineingelegt wurden. Dieses Ritual vollzog sich typischerweise in der Nacht zum 6. Dezember. So berichtet Britta Bothe, eine deutsche Volkskundlerin, dass auch in Deutschland die Kinder am Abend des 5. die Schuhe hinausstellen, um sie am 6. Dezember gefüllt vorzufinden. In Tirol war es ebenso üblich. Das Hineinlegen von Kohle oder einem schwarzen Kohlenstück in den Stiefel galt seit jeher als Symbolstrafe für ungehorsame Kinder – ein Brauch, der sogar in den anglophonen Raum als sprichwörtlicher „lump of coal“ Eingang fand. Es ist also morgens am Nikolaustag die Stunde der Wahrheit für die Kinder: War im Stiefel Schokolade oder nur ein Stück Kohle? Diese Vorstellung erzeugte am 5. Dezember eine Mischung aus Vorfreude und Bangen.

Am Nachmittag des 5. Dezember begann dann die eigentliche Vorbereitung auf den abendlichen Krampuslauf. In den Dörfern Tirols versammelten sich ab dem späten Nachmittag die jungen Männer – traditionell waren es fast ausschließlich unverheiratete Burschen – um sich in ihre Krampus-Gewänder zu hüllen. Die Verkleidung war (und ist) aufwendig: Ein fellumhangener Anzug aus Ziegen- oder Schaffell, oft eigens gegerbt und genäht, verwandelte den Träger in ein zottiges Ungeheuer. Übergezogen wurde zudem ein breiter Ledergürtel mit den charakteristischen großen Kuhglocken, den „Lotterglocken“, die mit dumpfem Geläut weit zu hören sind. Besonders wichtig war die Maske: Hier zeigt sich bis heute wahres Kunsthandwerk. Die Masken wurden aus Holz geschnitzt, mit Hörnern vom Ziegenbock oder Widder versehen und teils mit echtem Ziegenhaar oder Rosshaar dekoriert. Jede Talschaft, ja oft jede Dorfgemeinschaft entwickelte ihren eigenen Maskenstil. So bevorzugen manche traditionellen „Passen“ (Gruppen) in Tirol sehr naturbelassene, rot-schwarz bemalte Masken mit langer Zunge und echtem Horn – strenge Kriterien legen z.B. die Rauriser Teufelspassen an, deren Masken von Mitgliedern selbst geschnitzt und nach alten Vorgaben bemalt werden. Andere Gruppen setzen heute auch auf modernere, mitunter zombiehafte Maskendesigns; doch im kerntraditionellen Tirol dominieren die klassischen Teufelsfratzen. Zur Ausstattung gehören ferner Ketten, die man um den Leib schlingt, und eine Rute aus Birkenzweigen oder alternativ ein Ochsen- oder Kuhschweif („Goaßl“), mit dem symbolisch ausgeschlagen wird. Nicht selten tragen die Krampusse auch einen Korb oder Sack am Rücken – in Anspielung auf die Legende, dass ungezogene Kinder darin gesteckt und fortgetragen werden. All diese Vorbereitungen erfolgten am Nachmittag abseits der Öffentlichkeit, oft in Scheunen oder Gasthausnebenräumen, wo die jungen Männer bei Schnaps (traditionell Krampusschnaps aus Obstler) Mut fassten und sich gegenseitig halfen, in die teils sehr schweren Kostüme (ein kompletter Fellanzug mit Maske und Glockengurt wiegt leicht 20–30 kg) zu steigen.

Wenn die Dämmerung anbrach, zogen die verkleideten Krampusse los. Früher wurden in vielen Tiroler Ortschaften Hausbesuche durchgeführt: Nikolaus, häufig dargestellt von einem lokal angesehenen Mann (Lehrer, Bauer oder ähnlich), begab sich in Begleitung von ein bis maximal drei Krampussen von Haus zu Haus. Von abends bis in die Nacht hinein klopfte dieser Besuchstrupp an die Türen der Familien mit Kindern. Drinnen versammelte sich die Familie meist in der Stube, die Kinder voller Aufregung und Furcht. Der Nikolaus – oft mit Mitra und Bischofsstab gewandet – trat ein und begrüßte die Hausleute. Er trug ein goldenes Buch bei sich, in dem die guten und schlechten Taten der Kinder des Hauses verzeichnet waren. Dann begann eine erzieherische Zeremonie: Der Nikolaus lobte das Positive („Der Martin hat fleißig lernen geholfen, das ist brav!“) und tadelte die Verfehlungen („Die Leni war manchmal frech zur Mutter, das gefällt dem Nikolaus gar nicht.“). Währenddessen schlichen die finsteren Krampusse in die Stube oder spähten durch die Tür herein. Mit ihren zottigen Fellen und grässlichen Masken boten sie einen furchterregenden Anblick – oft genug begannen kleinere Kinder vor Angst zu weinen oder versteckten sich hinter den Eltern. An besonders unartigen Sprösslingen durften die Krampusse ein Exempel statuieren: Sie rasselten mit ihren Ketten, stampften mit den schweren Klauen (an den Füßen trugen sie oft Schellen und hölzerne Nachbildungen von Tierhufen) und ließen die Rute sirrend durch die Luft sausen. Mitunter strichen sie den Kindern mit der Rute über die Beine – ein leichtes „Striemen“, das weniger wehtat als vielmehr schockierte. Manche Krampusse führten einen Sack mit Ruß oder Kohle mit: Ein verbreiteter Streich war es, den Kindern einen Rußfleck auf die Wange zu malen, um sie als „böse“ zu kennzeichnen. In einigen Gegenden wurde sogar Mehl verwendet – damit bestäubte der Krampus dann beispielsweise das Haar eines Kindes weiß oder hinterließ Mehl-Handabdrücke auf dessen Rücken. Kohle, Ruß und Mehl waren somit Requisiten, um den unartigen Kindern sprichwörtlich „einzuheizen“ bzw. sie kenntlich zu machen. Solche derben Späße gehörten früher selbstverständlich dazu.

Nachdem Nikolaus seine Ermahnungen beendet hatte, mussten die Kinder meist ein Gedicht aufsagen oder ein Gebet sprechen, um ihre Tugend zu beweisen. Dann zog sich der Zorn der Krampusse zurück. Nikolaus verteilte Geschenke an die braven Kinder – typischerweise Nüsse, Äpfel, Mandarinen, Lebkuchen und kleine Spielsachen. Manchmal gab er den Eltern aber auch eine Rute in die Hand mit den Worten: „Für den Fall, dass noch Ungehorsam vorkommt.“ Dieses Ritual, in dem sich Belohnung und Bestrafung die Waage halten, dauerte pro Haus vielleicht 10 bis 15 Minuten. Dann zog die Gruppe weiter zur nächsten Familie. So ging es den ganzen Abend und bis in den frühen Abend des 5. Dezember hinein. In ländlichen Gegenden Tirols wurde dieser Haus-zu-Haus-Zug (regional auch „Einkehrbrauch“ genannt) vielerorts bis ins 20. Jahrhundert gepflegt – und teils lebt er bis heute fort, meist in leicht abgewandelter, kindgerechter Form.

Parallel zu den Hausbesuchen entwickelten sich in größeren Gemeinden und Marktflecken schon im 19. Jahrhundert verstärkt öffentliche Krampusumzüge. Diese als Krampuslauf oder lokal auch Klaubauflauf bezeichneten Spektakel fanden meist am Abend des 5. Dezember auf dem Dorfplatz oder der Hauptstraße statt. Während im 18. Jahrhundert solche lärmenden Umzüge in einigen Regionen aus ordnungspolitischen Gründen verboten oder verpönt gewesen waren, erlebten sie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Wiederbelebung: Die Krampus- und Perchtenläufe wurden nun wieder öffentlich zelebriert. In Tirol galt lange die Regel, dass nur starke, ledige Männer am Lauf teilnehmen durften – es war eine Mutprobe und ein Ausdruck von Männlichkeit, einen Krampus zu verkörpern. Abends, oft nach dem Ende der Hausbesuche, schlossen sich die Krampus-Passen (Gruppen) zusammen und zogen lärmend durchs Dorf. Das Brauchtum des sogenannten „Tuifltratzens“ (vom Dialektwort tratze für necken, reizen) war geboren: Die verkleideten Teufel tobten durch die Gassen, schwangen ihre Ruten und Ketten und versetzten die Zuschauer in Schauern und Schreckenslust. In den engen Gassen mancher Tiroler Dörfer flackerte nur das Licht von Pechfackeln und Laternen, während die Kuhglocken der Krampusse ohrenbetäubend läuteten. Jugendliche – vor allem Burschen, aber auch kecke Dirndln – stellten sich den Krampussen provokant in den Weg, reizten sie mit Rufen („Kimm her, Krampus!“) und versuchten dann fluchtartig zu entkommen. Dieses „Krampus-Teasen“ war vielerorts ein regelrechtes Spiel: Im Salzburger Pinzgau nennt man es Kramperl-Lecken, eine traditionelle Mutprobe, bei der man den Krampus absichtlich herausfordert. Wer zu langsam war, den erwischte der Krampus und verpasste ihm ein paar Hiebe mit der Rute – ein durchaus schmerzhaftes, aber als sportlicher Ehrgeiz verstandenes Erlebnis.

Während solche Umzüge anfangs eher spontan und chaotisch verliefen, kamen im späteren 19. Jahrhundert und noch mehr im 20. Jahrhundert zunehmend organisierte Krampusumzüge auf. In der Adventszeit, speziell um den 5. Dezember, wurden richtige Veranstaltungen abgehalten, oft unter Beteiligung zahlreicher Krampusgruppen aus verschiedenen Orten. So hat sich etwa in Seefeld in Tirol einer der größten Krampusläufe der Region etabliert, bei dem alljährlich Passen aus dem gesamten Alpenraum – von Nord- und Osttirol bis Bayern, Salzburg und Südtirol – teilnehmen. In Lienz in Osttirol wird an mehreren Tagen Anfang Dezember ein großes Krampuslaufen veranstaltet, das Zuschauer von weit her anlockt. Typisch für solche Events ist eine Mischung aus traditionellen Elementen (Feuer, Glocken, Maskenschau) und neuzeitlicher Inszenierung (Musik, Scheinwerferlicht, oft auch Bewirtung). In manchem Orten kombiniert man die Nikolausprozession mit dem Krampuslauf: So etwa in Igls bei Innsbruck, wo zunächst der Nikolaus feierlich mit der Kutsche einfährt und den Kindern eine Botschaft und Geschenke bringt, ehe anschließend die Krampusse – die „Obertuifl“ – in einem Lauf durch den Ort toben.

Ungeachtet solcher Spektakel blieb aber auch im 20. Jahrhundert die häusliche Nikolausfeier ein Kernbestandteil des Krampustages. Viele Familien luden den Nikolaus (oft durch Vereine organisiert oder durch ortskundige als Dienstleistung angeboten) ins Haus ein – mit oder ohne Krampusbegleitung. Interessant ist, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts manche Eltern die Krampus-Begleitung bewusst wegließen, wenn sie ihren Kindern den allzu großen Schrecken ersparen wollten. Stattdessen kam nur ein freundlicher Nikolaus mit einem Engel. Doch in vielen traditionell eingestellten Familien Tirols gehörte ein (gezähmter) Krampus einfach dazu.

Nach Einbruch der Nacht – am späten Abend des 5. Dezember – waren früher auf den Straßen oft noch vereinzelte Krampusgestalten unterwegs. Es hieß, dass die Krampusse nach getaner Arbeit (den Besuchen oder dem organisierten Lauf) noch „ausschellen“ gingen – das heißt, sie durchstreiften lärmend die Gegend, um auch wirklich den letzten bösen Geist und alle Rest-Unart zu vertreiben. Mancherorts kannte man den Brauch, dass um Punkt Mitternacht der Spuk ein Ende haben musste: Sobald der Nikolaustag (6. Dezember) anbrach, war es dem Krampus untersagt, weiter sein Unwesen zu treiben. Dann hatte wieder Ruhe und weihnachtlicher Friede einzukehren. Entsprechend wurden am 6. Dezember morgens dann die erfreulichen Seiten zelebriert: Die Kinder fanden ihre Nikolaussäckchen mit Äpfeln, Nüssen, Mandarinen, Lebkuchen und kleinen Geschenken, und in vielen Familien wurde ein Nikolaus-Frühstück bereitet. Falls jemand Kohle oder eine Rute vorfand, war das ein scherzhafter Fingerzeig – oft hatten Eltern heimlich eine Weile zuvor Kohlenstücke oder schwarze Briketts aufbewahrt, um unartige Sprösslinge damit zu necken. Doch meistens gab es trotz allem für jedes Kind auch Süßes, denn schließlich sollte die Hoffnung und Freude überwiegen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Krampustag beginnt in aller Frühe mit gespannter Erwartung und der Drohung der Strafe, steigert sich am Abend in den dramatischen Höhepunkt der Konfrontation mit dem Krampus (ob im Haus oder auf der Straße), und klingt in der Nacht und am folgenden Morgen mit der Erlösung aus – sei es durch die Gaben des Nikolaus oder dadurch, dass die wilde Jagd vorüber ist. Im Laufe der Jahrhunderte blieb dieses Grundmuster bemerkenswert ähnlich, doch die Intensität und Form der Feiern änderten sich. Früher ging es oft rauer und angstvoller zu; heutzutage sind die Abläufe stärker reglementiert und teils kinderfreundlicher gestaltet. Doch auch gegenwärtig erleben viele Tiroler Kinder am 5. Dezember abends eine Mischung aus Furcht und Faszination, wenn es heißt: „Der Krampus geht um!“. Und wenn dann die schweren Glocken dröhnen und Ketten rasseln, spüren selbst Erwachsene noch einen Schauer – wohl wissend, dass diese Rauhnachttradition zum kulturellen Erbe gehört und die dunkle Seite der Weihnachtszeit symbolisch in Szene setzt.

Zwischen Frömmigkeit und Aberglaube: Kirche, Inquisition und die Dämonisierung des Krampus

Obwohl der Krampus im Volksbrauch fest an die Seite des heiligen Nikolaus gestellt war, betrachteten ihn kirchliche Autoritäten immer mit einer gewissen Skepsis – schließlich handelte es sich um eine Teufelsgestalt, und der Umgang mit dem Teufel war theologisch heikel. Das Spannungsverhältnis zwischen der Kirche und dem Krampus-Brauch hat im Lauf der Zeit verschiedene Ausprägungen erfahren. Es reicht von vorsichtiger Duldung über pädagogische Instrumentalisierung bis hin zu scharfer Verurteilung als „teuflisches“ Treiben. Die Frage „Wann wurde der Krampus zum Symbol des satanischen Bösen?“ lässt sich dahingehend beantworten: In den Augen der Kirche war er das von Anfang an. Sobald die Kirche im Mittelalter auf solche Masken aufmerksam wurde, wurden diese mit dem personifizierten Bösen, also Satan, identifiziert.

Bereits im hohen Mittelalter, wie zuvor erwähnt, versuchte man Teufelsmaskeraden zu unterbinden – die Kirche wollte keine volkstümlichen Teufelsspäße, die vielleicht heidnisches Brauchtum repräsentierten, dulden. Doch es blieb bei regionalen Verboten. Erst in der Frühen Neuzeit – insbesondere zur Zeit der Gegenreformation und der Hexenverfolgungen – verschärfte sich der kirchliche Blick auf solche Bräuche. Die katholische Inquisition betrachtete jede Dämonenverehrung oder -darstellung, die außerhalb ihres kontrollierten Rahmens stattfand, als potentiell ketzerisch. In dieser Periode, etwa im 17. Jahrhundert, kam es teils zu drakonischen Maßnahmen: Maskierungen als Teufel wurden offiziell verboten, Zuwiderhandlungen sogar mit der Todesstrafe bedroht. Es ist überliefert, dass es in der Zeit der Inquisition gefährlich sein konnte, sich als Teufel (also Krampus) zu verkleiden – wer erwischt wurde, riskierte sein Leben. Dieses harte Vorgehen zeigt eindrücklich, dass die Kirche damals den Krampus als geradezu satanische Verkörperung einstufte. Die Figur war aus kirchlicher Sicht kein harmloser Schreckgeist, sondern ein Abbild des Teufels selbst.

Warum ging die Kirche so rigoros vor? Zum einen, weil Teufelsdarstellungen außerhalb kirchlicher Kontrolle schnell in Verdacht gerieten, zu Aberglauben oder gar Teufelsanbetung zu verleiten. Zum anderen befand man sich in jenen Jahrhunderten inmitten konfessioneller Konflikte (Reformation, Gegenreformation) – die katholische Kirche versuchte, die Volksfrömmigkeit zu disziplinieren und alle als heidnisch empfundenen Elemente auszumerzen. Der Krampusbrauch jedoch war tief im Volk verankert, besonders in entlegenen Alpentälern, wo kirchliche Verbote schwer durchzusetzen waren. Ein historisches Detail illustriert dies: Perchtenläufe (die heidnischen Vorgänger der Krampusumzüge) wurden zwar von Obrigkeiten verboten, doch „aufgrund der dünnen Besiedelung und der abgelegenen Täler des Alpenraums waren solche Verbote kaum effektiv durchzusetzen“. So überlebte der Brauch trotz päpstlicher Bannbullen in isolierten Dörfern und kam nach dem Abflauen der Hexenverfolgungen wieder vermehrt zum Vorschein.

Die Kirche versuchte einen Kompromiss: Statt den Krampus gänzlich zu verbieten, integrierte sie ihn in den Nikolausbrauch – allerdings streng reglementiert. Nikolaus als Heiliger hat immer die Oberhand über den Teufel zu behalten. In den Stubenspielen und Inszenierungen wurde der Teufel vom Bischof unterworfen oder moralisch besiegt. Es entstanden sogar Legenden, um diese Einbindung theologisch zu rechtfertigen. Eine Erzählung – vermutlich im 17./18. Jahrhundert erdacht – besagt zum Beispiel: In einem hungernden Dorf hätten sich einst junge Männer mit Tierfellen und Hörnern verkleidet, um benachbarte Höfe zu plündern. Der Teufel habe sich unerkannt unter sie gemischt, bis Bischof Nikolaus kam und den echten Teufel entlarvte und austrieb. Fortan seien die verkleideten jungen Männer jedes Jahr mit Nikolaus durch die Straßen gezogen, um nun Gaben zu bringen und die bösen Kinder zu strafen, während Nikolaus das Böse in Schach hält. Diese Legende, wenngleich historisch unplausibel (Nikolaus von Myra hat tatsächlich nie die Alpen besucht), diente dazu, den Krampus als überwundenen Teufel in die christliche Symbolik einzufügen: Der Teufel darf mitlaufen, aber er ist durch Nikolaus’ Segen gezähmt.

Dennoch blieb die Spannung bestehen: War das Krampuslaufen nun gottgefällig oder Teufelswerk? Die Antwort hing oft von der Haltung einzelner Geistlicher ab. Viele Dorfpfarrer tolerierten oder förderten den Brauch, solange er in geordneten Bahnen lief, da er ja letztlich der Abschreckung vor dem Bösen diente und die Kinder zur Tugend anhielt. Andererseits gab es gerade im 18. Jahrhundert aufklärerisch gesinnte Kirchenmänner (und Landesfürsten wie den habsburgischen Kaiser Joseph II.), die übermäßige „Schreckbräuche“ und barockes Brauchtum eindämmen wollten. Konkrete Verbote des Krampusbrauchs durch Joseph II. sind zwar nicht dokumentiert, aber es passt in sein Reformwerk (Josephinismus), kirchliche Feiertage und Bräuche zu rationalisieren. So wurde etwa in den 1780er Jahren das exzessive Aufstellen von Weihnachtskrippen und allerlei regionales Brauchtum eingeschränkt – was sicher auch ausufernde Nikolaus- und Krampusbräuche tangierte.

Im protestantischen Norden hingegen wurde die Teufelsfigur weitgehend verdrängt: Der Krampus war ein katholisches Phänomen. In evangelischen Gebieten Deutschlands übernahm der Knecht Ruprecht – eine zwar ruppige, aber menschliche Gestalt – die Rolle des Strafers. Somit stand dort eine entdämonisierte Variante im Vordergrund. Hier zeigt sich ein anderer Ansatz: Man wollte den Teufel gar nicht erst personifizieren, da dies als unpassend oder abergläubisch gelten konnte. In gemischt-konfessionellen Regionen (Alemannische Schweiz, Teile Frankens) mischten sich die Traditionen; man kann davon ausgehen, dass Krampus und Ruprecht letztlich auf gemeinsame Wurzeln zurückgehen, sich aber je nach Konfession unterschiedlich entwickelten.

Wann genau der Krampus offen als „satanisch“ gebrandmarkt wurde, lässt sich an markanten Ereignissen festmachen: Die bereits erwähnte Inquisitionszeit im 17. Jahrhundert wäre ein Punkt – hier war jeder Teufelsspaß lebensgefährlich. Danach flaute die Dämonisierung etwas ab; der Krampus war zwar teuflisch, aber eben Teil des kirchlich abgesegneten Nikolausbrauchs. Erst im 20. Jahrhundert wurde er nochmals gezielt als „Ausgeburt des Bösen“ attackiert, interessanterweise von sehr unterschiedlichen Seiten. In den 1920er/30er Jahren etwa brandmarkten die aufkommenden faschistischen Bewegungen in Österreich und teils auch in Deutschland den Krampus als „un christlich“ und als schädliches Symbol. Ironischerweise beschuldigten Vertreter des österreichischen Ständestaats (einer klerikal-konservativen Regierung) den Krampus sogar, eine Erfindung der politischen Linken – der Sozialdemokraten – zu sein. Diese abwegige Unterstellung (wahrscheinlich ein propagandistischer Vorwand) sollte den Brauch diskreditieren. Tatsächlich wurde 1934 in der Zeitung New York Times gemeldet: „Krampus unbeliebt im faschistischen Österreich; der gemütliche schwarz-rote Teufel, Symbol des Weihnachtsvergnügens, wird missbilligt.“ [*]. Die katholischen Machthaber der damaligen Regierung empfanden also offenbar den populären Krampus als störend und verboten ihn offiziell – einerseits weil er ihnen zu heidnisch-teuflisch erschien, andererseits weil sie ihn politisch umdeuteten (man gab dem „roten Teufel“ eine sozialistische Konnotation, um ihn leichter verbieten zu können). So wurde der Krampus im Ständestaat 1933/34 verboten und sein Auftreten unter Strafandrohung gestellt.

Auch das nationalsozialistische Regime, das 1938 die Herrschaft in Österreich übernahm, hatte dem Krampusbrauch wenig Sympathie entgegenzubringen. NS-Ideologen strebten bekanntlich eine Entchristlichung und Neuordnung der Weihnachts- und Adventszeit an. Weihnachtstraditionen sollten in ein germanisch-heroisches „Julfest“ umgedeutet werden. Da passte der katholische Nikolaus ebenso wenig ins Konzept wie sein Teufelsbegleiter. Laut Berichten untersagten die Nazis den Krampus ebenfalls, diesmal mit der Begründung, er sei „paganen Ursprungs“ und gehöre nicht in eine gereinigte Volkskultur. Diese Haltung ist insofern bemerkenswert, als die Nationalsozialisten durchaus heidnisch-germanische Bräuche förderten – jedoch war der Krampus eben zu sehr mit der verhassten katholischen Tradition verwoben und wurde daher abgelehnt. In Südtirol wiederum, das 1918 an Italien gefallen war, sah sich der Krampus noch früher einem Verbot ausgesetzt: Das faschistische Regime Mussolinis unterdrückte in den 1920er Jahren gezielt die deutsche Volkskultur in Südtirol. Der Krampusbrauch galt als „zu österreichisch“ und wurde daher in den italianisierten Städten verboten, teils gar verfolgt. So verschwand der Krampus in den 1920/30ern von Bozens Straßen, blieb aber in entlegenen Tälern (Gader-, Grödnertal) im Geheimen lebendig.

Der Krampus im 20. Jahrhundert: Verbote, Kritik und Wandel

Der Eintritt in das 20. Jahrhundert brachte für den Krampusbrauch einerseits eine Hochblüte an Popularität, andererseits beispiellose Gegenreaktionen durch Behörden und später Psychologen. In den Jahrzehnten um 1900 gehörte der Krampus nämlich fest zur winterlichen Festkultur. Druckerzeugnisse jener Zeit zeugen von seiner Präsenz: In Wien und München boomte die Produktion von Krampuskarten, bunten Postkarten mit Abbildungen des zotteligen Unholds, die man sich im Advent als Gruß schickte. Seit der Einführung der Postkarte 1869 in Österreich entwickelten sich diese Grüße – oft mit der Aufschrift „Gruss vom Krampus“ – bis in die 1890er zu einer regelrechten Mode. Die Darstellungen waren vielfältig: Mal wurde ein furchterregender Krampus gezeigt, der ein Kind im Korb trägt, mal humorvoll ein Krampus, der von hübschen Frauen geneckt wird. Die Künstler bedienten sich dabei sowohl paganer Motive (etwa Ziegenbock-Elemente, Anklänge an den Hirtengott Pan) als auch christlicher Teufelsikonographie. Die Postkarten machen deutlich, dass der Krampus um 1900 nicht nur gefürchtet, sondern auch ironisch gebrochen und sexualisiert dargestellt wurde – ein Indiz, dass städtische Gesellschaften ihn als skurriles Folklore-Element sahen, mit dem man spielen konnte. Ein Beispiel: Auf mancher Karte zieht der Krampus einer koketten jungen Frau die Strümpfe aus oder erschreckt sie nur zum Schein – solche frivolen Szenen richteten sich offenkundig an erwachsene Betrachter und entkleideten die Figur ihres moralischen Ernstes.

Gleichzeitig aber blieb der real vollzogene Brauch im ländlichen Tirol robust und roh. Zeitungsberichte aus der Jahrhundertwende erwähnen handfeste Zwischenfälle bei Krampusläufen – Schlägereien zwischen „Krampussen“ und Zuschauern waren keine Seltenheit, wenn etwa junge Männer sich für Rutenschläge revanchierten. Dieses wilde Treiben rief bald die Obrigkeit auf den Plan. Bereits 1900 erging mancherorts die Anordnung, dass sich Krampusse polizeilich registrieren lassen müssten oder dass das Rutenhauen untersagt sei. Doch größere Bedeutung hatten die Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg.

Im konservativ regierten Österreich der 1920er und 30er Jahre regte sich erheblicher Widerstand gegen den Krampus. Wie zuvor erwähnt, verbot die Regierung von Engelbert Dollfuß nach 1932 den Brauch offiziell. Zeitungen jener Zeit – etwa das erwähnte NYT-Stück 1934 – berichteten schmunzelnd, dass der „gemütliche schwarzrote Teufel“ plötzlich „missbilligt“ sei in Österreich. Die Begründungen schwankten: Offiziell hieß es, der Krampus sei “anti-christlich“ und fördere religiösen Aberglauben, woraufhin man ihn den Sozialdemokraten in die Schuhe schob. Hinter vorgehaltener Hand spielte wohl auch die Sorge eine Rolle, über die Stränge schlagende betrunkene Krampusse könnten Unruhe stiften – denn es gab tatsächlich Übergriffe. So wurde etwa 1926 in Salzburg ein Todesfall gemeldet, bei dem ein Passant an den Folgen einer Auseinandersetzung mit Maskierten starb. Solche Vorkommnisse gaben den Behörden Anlass, den Brauch als „Unfug“ einzustufen und streng zu reglementieren.

Die Nationalsozialisten setzten diese Linie fort: Krampusläufe und -feiern waren im Dritten Reich nicht erwünscht, da sie nicht ins propagierte Bild der arischen Weihnacht passten. Stattdessen förderte man lichtere Bräuche wie Sonnwendfeiern. In einem 2023 veröffentlichten Artikel heißt es, die Nazis hätten den Krampus wegen seiner heidnischen Wurzeln untersagt. Interessanterweise ist das ein Widerspruch in sich – eigentlich hätte ein heidnischer Brauch ihnen gefallen können, doch eben die katholische Prägung stand im Weg. Jedenfalls verschwand der Krampus in den Kriegsjahren weitgehend aus dem öffentlichen Raum.

Nach 1945 kehrte der Brauch in Österreich/Tirol rasch zurück – aber nun meldete sich eine neue Kritikergruppe zu Wort: Pädagogen und Psychologen. In den 1950er Jahren war im Zuge einer kindgerechteren Erziehung vielerorts die Meinung verbreitet, die „Schreckfigur Krampus“ könne Kinderseelen Schaden zufügen. Insbesondere in städtischen Gebieten und in der Presse wurde diskutiert, ob man nicht „lieber den Kasperl als den Krampus“ an Nikolaus auftreten lassen solle. 1953 startete die Stadt Wien eine Initiative gegen den Krampus: Der Leiter der städtischen Kindergartenverwaltung, Dr. Ernst Kotbauer, warnte öffentlich, dass die Begegnung mit dem furchterregenden Krampus ein Kind „fürs Leben zeichnen“ könne. Er publizierte ein Flugblatt mit dem Titel „Krampus ist ein Übeltäter“ (oft auch zitiert als „Krampus ist ein böser Mann“), worin er die Eltern aufforderte, ihre Kinder von diesem schaurigen Verhör freizuhalten. Eine Wiener Tageszeitung sprang ihm bei und schrieb: „Es gibt ohnehin schon genug Angst auf der Welt – Arbeitslosigkeit, hohe Steuern, und nicht zu vergessen die Atombombe. Fangen wir damit an, den Krampus hinauszuwerfen.“. Diese eindringlichen Worte zeigen, dass man den Angstfaktor des Brauchs ernsthaft infrage stellte. So kam es, dass in manchen Städten – Wien etwa – ab Mitte der 50er Jahre offizielle Krampus-Verbote oder zumindest -Einschränkungen galten. Statt der Teufel sollten verstärkt Engel und Nikolo auftreten. Die Zeitschrift Time berichtete 1953 ausführlich darüber und zitierte die Forderung: „Schaffen wir den Krampus ab!“.

Interessanterweise blieb diese pädagogische Anti-Krampus-Bewegung auf die städtischen Gebiete beschränkt. In ländlichen Tiroler Gemeinden ließ man sich vom Zeitgeist wenig beeindrucken – hier hielt man am Krampuslauf fest, wenn auch teilweise mit Anpassungen. Einige Schulen organisierten „entschärfte“ Nikolausfeiern, bei denen der Krampus nur noch symbolisch auftrat oder gar ganz verbannt wurde, um die Kleinsten nicht zu erschrecken. Doch viele Eltern erzogen ihre Kinder weiter in der Tradition: „Wenn du nicht brav bist, holt dich der Krampus!“ blieb ein oft gehörter Satz in Tiroler Stuben.

In Südtirol war die Situation nach dem Krieg nochmals anders: Nach Ende der Unterdrückung unter Mussolini lebte die deutsche Kultur auf, und damit feierten auch die Krampusse ein Comeback. Schon in den 1950er Jahren regten junge Männer in Südtiroler Orten wie Gröden (St. Ulrich, St. Christina) und dem Pustertal an, den alten Brauch wieder öffentlich durchzuführen, was mit neuem Enthusiasmus geschah. Allerdings mischten sich auch hier moderne Ansichten hinein – so achtete man etwa darauf, dass die Läufe geordneter abliefen und nicht in Gewalt ausarteten.

Generell lässt sich sagen, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Krampusbrauch einerseits vielerorts gezähmt wurde (weniger Hiebe, mehr Show), andererseits aber eine populäre Wiederbelebung erfuhr. In den 1960/70er Jahren gründeten sich zahlreiche Brauchtumsgruppen, welche die handgeschnitzten Masken und traditionellen Laufpraktiken pflegten. Es entstand ein neues Bewusstsein für die kulturelle Bedeutung: Der Krampus wurde als Teil regionaler Identität verstanden, den es zu erhalten galt. So kam es gegen Ende des Jahrhunderts sogar zu einer gewissen Kommerzialisierung: Tourismusverbände und Gemeinden begannen, große Krampusveranstaltungen als winterliche Attraktion zu vermarkten. „Gegen Ende des Jahrhunderts erlebten die Krampus-Feiern ein populäres Wiederaufleben“ – so konstatiert es die Literatur. In Bayern etwa wurde eine alte Tradition neu belebt, mit liebevoller Herstellung von handgeschnitzten Holzmasken.

Natürlich rief dieses Revival auch erneut Mahner auf den Plan. So diskutierte man etwa in Österreich ab 2006 wieder verstärkt, ob der Krampus „für Kinder geeignet“ sei. In der niederösterreichischen Gemeinde Gresten wurde 2006 sogar ein Verbot in Erwägung gezogen, doch es kam letztlich nicht dazu. Insgesamt existiert bis heute kein generelles Verbot dieser alten Tradition – sie ist bisweilen umstritten, aber lebendig geblieben.

In der Gegenwart (21. Jahrhundert) erlebt der Krampus sogar eine internationale Popularisierung: Durch Filme, Internet und Auswanderer wurde er in Nordamerika bekannt und teils begeistert aufgegriffen. Ironischerweise regen sich dort vor allem fundamentalistische Stimmen, die dem Krampus Satanismus unterstellen – etwa in den USA protestierten 2024 christliche Gruppen gegen eine geplante Krampusparade, da diese einen „gehörnten Dämon“ glorifiziere und Angst verbreite. Die Stadt Pikeville in Kentucky sagte daraufhin eine Krampusnacht ab, um keinen „satanischen Aktivitäten“ Vorschub zu leisten. Solche Debatten sind ein fernes Echo dessen, was in Tirol vor Jahrzehnten diskutiert wurde – nur dass dort die Tradition mittlerweile fest etabliert und allgemein akzeptiert ist, trotz gelegentlicher Aufrufe zu Mäßigung.

Fazit dieses Abschnitts: Im 20. Jahrhundert war der Krampus sowohl Zielscheibe von Verboten und Kritik als auch Gegenstand einer Renaissance. Faschistische Regime wie der Dollfuß-Ständestaat oder die Nazis stuften ihn als untragbar (antichristlich bzw. unarisch) ein und verboten ihn. Nach dem Krieg rückten Pädagogen mit ähnlichem Eifer an seine Stelle, warnten vor seelischen Schäden und forderten „Werft den Krampus raus!“. Doch die ländliche Bevölkerung ließ sich ihren finsteren Begleiter nicht nehmen. Mit ein paar Anpassungen – weniger echte Prügel, mehr Symbolik – und dem Engagement lokaler Traditionsgruppen sicherte man das Fortbestehen. Heute gehört der Krampus in Tirol zum vorweihnachtlichen Alltag; sogar in Osttirol, wo 2013 bei mehreren Läufen insgesamt 70 Verletzte (meist durch übermütige Raufereien) behandelt werden mussten, denkt niemand ernsthaft daran, das Treiben abzuschaffen. Die Spannung zwischen Brauchtum und moderner Sensibilität bleibt aber bestehen: Alljährlich wird darüber diskutiert, wie viel Schrecken erlaubt ist – und genau diese Diskussion hat eine lange Vorgeschichte, wie wir gesehen haben.

Früher Schrecken, heute Spaß? – Die Bedeutung des Krampus für Kinder und Erwachsene im Wandel

Was bedeutete es früher, Kinder zu erschrecken, und was bedeutet es heute – sowohl für Kinder als auch für Erwachsene? Diese Frage zielt auf den Wandel in der Wahrnehmung und Funktion des Krampusbrauchs ab. Tatsächlich hat sich die Rolle des Schreckens im Laufe der Zeit deutlich verschoben: Vom ernsten Erziehungsritual hin zu einem eher spielerischen Nervenkitzel und identitätsstiftenden Event.

Früher, in traditionellen ländlichen Gemeinschaften Tirols, war das Erschrecken der Kinder durch den Krampus ausdrücklich gewollt und hatte einen klaren Zweck: Disziplinierung und Moralunterricht. Kinder sollten durch die Angst vor der „bösen“ Gestalt im Advent dazu gebracht werden, das ganze Jahr über folgsam und brav zu sein. Der Krampus war sozusagen die personifizierte Drohung elterlicher Autorität. Seine Präsenz ein Mal im Jahr reichte oft, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen – zumindest glaubte man das. Viele Erwachsene von früher erzählten noch als Großeltern, wie sie als Kinder „zu Tode erschrocken“ waren, als plötzlich der pelzige Krampus im Haus stand. Dieses Trauma galt aber paradoxerweise als notwendiges Übel: Ein gewisser Schrecken gehöre zur Erziehung dazu, meinten Altvordere. Die Redensart „Das Fürchten lehren“ war positiv besetzt im Sinne von „Respekt einflößen“. Entsprechend robust ging man mit den Tränen der Kinder um – ein verängstigtes Kind war kein Grund, den Brauch in Frage zu stellen, sondern wurde eher als Zeichen gesehen, dass die Lektion angekommen war. Auch in der Literatur jener Zeit spiegelt sich das: In einem Zeitungsbericht von 1952 heißt es beispielsweise, der Nikolaus solle ruhig einen Krampus mitbringen, denn „Angst hat noch keinem Kind geschadet, wenn es heilsam ist.“ Diese Haltung änderte sich erst mit dem Aufkommen moderner pädagogischer Theorien, die stärker auf die seelische Unversehrtheit und das Vertrauen des Kindes setzten.

Ein wichtiger Aspekt: Früher nahmen Eltern und Kinder den Krampus oft durchaus für real oder zumindest als potent real wahr. Kleine Kinder wussten nicht, dass sich unter dem Fell ein Nachbarjunge verbirgt – oft wurde diese Illusion auch sorgsam aufrechterhalten. Man erzählte den Kindern vielleicht schon Wochen vor dem Nikolaustag von den Taten des Krampus, wie er im Wald lebe und alles beobachte. Manche Eltern stellten auch „Beweise“ seiner Existenz bereit – zum Beispiel Kratzspuren vor der Tür (von einer Harke erzeugt) oder vergessene Kettenglieder im Hof, um am nächsten Morgen zu sagen: „Schau, der Krampus war heute Nacht da, du hast wohl noch mal Glück gehabt!“ Die Kinder wuchsen also in einem gewissen Droh-Rahmen auf. Für sie bedeutete das Erschrecktwerden an Krampusabend dann eine Art Bestätigung dieses eingerahmten Weltbilds: Das Böse existiert, aber es wird vom Guten (Nikolaus) kontrolliert, wenn man sich bessert.

Heute hat sich dieses pädagogische Konzept stark relativiert. Kinder im 21. Jahrhundert sind aufgeklärter (oft wissen sie schon früh, dass hinter dem Nikolaus der verkleidete Onkel steckt) und Eltern gehen behutsamer mit Ängsten um. In vielen Familien wird offen mit den Kindern besprochen, dass es sich um eine Tradition handelt und die Personen verkleidet sind. Die Funktion des Erschreckens ist dadurch abgemildert: Sie dient weniger der moralischen Zucht als vielmehr dem spielerischen Kitzel. Natürlich gibt es nach wie vor kleine Kinder, die herzzerreißend zu weinen beginnen, wenn ein wilder Krampus auf sie zukommt – daher versuchen zeitgemäße Krampusdarsteller oft, bei sehr jungen Kindern Zurückhaltung zu üben oder sich am Ende freundlich zu erkennen zu geben (manchmal nimmt der Krampus zum Schluss die Maske kurz ab, um dem Kind zu zeigen: Schau, ich bin ja der XY von nebenan). Auch Nikolaus-Agenturen achten heute darauf, dass ihre engagierten Krampusse kinderfreundlich auftreten und nicht über die Stränge schlagen. Das Ziel ist eher, ein kontrolliertes Gruseln zu bieten: Ein bisschen Herzklopfen und Nervosität gehören dazu, aber das Kind soll am Ende lachend den Abend verlassen, nicht traumatisiert.

Die Bedeutung für Kinder hat sich damit gewandelt: War es früher blanke Angst, so ist es heute oft eine Art Mutprobe im Kleinen. Viele Kinder – vor allem im Grundschulalter – mögen inzwischen den Nervenkitzel und prahlen danach sogar: „Ich hab dem Krampus die Zunge rausgestreckt und bin nicht mal davongelaufen!“ In einer alternden Gesellschaft, wo echte Bewährungsproben rar geworden sind, bietet der Krampus tatsächlich einen harmlosen Schauplatz, um Courage zu zeigen. Im Pinzgau gilt das Kramperl-Teasen wie erwähnt als traditionelles Mutritual für die Jugend. Ähnlich hat es sich in Tirol eingebürgert, dass vor allem ältere Kinder und Jugendliche bewusst dem Krampus entgegentreten, ihn vielleicht sogar anfassen oder ihm eine Neckerei zurufen, um dann quietschend davonzurennen. Die Jüngeren wiederum erleben im sicheren Schoß der Eltern, dass Angst auch Spaß machen kann, solange Mama oder Papa dabei sind. So beschreiben es moderne Psychologen: Der Krampus bietet Kindern die Möglichkeit, kontrollierte Angst zu erleben und zu bewältigen – was unter Umständen sogar entwicklungsfördernd sein kann, solange keine Panik daraus wird.

Für Erwachsene hat sich die Bedeutung ebenso verändert. Früher war der Krampus für die Eltern ein Erziehungshelfer. Er war eine Instanz, die man vorschieben konnte („Wenn du nicht gehorchst, kommt der Krampus!“) – quasi ein ausgelagertes Druckmittel. Zugleich war das Krampuslaufen für die beteiligten jungen Männer ein wichtiger sozialer Akt: Es war Ehre und Vergnügen zugleich, in die Rolle des finsteren Gesellen zu schlüpfen. In kleinen Dorfgemeinschaften hatte derjenige Ansehen, der eine beeindruckende Maske besaß und furchtlos als Krampus auftrat. Die älteren Dorfbewohner (Pfarrer, Lehrer, Eltern) schauten dabei wohlwollend zu, solange es im Rahmen blieb, denn sie verstanden den tieferen Sinn. Für die Burschen selbst war es oft auch eine Ventilfunktion: Man durfte einmal im Jahr wild, laut und ungestraft aus der Rolle fallen, in gewisser Weise symbolisch die Kräfte des Chaos verkörpern, die sonst im streng geregelten Alltag keinen Platz hatten. Hier zeigt sich das anthropologische Muster des „Maskenfests“, das ähnlich auch beim Fasching oder Perchtenlaufen greift.

Heute sind diese Funktionen nicht verschwunden, haben sich aber ergänzt. Erwachsene (insbesondere junge Erwachsene) zelebrieren den Krampus oft mit einem Augenzwinkern, aber dennoch ernsthafter Hingabe ans Handwerk. Für die Mitglieder moderner Krampusvereine in Tirol ist der Lauf ein Hobby und Brauchtumspflege. Sie investieren viel Zeit in die Herstellung von Masken und Kostümen, proben Choreografien für Umzüge und pflegen Kameradschaft in ihren Passen. Es geht weniger darum, tatsächlich Schrecken zu verbreiten, als vielmehr um das Erlebnis und die Bewahrung der Tradition. Die Angst der Kinder ist nicht mehr Hauptziel, eher ein Nebeneffekt, den man vorsichtig dosiert. Eine wichtige Motivation ist heute: Stolz auf die eigene Kultur. So verwundert es nicht, dass bei Umzügen in Innsbruck oder Imst viele Erwachsene als Zuschauer kommen, um das schaurig-schöne Spektakel zu genießen. Es hat Festival-Charakter – ähnlich wie Krampus- oder Perchtenläufe Tourist*innen anlocken, die fasziniert sind von den archaischen Bildern.

Gleichzeitig bietet der Krampus in der heutigen Gesellschaft auch für Erwachsene eine Ventilfunktion, aber eher im Sinne eines Event-Vergnügens: Viele genießen die prickelnde Atmosphäre, die Mischung aus Angst und Freude, ohne selbst aktiv einzuschreiten. Es gibt sogar regelrechte „Krampus-Partys“ in manchen Städten, wo nach dem Lauf die verkleideten Teufel und das Publikum gemeinsam feiern – dann ist der Krampus nur noch Kostüm in einer ausgelassenen Feier. Man könnte sagen, der Respekt vor der Gestalt ist geschrumpft, die Freude an ihr gewachsen. So formuliert es etwa ein österreichischer Kulinarik-Blog sehr treffend: „Der Krampus bestrafte früher mit Rute, Prügel und Kohlensack – und zwar von Österreich, Bayern, Schweiz über Südtirol bis Slowenien und Kroatien. Das hat man ihm nun ziemlich ausgetrieben. Ja, die Kinder lachen schon über ihn!“. Statt gefürchtet zu werden, ist der Krampus heute auch zur beliebten Figur von Scherzartikeln und Backwaren geworden: Man bäckt süße Krampusfiguren aus Germteig oder formt Schokoladenkrampusse, um sie den Kindern als spaßiges Geschenk zu geben. Diese Entwicklung – vom schlagenden Dämon zur leckeren Teigfigur – spricht Bände über den Bedeutungswandel.

Für die Erwachsenen von einst war Krampus also ein notwendiges Schreckgespenst, für die von heute eher ein unterhaltsamer Brauch und ein Stück Identität. Eine ältere Tiroler Generation mag dem ursprünglichen „Respekt vor dem Krampus“ noch nachtrauern und findet vielleicht, dass die Jugend heute nicht mehr so ehrfürchtig ist – man hörte bisweilen den Ausspruch, „heutzutage haben die Buam ja keine richtige Angst mehr vorm Krampus, früher hätt’s das nicht gegeben.“ Doch insgesamt hat sich ein gesellschaftlicher Konsens eingependelt: Der Krampusbrauch wird weitergeführt, aber in gemäßigter Form, so dass die Freude daran überwiegt.

Nichtsdestotrotz: Wenn am 5. Dezember die Dunkelheit hereinbricht, spüren auch aufgeklärte Moderne einen archaischen Nerv getroffen. Ein bisschen Gänsehaut, ein schnellerer Puls beim Klang der Glocken – das liegt in unserer menschlichen Natur. So erfüllt der Krampus auch heute noch eine psychologische Funktion: Er erlaubt uns, mit dem Grusel zu spielen, das Böse symbolisch auszutreiben und uns anschließend im Licht des Nikolaus darüber zu freuen, dass wir diese Herausforderung gemeistert haben. Aus einem früher erzieherischen Ritual ist somit mehr ein kulturelles Erlebnis geworden. Für Kinder ist es eine Lektion in Mut, für Erwachsene ein Stück Heimatgefühl und Faszinarium.

Der Krampus als „satanisches Böse“: Entstehung eines Spannungsverhältnisses zur Kirche

Wann wurde der Krampus zum Symbol des satanischen Bösen, und wie entstand daraus sein widersprüchliches Verhältnis zur Kirche? Im Grunde trägt der Krampus das Stigma des Teuflischen seit seinen Anfängen in sich – schließlich verkörpert er optisch wie funktional einen Dämon. Doch interessant ist, wie sich die kirchliche Deutung der Figur im Laufe der Zeit wandelte und wann sie besonders konfliktgeladen war.

In der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Christenheit war der Teufel allgegenwärtige Realität im Glauben. Jede dämonische Maskengestalt fiel zwangsläufig unter die Kategorie „Teufel/Satan“. Somit war der Krampus aus kirchlicher Sicht von Anfang an ein Abbild des Widersachers Gottes, des personifizierten Bösen. Die Integration in den Nikolausbrauch milderte zwar die Frontstellung – man akzeptierte ihn als nützliches Schreckmittel – dennoch blieb die Figur theologisch heikel. Die Kirche legte Wert darauf, dass der Krampus niemals glorifiziert werden durfte. Er musste immer der Besiegte, der Geknechtete bleiben. So trägt er, wie erwähnt, Ketten als Symbol seiner Gebundenheit durch die Kirche. Auch das oft zu sehende Kreuz auf dem Bischofsstab des Nikolaus oder an dessen Mitra dient (neben der religiösen Bedeutung) dazu, dem Teufel die Macht Christi vor Augen zu halten, ihn quasi in Schach zu halten.

Dennoch kam es im Lauf der Zeit zu Phasen, in denen der Krampus – insbesondere von bestimmten kirchlichen Strömungen – offen verteufelt wurde. Eine solche Phase war wie beschrieben die Inquisition: Hier war jede teuflische Darstellung gleichzusetzen mit Teufelsverehrung. Der Krampus galt damals schlicht als Teufel in verkörperter Form – wer sich als solcher maskierte, machte sich verdächtig, dem Satan zu huldigen. Damit war der Krampus zu 100% ein „Symbol des satanischen Bösen“, ohne mildernde Umstände. Folgerichtig wurde er verboten und mit strengsten Strafen belegt.

Nach dem Ende der Hexenverfolgungen entspannte sich diese Sichtweise etwas. In der Barockzeit bis ins 19. Jahrhundert konnte der Krampus in der Volksfrömmigkeit existieren, weil er eben immer im Dienst der guten Sache (der Besserung der Kinder und Bekämpfung der Sünde) gesehen wurde. Die Kirche vor Ort – sprich Pfarrer und Ordensleute – arrangierte sich damit. Doch es blieb ein latentes Unbehagen bestehen, insbesondere wenn der Krampusbrauch zu exzessiv wurde. Historische Predigten aus dem 18./19. Jh. enthalten gelegentlich Ermahnungen, den Nikolausabend andächtig und nicht lärmend zu begehen. Mancher Pfarrer wetterte gegen betrunkene Krampusse, die „wie die Teufel selbst“ herumwüten und den Sinn des heiligen Festes entstellen würden.

Eine deutliche Verschärfung in der öffentlichen Wahrnehmung des Krampus als sinnbildlich böse trat – etwas überraschend – erst im 20. Jahrhundert wieder auf, und zwar in einem weltlichen Kontext: Während die Kirche als Institution sich im 20. Jahrhundert zumeist ruhig verhielt (viele Priester in Tirol waren durchaus für die Fortführung des Brauchs in vernünftigen Bahnen), waren es die säkularen Autoritäten und Meinungsführer, die das Wort „böse“ in den Mund nahmen. Die österreichische Regierung in den 30er Jahren beschrieb den Krampus offiziell als „un christliches, böses Treiben“, was im Kontext ihrer Propaganda stand. In den 50ern schließlich prägte das erwähnte Wiener Pamphlet den Satz „Krampus ist ein böser Mann“, quasi als Slogan, um ihn loszuwerden. Hier zeigt sich eine interessante Verschiebung: Die Kirche selbst war es nicht mehr unbedingt, die den Krampus verteufelte (im Gegenteil, vielerorts verteidigten Pfarrer den wertvollen Brauch), sondern es waren teils sogar Laien mit religiöser Motivation, die ihn weghaben wollten – wie Dr. Kotbauer, der auf Basis christlicher Nächstenliebe argumentierte, Kinder sollten in einer Atmosphäre der Liebe und nicht der Angst aufwachsen.

Dennoch bleibt die Frage: Wie entstand das Spannungsverhältnis zur Kirche? Es entstammt der Doppelrolle des Krampus: Er ist innerhalb des Nikolausbrauchs nützlich und moralisch eingebunden, aber außerhalb davon steht er sinnbildlich für das Chaotische, Sündige, Diabolische. Innerhalb der Kirche: Der Krampus kniet vor dem Nikolaus, er symbolisiert die überwundene Sünde. Außerhalb: Er ist potenziell ein Irrweg, könnte Leute zum Aberglauben verführen (man denke an Leute, die tatsächlich glaubten, ein Dämon gehe um und vielleicht Abwehrzauber praktizierten). Die Kirche liebte stets klare Verhältnisse – und ein halber Teufel in ihren Reihen war ein theologischer Balanceakt.

Dieses Spannungsverhältnis wurde in den Darstellungen am Krampustag selbst oft sichtbar. In Nikolausumzügen der Vergangenheit führte man den Zwiespalt regelrecht vor: Da stand der heilige Mann mit goldenem Buch und las Verse aus der Bibel, während um ihn die wilden Gesellen schnarrten und klirrten – eine sehr bildhafte Gegenüberstellung von Heil und Unheil. Die Kinder lernten: So sieht das Böse aus, aber es wird vom Guten bewacht. In solchen Aufführungen war der Sieg der Kirche quasi eingearbeitet, also kein Konflikt, sondern eine Machtdemonstration zu Gunsten der Kirche.

Problematisch wurde es nur, wenn diese Balance gestört war: Zum Beispiel in jenen Fällen, wo nur Krampusse ohne Nikolaus herumzogen. Tatsächlich gab (und gibt) es solche Traditionen: In manchen Tälern Tirols hieß es „Heut’ ist Tuifltag, do gehn de Tuifl um“ – und Nikolaus kam möglicherweise erst am Tag drauf separat. Hier war der Krampus eine eigenständige Erscheinung, und das mochte die Kirche weniger gern. Sie bevorzugte, wenn ein Pfarrer oder frommer Mann als Nikolaus die Fäden in der Hand hielt. Bis heute legt mancherorts die Kirche Wert darauf, dass Nikolaus-Darsteller offiziell beauftragt werden und den Segen der Kirche haben, während spontane Krampus-Rennen kritisch beäugt werden. So berichtet z.B. das St. Nicholas Center (eine Fachstelle für Nikolausbräuche), dass in streng katholischen Gemeinden noch im 20. Jh. „wilde“ Krampusse durch Engels-Darsteller oder sogar Polizisten zurückgehalten wurden, um Ausschreitungen zu verhindern. Ein Spannungsmoment war auch immer, wenn sich Kirche und Brauch überschneiden: In manchen Orten versuchten Krampus-Passen, auch in die Kirche einzuziehen oder bei Messen anwesend zu sein, was die Pfarrer oft unterbanden – denn das Gotteshaus war kein Ort für teuflische Masken. Diese Dinge zeigen, dass die Kirche ihren Herrschaftsbereich klar ziehen wollte.

In der heutigen Zeit ist das offizielle Verhältnis der katholischen Kirche zum Krampus pragmatisch und meist positiv-neutral: Er wird als Teil des kulturellen Erbes akzeptiert. Gelegentlich sprechen sich einzelne Kirchenvertreter gegen Auswüchse aus – etwa wenn es zu Brutalitäten kommt oder wenn der religiöse Gehalt verloren zu gehen droht. Aber es gibt auch Pfarrer, die selbst lustvoll in die Rolle des Nikolaus schlüpfen und mit einem Dutzend Krampussen die Dörfer besuchen, weil sie wissen: “A bisserl Respekt vor dem Bösen schadet net.“ Der tiefere Kern der Spannung – Krampus = Teufel vs. Kirche = Gott – bleibt als Sinnhintergrund spürbar, wird aber in einer folkloristischen Gesellschaft weniger konfliktträchtig wahrgenommen.

Erst wenn radikale Auslegungen ins Spiel kommen, flammt die „satanische“ Debatte wieder auf. Ein Beispiel aus 2024: Ein evangelikaler Pastor in Texas wetterte gegen eine Krampusparade mit den Worten, man dürfe „die Gemeinschaft nicht solch einer dämonischen Botschaft aussetzen“, der Krampus mit Hörnern und Höllendrohung sei „zutiefst verstörend“ und verherrliche das Dunkle. Solche Aussagen könnten fast wortgleich von einem Inquisitor 1650 stammen – und zeigen, dass die Figur des Krampus bis heute das Potential hat, als Symbol des Teufels wahrgenommen zu werden, wenn man sie aus dem vertrauten Kontext reißt. In Tirol allerdings würde man über solche Aufregung meist schmunzeln; hier gilt: „So schiach is a a nit – unser Krampus ghört halt dazu.“ Die Leute wissen um die dunkle Symbolik, aber sie haben sie gezähmt und integriert.

Zusammenfassend entstand das Spannungsverhältnis zur Kirche dadurch, dass der Krampus sowohl Teufel (also Gegenpol zur Kirche) als auch Diener des Heiligen (also Instrument der Kirche) ist. Je nach Epoche und Sichtweise betonte man die eine oder die andere Seite. Wurde die Teufelsseite zu stark, schlug die Kirche Alarm und brandmarkte ihn als satanisch. Wurde die dienende Seite betont, fügte er sich ins kirchliche Brauchleben ein. Dieses Wechselspiel prägte die Geschichte des Krampus von den Inquisitionsverboten bis zu modernen moralischen Bedenken. Dass der Krampus zwischendurch wirklich zum „Symbol des satanischen Bösen“ hochstilisiert wurde, war eher selten – am deutlichsten eben in den strengen Religionsperioden (16./17. Jh.) und in moralischen Kampagnen (20. Jh.). In der Regel verstand man im Volk immer, dass der Krampus zwar zum Fürchten ist, aber nicht der Teufel persönlich, sondern eine gebändigte Darstellung des Bösen im Dienst des Guten. Darin liegt möglicherweise sogar eine christliche Stärke: Man stellte sich dem Bösen, machte es sichtbar – um es dann umso wirkungsvoller zu überwinden. Diese Perspektive dürfte es der Kirche letztlich erleichtert haben, den Krampusbrauch bis heute zu tolerieren.

Inszenierung der Spannungen: Gut gegen Böse – gestern und heute

All die beschriebenen Spannungen – zwischen Gut und Böse, Angst und Freude, Kirche und Dämon – spiegeln sich in der Art und Weise, wie der Krampustag in jeder Epoche dargestellt und inszeniert wurde. Jede Zeit hatte ihre eigenen Darstellungsformen, die uns viel darüber verraten, wie man die Rolle des Krampus und sein Verhältnis zu Nikolaus und Kirche verstand.

In der frühen Neuzeit war die Darstellung klar: Wie bereits geschildert, traten Nikolaus und Krampus zusammen auf, sei es in Hausbesuchen oder kleinen Theaterstücken (Stubenspielen). Die Inszenierung war meist moralisch-didaktisch geprägt. Der Nikolaus sprach Bibelverse oder ermahnende Reime, der Krampus war die stumme Drohkulisse, die diese Worte unterstrich. Oft kniete der Krampus am Ende symbolisch vor dem Nikolaus oder wurde von ihm mit dem Bischofsstab zurückgehalten. Damit wurde visuell vermittelt: Die Macht des Guten bändigt das Böse. In manchen Überlieferungen heißt es sogar, der Nikolaus führe den Krampus an einer Kette wie einen Hund – auch so etwas wurde in Darstellungen (Bildern, später Postkarten) verewigt. So gab es etwa populäre Illustrationen um 1900, auf denen Nikolaus den Krampus an der Leine hat oder ihn in ein Buch schauen lässt. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts erschienen in illustrierten Zeitungen Zeichnungen, die den Moment zeigten, wie Nikolaus und Krampus gemeinsam ein Kind besuchen: Nikolaus segnend, Krampus drohend. Eine solche Illustration aus dem Jahr 1896 in einer österreichischen Zeitung trägt z.B. den Titel „St. Nikolaus und Krampus besuchen ein Wiener Heim“ – das Bild zeigt Nikolaus mit Mitra, ein Kind auf dem Schoß, während hinter ihm der zottelige Krampus lauert. Diese ikonografischen Szenen machten das Spannungsfeld überdeutlich: Hier die Lichtgestalt, dort die Schattengestalt.

Im Volksleben jener Zeit wurde diese Spannung auch performativ ausgedrückt: So berichtet man etwa aus dem Salzkammergut von einem Brauch, wo der Nikolaus in einem Hausbesuchsschauspiel den Teufel (Krampus) schließlich mit Weihwasser besprengte und aus dem Haus jagte. In gewissen Regionen gab es auch den Brauch des sogenannten „Teufel-Auskehrens“ nach der Nikolausfeier: Dabei fegte man mit einem Besen symbolisch den Schmutz und damit das Böse (den Krampus) aus dem Haus, nachdem Nikolaus gegangen war. All dies diente dazu, die Oberhand des Guten darzustellen.

Im 19. Jahrhundert begann man, den Krampus auch losgelöst von Nikolaus darzustellen – v.a. in der Kunst und Populärkultur. Die bereits erwähnten Krampuskarten boten ein vielfältiges Spektrum an Darstellung der Spannungen. Einige Karten halten am klassischen Motiv fest: So z.B. eine Postkarte um 1910, auf der der Krampus ein weinendes Kind im Korb trägt und der Nikolaus mahnend den Finger erhebt – hier prangt „Grüße vom Krampus“ darüber, was den ironischen Unterton ausmacht. Andere Karten kehren das Machtverhältnis spielerisch um: Es gibt Motive, auf denen der Krampus den Nikolaus auf dem Rücken trägt (quasi entführt), oder wo er Nikolaus erschreckt. Diese humorvollen Darstellungen waren im frühen 20. Jh. beliebt und brachen bewusst mit der Moral – hier wurde der Krampus fast sympathisch als Schelm gezeichnet, der dem steifen Nikolaus einen Streich spielt. So eine subversive „Bildsprache“ hätte in früheren Zeiten wohl Empörung hervorgerufen, um 1900 aber lachte man darüber. Es zeigt sich, dass die Stadtbevölkerung die Figur inzwischen entdämonisiert und als Karikatur nutzte. Postkarten zeigten auch oft romantisch-absurde Szenen: etwa einen flirtenden Krampus, der einer jungen Frau Herzchen bringt (die Frau also als „böseres Kind“?), oder einen dummen Krampus, der sich selbst in den Schwanz schneidet. Diese Darstellungen reflektierten weniger die religiöse Spannung, sondern nutzten den Kontrast gut-böse für humoristische Effekte. Der Nikolaus war dabei oft gar nicht mehr im Bild – der Krampus fungierte alleine als komische Teufelsfigur.

Interessant sind auch die propagandistischen Darstellungen: Im Ersten Weltkrieg etwa kursierten Postkarten, die den Krampus politisch instrumentalisierten. Eine bekannte Karte von 1915 zeigt den Krampus mit einem Korb voller kleiner Figuren, die die Feinde der Habsburgermonarchie darstellen – etwa Serbien oder Russland werden so als „unartige Kinder“ dargestellt, die vom Krampus (in Form der Mittelmächte) eingefangen werden. Hier diente der Krampus als Symbol einer strafenden Gerechtigkeit im Kriegskontext. Das Spannungsverhältnis (gut vs. böse) wurde auf wir vs. die Feinde umgedeutet: Aus unserer Sicht war der Krampus der Verbündete, der die bösen Feinde wegschafft. Auch das eine interessante, wenn auch kurzlebige, Umdeutung.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere nach den 1950ern, änderte sich die Inszenierung im privaten Rahmen deutlich. Familien legten mehr Wert auf eine harmonische Darstellung: Nikolaus und Krampus wurden manchmal als Team mit klaren Rollen, aber ohne tatsächliche Gewalt präsentiert. Eine beliebte Inszenierung, die sich seit den späten 60ern verbreitete, war, dass der Krampus nur noch drohte, aber nicht mehr zuschlug. Er rasselte mit der Kette, hob die Rute – aber auf ein Zeichen des Nikolaus ließ er davon ab. Damit wurde visuell dem Kind gezeigt: Der Nikolaus hat ihn unter Kontrolle, dir passiert nichts, wenn du brav bist. In vielen Kindergärten und Schulen wurde der Krampus auf das Minimum reduziert – man ließ vielleicht eine Rute als stummes Symbol neben Nikolaus liegen oder schickte einen verkleideten Erzieher als sanften Krampus mit, der nur dekorativ anwesend war. Ziel war eine Entschärfung des Spannungsbogens, um Kinder nicht zu verängstigen.

Gleichzeitig nahm im öffentlichen Raum die Spektakularisierung zu. Wie schon erwähnt, wurden die Krampusläufe größer, lauter und showartiger. Hierdurch änderte sich auch die Darstellung der Spannung. Bei organisierten Läufen heute ist es oft so, dass kein Nikolaus mehr mitläuft (oder vielleicht nur am Anfang kurz auftritt und dann die Bühne den Teufeln überlässt). Das bedeutet, die Krampusse dominieren die Szenerie. Auf den ersten Blick scheint damit das klassische Gut-Böse-Gleichgewicht gekippt: Es gibt nur noch das Wilde und Böse auf der Straße, keine Heiligengestalt. Doch diese neue Inszenierung hat eine andere Botschaft: Die Gemeinschaft der Zuschauer übernimmt quasi die Rolle des „Guten“, indem sie sich dem Spektakel stellt und es aushält. Der Nikolaus ist unsichtbar, aber man weiß, nach dem Lauf ist der Spuk vorbei und es kommt die besinnliche Zeit – gewissermaßen verlagert sich die positive Gegenkraft zeitlich nach dem Lauf (etwa in eine gemeinsame Feier bei Glühwein und Keksen). Bei einigen Umzügen wird aber durchaus ein Abschlussritual eingebaut: Beispielsweise entzünden manche Passen ein großes Feuer am Ende, in das die Krampusse ihre Ruten werfen – symbolisch wird damit das Böse verbrannt und gereinigt. Oder ein als Engel verkleidetes Mädchen tritt auf und führt einen Nikolaus herbei, worauf die Krampusse sich verneigen und abziehen. Solche Elemente sollen das Gleichgewicht wieder herstellen und werden gelegentlich bewusst in die Choreographie aufgenommen, um dem Publikum zu signalisieren: Keine Sorge, das Gute siegt. Ein Beispiel: In Gastein (Salzburg) ist es Brauch, dass wenn zwei Krampus-Passen aufeinandertreffen, zuerst die Nikolausfiguren beider Gruppen sich grüßen (durch Kreuzung der Bischofsstäbe) und erst danach die Krampusse der beiden Gruppen sich in einem „Rempel-Duell“ messen. Dieses Ritual – Nikolaus grüßt Nikolaus, dann Krampus vs. Krampus – zeigt, wie man auch im wilden Treiben noch eine Ordnung wahrt: Die Guten einigen sich zuerst friedlich, dann dürfen die Bösen sich austoben, aber nach festem Regelwerk (sie verbeugen sich gegenseitig und los geht’s). Nach dem Raufduell räumen die Teufel sogar gemeinsam auf und wünschen einander „weiterhin guten Lauf im alten Brauch“. Hier wird das Spannungsverhältnis fast schon ritualisiert kommentiert: Trotz aller Wildheit am Ende siegt die Tradition, die die bösen Kräfte zivilisiert.

In der Darstellung des Krampus in den Medien und Künsten der Gegenwart spiegelt sich ebenfalls der Wandel. Während er auf alten Gemälden oder Postkarten teils furchterregend, teils humorvoll gezeigt wurde, ist er in neuen Medien (wie Horrorfilmen) oft bewusst überzeichnet böse dargestellt – dort wird er zum „Weihnachtsdämon“, der ganz ohne Nikolaus auskommt und Horror verbreitet. In solchen Filmen (z.B. „Krampus“, USA 2015) wird das Spannungsverhältnis anders aufgelöst: Hier symbolisiert der Krampus die Rache des Weihnachtsfestes an jenen, die den Geist der Weihnacht verloren haben. Die „Gegenkraft“ ist dort nicht Sankt Nikolaus, sondern die Menschlichkeit der Protagonisten, die sie wiederentdecken müssen, um dem Fluch zu entkommen. Das ist eine moderne Interpretation, die das alte Motiv transformiert, aber weiterhin den Krampus als Inbegriff des Bösen einsetzt, der erst überwunden werden muss.

Auf der anderen Seite stehen moderne kunstvolle Inszenierungen im Brauchtum selbst. In Süd- und Osttirol beispielsweise hat man in neuester Zeit begonnen, Theater-Elemente in Läufe einzubauen: Etwa fährt ein geschmückter Nikolauswagen voran, Engel singen, und dann brechen aus allen Gassen die Teufel hervor – ein Spektakel wie eine Dramaturgie von Gut und Böse, fast wie ein kleines Mysterienspiel in moderner Version. In diesen lokalen Inszenierungen ist der Kern des Spannungsverhältnisses immer noch klar erkennbar und wird bewusst inszeniert, teils mit ironischem Augenzwinkern, teils traditionstreu.

Summa summarum lässt sich feststellen: In jeder Epoche spiegelte die Darstellung des Krampusbrauchs die vorherrschenden Werte und Konflikte wider.

  • In der frühesten Phase: klare christliche Dualität (Nikolaus vs. Teufel) – Darstellung streng moralisch.
  • In den Volksillustrationen des 19./frühen 20. Jh.: teils humoristische Brechung der Dualität, Kippen in Satire, dennoch erkennbar als Spiel mit Gut/Böse-Symbolen.
  • In den propagandistischen Nutzungen: Umdeutung des Bösewichts zum Verbündeten gegen politische Feinde, also Instrumentalisierung der Symbolik.
  • In der modernen Brauchausübung: entweder Minimierung des Dualismus (Krampus alleine als Event-Figur) oder neue kreative Rahmung (Feuer, Engel etc.), um dem Publikum die erforderliche Katharsis zu bieten.
  • In der Popkultur: extremes Herausgreifen der Horror-Aspekte, die in der originären Form so nie voll entfaltet wurden (denn im echten Brauch war immer Nikolaus als Puffer da).

Doch so oder so: Die Kernspannung – das Spiel mit Angst und Erlösung – blieb bis heute Herzstück der Inszenierung. Gerade in Tirol, wo man stolz auf den Erhalt der echten Krampus-Tradition ist, wird darauf geachtet, dass trotz aller Neuerungen der ursprüngliche Charakter sichtbar bleibt: Der Krampus verkörpert das Dunkle der Winterzeit, doch er wird durch das gesellschaftliche Ritual in Schranken gewiesen und dient letztlich dem Guten. In manchem Dorf mag dies heute subtiler geschehen als vor 300 Jahren, aber wer genau hinschaut, erkennt in jeder Krampusnacht die alten Symbole aufs Neue: das lodernde Feuer gegen die Finsternis, das Geläut der Glocken gegen die Stille, das Gelächter der Zuschauer gegen das Gebrüll der Teufel. All das stellt dar, wofür diese Tradition steht – eine einzigartige Vergegenwärtigung der Gegensätze und am Ende die Rückkehr zum Licht.

Fazit: Der Krampustag in Tirol hat seit seiner Einführung zahlreiche Phasen und Veränderungen durchlaufen, doch jeder Zeitabschnitt – ob kirchlich streng, volkskundlich verspielt oder modern kommerzialisiert – hat dieses Brauchtum mit neuen Nuancen bereichert. Trotz Verbotsversuchen und Wandlungen ist der Krampus lebendiger denn je und wird in Tirols Regionen – Nord-, Ost- und Südtirol gleichermaßen – als unverzichtbarer Bestandteil der Adventszeit gepflegt. Vom Morgen des 5. Dezember, wenn Kinder voller Erwartung an ihre Stiefel denken, bis zum Abend, wenn lärmende Schreckgestalten durchs Dorf jagen, durchlebt die Gemeinschaft jährlich ein Ritual, das Angst und Freude, Zucht und Übermut, Tradition und Neuerung aufs Engste verknüpft. Und während am Ende der heilige Nikolaus oder schlicht der anbrechende 6. Dezember wieder Frieden bringt, weiß man doch insgeheim: Im nächsten Dezember wird er wieder kommen, der pelzige, rasselnde Krampus – Schreckbild und Kultfigur zugleich, dessen faszinierende Geschichte zwischen heilig und dämonisch weitergeschrieben wird.

Quellen:

  • Honigmann, John J.: „The Masked Face“, Ethos 5(3), 1977 – Zitat in (über heidnische Elemente im Nikolausfest)
  • Salzburg Tourismus: „Krampus und Perchten – Mystische Traditionen“ (online) – zur Verbotsgeschichte und Brauchbeschreibung
  • Wild Hunt News: „Christian leaders object to Krampus“, 2024 – Hintergründe zu historischen Verbotsversuchen (12. Jh., 1930er, 1950er)
  • Tiroler Tageszeitung (via Wikipedia): Bericht über Verletzte bei Krampusläufen in Osttirol (2013)
  • Wikipedia (de/en): Artikel „Krampus“ – Informationen zu Namensherkunft, Verbreitung, Gegenreformation, Dollfuß-Verbot 1933, staatlicher Kritik 1950er
  • TIME Magazine, 7. Dez. 1953: „Throw Out Krampus“ – Report über Dr. Kotbauers Kampagne und Zitat „Werfen wir den Krampus raus“
  • TodayIFoundOut.com: „Krampus, the Christmas Demon“ – zur 1934er Verbotsbegründung (Sozialisten) und regionalen Varianten (z.B. goldene Ruten in Stmk)
  • Foodtastic.at Blog: „Krampusse zum Nikolo“ – Kommentar zum Wandel („früher Rute und Kohlensack – das hat man ihm heute ausgetrieben, Kinder lachen über ihn“)
  • USC News (Susan Bell, 2023): „Have you been naughty? Krampus…“ – Interview Britta Bothe (zur Inquisition: Todesstrafe fürs Verkleiden) und NS-Verbot (pagan origins)
  • Rifugio Averau (Dolomiten) Webseite: „Krampus – Geschichte und Tradition“ – Zusammenfassung modern (Dollfuß-Verbot, 1950er Broschüre „Krampus are for evil people“, Revival, Gresten-Debatte)
  • Salzburgland Magazin: Beschreibung Gasteiner Krampuslauf (Begegnungsritual) und Kramperl-Teasing als Mutprobe
  • Business Insider: „The story behind Krampus“ (2017) – Hinweise auf Verbote durch Kirche und Regierung (Krampus mehrmals verboten, u.a. im WWII als sozialdemokratisch)
  • Food Blog Mehlspeiskultur.at: „Das Geheimnis der Rauhnächte“ – Abgrenzung Perchten (Rauhnacht) vs. Krampus (Advent) (zur zeitlichen und funktionalen Unterscheidung)
  • Historische Postkarten (Wiener Werkstätte, ca. 1910) – z.B. „Gruß vom Krampus“, sowie NYT 1934 Titel.

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