Tausend Plateaus 11

  1. 1837 – Vom Ritournell
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I. Ein Kind im Dunkeln, von Angst ergriffen, beruhigt sich, indem es vor sich hin summt. Es geht, bleibt nach Maßgabe seines Liedes stehen. Verloren, birgt es sich, so gut es kann, oder orientiert sich so gut wie möglich mit seinem kleinen Lied. Dieses ist wie die Skizze eines stabilen und ruhigen Zentrums, stabilisierend und beruhigend, im Innern des Chaos. Es kann sein, dass das Kind zugleich springt, während es singt, es beschleunigt oder verlangsamt seinen Schritt; aber schon ist es das Lied, das selbst ein Sprung ist: Es springt vom Chaos zu einem Anfang von Ordnung im Chaos, es riskiert auch, in jedem Augenblick auseinanderzufallen. Es gibt immer eine Klanglichkeit im Ariadnefaden. Oder aber den Gesang des Orpheus.

II. Jetzt hingegen ist man zu Hause. Aber das Zuhause existiert nicht im Voraus: Man musste einen Kreis um das zerbrechliche und ungewisse Zentrum ziehen, einen begrenzten Raum organisieren. Viele sehr verschiedene Komponenten greifen ein, Anhaltspunkte und Markierungen aller Art. Das war schon im vorherigen Fall wahr. Aber jetzt sind es Komponenten für die Organisation eines Raums, nicht mehr für die momentane Bestimmung eines Zentrums. Da werden die Kräfte des Chaos so weit wie möglich außen gehalten, und der innere Raum schützt die keimenden Kräfte einer zu erfüllenden Aufgabe, eines zu schaffenden Werkes. Da gibt es eine ganze Tätigkeit der Auswahl, der Eliminierung, der Extraktion, damit die intimen irdischen Kräfte, die inneren Kräfte der Erde, nicht überschwemmt werden, damit sie Widerstand leisten können, oder sogar damit sie durch den Filter oder das Sieb des gezogenen Raums hindurch dem Chaos etwas entlehnen können. Nun sind die vokalen, die sonoren Komponenten sehr wichtig: eine Schallmauer, jedenfalls eine Mauer, deren gewisse Ziegel klanglich sind. Ein Kind summt, um in sich die Kräfte der zu leistenden Schularbeit zu sammeln. Eine Hausfrau summt, oder stellt das Radio an, während sie zugleich die Anti-Chaos-Kräfte ihres Werkes aufrichtet. Die Radio- oder Fernsehgeräte sind wie eine Klangmauer für jeden Haushalt und markieren Territorien (der Nachbar protestiert, wenn es zu laut ist). Für erhabene Werke wie die Gründung einer Stadt oder die Herstellung eines Golem zieht man einen Kreis, aber vor allem geht man um den Kreis herum wie in einem Kinderreigen, und man kombiniert die gerhythmisierten Konsonanten und Vokale, die den inneren Kräften der Schöpfung ebenso entsprechen wie den differenzierten Teilen eines Organismus. Ein Fehler der Geschwindigkeit, des Rhythmus oder der Harmonie wäre katastrophal, da er den Schöpfer und die Schöpfung zerstören würde, indem er die Kräfte des Chaos zurückbrächte.

III. Nun schließlich öffnet man den Kreis einen Spalt, man öffnet ihn, man lässt jemanden eintreten, man ruft jemanden, oder aber man geht selbst hinaus, man stößt vor. Man öffnet den Kreis nicht auf der Seite, wo sich die alten Kräfte des Chaos drängen, sondern in einer anderen Region, die durch den Kreis selbst geschaffen wird. Als ob der Kreis selbst dazu tendierte, sich auf eine Zukunft hin zu öffnen, gemäß den wirkenden Kräften, die er birgt. Und diesmal ist es, um Kräfte der Zukunft, kosmische Kräfte, zu erreichen. Man stößt vor, man riskiert eine Improvisation. Aber improvisieren heißt, zur Welt zu gelangen, oder mit ihr zu verschmelzen. Man geht von zu Hause hinaus entlang eines kleinen Liedchens. Auf die motorischen, gestischen, sonoren Linien, die den gewohnten Weg eines Kindes markieren, pfropfen sich oder beginnen zu knospen ‚Irrlinien‘, mit Schleifen, Knoten, Geschwindigkeiten, Bewegungen, Gesten und verschiedenen Klanglichkeiten{295}.

Das sind nicht drei aufeinanderfolgende Momente in einer Entwicklung. Das sind drei Aspekte ein und derselben Sache, des Ritournells. Man findet sie in Märchen wieder, in Schauer- oder Feenmärchen, auch in den Liedern. Das Ritournell hat die drei Aspekte, es macht sie gleichzeitig, oder es mischt sie: bald, bald, bald. Bald ist das Chaos ein ungeheures schwarzes Loch, und man bemüht sich, darin einen zerbrechlichen Punkt als Zentrum zu fixieren. Bald organisiert man um den Punkt eine ‚Gangart‘ (eher als eine Form) ruhig und stabil: Das schwarze Loch ist zu einem Zuhause geworden. Bald pfropft man auf diese Gangart eine Ausbruchslinie, hinaus aus dem schwarzen Loch. Es ist Paul Klee, der diese drei Aspekte und ihren Zusammenhang so tief gezeigt hat. Er sagt ‚grauer Punkt‘ und nicht schwarzes Loch, aus malerischen Gründen. Aber gerade der graue Punkt ist zunächst das nicht-dimensionale, nicht lokalisierbare Chaos, die Kraft des Chaos, ein verworrener Strahl von aberranten Linien. Dann ‚springt‘ der Punkt ‚über sich selbst hinweg‘ und lässt einen dimensionalen Raum ausstrahlen, mit seinen horizontalen Schichten, seinen vertikalen Schnitten, seinen ungeschriebenen gewohnten Linien, einer ganzen inneren irdischen Kraft (diese Kraft erscheint ebenso, mit gelösterer Gangart, in der Atmosphäre oder im Wasser). Der graue Punkt (schwarzes Loch) ist also in einen anderen Zustand gesprungen und stellt nicht mehr das Chaos dar, sondern die Wohnstätte oder das Zuhause. Schließlich stößt der Punkt vor und tritt aus sich heraus, unter der Wirkung umherschweifender Zentrifugalkräfte, die sich bis zur Sphäre des Kosmos entfalten: ‚Man übt eine Anstrengung in Stößen aus, um sich von der Erde loszulösen, aber auf der folgenden Stufe erhebt man sich tatsächlich über sie (…) unter der Herrschaft von Zentrifugalkräften, die die Schwerkraft überwinden{296}.‘

Man hat oft die Rolle des Ritournells hervorgehoben: Es ist territorial, es ist ein territoriales Gefüge. Vogelgesänge: Der Vogel, der singt, markiert so sein Territorium… Die griechischen Modi, die hinduistischen Rhythmen sind selbst territorial, provinziell, regional. Das Ritournell kann andere Funktionen annehmen, eine liebende, berufliche oder soziale, liturgische oder kosmische: Es nimmt immer Erde mit sich, es hat als Begleiter eine Erde, selbst eine geistige, es steht in wesentlichem Verhältnis zu einem Natal, einem Nativ. Ein musikalischer ‚Nome‘ ist eine kleine Weise, eine melodische Formel, die sich der Wiedererkennung anbietet und die Grundlage oder der Boden der Polyphonie bleiben wird (cantus firmus). Der Nomos als gewohnheitsmäßiges und nicht geschriebenes Gesetz ist untrennbar von einer Verteilung des Raums, einer Verteilung im Raum, dadurch ist er Ethos, aber der Ethos ist ebenso sehr die Wohnstätte{297}. Und bald geht man vom Chaos zu einer Schwelle des territorialen Gefüges: Richtungskomponenten, Infra-Gefüge. Bald organisiert man das Gefüge: dimensionale Komponenten, Intra-Gefüge. Bald tritt man aus dem territorialen Gefüge heraus, zu anderen Gefügen, oder noch anderswohin: Inter-Gefüge, Komponenten des Übergangs oder gar der Flucht. Und die drei zusammen. Kräfte des Chaos, irdische Kräfte, kosmische Kräfte: All das stellt sich im Ritournell einander entgegen und wirkt zusammen.

Aus dem Chaos entstehen die Milieus und die Rhythmen. Das ist die Sache sehr alter Kosmogonien. Das Chaos ist nicht ohne Richtungskomponenten, die seine eigenen Ekstasen sind. Wir haben bei anderer Gelegenheit gesehen, wie alle Arten von Milieus gegeneinander, übereinander glitten, jedes durch eine Komponente definiert. Jedes Milieu ist vibrierend, das heißt ein Raum-Zeit-Block, der durch die periodische Wiederholung der Komponente gebildet wird. So hat das Lebendige ein äußeres Milieu, das auf die Materialien verweist; ein inneres Milieu, auf die Komponenten-Elemente und zusammengesetzten Substanzen; ein Zwischenmilieu, auf Membranen und Grenzen; ein angegliedertes Milieu, auf Energiequellen und Wahrnehmungs-Aktionen. Jedes Milieu ist codiert, ein Code bestimmt sich durch periodische Wiederholung; aber jeder Code befindet sich in einem Zustand dauernder Transcodierung oder Transduktion. Transcodierung oder Transduktion ist die Weise, wie ein Milieu als Basis für ein anderes dient oder umgekehrt sich auf einem anderen etabliert, sich im anderen verflüchtigt oder sich im anderen konstituiert. Gerade der Begriff des Milieus ist nicht einheitlich: Nicht nur das Lebendige geht ständig von einem Milieu in ein anderes über, die Milieus gehen ineinander über, wesentlich miteinander kommunizierend. Die Milieus sind im Chaos offen, das sie durch Erschöpfung oder durch Eindringen bedroht. Aber die Antwort der Milieus auf das Chaos ist der Rhythmus. Was dem Chaos und dem Rhythmus gemeinsam ist, ist das Dazwischen, zwischen zwei Milieus, Rhythmus-Chaos oder Chaosmos: ‚Zwischen Nacht und Tag, zwischen dem, was gebaut ist, und dem, was natürlich wächst, zwischen den Mutationen vom Unorganischen zum Organischen, von der Pflanze zum Tier, vom Tier zur menschlichen Spezies, ohne dass diese Reihe ein Fortschritt wäre…‘ In diesem Dazwischen wird das Chaos zum Rhythmus, nicht notwendigerweise, aber es hat die Chance, es zu werden. Das Chaos ist nicht das Gegenteil des Rhythmus, es ist eher das Milieu aller Milieus. Es gibt Rhythmus, sobald es einen transcodierten Übergang von einem Milieu in ein anderes gibt, Kommunikation der Milieus, Koordination heterogener Raum-Zeit-Blöcke. Das Versiegen, der Tod, das Eindringen nehmen Rhythmen an. Man weiß wohl, dass Rhythmus nicht Maß oder Takt ist, selbst unregelmäßig: Nichts ist weniger rhythmisch als ein Militärmarsch. Das Tam-Tam ist nicht 1-2, der Walzer ist nicht 1, 2, 3, die Musik ist nicht binär oder ternär, sondern eher 47 Primzeiten, wie bei den Türken. Denn ein Maß, regelmäßig oder nicht, setzt eine codierte Form voraus, deren messende Einheit variieren kann, aber in einem nicht kommunizierenden Milieu, während der Rhythmus das Ungleiche oder das Unkommensurable ist, stets in Transcodierung. Das Maß ist dogmatisch, aber der Rhythmus ist kritisch, er knüpft kritische Augenblicke, oder er knüpft sich an den Übergang eines Milieus in ein anderes. Er operiert nicht in einer homogenen Raum-Zeit, sondern mit heterogenen Blöcken. Er ändert die Richtung. Bachelard hat recht zu sagen, dass ‚die Verknüpfung der wirklich aktiven Augenblicke (Rhythmus) immer auf einer Ebene vollzogen wird, die sich von der Ebene unterscheidet, auf der die Handlung{298} ausgeführt wird‘. Der Rhythmus hat niemals dieselbe Ebene wie das Gerhythmte. Denn die Handlung vollzieht sich in einem Milieu, während der Rhythmus sich zwischen zwei Milieus setzt, oder zwischen zwei Zwischen-Milieus, wie zwischen zwei Wassern, zwischen zwei Stunden, zwischen Hund und Wolf, twilight oder Zwielicht, Heccéité. Das Milieu wechseln, auf frischer Tat ergriffen, das ist der Rhythmus. Landen, wassern, sich erheben… Dadurch kommt man leicht aus einer Aporie heraus, die riskierte, das Maß in den Rhythmus zurückzubringen, trotz aller Absichtserklärungen: Wie kann man nämlich die konstitutive Ungleichheit des Rhythmus verkünden, während man sich zugleich die unterstellten Schwingungen, die periodischen Wiederholungen der Komponenten gibt? Weil ein Milieu zwar durch eine periodische Wiederholung existiert, diese aber keinen anderen Effekt hat, als eine Differenz zu erzeugen, durch die es in ein anderes Milieu übergeht. Die Differenz ist rhythmisch, und nicht die Wiederholung, die sie dennoch hervorbringt; aber damit hat diese produktive Wiederholung nichts mit einem reproduzierenden Maß zu tun. Das wäre die ‚kritische Lösung der Antinomie‘.

Es gibt einen besonders wichtigen Fall der Transcodierung: wenn ein Code sich nicht damit begnügt, anders codierte Komponenten zu nehmen oder zu empfangen, sondern Fragmente eines anderen Codes als solchen nimmt oder empfängt. Der erste Fall würde auf das Verhältnis Blatt-Wasser verweisen, der zweite aber auf das Verhältnis Spinne-Fliege. Man hat oft bemerkt, dass das Spinnennetz im Code dieses Tieres Sequenzen des Codes der Fliege selbst einschließt; man würde sagen, die Spinne habe eine Fliege im Kopf, ein ‚Motiv‘ der Fliege, ein ‚Ritournell‘ der Fliege. Die Einbeziehung kann wechselseitig sein, wie bei der Wespe und der Orchidee, dem Löwenmaul und der Hummel. J. von Uexküll hat eine bewundernswerte Theorie dieser Transcodierungen gemacht, indem er in den Komponenten ebenso viele Melodien entdeckte, die sich im Kontrapunkt bilden würden, die eine der anderen als Motiv dient und umgekehrt: die Natur als Musik{299}. Jedes Mal, wenn es Transcodierung gibt, können wir sicher sein, dass es keine einfache Addition gibt, sondern die Konstitution einer neuen Ebene als eines Mehrwerts. Rhythmische oder melodische Ebene, Mehrwert des Übergangs oder der Brücke, — aber die beiden Fälle sind niemals rein, sie mischen sich in Wirklichkeit (so das Verhältnis des Blattes, nicht mehr zum Wasser im Allgemeinen, sondern zum Regen…).

Doch haben wir noch kein Territorium, das kein Milieu ist, nicht einmal ein Milieu mehr, noch ein Rhythmus oder Übergang zwischen Milieus. Das Territorium ist tatsächlich ein Akt, der die Milieus und die Rhythmen affiziert, der sie ‚territorialisiert‘. Das Territorium ist das Produkt einer Territorialisation der Milieus und der Rhythmen. Es kommt auf dasselbe hinaus zu fragen, wann die Milieus und die Rhythmen territorialisiert werden, oder worin der Unterschied zwischen einem Tier ohne Territorium und einem Tier mit Territorium besteht. Ein Territorium entlehnt aus allen Milieus, es beißt in sie hinein, es packt sie (auch wenn es gegenüber Eindringungen fragil bleibt). Es ist aus Aspekten oder Teilen von Milieus gebaut. Es enthält in sich selbst ein äußeres Milieu, ein inneres Milieu, ein Zwischenmilieu, ein angegliedertes. Es hat eine innere Zone des Wohnens oder des Unterschlupfs, eine äußere Zone des Bereichs, Grenzen oder Membranen, mehr oder weniger einziehbar, Zwischenzonen oder sogar neutralisierte Zonen, Reserven oder energetische Anhänge. Es ist wesentlich markiert, durch ‚Indizes‘, und diese Indizes sind aus Komponenten aller Milieus entlehnt: Materialien, organische Produkte, Zustände der Membran oder der Haut, Energiequellen, verdichtete Wahrnehmungs-Aktion. Genau: Es gibt Territorium, sobald Komponenten von Milieus aufhören, richtungsbestimmt zu sein, um dimensional zu werden, wenn sie aufhören, funktional zu sein, um expressiv zu werden. Es gibt Territorium, sobald es Expressivität des Rhythmus gibt. Es ist das Auftauchen von Ausdrucksmaterien (Qualitäten), das das Territorium definieren wird. Nehmen wir ein Beispiel wie das der Farbe bei Vögeln oder Fischen: Die Farbe ist ein Membranzustand, der selbst auf innere hormonale Zustände verweist; aber die Farbe bleibt funktional und vorübergehend, solange sie an einen Typ von Handlung gebunden ist (Sexualität, Aggressivität, Flucht). Sie wird im Gegenteil expressiv, wenn sie eine zeitliche Konstanz und eine räumliche Reichweite erlangt, die aus ihr eine territoriale, oder vielmehr territorialiserende Markierung macht: eine Signatur{300}. Die Frage ist nicht, ob die Farbe Funktionen wieder aufnimmt oder neue innerhalb des Territoriums selbst erfüllt. Das ist evident, aber diese Reorganisation der Funktion setzt zuerst voraus, dass die betrachtete Komponente expressiv geworden ist und dass sie, von diesem Gesichtspunkt aus, den Sinn hat, ein Territorium zu markieren. Eine und dieselbe Vogelart kann farbige oder nicht farbige Vertreter haben; die farbigen haben ein Territorium, während die weißlichen gesellig sind. Man kennt die Rolle des Urins oder der Exkremente bei der Markierung; aber gerade die territorialen Exkremente, zum Beispiel beim Kaninchen, haben einen besonderen Geruch aufgrund spezialisierter Analdrüsen. Viele Affen, als Wachen, zeigen ihre Geschlechtsorgane in leuchtenden Farben: Der Penis wird zu einem expressiven und gerhythmisierten Farbenträger, der die Grenzen des Territoriums markiert{301}. Eine Milieu-Komponente wird zugleich Qualität und Eigenschaft, quale und proprium. In vielen Fällen stellt man die Geschwindigkeit dieses Werdens fest, mit welcher Schnelligkeit ein Territorium konstituiert wird, zugleich mit den expressiven Qualitäten, ausgewählten oder produzierten. Der Vogel Scenopoïetes dentirostris setzt seine Anhaltspunkte, indem er jeden Morgen vom Baum Blätter fallen lässt, die er abgeschnitten hat, und sie dann umdreht, damit ihre hellere Innenseite mit der Erde kontrastiert: Die Umkehrung produziert eine Ausdrucksmaterie…{302}.

Das Territorium ist nicht zuerst im Verhältnis zur qualitativen Marke; die Marke macht das Territorium. Die Funktionen in einem Territorium sind nicht zuerst; sie setzen zunächst eine Expressivität voraus, die Territorium macht. In diesem Sinn sind das Territorium und die Funktionen, die sich darin ausüben, Produkte der Territorialisation. Die Territorialisation ist der Akt des expressiv gewordenen Rhythmus, oder der qualitativ gewordenen Milieu-Komponenten. Die Markierung eines Territoriums ist dimensional, aber das ist kein Maß, das ist ein Rhythmus. Er bewahrt den allgemeinsten Charakter des Rhythmus, sich auf einer anderen Ebene einzuschreiben als der der Handlungen. Aber jetzt unterscheiden sich die beiden Ebenen als die der territorialiserenden Ausdrücke und die der territorialisierten Funktionen. Deshalb können wir einer These wie der von Lorenz nicht folgen, die dazu neigt, die Aggressivität an die Basis des Territoriums zu setzen: Es wäre die phylogenetische Evolution eines Aggressionstriebs, die das Territorium machte, von dem Moment an, da dieser Trieb intraspezifisch würde, gegen die Artgenossen des Tieres gerichtet. Ein Tier mit Territorium wäre dasjenige, das seine Aggressivität gegen andere Mitglieder seiner Art richtet; was der Art den selektiven Vorteil verschafft, sich in einem Raum zu verteilen, in dem jeder, Individuum oder Gruppe, seinen eigenen Ort besitzt{303}. Diese ambivalente These, mit politisch gefährlichen Resonanzen, erscheint uns schlecht begründet. Es ist evident, dass die aggressive Funktion eine neue Gangart annimmt, wenn sie intraspezifisch wird. Aber diese Reorganisation der Funktion setzt das Territorium voraus und erklärt es nicht. Innerhalb des Territoriums gibt es zahlreiche Reorganisationen, die sowohl die Sexualität als auch die Jagd usw. betreffen, es gibt sogar neue Funktionen, wie eine Wohnstätte zu bauen. Aber diese Funktionen werden nur organisiert oder geschaffen, insofern sie territorialisiert sind, und nicht umgekehrt. Der Faktor T, der territorialiserende Faktor, muss anderswo gesucht werden: genau im expressiv Werden des Rhythmus oder der Melodie, das heißt im Auftauchen der eigenen Qualitäten (Farbe, Geruch, Klang, Silhouette…).

Kann man dieses Werden, dieses Auftauchen Kunst nennen? Das Territorium wäre der Effekt der Kunst. Der Künstler, der erste Mensch, der einen Grenzstein aufstellt oder eine Markierung macht… Eigentum, gruppen- oder individuelles, folgt daraus, selbst wenn es für Krieg und Unterdrückung ist. Eigentum ist zuerst künstlerisch, weil Kunst zuerst Aushang, Plakat ist. Wie Lorenz sagt, sind die Korallenfische Aushänge. Das Expressive ist dem Possessiven voraus, die expressiven Qualitäten oder Ausdrucksmaterien sind notwendigerweise aneignend und konstituieren ein Haben, das tiefer ist als das Sein{304}. Nicht in dem Sinn, dass diese Qualitäten einem Subjekt gehörten, sondern in dem Sinn, dass sie ein Territorium zeichnen, das dem Subjekt gehören wird, das sie trägt oder das sie produziert. Diese Qualitäten sind Signaturen, aber die Signatur, der Eigenname, ist nicht die vom Subjekt konstituierte Marke, sie ist die ein Gebiet, eine Wohnstätte konstituierende Marke. Die Signatur ist nicht die Angabe einer Person, sie ist die zufällige Bildung eines Gebiets. Die Wohnstätten haben Eigennamen und sind inspiriert. ‚Die Inspirierten und ihre Wohnstätte…‘, aber mit der Wohnstätte tritt die Inspiration hervor. Es ist zugleich, dass ich eine Farbe liebe und dass ich sie zu meinem Banner oder meinem Plakat mache. Man setzt seine Signatur auf einen Gegenstand, wie man seine Flagge auf ein Land pflanzt. Ein Oberaufseher eines Gymnasiums stempelte alle Blätter, die den Boden im Hof bedeckten, und legte sie wieder an ihren Platz. Er hatte signiert. Die territorialen Marken sind Ready-mades. Und ebenso ist das, was man art brut nennt, nichts Pathologisches oder Primitives, es ist nur diese Konstitution, diese Befreiung von Ausdrucksmaterien, in der Bewegung der Territorialität: der Sockel oder der Boden der Kunst. Aus beliebigem etwas eine Ausdrucksmaterie machen. Der Scenopoïetes macht art brut. Der Künstler ist Scenopoïetes, notfalls indem er seine eigenen Plakate zerreißt. Gewiss ist die Kunst in dieser Hinsicht nicht das Privileg des Menschen. Messiaen hat recht zu sagen, dass viele Vögel nicht nur Virtuosen, sondern Künstler sind, und es zunächst durch ihre territorialen Gesänge sind (wenn ein Dieb ‚einen Ort unrechtmäßig besetzen will, der ihm nicht gehört, singt der wirkliche Eigentümer, singt so gut, dass der andere weggeht (…). Wenn der Dieb besser singt, räumt der Eigentümer ihm den Platz{305}‘). Das Ritournell ist der territorialiserte Rhythmus und die territorialiserte Melodie, weil sie expressiv geworden sind, — und expressiv geworden sind, weil sie territorialiserend sind. Wir drehen uns nicht im Kreis. Wir wollen sagen, dass es eine Selbstbewegung der expressiven Qualitäten gibt. Expressivität reduziert sich nicht auf die unmittelbaren Effekte eines Impulses, der eine Handlung in einem Milieu auslöst: Solche Effekte sind Eindrücke oder subjektive Emotionen eher als Ausdrücke (so die momentane Färbung, die ein Süßwasserfisch unter einem solchen Impuls annimmt). Die expressiven Qualitäten hingegen, die Farben der Korallenfische, sind auto-objektiv, das heißt, sie finden eine Objektivität in dem Territorium, das sie ziehen.

Was ist diese objektive Bewegung? Was tut eine Materie als Materie des Ausdrucks? Sie ist zunächst Aushang oder Schild, aber dabei bleibt sie nicht stehen. Sie geht da hindurch, das ist alles. Doch die Signatur wird zu Stil werden. In der Tat treten die expressiven Qualitäten oder Ausdrucksmaterien miteinander in bewegliche Verhältnisse ein, die das Verhältnis des Territoriums, das sie ziehen, zum inneren Milieu der Impulse und zum äußeren Milieu der Umstände ‚ausdrücken‘ werden. Ausdrücken heißt aber nicht abhängen, es gibt eine Autonomie des Ausdrucks. Einerseits treten die expressiven Qualitäten miteinander in interne Verhältnisse ein, die territoriale Motive bilden: bald überragen diese die inneren Impulse, bald überlagern sie sie, bald lassen sie einen Impuls in einem anderen aufgehen, bald gehen sie hindurch und lassen von einem Impuls in einen anderen übergehen, bald fügen sie sich zwischen beide ein, aber sie selbst sind nicht ‚gepuls(t)‘. Bald erscheinen diese ungepulsten Motive in einer festen Form, oder scheinen so zu erscheinen, bald aber haben dieselben, oder andere, eine variable Geschwindigkeit und Artikulation; und ebenso sehr ihre Variabilität wie ihre Fixiertheit macht sie unabhängig von den Trieben, die sie kombinieren oder neutralisieren. ‚Von unseren Hunden wissen wir, dass sie mit Leidenschaft die Bewegungen des Schnüffelns, Hebens, Laufens, Aufspürens, Packens und Tot-Schüttelns einer imaginären Beute ausführen, ohne Hunger zu haben.‘ Oder aber der Tanz des Stichlings, sein Zickzack ist ein Motiv, in dem das Zick einen aggressiven Impuls zum Partner hin, das Zack einen sexuellen Impuls zum Nest hin umschmiegt, aber in dem Zick und Zack verschieden akzentuiert und sogar verschieden ausgerichtet sind. Andererseits treten die expressiven Qualitäten ebenfalls in andere interne Verhältnisse ein, die territoriale Kontrapunkte bilden: diesmal ist es die Weise, wie sie im Territorium Punkte konstituieren, die die Umstände des äußeren Milieus im Kontrapunkt aufnehmen. Zum Beispiel nähert sich ein Feind, oder bricht ein, oder der Regen beginnt zu fallen, die Sonne geht auf, die Sonne geht unter… Auch hier haben die Punkte oder Kontrapunkte ihre Autonomie, der Fixiertheit oder der Variabilität, gegenüber den Umständen des äußeren Milieus, deren Verhältnis zum Territorium sie ausdrücken. Denn dieses Verhältnis kann gegeben sein, ohne dass die Umstände es sind, so wie das Verhältnis zu den Impulsen gegeben sein kann, ohne dass der Impuls es ist. Und selbst wenn die Impulse und Umstände gegeben sind, ist das Verhältnis originell gegenüber dem, worauf es sich bezieht. Die Verhältnisse zwischen Ausdrucksmaterien drücken Verhältnisse des Territoriums zu inneren Impulsen, zu äußeren Umständen aus: sie haben eine Autonomie in diesem Ausdruck selbst. In Wahrheit erkunden die territorialen Motive und Kontrapunkte die Potentialitäten des Milieus, inneren oder äußeren. Die Ethologen haben die Gesamtheit dieser Phänomene unter dem Begriff der ‚Ritualisierung‘ umrissen und den Zusammenhang der tierischen Rituale mit dem Territorium gezeigt. Aber dieses Wort passt nicht unbedingt zu diesen ungepulsten Motiven, zu diesen nicht lokalisierten Kontrapunkten, und es trägt weder ihrer Variabilität noch ihrer Fixiertheit Rechnung. Denn es ist nicht das eine oder das andere, Fixiertheit oder Variabilität, sondern gewisse Motive oder Punkte sind nur fest, wenn andere variabel sind, oder aber sie sind in einer Gelegenheit festgelegt, um in einer anderen variabel zu sein.

Man müsste vielmehr sagen, dass die territorialen Motive rhythmische Gesichter oder Figuren bilden und die territorialen Kontrapunkte melodische Landschaften. Es gibt eine rhythmische Figur, wenn wir uns nicht mehr in der einfachen Situation eines Rhythmus befinden, der seinerseits mit einer Figur, einem Subjekt oder einem Impuls verbunden wäre: jetzt ist es der Rhythmus selbst, der die ganze Figur ist und der als solcher konstant bleiben kann, aber ebenso gut zu- oder abnehmen kann, durch Hinzufügung oder Entzug von Klängen, von stets wachsenden und abnehmenden Dauern, durch Verstärkung oder Eliminierung, die sterben und auferstehen lassen, erscheinen und verschwinden lassen. Ebenso ist die melodische Landschaft nicht mehr eine Melodie, die mit einer Landschaft verbunden wäre, es ist die Melodie, die selbst eine Klanglandschaft macht und alle Verhältnisse zu einer virtuellen Landschaft im Kontrapunkt aufnimmt. Dadurch verlassen wir das Stadium des Schildes: denn wenn jede expressive Qualität, wenn jede für sich betrachtete Ausdrucksmaterie ein Schild oder ein Aushang ist, bleibt diese Betrachtung doch abstrakt. Die expressiven Qualitäten treten miteinander in variable oder konstante Verhältnisse ein (das ist es, was die Ausdrucksmaterien tun), um nicht mehr Schilder zu konstituieren, die ein Territorium markieren, sondern Motive und Kontrapunkte, die das Verhältnis des Territoriums zu inneren Impulsen oder äußeren Umständen ausdrücken, selbst wenn diese nicht gegeben sind. Nicht mehr Signaturen, sondern ein Stil. Was einen musizierenden Vogel objektiv von einem nicht musizierenden Vogel unterscheidet, ist genau diese Fähigkeit zu Motiven und Kontrapunkten, die, variabel oder sogar konstant, aus ihm etwas anderes machen als einen Aushang, aus ihm einen Stil machen, insofern sie den Rhythmus artikulieren und die Melodie harmonisieren. Man kann dann sagen, dass der musizierende Vogel von Traurigkeit zu Freude übergeht, oder dass er den Sonnenaufgang begrüßt, oder dass er sich selbst in Gefahr bringt, um zu singen, oder dass er besser singt als ein anderer, usw. Keine dieser Formeln birgt die geringste Gefahr des Anthropomorphismus oder impliziert die geringste Interpretation. Es wäre eher Geomorphismus. Im Motiv und im Kontrapunkt ist das Verhältnis zur Freude und zur Traurigkeit, zur Sonne, zur Gefahr, zur Perfektion gegeben, selbst wenn der Term jedes dieser Verhältnisse nicht gegeben ist. Im Motiv und im Kontrapunkt werden Sonne, Freude oder Traurigkeit, Gefahr sonor, rhythmisch oder melodisch{306}.

Auch die Musik des Menschen geht da hindurch. Für Swann als Kunstliebhaber wirkt die kleine Phrase von Vinteuil oft wie ein Schild, verbunden mit der Landschaft des Bois de Boulogne, mit dem Gesicht und der Figur von Odette: es ist, als brächte sie Swann die Gewissheit, dass der Bois de Boulogne wohl sein Territorium sei und Odette sein Besitz. Es steckt schon viel Kunst in dieser Weise, Musik zu hören. Debussy kritisierte Wagner, indem er die Leitmotive mit Wegweisern verglich, die die verborgenen Umstände einer Situation, die geheimen Impulse einer Figur anzeigen würden. Und so ist es, auf einer Ebene oder in gewissen Momenten. Doch je mehr sich das Werk entwickelt, je mehr die Motive in Konjunktion treten, je mehr sie ihre eigene Ebene erobern, je mehr sie an Autonomie gegenüber der dramatischen Handlung, den Impulsen, den Situationen gewinnen, je unabhängiger sie von den Figuren und den Landschaften werden, um selbst melodische Landschaften, rhythmische Figuren zu werden, die nicht aufhören, ihre internen Beziehungen zu bereichern. Dann können sie relativ konstant bleiben oder im Gegenteil zu- oder abnehmen, wachsen und schrumpfen, die Geschwindigkeit der Entfaltung variieren: in beiden Fällen haben sie aufgehört, gepuls(t) und lokalisiert zu sein, selbst die Konstanten sind für die Variation, und sie verhärten umso mehr, als sie provisorisch sind und diese kontinuierliche Variation zur Geltung bringen, der sie widerstehen{307}. Gerade Proust gehörte zu den ersten, die dieses Leben des wagnerschen Motivs hervorhoben: statt dass das Motiv mit einer Figur verbunden wäre, die erscheint, ist es jedes Auftreten des Motivs, das selbst eine rhythmische Figur konstituiert, in ‚der Fülle einer Musik, die in der Tat so viele Musiken erfüllt, von denen jede ein Wesen ist‘. Und es ist kein Zufall, wenn das Lernen der Recherche eine analoge Entdeckung hinsichtlich der kleinen Phrasen von Vinteuil verfolgt: sie verweisen nicht auf eine Landschaft, sondern reißen Landschaften mit sich und entfalten sie in sich, die außerhalb nicht mehr existieren (die weiße Sonate und das rote Septett…). Die Entdeckung der eigentlich melodischen Landschaft und der eigentlich rhythmischen Figur markiert jenen Moment der Kunst, insofern sie aufhört, ein stummes Bild auf einem Schild zu sein. Vielleicht ist das nicht das letzte Wort der Kunst, aber die Kunst ist da hindurchgegangen, ebenso wie der Vogel: Motive und Kontrapunkte, die eine Selbstentwicklung bilden, das heißt einen Stil. Die Internalisierung der Klang- oder melodischen Landschaft kann bei Liszt ebenso ihre exemplarische Form finden wie die des rhythmischen Charakters bei Wagner. Allgemeiner ist das Lied die musikalische Kunst der Landschaft, die bildhafteste Form der Musik, die impressionistischste. Aber die beiden Pole sind so eng verbunden, dass auch im Lied die Natur als rhythmische Figur mit unendlichen Transformationen erscheint.

Das Territorium ist zunächst die kritische Distanz zwischen zwei Wesen derselben Art: seine Distanzen markieren. Was mein ist, ist zunächst meine Distanz, ich besitze nur Distanzen. Ich will nicht, dass man mich berührt, ich knurre, wenn man in mein Territorium eindringt, ich stelle Schilder auf. Die kritische Distanz ist ein Verhältnis, das aus den Ausdrucksmaterien hervorgeht. Es geht darum, die Kräfte des Chaos, die an die Tür schlagen, auf Distanz zu halten. Manierismus: der Ethos ist zugleich Wohnstätte und Manier, Heimat und Stil. Man sieht es gut in den sogenannten barocken oder manieristischen Territorialtänzen, wo jede Pose, jede Bewegung eine solche Distanz stiftet (Sarabanden, Allemanden, Bourrées, Gavotten…{308}). Es gibt eine ganze Kunst der Posen, der Haltungen, der Silhouetten, der Schritte und der Stimmen. Zwei Schizophrene sprechen miteinander oder schlendern dahin, nach Grenz- und Territorialgesetzen, die uns entgehen können. Wie wichtig es ist, wenn das Chaos droht, ein transportables und pneumatisches Territorium zu ziehen. Notfalls nehme ich mein Territorium auf meinem eigenen Körper: ich territorialisiere meinen Körper: das Haus der Schildkröte, die Einsiedelei des Krebstiers, aber auch alle Tätowierungen, die den Körper zu einem Territorium machen. Die kritische Distanz ist kein Maß, sie ist ein Rhythmus. Aber gerade der Rhythmus ist in ein Werden verstrickt, das die Distanzen zwischen Figuren mitreißt, um daraus rhythmische Figuren zu machen, selbst mehr oder weniger distanziert, mehr oder weniger kombinierbar (Intervalle). Zwei Tiere gleichen Geschlechts und derselben Art treten einander entgegen; der Rhythmus des einen ‚wächst‘, wenn er sich seinem Territorium oder dem Zentrum dieses Territoriums nähert, der Rhythmus des anderen nimmt ab, wenn er sich von dem seinen entfernt, und zwischen beiden, an den Grenzen, stellt sich eine oszillatorische Konstante ein: ein aktiver Rhythmus, ein erlittener Rhythmus, ein Zeugenrhythmus{309}? Oder aber das Tier öffnet sein Territorium einen Spalt dem Partner des anderen Geschlechts: es bildet sich eine komplexe rhythmische Figur, in Duos, alternierenden oder antiphonischen Gesängen, wie bei den afrikanischen Würgern. Mehr noch muss man gleichzeitig zwei Aspekte des Territoriums berücksichtigen: nicht nur sichert und regelt es das Zusammenleben der Mitglieder derselben Art, indem es sie trennt, sondern es macht auch das Zusammenleben eines Maximums verschiedener Arten in demselben Milieu möglich, indem es sie spezialisiert. Es ist zugleich, dass die Mitglieder derselben Art in rhythmische Figuren eintreten und dass die verschiedenen Arten in melodische Landschaften eintreten, die Landschaften von Figuren bevölkert, die Figuren zu Landschaften gehörig. So die Chronochromie von Messiaen, mit achtzehn Vogelgesängen, zugleich autonome rhythmische Figuren bildend und eine außerordentliche Landschaft in komplexen Kontrapunkten, unterstellten oder erfundenen Akkorden realisierend.

Nicht nur wartet die Kunst nicht auf den Menschen, um zu beginnen, man kann sogar fragen, ob die Kunst beim Menschen je erscheint, außer unter späten und künstlichen Bedingungen. Man hat oft bemerkt, dass die menschliche Kunst lange in Arbeiten und Riten anderer Natur gefangen bleibt. Dennoch hat diese Bemerkung vielleicht nicht mehr Tragweite als die, die die Kunst mit dem Menschen beginnen ließe. Denn es ist sehr wahr, dass in einem Territorium zwei bemerkenswerte Effekte stattfinden: eine Reorganisation der Funktionen, eine Bündelung der Kräfte. Einerseits werden funktionale Aktivitäten nicht territorialisiert, ohne eine neue Gangart anzunehmen (Schaffung neuer Funktionen wie ein Logis zu bauen, Transformation alter Funktionen, wie die Aggressivität, die ihre Natur ändert, indem sie intraspezifisch wird). Da gibt es so etwas wie das aufkeimende Thema der Spezialisierung oder des Berufs: wenn das territoriale Ritournell so oft in die beruflichen Ritournelle übergeht, dann weil die Berufe voraussetzen, dass verschiedene funktionale Aktivitäten in demselben Milieu ausgeübt werden, aber auch, dass dieselbe Aktivität im selben Territorium keine anderen Agenten hat. Berufliche Ritournelle kreuzen sich im Milieu, wie die Rufe der Händler, aber jedes markiert ein Territorium, in dem nicht dieselbe Aktivität ausgeübt werden kann und nicht derselbe Ruf erschallen kann. Beim Tier wie beim Menschen sind es die Regeln der kritischen Distanz für die Ausübung der Konkurrenz: meine Gehsteigecke. Kurz: Es gibt eine Territorialisation der Funktionen, die die Bedingung ihres Auftauchens als ‚Arbeiten‘ oder ‚Berufe‘ ist. In diesem Sinn ist die intraspezifische oder spezialisierte Aggressivität notwendigerweise zunächst eine territorialiserte Aggressivität, die das Territorium nicht erklärt, da sie aus ihm hervorgeht. Damit wird man anerkennen, dass im Territorium alle Aktivitäten eine neue praktische Gangart annehmen. Aber das ist kein Grund, daraus zu schließen, dass die Kunst dort nicht für sich selbst existiert, da sie im territorialisierenden Faktor präsent ist, der das Auftauchen der Funktion-Arbeit bedingt.

Und ebenso ist es, wenn man den anderen Effekt der Territorialisation betrachtet. Dieser andere Effekt, der nicht mehr auf Arbeiten, sondern auf Riten oder Religionen verweist, besteht darin: Das Territorium bündelt alle Kräfte der verschiedenen Milieus zu einem einzigen Bündel, das durch die Kräfte der Erde gebildet wird. Nur im Innersten jedes Territoriums vollzieht sich die Zuschreibung aller diffusen Kräfte an die Erde als Aufnahmegefäß oder Sockel. ‚Da die umgebende Umwelt als Einheit erlebt wird, wird man in diesen primären Intuitionen nur schwer unterscheiden können, was eigentlich zur Erde gehört von dem, was nur durch sie hindurch manifestiert wird, Berge, Wälder, Wasser, Vegetation.‘ Die Kräfte der Luft oder des Wassers, der Vogel und der Fisch, werden so zu Kräften der Erde. Mehr noch: wenn das Territorium in der Ausdehnung die inneren Kräfte der Erde von den äußeren Kräften des Chaos trennt, so ist es nicht so in der ‚Intension‘, in der Tiefe, wo sich die beiden Typen von Kräften umklammern und vermählen in einem Kampf, der nur die Erde als Sieb und als Einsatz hat. Im Territorium gibt es immer einen Ort, wo alle Kräfte sich vereinen, Baum oder Hain, in einem Nahkampf der Energien. Die Erde ist dieser Nahkampf. Dieses intensive Zentrum ist zugleich im Territorium selbst, aber auch außerhalb mehrerer Territorien, die auf es hin zusammenlaufen am Ende einer ungeheuren Wallfahrt (daher die Ambivalenzen des ‚Natalen‘). In ihm oder außerhalb seiner verweist das Territorium auf ein intensives Zentrum, das wie die unbekannte Heimat ist, irdische Quelle aller Kräfte, freundlicher oder feindlicher, und wo alles entschieden wird{310}. Auch hier müssen wir also anerkennen, dass die Religion, gemeinsam dem Menschen und dem Tier, das Territorium nur besetzt, weil sie, als ihrer Bedingung, vom rohen ästhetischen, territorialisierenden Faktor abhängt. Er ist es, der zugleich die Milieufunktionen in Arbeiten organisiert und die Chaoskräfte in Riten und Religionen bindet, Kräfte der Erde. Es ist zugleich, dass die territorialisierenden Markierungen sich zu Motiven und Kontrapunkten entwickeln und dass sie die Funktionen reorganisieren, dass sie die Kräfte bündeln. Aber dadurch entfesselt das Territorium bereits etwas, das es übersteigen wird.

Wir werden immer auf diesen ‚Moment‘ zurückgeführt: das expressiv Werden des Rhythmus, das Auftauchen der expressiven Eigenqualitäten, die Bildung von Ausdrucksmaterien, die sich zu Motiven und Kontrapunkten entfalten. Man bräuchte dann einen Begriff, selbst von negativem Anschein, um diesen rohen oder fiktiven Moment zu fassen. Das Wesentliche liegt in der Verschiebung, die man zwischen Code und Territorium feststellt. Das Territorium entsteht in einem Freiheitsrand des Codes, nicht unbestimmt, aber anders bestimmt. Wenn es stimmt, dass jedes Milieu seinen Code hat und dass es fortwährend Transcodierung zwischen den Milieus gibt, so scheint sich dagegen das Territorium auf der Ebene einer gewissen Dekodierung zu bilden. Die Biologen haben die Bedeutung dieser bestimmten Ränder hervorgehoben, die sich aber nicht mit Mutationen verwechseln, das heißt mit inneren Änderungen des Codes: es handelt sich diesmal um verdoppelte Gene oder überzählige Chromosomen, die nicht in den genetischen Code aufgenommen sind, funktional frei sind und eine freie Materie für die Variation anbieten{311}. Aber dass eine solche Materie unabhängig von Mutationen neue Arten schaffen könnte, bleibt sehr unwahrscheinlich, wenn sich ihr nicht Ereignisse anderer Ordnung hinzufügen, die fähig sind, die Interaktionen des Organismus mit seinen Milieus zu vervielfachen. Nun ist die Territorialisation genau ein solcher Faktor, der sich auf den Code-Rändern einer und derselben Art etabliert und den getrennten Vertretern dieser Art die Möglichkeit gibt, sich zu differenzieren. Weil die Territorialität gegenüber dem Code der Art verschoben ist, kann sie indirekt neue Arten induzieren. Überall, wo Territorialität erscheint, stiftet sie eine kritische intraspezifische Distanz zwischen Mitgliedern derselben Art; und kraft ihrer eigenen Verschiebung gegenüber den artspezifischen Differenzen wird sie zu einem Mittel der indirekten, schrägen Differenzierung. In all diesen Sinngehalten erscheint die Dekodierung durchaus als das ‚Negative‘ des Territoriums; und die augenfälligste Unterscheidung zwischen Tieren mit Territorium und Tieren ohne Territorium ist, dass die ersteren viel weniger codiert sind als die anderen. Wir haben genug Schlechtes über das Territorium gesagt, um nun alle Schöpfungen zu bewerten, die dahin tendieren, die darin geschehen oder die daraus hervorgehen, die daraus hervorgehen werden.

Wir sind von den Kräften des Chaos zu den Kräften der Erde gegangen. Von den Milieus zum Territorium. Von den funktionalen Rhythmen zum expressiv Werden des Rhythmus. Von den Phänomenen der Transcodierung zu den Phänomenen der Dekodierung. Von den Milieufunktionen zu den territorialisierten Funktionen. Es geht weniger um Evolution als um Übergang, um Brücken, um Tunnel. Schon hörten die Milieus nicht auf, ineinander überzugehen. Aber nun gehen die Milieus in das Territorium über. Die expressiven Qualitäten, die wir ästhetische nennen, sind gewiss keine ‚reinen‘ noch symbolischen Qualitäten, sondern Eigenqualitäten, das heißt aneignende, Übergänge, die von Milieu-Komponenten zu Territoriums-Komponenten gehen. Das Territorium ist selbst Ort des Übergangs. Das Territorium ist das erste Gefüge, die erste Sache, die Gefüge macht, das Gefüge ist zunächst territorial. Aber wie sollte es nicht schon dabei sein, in etwas anderes überzugehen, in andere Gefüge? Deshalb konnten wir nicht von der Konstitution des Territoriums sprechen, ohne schon von seiner inneren Organisation zu sprechen. Wir konnten das Infra-Gefüge (Aushänge oder Schilder) nicht beschreiben, ohne schon im Intra-Gefüge (Motive und Kontrapunkte) zu sein. Wir können auch über das Intra-Gefüge nichts sagen, ohne schon auf dem Weg zu sein, der uns zu anderen Gefügen führt, oder anderswohin. Übergang des Ritournells. Das Ritournell geht zum territorialen Gefüge hin, richtet sich darin ein oder tritt daraus heraus. In einem allgemeinen Sinn nennt man Ritournell jede Gesamtheit von Ausdrucksmaterien, die ein Territorium zieht und sich zu territorialen Motiven, zu territorialen Landschaften entwickelt (es gibt motorische, gestische, optische Ritournelle usw.). In einem engeren Sinn spricht man von Ritournell, wenn das Gefüge sonor ist oder vom Klang ‚dominiert‘ wird — aber warum dieses scheinbare Privileg?

Wir befinden uns jetzt im Intra-Gefüge. Nun weist es eine sehr reiche und komplexe Organisation auf. Nicht nur umfasst es das territoriale Gefüge, sondern auch die gefügten, territorialisierten Funktionen. Nehmen wir die Troglodyten, eine Familie der Sperlingsvögel: Das Männchen nimmt Besitz von seinem Territorium und produziert ein ‚Ritournell der Spieluhr‘, wie eine Warnung vor möglichen Eindringlingen; es baut selbst Nester in diesem Territorium, manchmal ein Dutzend; wenn ein Weibchen ankommt, stellt es sich vor ein Nest, lädt sie ein, es zu besichtigen, lässt die Flügel hängen, senkt die Intensität seines Gesangs, der sich dann auf nur einen einzigen Triller reduziert{312}. Es zeigt sich, dass die Funktion des Nestbaus stark territorialisiert ist, da die Nester vom Männchen allein vor der Ankunft des Weibchens vorbereitet werden, das sie nur besichtigt und vollendet; die Funktion der ‚Balz‘ ist ebenfalls territorialisiert, aber in geringerem Maße, da das territoriale Ritournell seine Intensität ändert, um verführerisch zu werden. Im Intra-Gefüge greifen alle möglichen heterogenen Komponenten ein: nicht nur die Markierungen des Gefüges, die Materialien, Farben, Gerüche, Klänge, Haltungen usw. zusammenbringen, sondern die verschiedenen Elemente dieses oder jenes gefügten Verhaltens, die in ein Motiv eintreten. Zum Beispiel setzt sich ein Balzverhalten aus Tanz, Schnabelklappern, Zurschaustellung von Farben, Haltung des gestreckten Halses, Rufen, Gefiederputzen, Verbeugungen, Ritournell… zusammen. Eine erste Frage wäre, was all diese territorialiserenden Markierungen, diese territorialen Motive, diese territorialisierten Funktionen in einem und demselben Intra-Gefüge zusammenhält. Es ist eine Frage der Konsistenz: das ‚Zusammenhalten‘ heterogener Elemente. Zunächst konstituieren sie nur eine verschwommene Menge, eine diskrete Menge, die Konsistenz annehmen wird…

Doch scheint eine andere Frage diese zu unterbrechen oder zu kreuzen. Denn in vielen Fällen gewinnt eine gefügte, territorialisierte Funktion genügend Unabhängigkeit, um selbst ein neues Gefüge zu bilden, mehr oder weniger deterritorialisiert, auf dem Weg der Deterritorialisierung. Man braucht das Territorium nicht tatsächlich zu verlassen, um diesen Weg zu betreten; aber was eben noch eine im territorialen Gefüge konstituierte Funktion war, wird jetzt zum konstituierenden Element eines anderen Gefüges, zum Durchgangselement zu einem anderen Gefüge. Wie in der höfischen Liebe hört eine Farbe auf, territorial zu sein, um in ein Gefüge der ‚Balz‘ einzutreten. Es gibt eine Öffnung des territorialen Gefüges zu einem Balzgefüge oder zu einem autonomisierten sozialen Gefüge. Das geschieht, wenn eine eigene Wiedererkennung des Sexualpartners oder der Gruppenmitglieder zustande kommt, die nicht mehr mit der Wiedererkennung des Territoriums zusammenfällt: man sagt dann, der Partner sei ein Tier mit der Heimvalenz, ‚ein Tier, das fürs Zuhause gilt‘. In der Gesamtheit der Gruppen oder Paare wird man daher unterscheiden können: Milieu-Gruppen und -Paare ohne individuelle Wiedererkennung, territoriale Gruppen und Paare, in denen die Wiedererkennung nur im Territorium ausgeübt wird, schließlich soziale Gruppen und Liebespaare, wenn die Wiedererkennung unabhängig vom Ort erfolgt{313}. Die Balz oder die Gruppe gehört nicht mehr zum territorialen Gefüge, aber es gibt eine Autonomisierung eines Balz- oder Gruppengefüges — selbst wenn man innerhalb des Territoriums bleibt. Umgekehrt vollzieht sich innerhalb des neuen Gefüges eine Reterritorialisierung am Partnerglied oder an den Gruppenmitgliedern, die gelten-für (Valenz). Eine solche Öffnung des territorialen Gefüges auf andere Gefüge lässt sich im Detail analysieren und variiert sehr. Zum Beispiel, wenn nicht das Männchen das Nest macht, wenn das Männchen sich darauf beschränkt, die Materialien zu transportieren oder den Bau zu mimieren, wie bei den australischen Prachtfinken: bald macht es dem Weibchen den Hof mit einem Strohhalm im Schnabel (Gattung Bathilda), bald benutzt es ein anderes Material als das des Nestes (Gattung Neochmia), bald dient der Grashalm nur in den Anfangsphasen der Balz oder sogar vorher (Gattungen Aidemosyne oder Lonchura), bald wird das Gras gepickt, ohne angeboten zu werden (Gattung Emblema{314}). Man kann immer sagen, dass diese ‚Grashalm‘-Verhaltensweisen nur Archaismen oder Überreste eines Nestbauverhaltens seien. Aber es ist der Begriff des Verhaltens, der sich gegenüber dem Begriff des Gefüges als unzureichend erweist. Denn wenn das Nest nicht schon vom Männchen gemacht ist, hört der Nestbau auf, eine Komponente des territorialen Gefüges zu sein, er löst sich gewissermaßen vom Territorium ab; mehr noch: die Balz, die dann dem Nestbau vorausgeht, wird selbst zu einem relativ autonomisierten Gefüge. Und die Ausdrucksmaterie ‚Grashalm‘ wirkt als Durchgangskomponente zwischen dem territorialen Gefüge und dem Balzgefüge. Dass der Grashalm dann bei gewissen Arten eine immer rudimentärere Funktion hat, dass er in einer betrachteten Reihe zur Aufhebung tendiert, genügt nicht, um daraus einen Überrest zu machen, noch weniger ein Symbol. Nie ist eine Ausdrucksmaterie Überrest oder Symbol. Der Grashalm ist eine deterritorialisierte Komponente oder auf dem Weg der Deterritorialisierung. Er ist kein Archaismus, noch ein Teilobjekt oder Übergangsobjekt. Er ist ein Operator, ein Vektor. Er ist ein Gefüge-Konverter. Als Durchgangskomponente von einem Gefüge zu einem anderen hebt sich der Halm auf. Und was diesen Standpunkt bestätigt, ist, dass er nicht zur Aufhebung tendiert, ohne dass eine Relaiskomponente ihn ersetzt und immer mehr an Bedeutung gewinnt: nämlich das Ritournell, das nicht mehr nur territorial ist, sondern liebend und sozial wird und sich entsprechend verändert{315}. Warum die sonore Komponente ‚Ritournell‘ bei der Konstitution neuer Gefüge eine stärkere Valenz hat als die gestische Komponente ‚Grashalm‘, das ist eine Frage, die man erst später betrachten kann. Wichtig ist vorerst, diese Bildung neuer Gefüge im territorialen Gefüge festzustellen, diese Bewegung, die vom Intra-Gefüge zu Inter-Gefügen geht, mit Durchgangs- und Relaiskomponenten. Innovative Öffnung des Territoriums zum Weibchen hin oder aber zur Gruppe. Der Selektionsdruck verläuft über die Inter-Gefüge. Es ist, als ob Kräfte der Deterritorialisierung das Territorium selbst bearbeiteten und uns vom territorialen Gefüge zu anderen Gefüge-Typen übergehen ließen, zu Balz- oder Sexualitätsgefügen, zu Gruppen- oder Gesellschaftsgefügen. Der Grashalm und das Ritournell sind zwei Agenten dieser Kräfte, zwei Agenten der Deterritorialisierung.

Das territoriale Gefüge hört nicht auf, in andere Gefüge überzugehen. So wie das Infra-Gefüge nicht vom Intra-Gefüge zu trennen ist, ist das Intra-Gefüge nicht weniger von den Inter-Gefügen zu trennen, und doch sind die Übergänge nicht notwendig und vollziehen sich ‚je nach Fall‘. Der Grund ist einfach: Das Intra-Gefüge, das territoriale Gefüge, territorialisiert Funktionen und Kräfte, Sexualität, Aggressivität, Geselligkeit usw., und transformiert sie, indem es sie territorialisiert. Aber diese territorialisierten Funktionen und Kräfte können dadurch eine Autonomie annehmen, die sie in andere Gefüge kippen lässt, andere deterritorialisierte Gefüge zusammensetzen lässt. Die Sexualität kann als territorialisierte Funktion im Intra-Gefüge erscheinen; aber sie kann ebenso eine Deterritorialisierungslinie ziehen, die ein anderes Gefüge beschreibt; daher die sehr variablen Sexualität-Territorium-Verhältnisse, als ob die Sexualität ‚ihre Distanz‘ nähme… Der Beruf, das Handwerk, die Spezialisierung implizieren territorialisierten Aktivitäten; aber sie können sich ebenso gut vom Territorium ablösen, um um sich herum und zwischen Berufen ein neues Gefüge zu konstruieren. Eine territoriale oder territorialisierte Komponente kann zu knospen beginnen, zu produzieren: das ist so sehr der Fall beim Ritournell, dass man vielleicht Ritournell alles nennen muss, was in diesem Fall ist. Diese Doppeldeutigkeit zwischen Territorialität und Deterritorialisierung ist die Doppeldeutigkeit des Natalen. Sie versteht sich umso besser, wenn man bedenkt, dass das Territorium auf ein intensives Zentrum im Innersten seiner selbst verweist; aber gerade, wie wir gesehen haben, kann dieses intensive Zentrum außerhalb des Territoriums liegen, am Konvergenzpunkt sehr verschiedener oder sehr weit entfernter Territorien. Das Natale ist draußen. Man kann eine gewisse Anzahl berühmter und beunruhigender, mehr oder weniger geheimnisvoller Fälle anführen, die prodigiose Ablösungen vom Territorium veranschaulichen, uns einem weiten Deterritorialisierungsbewegung in voller Einwirkung auf die Territorien beiwohnen lassen und sie von Grund auf durchqueren: 1) die Pilgerfahrten zu den Quellen wie die der Lachse; 2) die überzähligen Ansammlungen wie die der Heuschrecken, der Finken usw. (Zehntausende Millionen Finken bei Thun 1950-1951); 3) die solaren oder magnetischen Wanderungen; 4) die langen Märsche wie die der Langusten{316}.

Welche auch immer die Ursachen jeder dieser Bewegungen sind, man sieht deutlich, dass sich die Natur der Bewegung ändert. Es genügt nicht einmal mehr zu sagen, dass es Inter-Gefüge gibt, Übergang von einem territorialen Gefüge zu einem anderen Typ, man würde eher sagen, man tritt aus jedem Gefüge heraus, man überschreitet die Kapazitäten jedes möglichen Gefüges, um auf eine andere Ebene einzutreten. Und in der Tat ist es nun weder eine Bewegung noch ein Rhythmus des Milieus, ebenso wenig eine Bewegung noch ein Rhythmus, der territorialisiert oder territorialisiert ist, es gibt jetzt in diesen weiteren Bewegungen Kosmos. Die Lokalisierungsmechanismen hören nicht auf, äußerst präzise zu sein, aber die Lokalisierung ist kosmisch geworden. Es sind nicht mehr die territorialisierten Kräfte, zu Erdenkräften vereinigt, es sind die wiedergefundenen oder freigesetzten Kräfte eines deterritorialisierten Kosmos. In der Migration ist die Sonne nicht mehr die irdische Sonne, die über dem Territorium herrscht, selbst dem luftigen, es ist die himmlische Sonne des Kosmos, wie in den zwei Jerusalems, Apokalypse. Aber außerhalb dieser großartigen Fälle, in denen die Deterritorialisierung absolut wird, ohne etwas von ihrer Präzision zu verlieren (da sie kosmische Variablen umschmiegt), muss man bereits feststellen, dass das Territorium nicht aufhört, von Bewegungen relativer Deterritorialisierung und sogar vor Ort durchzogen zu werden, in denen man vom Intra-Gefüge zu Inter-Gefügen übergeht, ohne dass es nötig wäre, das Territorium zu verlassen oder aus den Gefügen herauszutreten, um den Kosmos zu umschmiegen. Ein Territorium ist immer im Begriff der Deterritorialisierung, zumindest potenziell, im Begriff des Übergangs zu anderen Gefügen, selbst wenn das andere Gefüge eine Reterritorialisierung vornimmt (etwas, das ‚gilt‘ als Zuhause)… Wir haben gesehen, dass das Territorium sich auf einem Rand der Dekodierung konstituierte, der das Milieu affiziert; wir sehen, dass ein Rand der Deterritorialisierung das Territorium in sich selbst affiziert. Es ist eine Reihe von Abkopplungen. Das Territorium ist nicht von gewissen Deterritorialisierungskoeffizienten zu trennen, die in jedem Fall bewertbar sind, die die Verhältnisse jeder territorialisierten Funktion zum Territorium variieren lassen, aber auch die Verhältnisse des Territoriums zu jedem deterritorialisierten Gefüge. Und es ist dieselbe ‚Sache‘, die hier als territorialisierte Funktion erscheint, im Intra-Gefüge gefasst, und dort als autonomes oder deterritorialisiertes Gefüge, Inter-Gefüge.

Deshalb könnte eine Klassifikation der Ritournelle sich so darstellen: 1) die territorialen Ritournelle, die ein Territorium suchen, markieren, fügen; 2) die Ritournelle territorialiserter Funktionen, die im Gefüge eine besondere Funktion übernehmen (das Wiegenlied, das den Schlaf und das Kind territorialisiert, das Liebes-Ritournell, das die Sexualität und den Geliebten territorialisiert, das Berufs-Ritournell, das das Handwerk und die Arbeiten territorialisiert, das Händler-Ritournell, das die Verteilung und die Produkte territorialisiert…) 3) dieselben, insofern sie nun neue Gefüge markieren, zu neuen Gefügen übergehen, durch Deterritorialisierung-Reterritorialisierung (Kinderreime wären ein sehr komplizierter Fall: es sind territoriale Ritournelle, die man von einem Viertel zum anderen nicht auf dieselbe Weise singt, bisweilen von einer Straße zur anderen; sie verteilen Rollen und Spielfunktionen im territorialen Gefüge; aber auch lassen sie das Territorium in das Spielgefüge übergehen, das selbst dazu tendiert, autonom zu werden{317}) ; 4) die Ritournelle, die die Kräfte zusammennehmen oder versammeln, sei es innerhalb des Territoriums, sei es um nach draußen zu gehen (das sind Ritournelle der Konfrontation oder des Aufbruchs, die manchmal eine Bewegung absoluter Deterritorialisierung einleiten, ‚Leb wohl, ich gehe fort, ohne die Augen abzuwenden‘. Ins Unendliche müssen diese Ritournelle zu den Liedern der Moleküle, zu den Wimmerlauten der Neugeborenen der grundlegenden Elemente gelangen, wie Millikan sagt. Sie hören auf, irdisch zu sein, um kosmisch zu werden: wenn der religiöse Nome sich entfaltet und sich in einem molekularen pantheistischen Kosmos auflöst; wenn der Vogelgesang den Kombinationen von Wasser, Wind, Wolken und Nebeln Platz macht. ‚Draußen der Wind, der Regen…‘ Der Kosmos als ungeheures deterritorialisiertes Ritournell).

Das Problem der Konsistenz betrifft zwar die Weise, wie die Komponenten eines territorialen Gefüges zusammenhalten. Aber es betrifft auch die Weise, wie verschiedene Gefüge zusammenhalten, mit Durchgangs- und Relaiskomponenten. Es kann sogar sein, dass die Konsistenz die Gesamtheit ihrer Bedingungen erst auf einer eigentlich kosmischen Ebene findet, wo alle Disparaten und Heterogenen aufgerufen werden. Jedoch stellt sich jedes Mal, wenn Heterogenes in einem Gefüge oder in Inter-Gefügen zusammenhält, bereits ein Problem der Konsistenz, in Begriffen der Koexistenz oder der Sukzession, und beides zugleich. Selbst in einem territorialen Gefüge ist es vielleicht die am stärksten deterritorialisierte Komponente, der deterritorialisierende Vektor, so das Ritournell, der die Konsistenz des Territoriums sicherstellt. Wenn wir die allgemeine Frage stellen ‚Was hält zusammen?‘, scheint die klarste, die einfachste Antwort durch ein baumartiges, zentralisiertes, hierarchisiertes, lineares, formalisierendes Modell gegeben zu sein. Zum Beispiel das Schema von Tinbergen, das eine codierte Verkettung von raum-zeitlichen Formen im zentralen Nervensystem zeigt: ein höheres funktionales Zentrum tritt automatisch in Aktion und löst ein Appetenzverhalten aus, auf der Suche nach spezifischen Stimuli (Migrationszentrum); vermittels des Stimulus wird ein zweites Zentrum, das bis dahin gehemmt war, freigesetzt, das ein neues Appetenzverhalten auslöst (Territoriumszentrum); dann andere untergeordnete Zentren, Kampf, Nestbau, Balz…, bis zu den Stimuli, die die entsprechenden Ausführungsakte auslösen{318}. Eine solche Darstellung ist jedoch auf zu einfache Binaritäten gebaut: Hemmung-Auslösung, angeboren-erworben usw. Die Ethologen haben einen großen Vorteil gegenüber den Ethnologen: sie sind nicht in die strukturalistische Gefahr geraten, ein ‚Feld‘ in Verwandtschaftsformen, Politik, Ökonomie, Mythos usw. zu zerteilen. Die Ethologen haben die Integrität eines gewissen nicht geteilten ‚Feldes‘ bewahrt. Aber indem sie es dennoch mit Achsen Hemmung-Auslösung, angeboren-erworben ausrichten, riskieren sie, Seelen oder Zentren an jedem Ort und in jedem Stadium der Verkettungen wieder einzuführen. Deshalb stürzen selbst die Autoren, die stark auf die Rolle des Peripheren und des Erworbenen auf der Ebene der auslösenden Stimuli insistieren, das lineare baumartige Schema nicht wirklich um, selbst wenn sie die Richtung der Pfeile umkehren.

Uns scheint es wichtiger, eine Reihe von Faktoren zu betonen, die geeignet sind, ein ganz anderes Schema nahe zu legen, zugunsten eines rhizomatischen und nicht mehr verästelten Funktionierens, das nicht mehr durch diese Dualismen ginge. Erstens setzt das, was man ein funktionales Zentrum nennt, nicht eine Lokalisierung in Bewegung, sondern die Verteilung einer ganzen Population ausgewählter Neuronen im gesamten zentralen Nervensystem, wie in einem ‚Verdrahtungsnetz‘. Von da an wird man im gesamten System, für sich betrachtet (Experimente, in denen die afferenten Bahnen durchtrennt werden), weniger vom Automatismus eines höheren Zentrums sprechen als von Koordination zwischen Zentren und von Zellverbänden oder molekularen Populationen, die diese Kopplungen vollziehen: es gibt keine Form oder gute Struktur, die sich durchsetzt, weder von außen noch von oben, sondern eher eine Artikulation von innen, als ob oszillierende Moleküle, Oszillatoren, von einem heterogenen Zentrum zum anderen übergingen, selbst um die Dominanz des einen zu sichern{319}. Was offensichtlich die lineare Relation von einem Zentrum zum anderen ausschließt, zugunsten von Beziehungspaketen, die von Molekülen gesteuert werden: die Interaktion, die Koordination kann positiv oder negativ sein (Auslösung oder Hemmung), niemals ist sie direkt wie in einer linearen Relation oder einer chemischen Reaktion, sie vollzieht sich immer zwischen Molekülen mit mindestens zwei Köpfen und jedem Zentrum getrennt{320}.

Hier gibt es eine ganze biologisch-verhaltensmäßige ‚Maschinik‘, ein ganzes molekulares Engineering, das uns die Natur der Konsistenzprobleme besser verstehen lassen muss. Der Philosoph Eugène Dupréel hatte eine Theorie der Konsolidierung vorgeschlagen; er zeigte, dass das Leben nicht von einem Zentrum zu einer Äußerlichkeit ging, sondern von einem Außen zu einem Innen, oder vielmehr von einer verschwommenen oder diskreten Menge zu ihrer Konsolidierung. Diese impliziert aber drei Dinge: dass es nicht einen Anfang gibt, aus dem eine lineare Folge abgeleitet würde, sondern Verdichtungen, Intensivierungen, Verstärkungen, Injektionen, Einlagerungen, als ebenso viele Zwischenschaltungen (‚es gibt Wachstum nur durch Interkalation‘). Zweitens, und das ist nicht das Gegenteil, muss es eine Einrichtung von Intervallen geben, eine Verteilung von Ungleichheiten, bis zu dem Punkt, dass man, um zu konsolidieren, manchmal ein Loch machen muss. Drittens, Überlagerung disparater Rhythmen, Artikulation von innen einer Inter-Rhythmizität, ohne Auferlegung von Maß oder Takt{321}. Die Konsolidierung begnügt sich nicht damit, nachher zu kommen, sie ist schöpferisch. Denn der Anfang beginnt nur zwischen zweien, intermezzo. Konsistenz ist genau Konsolidierung, der Akt, der das Konsolidierte hervorbringt, an Sukzession wie an Koexistenz, mit den drei Faktoren: Zwischenschaltungen, Intervalle und Überlagerungen-Artikulationen. Die Architektur zeugt davon als Kunst der Wohnstätte und des Territoriums: wenn es Konsolidierungen nachträglich gibt, gibt es auch solche, die konstituierende Teile des Ganzen sind, vom Typ Schlussstein. Aber neuerdings haben Materialien wie Stahlbeton dem architektonischen Ganzen die Möglichkeit gegeben, sich von den baumartigen Modellen zu lösen, die durch Pfeiler-Bäume, Träger-Äste, Gewölbe-Laubwerk vorgingen. Nicht nur ist Beton eine heterogene Materie, deren Konsistenzgrad mit den Mischelementen variiert, sondern das Eisen ist darin nach einem Rhythmus zwischengeschaltet, mehr noch: es bildet in den selbsttragenden Flächen eine komplexe rhythmische Figur, in der die ‚Stäbe‘ unterschiedliche Querschnitte und variable Intervalle haben, je nach Intensität und Richtung der zu fassenden Kraft (Armierung und nicht Struktur). In diesem Sinn hat auch das musikalische oder literarische Werk eine Architektur: ‚das Atom sättigen‘, sagte Virginia Woolf; oder, nach Henry James, man muss ‚weit anfangen, so weit wie möglich‘, und durch ‚Blöcke bearbeiteter Materie‘ vorgehen. Es geht nicht mehr darum, einer Materie eine Form aufzuzwingen, sondern ein immer reicheres, immer konsistenteres Material auszuarbeiten, das dann fähig ist, immer intensivere Kräfte zu fassen. Was ein Material immer reicher macht, ist, was Heterogenes zusammenhält, ohne dass es aufhört, heterogen zu sein; was so zusammenhält, sind Oszillatoren, interkalare Synthesizer mit mindestens zwei Köpfen; es sind Intervall-Analysatoren; es sind Rhythmus-Synchronisatoren (das Wort ‚Synchronisator‘ ist mehrdeutig, da diese molekularen Synchronisatoren nicht durch egalisierendes oder homogenisierendes Messen vorgehen und von innen operieren, zwischen zwei Rhythmen). Ist die Konsolidierung nicht der irdische Name der Konsistenz? Das territoriale Gefüge ist ein konsolidiertes Milieu, ein konsolidiertes Raum-Zeit-Gebilde, von Koexistenz und Sukzession. Und das Ritournell operiert mit den drei Faktoren.

Aber es ist nötig, dass die Ausdrucksmaterien selbst Merkmale aufweisen, die eine solche Konsistenznahme möglich machen. Wir haben diesbezüglich ihre Fähigkeit gesehen, in interne Verhältnisse einzutreten, die Motive und Kontrapunkte bilden: die territorialiserenden Markierungen werden zu territorialen Motiven oder Kontrapunkten, die Signaturen und Schilder machen einen ‚Stil‘. Das waren die Elemente einer verschwommenen oder diskreten Menge; aber sie konsolidieren sich, nehmen Konsistenz an. In diesem Maß haben sie auch Wirkungen, wie Funktionen zu reorganisieren und Kräfte zu sammeln. Um den Mechanismus einer solchen Fähigkeit besser zu erfassen, kann man sich gewisse Bedingungen der Homogenität setzen und zunächst Markierungen oder Materien derselben Art betrachten: zum Beispiel eine Menge klanglicher Markierungen, den Gesang eines Vogels. Der Gesang des Buchfinken hat normalerweise drei distincte Phrasen: die erste, von vier bis vierzehn Noten, im Crescendo und mit Abnahme der Frequenz; die zweite, von zwei bis acht Noten, mit konstanter Frequenz, niedriger als zuvor; die dritte, die auf eine ‚Fioritur‘ oder einen komplexen ‚Ornament‘ endet. Nun ist, vom Standpunkt des Erwerbs aus, diesem Vollgesang (full song) ein Untergesang (sub-song) vorausgeschickt, der unter normalen Bedingungen wohl den Besitz der allgemeinen Tonalität, der Gesamtdauer und des Inhalts der Strophen impliziert und sogar eine Tendenz, auf einer höheren Note zu enden{322}. Aber die Organisation in drei Strophen, die Reihenfolge der Sukzession dieser Strophen, das Detail des Ornaments sind nicht gegeben; man würde gerade sagen, dass das fehlt, was die inneren Artikulationen ausmacht, die Intervalle, die interkalierten Noten, alles, was Motiv und Kontrapunkt ausmacht. Die Unterscheidung von Untergesang und Vollgesang könnte dann so dargestellt werden: der Untergesang als Markierung oder Schild, der Vollgesang als Stil oder Motiv, und die Fähigkeit, vom einen zum anderen überzugehen, die Fähigkeit des einen, sich im anderen zu konsolidieren. Es versteht sich insbesondere, dass künstliche Isolation sehr unterschiedliche Wirkungen haben wird, je nachdem ob sie vor oder nach dem Erwerb der Komponenten des Untergesangs eintritt.

Aber was uns im Moment beschäftigt, ist eher zu wissen, was geschieht, wenn diese Komponenten sich tatsächlich zu Motiven und Kontrapunkten des Vollgesangs entwickelt haben. Dann verlassen wir notwendig die Bedingungen qualitativer Homogenität, die wir uns gegeben hatten. Denn solange man bei Markierungen bleibt, koexistieren Markierungen einer Art mit denen einer anderen Art, weiter nichts: Klänge koexistieren mit Farben, mit Gesten, mit Silhouetten desselben Tieres; oder aber die Klänge einer solchen Art koexistieren mit den Klängen anderer Arten, manchmal sehr verschiedener, aber lokal benachbarter. Nun wird die Organisation qualifizierter Markierungen zu Motiven und Kontrapunkten notwendig eine Konsistenznahme nach sich ziehen, oder eine Erfassung von Markierungen anderer Qualität, eine gegenseitige Verschaltung von Klängen-Farben-Gesten, oder aber von Klängen verschiedener Tierarten…, usw. Konsistenz geschieht notwendig von Heterogenem zu Heterogenem: nicht weil eine Differenzierung entstünde, sondern weil die Heterogenen, die sich damit begnügten zu koexistieren oder aufeinander zu folgen, jetzt ineinander gefasst sind, durch die ‚Konsolidierung‘ ihrer Koexistenz und ihrer Sukzession. Denn die Intervalle, die Interkalare und die Artikulationen, konstitutiv für Motive und Kontrapunkte in der Ordnung einer expressiven Qualität, umhüllen auch andere Qualitäten anderer Ordnung oder aber Qualitäten derselben Ordnung, aber eines anderen Geschlechts oder sogar einer anderen Tierart. Eine Farbe wird auf einen Klang ‚antworten‘. Es gibt keine Motive und Kontrapunkte einer Qualität, keine rhythmischen Figuren und melodischen Landschaften in einer solchen Ordnung, ohne Konstitution einer wirklichen maschinischen Oper, die Ordnungen, Arten und heterogene Qualitäten vereinigt. Was wir maschinisch nennen, ist genau diese Synthese des Heterogenen als solche. Insofern diese Heterogenen Ausdrucksmaterien sind, sagen wir, dass ihre Synthese selbst, ihre Konsistenz oder ihre Erfassung, eine ‚Äußerung‘, eine eigentlich maschinische ‚Äußerungshandlung‘ bildet. Die vielfältigen Verhältnisse, in die eine Farbe, ein Klang, eine Geste, eine Bewegung, eine Position innerhalb einer Art und in verschiedenen Arten eintreten, bilden ebenso viele maschinische Äußerungshandlungen.

Kehren wir zum Scenopoïetes zurück, dem magischen oder Opernvogel. Er hat keine leuchtenden Farben (als ob es Hemmung gäbe). Aber sein Gesang, sein Ritournell, ist von sehr weit her zu hören (ist das eine Kompensation oder im Gegenteil der primäre Faktor?) Er singt auf seinem Singstock (singing stick), Liane oder Zweig, direkt über der Szene, die er vorbereitet hat (display ground), markiert durch die abgeschnittenen und umgedrehten Blätter, die im Kontrast zur Erde stehen. Während er singt, entblößt er die gelbe Wurzel bestimmter Federn unter seinem Schnabel: er macht sich sichtbar, zugleich wie klanglich. Sein Gesang bildet ein komplexes und variables Motiv, gewebt aus seinen eigenen Noten und aus denen anderer Vögel, die er in den Intervallen imitiert{323}. Es bildet sich also ein Konsolidiertes, das in spezifischen Klängen, Klängen anderer Arten, Tönung der Blätter, Kehlfarbe ‚besteht‘: die maschinische Äußerung oder das Äußerungsgefüge des Scenopoïetes. Viele Vögel ‚imitieren‘ den Gesang anderer. Aber es ist nicht sicher, dass Imitation ein guter Begriff für Phänomene ist, die je nach Gefüge, in das sie eintreten, variieren. Der sub-song enthält Elemente, die in rhythmische und melodische Organisationen eintreten können, die von denen der betrachteten Art verschieden sind, und so im Vollgesang echte fremde oder hinzugefügte Noten liefern. Wenn bestimmte Vögel wie der Buchfink der Imitation gegenüber refraktär zu sein scheinen, dann insofern, als die fremden Klänge, die eventuell in ihrem sub-song auftreten, aus der Konsistenz des Vollgesangs eliminiert werden. Umgekehrt kann es in den Fällen, in denen hinzugefügte Phrasen in den Vollgesang hineingenommen werden, daran liegen, dass es ein interspezifisches Gefüge vom Typ Parasitismus gibt, aber auch daran, dass das Gefüge des Vogels selbst die Kontrapunkte seiner Melodie vollzieht. Thorpe hat nicht unrecht zu sagen, dass es hier ein Problem der Frequenzbesetzung gibt, wie bei Radios (klanglicher Aspekt der Territorialität){324}. Es geht weniger darum, einen Gesang zu imitieren, als entsprechende Frequenzen zu besetzen; denn es kann vorteilhaft sein, bald bei einer sehr bestimmten Zone zu bleiben, wenn die Kontrapunkte anderswo gesichert sind, bald im Gegenteil die Zone zu erweitern oder zu vertiefen, um selbst die Kontrapunkte zu sichern und die Akkorde zu erfinden, die diffus blieben, wie im Regenwald, wo man gerade die größte Zahl ‚imitierender‘ Vögel antrifft.

Vom Standpunkt der Konsistenz dürfen die Ausdrucksmaterien nicht nur auf ihre Fähigkeit bezogen werden, Motive und Kontrapunkte zu bilden, sondern auf die Inhibitoren und Auslöser, die auf sie einwirken, und auf die Mechanismen von Angeborenheit oder Lernen, Erbliches oder Erworbenes, die sie modulieren. Nur ist der Fehler der Ethologie, bei einer binären Verteilung dieser Faktoren stehenzubleiben, selbst und vor allem dann, wenn man die Notwendigkeit behauptet, beide zugleich zu berücksichtigen und sie auf allen Ebenen eines ‚Verhaltensbaums‘ zu mischen. Man müsste vielmehr von einem positiven Begriff ausgehen, der geeignet ist, den sehr besonderen Charakter zu erklären, den Angeborenes und Erworbenes in einem Rhizom annehmen, und der wie der Grund ihrer Mischung wäre. Nicht in Begriffen des Verhaltens wird man ihn finden, sondern in Begriffen des Gefüges. Einige Autoren betonen autonome Abläufe, die in Zentren encodiert sind (Angeborenheit); andere betonen erworbene Verkettungen, die durch periphere Empfindungen reguliert werden (Lernen). Aber schon Raymond Ruyer zeigte, dass das Tier eher von ‚musikalischen Rhythmen‘, von ‚rhythmischen und melodischen Themen‘ ergriffen ist, die sich weder durch die Encodierung einer aufgezeichneten Phonographenplatte erklären, noch durch die Ausführungsbewegungen, die sie vollziehen und an die Umstände anpassen{325}. Es wäre sogar das Gegenteil: die rhythmischen oder melodischen Themen gehen ihrer Ausführung und ihrer Aufzeichnung voraus. Es gäbe zuerst Konsistenz eines Ritournells, einer kleinen Weise, entweder in Form einer mnemonischen Melodie, die nicht lokal in einem Zentrum eingeschrieben zu werden bräuchte, oder in Form eines vagen Motivs, das nicht schon gepuls(t) oder stimuliert sein müsste. Ein poetischer und musikalischer Begriff wie der des Natalen — im Lied oder bei Hölderlin oder auch bei Thomas Hardy — würde uns vielleicht mehr lehren als die etwas faden und verworrenen Kategorien von Angeborenem oder Erworbenem. Denn sobald es territoriales Gefüge gibt, kann man sagen, dass das Angeborene eine sehr besondere Figur annimmt, da es untrennbar von einer Bewegung der Dekodierung ist, da es am Rand des Codes verläuft, im Gegensatz zum Angeborenen des inneren Milieus; und das Erwerben nimmt ebenfalls eine sehr besondere Figur an, da es territorialisiert ist, das heißt auf Ausdrucksmaterien eingestellt, nicht mehr auf Stimuli des äußeren Milieus. Das Natale ist genau das Angeborene, aber das dekodierte Angeborene, und es ist genau das Erworbene, aber das territorialiserte Erworbene. Das Natale ist diese neue Figur, die Angeborenes und Erworbenes im territorialen Gefüge annehmen. Daher der dem Natalen eigene Affekt, wie man ihn im Lied hört, immer verloren zu sein oder wiedergefunden zu werden oder zur unbekannten Heimat hin zu tendieren. Im Natalen tendiert das Angeborene, sich zu verschieben: wie Ruyer sagt, ist es gewissermaßen weiter vorne, stromabwärts der Tat; es betrifft weniger die Tat oder das Verhalten als die Ausdrucksmaterien selbst, die Wahrnehmung, die sie unterscheidet, sie selektiert, die Geste, die sie errichtet oder die sie durch sich selbst konstituiert (deshalb gibt es ‚kritische Perioden‘, in denen das Tier ein Objekt oder eine Situation bewertet, sich mit einer Ausdrucksmaterie ‚imprägniert‘, lange bevor es fähig ist, das entsprechende Verhalten auszuführen). Das heißt jedoch nicht, dass das Verhalten den Zufällen des Lernens überlassen wäre; denn es ist durch diese Verschiebung vorbestimmt und findet in seiner eigenen Territorialisation Gefügungsregeln. Das Natale besteht also in einer Dekodierung der Angeborenheit und einer Territorialisation des Lernens, das eine auf das andere, das eine mit dem anderen. Es gibt eine Konsistenz des Natalen, die sich nicht durch eine Mischung von Angeborenem und Erworbenem erklärt, da sie im Gegenteil diese Mischungen innerhalb des territorialen Gefüges und der Inter-Gefüge erklärt. Kurz: es ist der Begriff des Verhaltens, der sich als unzureichend erweist, zu linear gegenüber dem Begriff des Gefüges. Das Natale reicht von dem, was sich im Intra-Gefüge abspielt, bis zum Zentrum, das nach außen projiziert wird, es durchläuft die Inter-Gefüge, es geht bis zu den Toren des Kosmos.

Denn das territoriale Gefüge ist nicht von den Linien oder Koeffizienten der Deterritorialisierung zu trennen, von den Übergängen und Relais zu anderen Gefügen. Man hat oft den Einfluss künstlicher Bedingungen auf den Vogelgesang untersucht; aber die Ergebnisse variieren einerseits je nach Art, andererseits je nach Art und Zeitpunkt der Künstlichkeiten. Viele Vögel sind für den Gesang anderer Vögel durchlässig, den man sie während der kritischen Periode hören lässt, und reproduzieren später diese fremden Gesänge. Der Buchfink scheint jedoch sehr viel stärker seinen eigenen Ausdrucksmaterien verpflichtet zu sein und behält selbst, wenn er synthetischen Klängen ausgesetzt ist, einen angeborenen Sinn für seine eigene Tonalität. Alles hängt auch vom Zeitpunkt ab, zu dem man die Vögel isoliert, nach oder vor der kritischen Periode; denn im ersten Fall entwickeln die Buchfinken einen fast normalen Gesang, während im zweiten die Subjekte der isolierten Gruppe, die einander nur hören können, einen aberranten, nicht spezifischen Gesang entwickeln und doch einen für die Gruppe gemeinsamen (vgl. Thorpe). Denn in jedem Fall muss man die Effekte der Deterritorialisierung, der De-Natalisierung, auf eine solche Art und in einem solchen Moment berücksichtigen. Jedes Mal, wenn ein territoriales Gefüge in eine Bewegung gerät, die es deterritorialisiert (unter sogenannten natürlichen oder im Gegenteil künstlichen Bedingungen), würde man sagen, dass eine Maschine ausgelöst wird. Das ist sogar der Unterschied, den wir zwischen Maschine und Gefüge vorschlagen möchten: eine Maschine ist wie eine Gesamtheit von Spitzen, die sich in das Gefüge auf dem Weg der Deterritorialisierung einfügen, um dessen Variationen und Mutationen zu zeichnen. Denn es gibt keine mechanischen Effekte; die Effekte sind immer maschinisch, das heißt, sie hängen von einer Maschine ab, die am Gefüge ansetzt und durch die Deterritorialisierung freigesetzt wird. Was wir maschinische Äußerungen nennen, sind diese Maschineneffekte, die die Konsistenz definieren, in die die Ausdrucksmaterien eintreten. Solche Effekte können sehr verschieden sein, sind aber niemals symbolisch oder imaginär, sie haben immer einen realen Wert des Übergangs und des Relais.

In der Regel schaltet sich eine Maschine auf das spezifische territoriale Gefüge auf und öffnet es auf andere Gefüge, lässt es durch die Inter-Gefüge derselben Art übergehen: zum Beispiel öffnet sich das territoriale Gefüge einer Vogelart auf ihre Inter-Gefüge der Balz oder der Geselligkeit hin, in Richtung des Partners oder des ‚socius‘. Aber die Maschine kann auch das territoriale Gefüge einer Art auf interspezifische Gefüge öffnen, wie im Fall der Vögel, die fremde Gesänge übernehmen, und erst recht in Fällen des Parasitismus{326}. Oder auch kann die Maschine jedes Gefüge überfluten, um eine Öffnung auf den Kosmos zu produzieren. Oder aber umgekehrt: statt das deterritorialisierte Gefüge auf etwas anderes zu öffnen, kann sie einen Schließungseffekt hervorbringen, als ob das Ganze fiele und sich in einer Art schwarzem Loch drehte: das ist es, was bei früher und brutaler Deterritorialisierung geschieht und wenn die spezifischen, interspezifischen und kosmischen Wege sich versperrt finden; die Maschine produziert dann ‚individuelle‘ Gruppeneffekte, die im Kreis laufen, wie im Fall der früh isolierten Buchfinken, deren verarmter, vereinfachter Gesang nur noch die Resonanz des schwarzen Lochs ausdrückt, in das sie geraten sind. Es ist wichtig, hier diese ‚schwarzes Loch‘-Funktion wiederzufinden, weil sie die Phänomene der Hemmung besser verständlich machen kann und ihrerseits mit einem zu strengen Dualismus Hemmer-Auslöser brechen kann. Denn die schwarzen Löcher gehören ebenso zu den Gefügen wie die Deterritorialisierungslinien: wir haben zuvor gesehen, dass ein Inter-Gefüge Linien der Verarmung und Fixierung enthalten kann, die zu einem schwarzen Loch führen, um dann von einer reicheren oder positiveren Deterritorialisierungslinie abgelöst zu werden (so fällt die Komponente ‚Grashalm‘ bei den australischen Prachtfinken in ein schwarzes Loch und wird von der Komponente ‚Ritournell‘ abgelöst{327}). So ist das schwarze Loch ein Maschineneffekt in den Gefügen, der in einem komplexen Verhältnis zu den anderen Effekten steht. Es kann vorkommen, dass innovative Prozesse, um sich auszulösen, in ein schwarzes Loch fallen müssen, das Katastrophe macht; Hemmungsstasen verbinden sich mit Auslösungen von Kreuzungsverhalten. Dagegen, wenn die schwarzen Löcher miteinander resonieren oder die Hemmungen sich verbinden, einander widerhallen, erlebt man eine Schließung des Gefüges, wie im Vakuum deterritorialisiert, statt einer Öffnung in Konsistenz: so bei diesen isolierten Gruppen junger Buchfinken. Maschinen sind immer singuläre Schlüssel, die ein Gefüge, ein Territorium öffnen oder schließen. Mehr noch genügt es nicht, die Maschine in ein gegebenes territoriales Gefüge eingreifen zu lassen; sie greift schon in das Auftauchen der Ausdrucksmaterien ein, das heißt in die Konstitution dieses Gefüges, und in die Vektoren der Deterritorialisierung, die es sogleich bearbeiten.

Die Konsistenz der Ausdrucksmaterien verweist also einerseits auf ihre Fähigkeit, rhythmische und melodische Themen zu bilden, andererseits auf die Macht des Natalen. Und schließlich gibt es noch einen anderen Aspekt, nämlich ihr sehr spezielles Verhältnis zum Molekularen (die Maschine setzt uns gerade auf diese Spur). Die Worte ‚Ausdrucksmaterien‘ implizieren, dass der Ausdruck zur Materie ein originales Verhältnis hat. In dem Maß, wie sie Konsistenz annehmen, konstituieren die Ausdrucksmaterien Semiotiken; aber die semiotischen Komponenten sind nicht von materiellen Komponenten zu trennen und greifen in eigentümlicher Weise auf molekulare Ebenen zu. Die ganze Frage ist also, ob das Verhältnis molar-molekular hier nicht eine neue Figur annimmt. In der Tat hat man allgemein ‚molar-molekulare‘ Kombinationen unterscheiden können, die je nach eingeschlagener Richtung sehr variieren. Erstens: die individuellen Phänomene des Atoms können in statistische oder probabilistische Akkumulationen eintreten, die dazu tendieren, ihre Individualität auszulöschen, schon in der Molekülbildung und dann in der molaren Gesamtheit; aber sie können sich auch mit Inter-Aktionen verkomplizieren und ihre Individualität innerhalb des Moleküls, dann der Makromoleküle usw. bewahren, indem sie direkte Kommunikationen von Individuen verschiedener Ordnungen zusammensetzen{328}. Zweitens: man sieht gut, dass der Unterschied nicht zwischen individuell und statistisch liegt; tatsächlich geht es immer um Populationen, die Statistik bezieht sich auf individuelle Phänomene, ebenso wie die antistatistische Individualität nur durch molekulare Populationen operiert; der Unterschied liegt zwischen zwei Gruppenbewegungen, wie in der d’Alembert-Gleichung, wo eine Gruppe zu immer wahrscheinlicheren, homogenen und ausgeglichenen Zuständen tendiert (divergente Welle und verzögertes Potential), die andere Gruppe aber zu weniger wahrscheinlichen Konzentrationszuständen (konvergente Welle und antizipiertes Potential){329}. Drittens: die internen intra-molekularen Kräfte, die einer Gesamtheit ihre molare Form verleihen, können zweierlei sein: entweder lokalisierbare, lineare, mechanische, baumartige, kovalente Relationen, den chemischen Bedingungen von Aktion und Reaktion, von verketteten Reaktionen unterworfen, oder aber nicht lokalisierbare, überlineare, maschinische und nicht mechanische, nicht kovalente, indirekte Bindungen, die eher durch stereospezifisches Erkennen oder Diskriminieren als durch Verkettung operieren{330}.

Es gibt hier mehrere Weisen, denselben Unterschied zu formulieren, aber dieser Unterschied scheint viel weiter zu sein als der, den wir suchen: er betrifft nämlich die Materie und das Leben, oder vielmehr, da es nur eine Materie gibt, betrifft er zwei Zustände, zwei Tendenzen der atomaren Materie (zum Beispiel gibt es Bindungen, die die verbundenen Atome relativ zueinander immobilisieren, und andere Bindungen, die eine freie Rotation erlauben). Wenn man den Unterschied in seiner allgemeinsten Form formuliert, wird man sagen, dass er sich zwischen geschichteten Systemen, Stratifikationssystemen einerseits und andererseits konsistenten, selbstkonsistenten Mengen etabliert. Aber gerade die Konsistenz betrifft, weit davon entfernt, komplexen vitalen Formen vorbehalten zu sein, bereits voll das Atom und die elementarsten Teilchen. Es gibt ein codiertes Stratifikationssystem jedes Mal, wenn es in horizontaler Richtung lineare Kausalitäten zwischen Elementen gibt; und vertikal Hierarchien der Ordnung zwischen Gruppierungen; und, damit alles in der Tiefe zusammenhält, eine Sukzession rahmender Formen, von denen jede eine Substanz informiert und ihrerseits der anderen als Substanz dient. Diese Kausalitäten, diese Hierarchien, diese Rahmungen konstituieren ebenso gut eine Schicht wie den Übergang von einer Schicht zur anderen und die geschichteten Kombinationen des Molekularen und des Molaren. Man wird im Gegenteil von Konsistenzmengen sprechen, wenn man sich vor Konsolidierten sehr heterogener Komponenten befindet, vor Kurzschlüssen der Ordnung oder sogar vor Kausalitäten im Rückwärtsgang, vor Erfassungen zwischen Materialien und Kräften anderer Natur statt einer geregelten Sukzession Formen-Substanzen: als ob ein maschinischer Phylum, eine destratifizierende Transversalität durch die Elemente, die Ordnungen, die Formen und die Substanzen, das Molare und das Molekulare hindurchginge, um eine Materie freizusetzen und Kräfte zu fassen.

Nun, wenn wir uns fragen, was der ‚Platz des Lebens‘ in dieser Unterscheidung ist, sehen wir zweifellos, dass er einen Konsistenzgewinn impliziert, das heißt einen Mehrwert (Mehrwert der Destratifikation). Zum Beispiel umfasst er eine größere Zahl selbstkonsistenter Mengen, von Konsolidierungsprozessen, und gibt ihnen eine molare Reichweite. Er ist bereits destratifizierend, da sein Code nicht über die ganze Schicht verteilt ist, sondern eine eminente spezialisierte genetische Linie besetzt. Dennoch ist die Frage fast widersprüchlich, weil zu fragen, was der Platz des Lebens ist, darauf hinausläuft, es wie eine besondere Schicht zu behandeln, die ihre Ordnung hat und zur rechten Zeit in die Ordnung kommt, die ihre Formen und ihre Substanzen hat. Und es ist wahr, dass es beides zugleich ist: ein besonders komplexes Stratifikationssystem und eine Konsistenzmenge, die Ordnungen, Formen und Substanzen durcheinanderbringt. So haben wir gesehen, wie das Lebendige eine Transcodierung der Milieus vollzieht, die ebenso gut als Konstitution einer Schicht betrachtet werden kann wie als Vollzug umgekehrter Kausalitäten und destratifizierender Transversalen. Dadurch kann dieselbe Frage gestellt werden, wenn das Leben sich nicht damit begnügt, Milieus zu durchmischen, sondern Territorien fügt. Das territoriale Gefüge impliziert eine Dekodierung und ist selbst nicht von einer Deterritorialisierung zu trennen, die es affiziert (zwei neue Typen von Mehrwert). Man versteht dann, dass die ‚Ethologie‘ ein sehr privilegierter molarer Bereich ist, um zu zeigen, wie die verschiedensten Komponenten, biochemische, verhaltensmäßige, perzeptive, erbliche, erworbene, improvisierte, soziale usw., in Gefügen kristallisieren können, die weder die Unterscheidung der Ordnungen noch die Hierarchie der Formen respektieren. Was alle Komponenten zusammenhält, sind die Transversalen, und die Transversale selbst ist nur eine Komponente, die den spezialisierten Vektor der Deterritorialisierung auf sich nimmt. Denn nicht durch das Spiel rahmender Formen oder linearer Kausalitäten hält ein Gefüge, sondern durch seine am stärksten deterritorialisierte Komponente, durch eine Spitze der Deterritorialisierung, aktuell oder potenziell: zum Beispiel das Ritournell, deterritorialisierter als der Grashalm, was es nicht daran hindert, ‚bestimmt‘ zu sein, das heißt angesetzt an biochemische und molekulare Komponenten. Das Gefüge hält durch seine am stärksten deterritorialisierte Komponente, aber diese bedeutet nicht Unbestimmtheit (das Ritournell kann eng an männliche Hormone gekoppelt sein){331}. Eine solche Komponente, die in ein Gefüge eintritt, kann die am stärksten bestimmte und sogar mechanisierte sein, dennoch gibt sie dem, was sie zusammensetzt, ‚Spielraum‘, sie begünstigt das Eintreten neuer Dimensionen der Milieus, sie löst Prozesse der Unterscheidbarkeit, der Spezialisierung, der Kontraktion, der Beschleunigung aus, die neue Möglichkeiten öffnen, die das territoriale Gefüge auf Inter-Gefüge hin öffnen. Kehren wir zum Scenopoïetes zurück: sein Akt, einer seiner Akte, besteht darin, die zwei Seiten des Blattes zu unterscheiden und unterscheiden zu lassen. Dieser Akt ist im Griff des Determinismus des gezähnten Schnabels. Denn was Gefüge definiert, sind zugleich Ausdrucksmaterien, die Konsistenz annehmen unabhängig vom Verhältnis Form-Substanz; umgekehrte Kausalitäten oder ‚vorgeschobene‘ Determinismen, dekodierte Innatismen, die Akte der Unterscheidung oder der Wahl betreffen, nicht mehr verkettete Reaktionen; molekulare Kombinationen, die durch nichtkovalente Bindungen und nicht durch lineare Relationen vorgehen; kurz, eine neue ‚Gangart‘, hervorgebracht durch die Überlagerung des Semioti­schen und des Materiellen. In diesem Sinn kann man die Konsistenz der Gefüge dem entgegenstellen, was noch die Stratifikation der Milieus war. Aber auch hier ist diese Gegenüberstellung nur relativ, ganz relativ. So wie die Milieus zwischen einem Schichtzustand und einer Bewegung der Destratifikation oszillieren, oszillieren die Gefüge zwischen einer territorialen Schließung, die dazu tendiert, sie zu restratifizieren, und einer deterritorialisierenden Öffnung, die sie im Gegenteil mit dem Kosmos verbindet. Von da an ist es nicht erstaunlich, dass der Unterschied, den wir suchen, weniger zwischen den Gefügen und etwas anderem liegt als zwischen den zwei Grenzen jedes möglichen Gefüges, das heißt zwischen dem System der Schichten und dem Plan der Konsistenz. Und man darf nicht vergessen, dass es auf dem Plan der Konsistenz ist, dass die Schichten verhärten und sich organisieren, und dass es in den Schichten ist, dass der Plan der Konsistenz arbeitet und sich aufbaut, beide Stück für Stück, Schlag um Schlag, Operation für Operation.

Wir sind von den geschichteten Milieus zu den territorialisierten Gefügen gegangen; und zugleich von den Kräften des Chaos, wie sie durch die Milieus verteilt, codiert, transcodiert werden, bis zu den Kräften der Erde, wie sie in den Gefügen gesammelt werden. Dann sind wir von den territorialen Gefügen zu den Inter-Gefügen gegangen, zu den Öffnungen des Gefüges entlang von Deterritorialisierungslinien; und zugleich von den gesammelten Kräften der Erde bis zu den Kräften eines deterritorialisierten, oder vielmehr deterritorialisierenden Kosmos. Wie stellt Paul Klee diese letzte Bewegung dar, die nicht mehr eine irdische ‚Gangart‘, sondern eine kosmische ‚Ausbruchslinie‘ ist? Und warum ein so enormes Wort, Kosmos, um von einer Operation zu sprechen, die präzise sein muss? Klee sagt, man ‚übt eine Anstrengung in Stößen aus, um sich von der Erde loszulösen‘, man ‚erhebt sich über sie unter der Herrschaft von Zentrifugalkräften, die die Schwerkraft überwinden‘. Er fügt hinzu, dass der Künstler damit beginnt, um sich herum, in allen Milieus, zu schauen, aber um die Spur des Schaffens im Geschaffenen zu erfassen, der naturans in der naturata; und dann, indem er sich ‚innerhalb der Grenzen der Erde‘ einrichtet, interessiert er sich für das Mikroskop, für Kristalle, Moleküle, Atome und Partikel, nicht für wissenschaftliche Übereinstimmung, sondern für die Bewegung, nur für die immanente Bewegung; der Künstler sagt sich, dass diese Welt andere Aspekte gehabt hat, dass sie noch andere haben wird, und dass es bereits andere auf anderen Planeten gibt; schließlich öffnet er sich dem Kosmos, um dessen Kräfte in einem ‚Werk‘ einzufangen (sonst wäre die Öffnung zum Kosmos nur eine Träumerei, unfähig, die Grenzen der Erde zu erweitern), und für ein solches Werk braucht es sehr einfache, sehr reine, fast kindliche Mittel, aber es braucht auch die Kräfte eines Volkes, und das ist es, was noch fehlt, ‚uns fehlt diese letzte Kraft, wir suchen diese Unterstützung des Volkes, wir haben am Bauhaus begonnen, wir können nicht mehr tun…{332}‘

Wenn man von Klassizismus spricht, meint man ein Verhältnis Form-Materie, oder eher Form-Substanz, wobei die Substanz gerade eine informierte Materie ist. Eine Sukzession abgetrennter, zentralisierter, hierarchisierter Formen, die zueinander in Beziehung stehen, kommt, um die Materie zu organisieren, wobei jede einen mehr oder weniger wichtigen Teil übernimmt. Jede Form ist wie der Code eines Milieus, und der Übergang von einer Form zur anderen ist eine wirkliche Transcodierung. Selbst die Jahreszeiten sind Milieus. Es gibt da zwei koexistierende Operationen, die eine, durch die die Form sich gemäß binärer Unterscheidungen differenziert, die andere, durch die die informierten substantiellen Teile, die Milieus oder Jahreszeiten, in eine Sukzessionsordnung eintreten, die in beiden Richtungen dieselbe sein kann. Aber unter diesen Operationen riskiert der klassische Künstler ein extremes, gefährliches Abenteuer. Er ventiliert die Milieus, trennt sie, harmonisiert sie, regelt ihre Mischungen, geht von einem zum anderen. Was er so konfrontiert, ist das Chaos, die Kräfte des Chaos, die Kräfte einer rohen, ungezähmten Materie, denen die Formen sich aufzwingen müssen, um Substanzen zu machen, die Codes, um Milieus zu machen. Ungeheure Beweglichkeit. In diesem Sinn hat man nie eine ganz scharfe Grenze zwischen Barock und Klassik ziehen können{333}. Das ganze Barock grollt im Grund der Klassik; die Aufgabe des klassischen Künstlers ist die Gottes selbst, das Chaos zu organisieren, und sein einziger Schrei ist Schöpfung! die Schöpfung! der Baum der Schöpfung! Eine tausendjährige Holzflöte organisiert das Chaos, aber das Chaos ist da wie die Königin der Nacht. Der klassische Künstler verfährt mit dem Eins-Zwei: dem Eins-Zwei der Differenzierung der Form, insofern sie sich teilt (Mann-Frau, männliche und weibliche Rhythmen, die Stimmen, die Instrumentenfamilien, alle Binaritäten der Ars Nova); dem Eins-Zwei der Unterscheidung der Teile, insofern sie einander antworten (die Zauberflöte und das Zauberglöckchen). Die kleine Weise, das Vogelritournell, ist die binäre Einheit der Schöpfung, die differenzierende Einheit des reinen Anfangs: ‚Zuerst klagte das einsame Klavier, wie ein Vogel, der von seiner Gefährtin verlassen ist; die Geige hörte es, antwortete ihm wie von einem benachbarten Baum. Es war wie am Anfang der Welt, als ob es nur sie beide auf der Erde gegeben hätte, oder vielmehr in dieser Welt, die allem Übrigen verschlossen ist, durch die Logik eines Schöpfers gebaut und in der sie niemals mehr als nur sie beide wären: diese Sonate{334}.‘

Versucht man, ebenso summarisch die Romantik zu definieren, sieht man gut, dass sich alles ändert. Ein neuer Schrei ertönt: die Erde, das Territorium und die Erde! Mit der Romantik gibt der Künstler seine Ambition einer Universalität von Rechts wegen und seinen Status als Schöpfer auf: er territorialisiert sich, er tritt in ein territoriales Gefüge ein. Die Jahreszeiten sind nun territorialisiert. Und zweifellos ist die Erde nicht dasselbe wie das Territorium. Die Erde ist jener intensive Punkt im Innersten des Territoriums oder außerhalb seiner als Brennpunkt projiziert, und wo alle Kräfte in einem Nahkampf zusammenkommen. Die Erde ist nicht mehr eine Kraft unter anderen, noch eine informierte Substanz oder ein codiertes Milieu, das seine Reihe und seinen Anteil hätte. Die Erde ist zu diesem Nahkampf aller Kräfte geworden, der Erdenkräfte ebenso wie der anderer Substanzen, so dass der Künstler sich nicht mehr dem Chaos stellt, sondern der Hölle und dem Unterirdischen, dem Grundlosen. Er riskiert nicht mehr, sich in den Milieus zu verflüchtigen, sondern zu tief in die Erde einzusinken, Empedokles. Er identifiziert sich nicht mehr mit der Schöpfung, sondern mit dem Fundament oder der Gründung, die Gründung ist schöpferisch geworden. Er ist nicht mehr Gott, sondern Held, der Gott seine Herausforderung entgegenschleudert: Gründen wir, gründen wir, und nicht mehr Schaffen wir. Faust, vor allem der zweite Faust, wird von dieser Tendenz getragen. Dem Dogmatismus, dem Katholizismus der Milieus (Code), hat sich der Kritizismus, der Protestantismus der Erde substituiert. Und gewiss ist die Erde als intensiver Punkt in der Tiefe oder als Projektion, als ratio essendi, immer gegenüber dem Territorium verschoben; und das Territorium als Bedingung der ‚Erkenntnis‘, ratio cognoscendi, ist immer gegenüber der Erde verschoben. Das Territorium ist deutsch, aber die Erde ist griechisch. Und gerade diese Verschiebung macht den Status des romantischen Künstlers aus, insofern er nicht mehr die Kluft des Chaos konfrontiert, sondern die Anziehung des Grundes. Die kleine Weise, das Vogelritournell, hat sich geändert: sie ist nicht mehr der Beginn einer Welt, sie zeichnet auf der Erde das territoriale Gefüge. Damit ist sie nicht mehr aus zwei konsonanten Teilen gemacht, die sich suchen und einander antworten, sie richtet sich an einen tieferen Gesang, der sie gründet, sie aber auch stößt, fortreißt und dissonieren lässt. Das Ritournell wird unauflöslich gebildet durch das territoriale Lied und den Erdgesang, der aufsteigt, um es zu bedecken. So am Ende des Lieds von der Erde die Koexistenz der beiden Motive, das eine melodisch und die Gefüge des Vogels evozieren, das andere rhythmisch, tiefer Atem der Erde, ewig. Mahler sagt, der Gesang der Vögel, die Farbe der Blumen, der Geruch der Wälder genügen nicht, um die Natur zu machen, es braucht den Gott Dionysos oder den großen Pan. Ein Ur-Ritournell der Erde erfasst alle territorialen oder anderen Ritournelle und alle der Milieus. In Wozzeck sind das Wiegenlied-Ritournell, das militärische Ritournell, das Trinkritournell, das Jagdritournell, das kindliche Ritournell am Ende ebenso viele bewundernswerte Gefüge, fortgerissen von der mächtigen Maschine der Erde und von den Spitzen dieser Maschine: die Stimme Wozzecks, durch die die Erde klanglich wird, der Todesschrei Maries, der über den Teich fährt, das verdoppelte H, als die Erde heulte… Diese Verschiebung, diese Dekodierung, macht, dass der romantische Künstler das Territorium lebt, es aber notwendig als verloren lebt und sich selbst als exiliert erlebt, als Reisender, deterritorialisiert, zurückgestoßen in die Milieus, wie der fliegende Holländer oder der König Voldemar (während der Klassische die Milieus bewohnte). Aber zugleich ist es noch die Erde, die diese Bewegung befiehlt, es ist die Anziehung der Erde, die diese Abstoßung des Territoriums bewirkt. Der Wegweiser zeigt nur noch den Weg, von dem keiner zurückkehrt. So ist die Ambiguität des Natalen, die im Lied erscheint, aber auch in der Symphonie und der Oper: das Lied ist zugleich das Territorium, das verlorene Territorium, die vektoriale Erde. Das Intermezzo sollte eine immer größere Bedeutung annehmen, weil es mit allen Verschiebungen zwischen Erde und Territorium spielte, sich dazwischen schob, sie auf seine Weise füllte, ‚zwischen zwei Stunden‘, ‚Mittag-Mitternacht‘. Von diesem Gesichtspunkt aus kann man sagen, dass die grundlegenden Innovationen der Romantik darin bestanden: es gab nicht mehr substanzielle Teile, die Formen entsprachen, Milieus, die Codes entsprachen, eine chaotische Materie, die in den Formen und durch die Codes geordnet würde. Die Teile waren eher wie Gefüge, die sich an der Oberfläche machten und auflösten. Die Form selbst wurde zu einer großen Form in kontinuierlicher Entwicklung, Sammlung der Kräfte der Erde, die alle Teile in eine Garbe nahm. Die Materie selbst war nicht mehr ein Chaos, das zu unterwerfen und zu organisieren wäre, sondern Materie in der Bewegung einer kontinuierlichen Variation. Das Universelle war Verhältnis, Variation geworden. Kontinuierliche Variation der Materie und kontinuierliche Entwicklung der Form. Durch die Gefüge traten Materie und Form so in ein neues Verhältnis: die Materie hörte auf, Materie des Inhalts zu sein, um Ausdrucksmaterie zu werden, die Form hörte auf, ein Code zu sein, der die Kräfte des Chaos zähmt, um selbst Kraft zu werden, Gesamtheit der Kräfte der Erde. Es gab ein neues Verhältnis zur Gefahr, zum Wahnsinn, zu den Grenzen: die Romantik ging nicht weiter als der barocke Klassizismus, aber sie ging anderswohin, mit anderen Daten und anderen Vektoren.

Was der Romantik am meisten fehlt, ist das Volk. Das Territorium wird von einer einsamen Stimme heimgesucht, der die Stimme der Erde Resonanz und Perkussion gibt, eher als dass sie ihr antwortet. Selbst wenn es ein Volk gibt, ist es durch die Erde vermittelt, aus den Eingeweiden der Erde hervorgegangen und bereit, dahin zurückzukehren: es ist ein unterirdisches Volk mehr als ein irdisches. Der Held ist ein Held der Erde, mythisch, und nicht des Volkes, historisch. Deutschland, die deutsche Romantik, hat das Genie, das heimische Territorium nicht als Wüste, sondern als ‚einsam‘ zu leben, gleich welcher Bevölkerungsdichte; denn diese Bevölkerung ist nur eine Emanation der Erde und gilt für Einen Einzigen. Das Territorium öffnet sich nicht zu einem Volk, es öffnet sich einen Spalt auf den Freund, auf die Geliebte, aber die Geliebte ist schon tot, und der Freund ist ungewiss, beunruhigend{335}. Durch das Territorium hindurch geschieht alles, wie in einem Lied, zwischen dem Einen-Einzigen der Seele und dem Einen-Alles der Erde. Deshalb nimmt die Romantik eine andere Gangart an und verlangt sogar einen anderen Namen, ein anderes Schild, in den lateinischen und den slawischen Ländern, wo im Gegenteil alles durch das Thema eines Volkes und der Kräfte eines Volkes geht. Diesmal ist es die Erde, die durch das Volk vermittelt ist und nur durch es existiert. Diesmal kann die Erde ‚wüst‘ sein, dürre Steppe, oder zerteiltes, verwüstetes Territorium, sie ist niemals einsam, sondern voller einer Bevölkerung, die nomadisiert, sich trennt oder sich sammelt, fordert oder weint, angreift oder erleidet. Diesmal ist der Held ein Held des Volkes und nicht mehr der Erde; er steht in Beziehung zum Einen-Menge, nicht mehr zum Einen-Alles. Man wird gewiss nicht sagen, dass es mehr oder weniger Nationalismus auf der einen oder der anderen Seite gibt, denn Nationalismus ist überall in den Figuren der Romantik, bald als Motor, bald als schwarzes Loch (und der Faschismus benutzte viel weniger Verdi als der Nazismus Wagner). Das Problem ist wirklich musikalisch, technisch musikalisch, dadurch umso politischer. Der romantische Held, die romantische Stimme des Helden, wirkt als Subjekt, als subjektiviertes Individuum, das ‚Gefühle‘ hat; aber dieses subjektive vokale Element spiegelt sich in einem instrumentalen und orchestralen Ensemble, das im Gegenteil nicht subjektivierte ‚Affekte‘ mobilisiert und das seine ganze Bedeutung mit der Romantik gewinnt. Nun wird man nicht glauben, dass beide, das vokale Element und das orchestrale-instrumentale Ensemble, einfach in einem extrinsischen Verhältnis stehen: die Orchestrierung weist der Stimme diese oder jene Rolle zu, ebenso wie die Stimme diese oder jene Weise der Orchestrierung umhüllt. Die Orchestrierung-Instrumentation vereinigt oder trennt, sammelt oder zerstreut klangliche Kräfte; aber sie ändert sich, und die Rolle der Stimme ändert sich auch, je nachdem ob diese Kräfte die der Erde sind oder die des Volkes, des Einen-Alles oder des Einen-Menge. Im einen Fall geht es darum, Gruppierungen von Mächten zu vollziehen, die gerade die Affekte konstituieren; im anderen Fall sind es Gruppen-Individuierungen, die den Affekt konstituieren und Gegenstand der Orchestrierung sind. Die Machtgruppierungen sind vollständig diversifiziert, aber sie sind es als die eigenen Verhältnisse des Universellen; während man bei den Gruppen-Individuierungen ein anderes Wort anrufen müsste, das Dividuelle, um diesen anderen Typ musikalischer Verhältnisse und diese intra-gruppalen oder inter-gruppalen Übergänge zu bezeichnen. Das subjektive oder sentimentale Element der Stimme hat nicht dieselbe Rolle und dieselbe Position, je nachdem ob es innerlich die nicht subjektivierten Machtgruppierungen oder die nicht subjektivierten Gruppen-Individuierungen konfrontiert, die Verhältnisse des Universellen oder die Verhältnisse des ‚Dividuellen‘. Debussy stellte das Problem des Einen-Menge gut, als er Wagner vorwarf, nicht zu wissen, wie man eine Menge oder ein Volk ‚macht‘: eine Menge muss vollständig individuiert sein, aber durch Gruppen-Individuierungen, die sich nicht auf die Individualität der Subjekte reduzieren, die sie zusammensetzen{336}. Das Volk muss sich individuieren, nicht nach den Personen, sondern nach den Affekten, die es gleichzeitig und nacheinander erfährt. Man verfehlt also ebenso das Eine-Menge oder das Dividuelle, wenn man das Volk auf eine Juxtaposition reduziert, wie wenn man es auf eine Macht des Universellen reduziert. Kurz, es gibt gleichsam zwei sehr verschiedene Konzeptionen der Orchestrierung und des Verhältnisses Stimme-Instrument, je nachdem ob man sich an die Kräfte der Erde oder an die Kräfte des Volkes wendet, um sie klanglich zu machen. Das einfachste Beispiel dieses Unterschieds wäre zweifellos Wagner-Verdi, insofern Verdi den Verhältnissen der Stimme zur Instrumentation und Orchestrierung immer mehr Bedeutung gibt. Selbst heute arbeiten Stockhausen und Berio eine neue Version dieses Unterschieds aus, obwohl sie ein von dem der Romantik verschiedenes musikalisches Problem konfrontieren (bei Berio gibt es die Suche nach einem mehrfachen Schrei, einem Schrei der Bevölkerung, im Dividuellen des Einen-Menge, und nicht nach einem Schrei der Erde im Universellen des Einen-Alles). Nun ändern sich die Idee einer Oper der Welt oder einer kosmischen Musik und die Rolle der Stimme eigentümlich je nach diesen beiden Polen der Orchestrierung{337}. Um nicht bei einer bloßen Opposition Wagner-Verdi stehenzubleiben, müsste man zeigen, wie die Orchestrierung Berlioz’ genial von einem Pol zum anderen überzugehen oder sogar zu zögern wusste, Natur oder Volk klanglich. Wie eine Musik wie die von Mussorgski eine Menge zu machen wusste (was Debussy auch sagen mag). Wie eine Musik wie die von Bartók sich auf Volks- oder Bevölkerungsweisen stützen konnte, um die Bevölkerungen selbst klanglich, instrumental und orchestral zu machen, die eine neue Skala des Dividuellen, eine neue ungeheure Chromatik aufzwingen{338}. Die Gesamtheit der nicht wagnerschen Wege…

Wenn es ein modernes Zeitalter gibt, ist es natürlich das des Kosmischen. Paul Klee erklärt sich für anti-faustisch, ‚die Tiere und alle anderen Geschöpfe, ich liebe sie nicht mit einer irdischen Herzlichkeit, die irdischen Dinge interessieren mich weniger als die kosmischen Dinge‘. Das Gefüge stellt sich nicht mehr den Kräften des Chaos, es vertieft sich nicht mehr in die Kräfte der Erde oder in die Kräfte des Volkes, sondern es öffnet sich auf die Kräfte des Kosmos. All das scheint von äußerster Allgemeinheit und wie hegelianisch, Zeugnis eines absoluten Geistes. Und doch ist es, sollte es Technik sein, nichts als Technik. Das wesentliche Verhältnis ist nicht mehr Materien-Formen (oder Substanzen-Attribute); aber es liegt auch nicht mehr in der kontinuierlichen Entwicklung der Form und der kontinuierlichen Variation der Materie. Es stellt sich hier als ein direktes Verhältnis Material-Kräfte dar. Das Material ist eine molekularisierte Materie und muss als solche Kräfte ‚einfangen‘, die nur noch Kräfte des Kosmos sein können. Es gibt keine Materie mehr, die in der Form ihr entsprechendes Prinzip der Verständlichkeit fände. Es geht nun darum, ein Material auszuarbeiten, das darauf geladen ist, Kräfte anderer Ordnung einzufangen: das visuelle Material muss nicht sichtbare Kräfte einfangen. Sichtbar machen, sagte Klee, und nicht das Sichtbare sichtbar machen oder reproduzieren. In dieser Perspektive folgt die Philosophie derselben Bewegung wie die anderen Tätigkeiten; während die romantische Philosophie noch eine formale synthetische Identität anrief, die eine kontinuierliche Verständlichkeit der Materie sicherte (a priori-Synthese), tendiert die moderne Philosophie dazu, ein Denkmaterial auszuarbeiten, um Kräfte einzufangen, die an sich nicht denkbar sind. Es ist die Philosophie-Kosmos, nach der Art Nietzsches. Das molekulare Material ist sogar so sehr deterritorialisiert, dass man nicht mehr von Ausdrucksmaterien sprechen kann, wie in der romantischen Territorialität. Die Ausdrucksmaterien machen einem Material der Erfassung Platz. Von da an sind die einzufangenden Kräfte nicht mehr die der Erde, die noch eine große expressive Form konstituieren, es sind nun die Kräfte eines energetischen, formlosen und immateriellen Kosmos. Dem Maler Millet kann es passieren zu sagen, dass in der Malerei das, was zählt, nicht ist, was ein Bauer trägt, zum Beispiel ein heiliger Gegenstand oder ein Sack Kartoffeln, sondern das genaue Gewicht dessen, was er trägt. Das ist die postromantische Wende: das Wesentliche liegt nicht mehr in den Formen und den Materien, noch in den Themen, sondern in den Kräften, den Dichten, den Intensitäten. Die Erde selbst kippt und tendiert dazu, als reines Material einer gravitären oder Schwerkraft-Kraft zu gelten. Vielleicht wird man auf Cézanne warten müssen, damit die Felsen nur noch durch die Faltungskräfte existieren, die sie einfangen, die Landschaften durch magnetische und thermische Kräfte, die Äpfel durch Keimkräfte: nicht visuelle Kräfte und doch sichtbar gemacht. Zugleich werden die Kräfte notwendig kosmisch und das Material molekular; eine ungeheure Kraft wirkt in einem infinitesimalen Raum. Das Problem ist nicht mehr das eines Anfangs, ebenso wenig das einer Gründung-Grundlage. Es ist zu einem Problem der Konsistenz oder Konsolidierung geworden: wie das Material konsolidieren, es konsistent machen, damit es diese nicht klanglichen, nicht sichtbaren, nicht denkbaren Kräfte einfangen kann? Selbst das Ritournell wird zugleich molekular und kosmisch, Debussy… Die Musik molekularisiert die Klangmaterie, wird aber dadurch fähig, nicht klangliche Kräfte wie die Dauer, die Intensität einzufangen{339}. Die Dauer klanglich machen. Erinnern wir uns an Nietzsches Idee: die ewige Wiederkehr als kleine Melodie, als Ritournell, das aber die stummen und undenkbaren Kräfte des Kosmos einfängt. Man tritt also aus den Gefügen heraus, um in das Zeitalter der Maschine einzutreten, immense Mécanosphäre, Plan der Kosmisierung der einzufangenden Kräfte. Exemplarisch wäre die Vorgehensweise Varèses, am Beginn dieses Zeitalters: eine musikalische Konsistenzmaschine, eine Klangmaschine (nicht um Klänge zu reproduzieren), die die Klangmaterie molekularisiert und atomisiert, ionisiert und eine Kosmosenergie einfängt{340}. Wenn diese Maschine ein Gefüge haben muss, wird es der Synthesizer sein. Indem er die Module, die Elemente der Quelle und der Verarbeitung, die Oszillatoren, Generatoren und Transformatoren zusammenfügt, die Mikrointervalle einrichtet, macht er den Klangprozess selbst hörbar, die Produktion dieses Prozesses, und setzt uns in Beziehung zu noch anderen Elementen, die die Klangmaterie übersteigen{341}. Er vereinigt die Disparaten im Material und transponiert die Parameter von einer Formel in eine andere. Der Synthesizer hat mit seiner Konsistenzoperation den Platz des Fundaments im synthetischen Urteil a priori eingenommen: die Synthese ist darin die des Molekularen und des Kosmischen, des Materials und der Kraft, nicht mehr die der Form und der Materie, des Grunds und des Territoriums. Die Philosophie, nicht mehr als synthetisches Urteil, sondern als Synthesizer von Gedanken, um das Denken reisen zu lassen, es mobil zu machen, daraus eine Kraft des Kosmos zu machen (so wie man den Klang reisen lässt…).

Diese Synthese des Disparaten ist nicht ohne Doppeldeutigkeit. Es ist vielleicht dieselbe Doppeldeutigkeit, die man in der modernen Aufwertung von Kinderzeichnungen, verrückten Texten, Geräuschkonzerten findet. Es kommt vor, dass man es übertreibt, dass man noch etwas draufsetzt, man operiert mit einem Wirrwarr von Linien oder Klängen; dann aber fällt man, statt eine kosmische Maschine zu produzieren, die ‚klanglich machen‘ kann, in eine Reproduktionsmaschine zurück, die schließlich nur noch ein Gekritzel reproduziert, das alle Linien auslöscht, ein Rauschen, das alle Klänge auslöscht. Man behauptet, die Musik für alle Ereignisse, für alle Einbrüche zu öffnen, aber was man schließlich reproduziert, ist das Rauschen, das jedes Ereignis verhindert. Man hat nur noch einen Resonanzkörper, der dabei ist, ein schwarzes Loch zu machen. Ein zu reiches Material ist ein Material, das zu ‚territorialisiert‘ bleibt, an den Lärmquellen, an der Natur der Objekte… (selbst das präparierte Klavier von Cage). Man macht eine Menge verschwommen, statt die verschwommene Menge durch die Konsistenz- oder Konsolidierungsoperationen zu definieren, die auf ihr beruhen. Denn das ist das Wesentliche: eine verschwommene Menge, eine Synthese des Disparaten ist nur durch einen Konsistenzgrad definiert, der gerade die Unterscheidung der disparaten Elemente möglich macht, die sie konstituieren (Unterscheidbarkeit){342}. Das Material muss ausreichend deterritorialisiert sein, um molekularisiert zu werden und sich auf Kosmisches zu öffnen, statt in einen statistischen Haufen zurückzufallen. Nun erfüllt man diese Bedingung nur durch eine gewisse Einfachheit im nicht uniformen Material: Maximum an Nüchternheit, berechnet in Bezug auf die Disparaten oder die Parameter. Es ist die Nüchternheit der Gefüge, die den Reichtum der Effekte der Maschine möglich macht. Man hat oft zu sehr die Tendenz, sich am Kind, am Verrückten, am Lärm zu reterritorialisieren. Dann macht man verschwommen, statt die verschwommene Menge konsistent zu machen oder die kosmischen Kräfte im deterritorialisierten Material einzufangen. Deshalb gerät Paul Klee sehr in Zorn, wenn man vom ‚Infantilismus‘ seiner Zeichnung spricht (ebenso Varèse, wenn man von Geräuschmacherei spricht, usw.). Nach Klee braucht es eine reine und einfache Linie, verbunden mit einer Objektidee, und nicht mehr, um ‚sichtbar zu machen‘ oder Kosmos einzufangen: man erhält nichts, außer ein Rauschen, ein visuelles Geräuschmachen, wenn man die Linien vervielfacht und das ganze Objekt nimmt{343}. Nach Varèse braucht es eine einfache Figur in Bewegung und einen selbst beweglichen Plan, damit die Projektion eine hochkomplexe Form gibt, das heißt eine kosmische Verteilung; sonst ist es Geräuschmacherei. Nüchternheit, Nüchternheit: das ist die gemeinsame Bedingung für die Deterritorialisierung der Materien, die Molekularisierung des Materials, die Kosmisierung der Kräfte. Vielleicht gelingt es dem Kind. Aber diese Nüchternheit ist die eines Werdens-Kind, das nicht notwendig das Werden des Kindes ist, im Gegenteil; die eines Werdens-verrückt, das nicht notwendig das Werden des Verrückten ist, im Gegenteil. Es ist offensichtlich, dass es einen sehr reinen und einfachen Ton braucht, eine Emission oder eine Welle ohne Obertöne, damit der Ton reist und man um den Ton reist (Erfolg von La Monte Young in dieser Hinsicht). Ihr werdet umso mehr Disparates finden, je mehr ihr in einer verdünnten Atmosphäre seid. Eure Synthese des Disparaten wird umso stärker sein, je mehr ihr mit einer nüchternen Geste, einem Konsistenzakt, einem Erfassungs- oder Extraktionsakt operiert, der an einem Material arbeitet, das nicht summarisch, sondern ungeheuer vereinfacht, kreativ begrenzt, ausgewählt ist. Denn es gibt keine Imagination außer in der Technik. Die moderne Figur ist nicht die des Kindes noch die des Verrückten, noch weniger die des Künstlers, es ist die des kosmischen Handwerkers: eine handwerkliche Atombombe, das ist in Wahrheit sehr einfach, das ist bewiesen worden, das ist gemacht worden. Handwerker sein, nicht mehr Künstler, Schöpfer oder Gründer, und das ist die einzige Weise, kosmisch zu werden, aus den Milieus herauszugehen, aus der Erde herauszugehen. Die Anrufung des Kosmos operiert überhaupt nicht als Metapher; im Gegenteil ist die Operation effektiv, sobald der Künstler ein Material mit Kräften der Konsistenz oder Konsolidierung in Beziehung setzt.

Das Material hat also drei Hauptcharaktere: es ist eine molekularisierte Materie; es steht in Beziehung zu einzufangenden Kräften; es ist durch die Konsistenzoperationen definiert, die auf ihm beruhen. Es ist schließlich evident, dass sich das Verhältnis zur Erde, zum Volk ändert und nicht mehr vom romantischen Typ ist. Die Erde ist jetzt die am stärksten deterritorialisierte: nicht nur ein Punkt in einer Galaxie, sondern eine Galaxie unter anderen. Das Volk ist jetzt das am stärksten molekularisierte: eine molekulare Population, ein Volk von Oszillatoren, die ebenso viele Interaktionskräfte sind. Der Künstler entkleidet seine romantischen Figuren, er verzichtet auf die Kräfte der Erde ebenso wie auf die Kräfte des Volkes. Denn der Kampf, wenn es ein Kampf ist, ist anderswohin verlagert worden. Die etablierten Mächte haben die Erde besetzt, und sie haben Organisationen des Volkes gemacht. Die Massenmedien, die großen Organisationen des Volkes vom Typ Partei oder Gewerkschaft, sind Reproduktionsmaschinen, Maschinen, die das Verschwommene machen, und die tatsächlich das Rauschen aller populären Erdenkräfte betreiben. Die etablierten Mächte haben uns in die Situation eines zugleich atomaren und kosmischen, galaktischen Kampfes versetzt. Viele Künstler haben sich dieser Situation seit langem bewusst gewesen, und noch bevor sie eingerichtet war (zum Beispiel Nietzsche). Und sie konnten sich ihrer bewusst werden, weil derselbe Vektor ihr eigenes Feld durchzog: eine Molekularisierung, eine Atomisierung des Materials, verbunden mit einer Kosmisierung der in diesem Material gefassten Kräfte. Von da an war die Frage, ob die atomaren oder molekularen ‚Populationen‘ aller Art (Massenmedien, Kontrollmittel, Computer, außerirdische Waffen) weiterhin das existierende Volk bombardieren würden, sei es um es abzurichten, sei es um es zu kontrollieren, sei es um es zu vernichten, — oder ob andere molekulare Populationen möglich seien, sich zwischen die ersten schieben könnten und ein Volk im Kommen hervorrufen könnten. Wie Virilio sagt, in seiner sehr rigorosen Analyse der Entvölkerung des Volkes und der Deterritorialisierung der Erde, lautet die Frage: ‚Als Dichter oder als Mörder wohnen{344}?‘ Der Mörder ist derjenige, der das existierende Volk bombardiert, mit molekularen Populationen, die nicht aufhören, alle Gefüge wieder zu schließen, sie in ein immer weiteres und tieferes schwarzes Loch zu stürzen. Der Dichter hingegen ist derjenige, der molekulare Populationen freilässt, in der Hoffnung, dass sie das Volk im Kommen besamen oder sogar hervorbringen, dass sie in ein Volk im Kommen übergehen, dass sie einen Kosmos öffnen. Und auch hier darf man den Dichter nicht so behandeln, als ob er sich mit Metaphern vollstopfte: es ist nicht sicher, dass die klanglichen Moleküle der Popmusik nicht hier oder dort, aktuell, ein Volk neuen Typs aussäen, eigenartig gleichgültig gegenüber den Befehlen des Radios, den Kontrollen der Computer, den Drohungen der Atombombe. In diesem Sinn hat sich das Verhältnis der Künstler zum Volk stark verändert: der Künstler hat aufgehört, der Eine-Einzige zu sein, in sich selbst zurückgezogen, aber er hat auch aufgehört, sich an das Volk zu wenden, das Volk als konstituierte Kraft anzurufen. Nie hat er ein Volk so sehr gebraucht, aber er stellt im höchsten Maß fest, dass das Volk fehlt, — das Volk ist das, was am meisten fehlt. Es sind nicht populäre oder populistische Künstler, es ist Mallarmé, der sagen kann, dass das Buch das Volk braucht, und Kafka, dass die Literatur Sache des Volkes ist, und Klee, dass das Volk das Wesentliche ist, und doch dass es fehlt. Das Problem des Künstlers ist also, dass die moderne Entvölkerung des Volkes auf eine offene Erde hinausläuft, und dies mit den Mitteln der Kunst oder mit Mitteln, zu denen die Kunst beiträgt. Statt dass Volk und Erde von allen Seiten bombardiert werden in einem Kosmos, der sie begrenzt, müssen Volk und Erde wie die Vektoren eines Kosmos sein, der sie fortreißt; dann wird der Kosmos selbst Kunst sein. Aus der Entvölkerung ein kosmisches Volk machen und aus der Deterritorialisierung eine kosmische Erde, das ist der Wunsch des Künstler-Handwerkers, hier oder dort, lokal. Wenn unsere Regierungen es mit Molekularem und Kosmischem zu tun haben, finden auch unsere Künste darin ihre Sache, mit demselben Einsatz, Volk und Erde, mit unvergleichlichen Mitteln, leider, und doch konkurrenzfähig. Ist es nicht das Eigentümliche der Schöpfungen, im Stillen, lokal zu operieren, überall eine Konsolidierung zu suchen, vom Molekularen zu einem ungewissen Kosmos zu gehen, während die Prozesse der Zerstörung und der Konservierung im Großen arbeiten, den Vordergrund beherrschen, den ganzen Kosmos besetzen, um das Molekulare zu versklaven, es in ein Konservatorium oder in eine Bombe zu setzen?

Diese drei ‚Zeitalter‘, das klassische, das romantische und das moderne (mangels eines anderen Namens), darf man nicht als eine Evolution interpretieren, noch als Strukturen, mit bedeutungsvollen Schnitten. Es sind Gefüge, die verschiedene Maschinen umhüllen oder verschiedene Verhältnisse zur Maschine. In einem Sinn war alles, was wir einem Zeitalter zuschreiben, schon im vorhergehenden Zeitalter präsent. So die Kräfte: die Frage war immer die der Kräfte, zugewiesen als Kräfte des Chaos oder als Kräfte der Erde. Ebenso hat sich die Malerei von jeher vorgenommen, sichtbar zu machen statt das Sichtbare zu reproduzieren, und die Musik, klanglich zu machen statt das Klangliche zu reproduzieren. Verschwommene Mengen haben nicht aufgehört, sich zu konstituieren und ihre Konsolidierungsprozesse zu erfinden. Und eine Befreiung des Molekularen findet man schon in den klassischen Inhaltsmaterien, operierend durch Destratifikation, und in den romantischen Ausdrucksmaterien, operierend durch Dekodierung. Alles, was man sagen kann, ist, dass, solange die Kräfte als Erde oder Chaos erscheinen, sie nicht direkt als Kräfte erfasst werden, sondern in Verhältnissen von Materie und Form reflektiert. Es geht also eher um Wahrnehmungsschwellen, Unterscheidbarkeitsschwellen, die einem solchen oder solchen Gefüge angehören. Erst wenn die Materie ausreichend deterritorialisiert ist, tritt sie selbst als molekular hervor und lässt reine Kräfte hervortreten, die nur noch dem Kosmos zugeschrieben werden können. Das war schon ‚seit jeher‘ präsent, aber unter anderen Wahrnehmungsbedingungen. Es braucht neue Bedingungen, damit das, was vergraben oder bedeckt war, inferiert, geschlossen, nun an die Oberfläche tritt. Was in einem Gefüge komponiert war, was noch nur komponiert war, wird zur Komponente eines neuen Gefüges. In diesem Sinn gibt es kaum eine Geschichte außer der der Wahrnehmung, während das, woraus man Geschichte macht, eher die Materie eines Werdens ist, nicht einer Geschichte. Das Werden wäre wie die Maschine, in jedem Gefüge anders präsent, aber von einem zum anderen übergehend, das eine auf das andere öffnend, unabhängig von einer festen Ordnung oder einer bestimmten Sukzession.

Dann können wir zum Ritournell zurückkehren. Wir können eine andere Klassifikation vorschlagen: die Ritournelle der Milieus, mit mindestens zwei Teilen, von denen der eine dem anderen antwortet (das Klavier und die Geige); die Ritournelle des Natalen, des Territoriums, wo der Teil in Beziehung zu einem Ganzen steht, zu einem ungeheuren Ritournell der Erde, gemäß selbst variablen Verhältnissen, die jedes Mal die Verschiebung der Erde zum Territorium markieren (das Wiegenlied, das Trinklied, das Jagdlied, das Arbeitslied, das militärische usw.); die populären und folkloristischen Ritournelle, selbst in Beziehung zu einem ungeheuren Gesang des Volkes, gemäß den variablen Verhältnissen von Mengen-Individuierungen, die zugleich mit Affekten und Nationen spielen (die Polonaise, die Auvergnate, die Allemande, die Magyare oder die Rumänische, aber auch die Pathétique, die Panique, die Vengeresse…, usw.); die molekularisierten Ritournelle (das Meer, der Wind) in Beziehung zu kosmischen Kräften, zum Ritournell-Kosmos. Denn der Kosmos ist selbst ein Ritournell, und das Ohr auch (alles, was man für Labyrinthe gehalten hat, das waren Ritournelle). Aber gerade, warum ist das Ritournell eminent sonor? Woher kommt dieses Privileg des Ohres, wo doch die Tiere schon, die Vögel, uns so viele gestische, posturale, chromatische, visuelle Ritournelle präsentieren? Hat der Maler weniger Ritournelle als der Musiker? Gibt es weniger Ritournelle bei Cézanne oder bei Klee als bei Mozart, Schumann oder Debussy? In Prousts Beispielen: machen das kleine Stück gelbe Mauer von Vermeer oder die Blumen eines Malers, die Rosen Elstirs, weniger ‚Ritournell‘ als die kleine Phrase Vinteuils? Es geht gewiss nicht darum, dieser oder jener Kunst eine Suprematie zuzuerkennen nach Maßgabe einer formalen Hierarchie und absoluter Kriterien. Das Problem, bescheidener, wäre, die Potenzen oder Koeffizienten der Deterritorialisierung der klanglichen Komponenten und der visuellen Komponenten zu vergleichen. Es scheint, dass der Klang, indem er sich deterritorialisiert, sich immer mehr verfeinert, sich spezifiziert und autonom wird. Während die Farbe stärker klebt, nicht unbedingt am Objekt, aber an der Territorialität. Wenn sie sich deterritorialisiert, tendiert sie dazu, sich aufzulösen, sich von anderen Komponenten steuern zu lassen. Man sieht es gut in den Phänomenen der Synästhesie, die sich nicht auf eine einfache Entsprechung Farbe-Klang reduzieren, sondern wo die Klänge die Steuerungsrolle halten und Farben induzieren, die sich den gesehenen Farben überlagern und ihnen einen Rhythmus und eine eigentlich klangliche Bewegung mitteilen{345}. Diese Potenz verdankt der Klang nicht Bedeutungswerten oder ‚Kommunikation‘ (die sie vielmehr voraussetzen), noch physikalischen Eigenschaften (die eher dem Licht das Privileg gäben). Es ist eine phylogenetische Linie, ein maschinischer Phylum, der durch den Klang geht und ihn zu einer Spitze der Deterritorialisierung macht. Und das geht nicht ohne große Ambiguitäten: der Klang überflutet uns, stößt uns, reißt uns mit, durchquert uns. Er verlässt die Erde, aber ebenso gut, um uns in ein schwarzes Loch fallen zu lassen, wie um uns zu einem Kosmos zu öffnen. Er gibt uns den Wunsch zu sterben. Da er die größte Deterritorialisierungskraft hat, operiert er auch die massivsten, stumpfesten, redundantesten Reterritorialisierungen. Ekstase und Hypnose. Man bringt kein Volk mit Farben in Bewegung. Die Fahnen können nichts ohne die Trompeten, die Laser modulieren sich auf den Klang. Das Ritournell ist sonor par excellence, aber es entfaltet seine Kraft ebenso gut in einem schleimigen Liedchen wie im reinsten Motiv oder der kleinen Phrase Vinteuils. Und manchmal das eine im anderen: wie Beethoven zu einem ‚Kennsignal‘ wird. Potenzieller Faschismus der Musik. Man kann grob sagen, dass die Musik auf einen unendlich mächtigeren maschinischen Phylum geschaltet ist als die Malerei: Linie selektiven Drucks. Deshalb hat der Musiker nicht dasselbe Verhältnis zum Volk, zu den Maschinen, zu den etablierten Mächten wie der Maler. Insbesondere verspüren die Mächte ein lebhaftes Bedürfnis, die Verteilung der schwarzen Löcher und der Deterritorialisierungslinien in diesem Klang-Phylum zu kontrollieren, um die Effekte des musikalischen Maschinismus zu bannen oder sich anzueignen. Der Maler kann, zumindest in dem Bild, das man sich von ihm macht, sozial viel offener, viel politischer und von außen und innen weniger kontrolliert sein. Das liegt daran, dass er jedes Mal selbst einen Phylum schaffen oder wieder schaffen muss und dies jedes Mal aus den Körpern von Licht und Farbe heraus tun muss, die er produziert, während der Musiker im Gegenteil über eine Art keimliche Kontinuität verfügt, selbst latent, selbst indirekt, aus der heraus er seine Klangkörper produziert. Es ist nicht dieselbe Schöpfungsbewegung: der eine geht vom Soma zum Germen, und der andere vom Germen zum Soma. Das Ritournell des Malers ist wie die Kehrseite desjenigen des Musikers, ein Negativ der Musik.

Aber, auf jeden Fall, was ist ein Ritournell? Glasharmonika: Das Ritournell ist ein Prisma, ein Kristall der Raum-Zeit. Es wirkt auf das, was es umgibt, Klang oder Licht, um daraus vielfältige Schwingungen, Zerlegungen, Projektionen und Transformationen zu ziehen. Das Ritournell hat auch eine katalytische Funktion: nicht nur die Geschwindigkeit der Austausche und Reaktionen in dem, was es umgibt, zu erhöhen, sondern indirekte Interaktionen zwischen Elementen zu sichern, denen eine sogenannte natürliche Affinität fehlt, und dadurch organisierte Massen zu bilden. Das Ritournell wäre also vom Typ Kristall oder Protein. Was den Keim oder die innere Struktur betrifft, so hätten sie dann zwei wesentliche Aspekte: die Zunahmen und Abnahmen, Hinzufügungen und Wegnahmen, Verstärkungen und Eliminierungen nach ungleichen Werten, aber auch die Präsenz einer rückläufigen Bewegung, die in beide Richtungen geht, wie ‚auf den Seitenscheiben einer fahrenden Straßenbahn‘. Die seltsame rückläufige Bewegung von Joke. Es gehört zum Ritournell, sich durch Eliminierung auf einen äußerst kurzen Moment zu konzentrieren, wie Extreme auf ein Zentrum hin, oder sich im Gegenteil durch Hinzufügungen zu entwickeln, die von einem Zentrum zu den Extremen gehen, aber auch diese Wege in beide Richtungen zu durchlaufen{346}. Das Ritournell macht Zeit. Es ist die ‚implizierte Zeit‘, von der der Linguist Guillaume sprach. Dann tritt die Ambiguität des Ritournells besser hervor: Denn wenn die rückläufige Bewegung nur einen geschlossenen Kreis bildet, wenn die Zunahmen und Abnahmen sich nur nach regelmäßigen Werten vollziehen, zum Beispiel nach dem Doppelten oder der Hälfte, lässt diese falsche raum-zeitliche Strenge die äußere Gesamtheit umso mehr im Verschwommenen, die zum Keim nur noch assoziative, indikative oder deskriptive Verhältnisse hat, ‚eine Baustelle unechter Elemente zur Bildung unreiner Kristalle‘ —, statt des reinen Kristalls, der kosmische Kräfte einfängt. Das Ritournell bleibt im Zustand einer Formel, die eine Figur oder eine Landschaft evoziert, statt selbst eine rhythmische Figur, eine melodische Landschaft zu machen. Es ist also wie zwei Pole des Ritournells. Und diese beiden Pole hängen nicht nur von einer intrinsischen Qualität ab, sondern auch von einem Kraftzustand dessen, der hört: so bleibt die kleine Phrase der Sonate Vinteuils lange Zeit mit Swanns Liebe, mit der Figur Odette und der Landschaft des Bois de Boulogne verknüpft, bis sie sich um sich selbst dreht, sich auf sich selbst öffnet, um bis dahin unerhörte Potentialitäten zu enthüllen, in andere Verbindungen einzutreten, die Liebe in andere Gefüge abdriften zu lassen. Es gibt nicht die Zeit als a priori-Form, aber das Ritournell ist die a priori-Form der Zeit, die jedes Mal verschiedene Zeiten hervorbringt.

Es ist merkwürdig, wie die Musik das mittelmäßige oder schlechte Ritournell oder den schlechten Gebrauch des Ritournells nicht eliminiert, sondern es im Gegenteil mitreißt oder sich seiner als Sprungbrett bedient. ‚Ah vous dirai-je maman…‘, ‚Elle avait une jambe de bois…‘, ‚Frère Jacques…‘. Kinder- oder Vogelritournell, Volksgesang, Trinklied, Wiener Walzer, Kuhglöckchen, die Musik bedient sich allem und trägt alles fort. Es ist nicht so, dass eine Kinder-, Vogel- oder Folkloreweise sich auf die assoziative und geschlossene Formel reduzierte, von der wir eben sprachen. Man müsste vielmehr zeigen, wie ein Musiker ein erstes Ritournell vom ersten Typ braucht, ein territoriales oder Gefüge-Ritournell, um es von innen her zu transformieren, zu deterritorialisieren und schließlich ein Ritournell des zweiten Typs zu erzeugen, als Endziel der Musik, kosmisches Ritournell einer Klangmaschine. Vom einen Typ zum anderen hat Gisèle Brelet das Problem gut am Beispiel Bartóks gestellt: wie ausgehend von territorialen und populären Melodien, autonom, hinreichend, in sich geschlossen wie Modi, ein neuer Chromatismus zu bauen ist, der sie miteinander kommunizieren lässt, und so ‚Themen‘ zu schaffen, die eine Entwicklung der Form oder vielmehr ein Werden der Kräfte sichern. Das Problem ist allgemein, da in viele Richtungen Ritournelle von einem neuen Keim besamt werden, der die Modi wiederfindet und sie kommunizierend macht, die Temperatur auflöst, Dur und Moll verschmelzen lässt, das tonale System fliehen lässt, durch seine Maschen hindurchgeht, statt mit ihm zu brechen{347}. Man kann sagen: es lebe Chabrier gegen Schönberg, wie Nietzsche sagte es lebe Bizet, und aus denselben Gründen, in derselben musikalischen und technischen Absicht. Man geht vom Modalen zu einem erweiterten, untemperierten Chromatismus. Man hat nicht nötig, das Tonale abzuschaffen, man hat nötig, es fliehen zu lassen. Man geht von den gefügten Ritournellen (territorialen, populären, liebenden usw.) zum großen, maschinierten kosmischen Ritournell. Aber die Schöpfungsarbeit vollzieht sich schon in den ersten, sie ist dort ganz und gar. In die kleine Form-Ritournell oder das Rondeau dringen bereits die Deformationen ein, die eine große Kraft einfangen werden. Kinderszenen, Kinderspiele: man geht von einem Kinder-Ritournell aus, aber das Kind hat bereits Flügel, es wird himmlisch. Das Werden-Kind des Musikers verdoppelt sich mit einem Werden-luftig des Kindes, in einem unzerlegbaren Block. Erinnerung eines Engels, das ist eher Werden für einen Kosmos. Kristall: das Werden-Vogel Mozarts ist nicht von einem Werden-eingeweiht des Vogels zu trennen und bildet mit ihm einen Block{348}. Es ist die äußerst tiefe Arbeit am ersten Typ von Ritournellen, die den zweiten Typ schaffen wird, das heißt die kleine Phrase des Kosmos. In einem Konzert braucht Schumann alle Gefüge des Orchesters, damit das Violoncello umherirrt, wie ein Licht sich entfernt oder erlischt. Bei Schumann ist es eine ganze gelehrte melodische, harmonische und rhythmische Arbeit, die zu diesem einfachen und nüchternen Ergebnis führt: das Ritournell deterritorialisieren{349}. Ein deterritorialisiertes Ritournell zu erzeugen, als Endziel der Musik, es in den Kosmos zu entlassen, ist wichtiger, als ein neues System zu machen. Das Gefüge auf eine kosmische Kraft hin zu öffnen. Vom einen zum anderen, vom Gefüge der Klänge zur Maschine, die klanglich macht — vom Werden-Kind des Musikers zum Werden-kosmisch des Kindes —, tauchen viele Gefahren auf: die schwarzen Löcher, die Schließungen, die Lähmungen des Fingers und die Halluzinationen des Gehörs, Schumanns Wahnsinn, die kosmische Kraft, die böse geworden ist, eine Note, die einen verfolgt, ein Klang, der einen durchbohrt. Und doch war das eine schon im anderen, die kosmische Kraft war im Material, das große Ritournell in den kleinen Ritournellen, das große Manöver im kleinen Manöver. Nur ist man nie sicher, stark genug zu sein, da man kein System hat, man hat nur Linien und Bewegungen. Schumann.