Slavoj Žižek wurde 1949 in Ljubljana, Slowenien, geboren und ist Professor an der European Graduate School, Internationaler Direktor des Birkbeck Institute for the Humanities, Birkbeck College, University of London, sowie Senior Researcher am Institut für Soziologie der Universität Ljubljana. Er war Gastprofessor an der Columbia University, New York, und der Universität Paris VIII sowie an einer Reihe weiterer prestigeträchtiger Institutionen auf beiden Seiten des Atlantiks.
In seinem Heimatland war er in den 1980er Jahren eine prominente politische Figur. Er schrieb eine regelmäßige Kolumne für die Zeitung Mladina und belegte 1990 bei der Wahl zur vierköpfigen Präsidentschaft Sloweniens den fünften Platz. Sein internationaler Ruf als Schriftsteller und Philosoph wurde 1989 mit der Veröffentlichung von The Sublime Object of Ideology gefestigt, einem Buch, das die bahnbrechende Destillation des Autors von Lacan, Hegel und Marx auf eine Analyse von Handlungsfähigkeit und moderner Ideologie anwandte. Es folgte eine Reihe viel gerühmter Werke, darunter For They Know Not What They Do (1991), The Ticklish Subject (1999), Welcome to the Desert of the Real (2002), The Parallax View (2006) und In Defense of Lost Causes (2008).
Neben originellen Einsichten in Psychoanalyse, Philosophie und radikale politische Theorie hat er, indem er seine außergewöhnliche Gelehrsamkeit zur Untersuchung populärer Unterhaltung einsetzte, sich als witziger und zutiefst moralischer Kulturkritiker etabliert. Er war Gegenstand zweier abendfüllender Dokumentarfilme, Slavoj Žižek : The Reality of the Virtual (2004) und Žižek! (2005). Außerdem präsentierte und schrieb er die dreiteilige britische TV-Dokumentation A Pervert’s Guide to Cinema (2006).
Seine fesselnde, charismatische Präsenz und sein schelmischer Sinn für das Absurde haben die Presse dazu veranlasst, ihn als ‘den Elvis der Kulturtheorie’ und als ‘intellektuellen Rockstar’ zu bezeichnen. Diese scherzhaften Beinamen verdecken jedoch eine Ernsthaftigkeit der Absicht, die in einer von Niedergeschlagenheit und Entfremdung auf der Linken geprägten Ära nichts weniger als verblüffend war. Mehr als ein Akademiker oder Theoretiker besitzt Žižek die Gravitas und den Antrieb einer Gattung, die man einst für ausgestorben hielt: des Revolutionärs. Er hat die Philosophie für eine ganze Generation politisch engagierter Leser wieder relevant gemacht.
Eine Reihe klassischer philosophischer Texte von Verso
Die vier Pfeiler von Slavoj Žižeks Werk sind (lacanische) Psychoanalyse, (hegelianische) Philosophie, eine (marxistische) Ideologietheorie und (christliche) Theologie. Die Struktur dieses gelehrten Gebäudes ist in den Titeln von ‘The Essential Žižek’ abgebildet, vier zentralen Interventionen in jedem dieser Felder. Im Mittelpunkt von The Sublime Object of Ideology steht die Bedeutung von Lacans Werk für die Philosophie und den zeitgenössischen politischen Kampf; The Ticklish Subject untersucht den Deutschen Idealismus und den unüberbietbaren Horizont unseres Denkens; The Plague of Fantasies seziert die ideologischen Mechanismen, die unsere tägliche Erfahrung formen; und The Fragile Absolute erkundet den emanzipatorischen Kern des Christentums.
Ebenfalls erhältlich von Verso vom selben Autor :
In Defense of Lost Causes
Welcome to the Desert of the Real
Iraq : The Borrowed Kettle
Revolution at the Gates, Žižek on Lenin : The 1917 Writings
Lacan : The Silent Partners
THE PLAGUE OF FANTASIES
SLAVOJ ŽIŽEK
Erste Ausgabe veröffentlicht bei Verso 1997
Diese Ausgabe veröffentlicht bei Verso 2008
© Slavoj Žižek 1997
Alle Rechte vorbehalten
7 9 10 8
Die Urheberpersönlichkeitsrechte des Autors wurden geltend gemacht
Verso
UK: 6 Meard Street, London W1F 0EG
US: 20 Jay Street, Suite 1010, Brooklyn, NY 11201
Verso ist das Imprint von New Left Books
ISBN-13: 978-1-84467-303-2
British Library Katalogisierung-in-Publikation-Daten
Ein Katalogdatensatz zu diesem Buch ist bei der British Library verfügbar
Library of Congress Katalogisierung-in-Publikation-Daten
Ein Katalogdatensatz zu diesem Buch ist bei der Library of Congress verfügbar
Satz von Hewer UK Ltd, Edinburgh
Gedruckt in den USA von Maple Vaill
Inhalt
Vorwort zur zweiten Ausgabe: My Own Private Austria
Einleitung
1Die sieben Schleier der Fantasie
2Liebe deinen Nächsten? Nein, danke!
3Fetischismus und seine Wechselfälle
4Cyberspace, oder, der unerträgliche Abschluss des Seins
Anhang I Vom Erhabenen zum Lächerlichen: Der Sexualakt im Kino
Anhang II Robert Schumann: Der romantische Anti-Humanist
Anhang III Das unbewusste Gesetz: Auf dem Weg zu einer Ethik jenseits des Guten
Anmerkungen
Register
Vorwort zur neuen Ausgabe:
My Own Private Austria
Wenn wir glauben, einen engen Freund oder Verwandten wirklich zu kennen, geschieht es oft, dass diese Person plötzlich etwas tut – eine unerwartet vulgäre oder grausame Bemerkung äußert, eine obszöne Geste macht, einen kalten gleichgültigen Blick wirft, wo Mitgefühl erwartet wurde –, wodurch uns bewusst wird, dass wir ihn nicht wirklich kennen: Wir werden plötzlich gewahr, dass ein vollkommen Fremder vor uns steht. In diesem Moment verwandelt sich der Mitmensch in einen Nachbarn. Genau dies geschah auf verheerende Weise mit dem berüchtigten österreichischen Kriminellen Josef Fritzl: Vom freundlichen und höflichen Mitmenschen verwandelte er sich plötzlich in einen monströsen Nachbarn – sehr zum Erstaunen der Leute, die ihm täglich begegneten und es schlicht nicht glauben konnten, dass dies dieselbe Person war.
Freuds Idee des ‘Urvater’ (Urvater), die er in Totem und Tabu entwickelte, wird gewöhnlich mit Spott aufgenommen – und das zu Recht, wenn wir sie als anthropologische Hypothese nehmen, die behauptet, dass ganz am Anfang der Menschheit die ‘Affenmenschen’ in Gruppen lebten, die von einem allmächtigen Vater beherrscht wurden, der alle Frauen für seinen eigenen exklusiven sexuellen (Miss)brauch behielt, und dass, nachdem die Söhne sich zusammenscharten und rebellierten, den Vater töteten, er zurückkehrte, um sie als totemische Figur symbolischer Autorität zu verfolgen, Schuldgefühle hervorzubringen und das Inzestverbot aufzuerlegen. Was aber, wenn wir die Dualität des ‘normalen’ Vaters und des Urvaters mit unbeschränktem Zugang zu inzestuöser Lust nicht als Faktum der frühesten Geschichte der Menschheit lesen, sondern als libidinöses Faktum, als Faktum der ‘psychischen Realität’, das als obszöser Schatten die ‘normale’ väterliche Autorität begleitet und im dunklen Untergrund unbewusster Fantasien gedeiht? Dieser obszöne Untergrund ist an seinen Wirkungen erkennbar – in Mythen, Träumen, Versprechern, Symptomen … und manchmal erzwingt er seine direkte perverse Verwirklichung (Freud bemerkte, dass Perverse verwirklichen, was Hysteriker nur fantasieren).
Verkörpert nicht schon die architektonische Anordnung des Fritzl-Haushalts – das ‘normale’ Erd- und Obergeschoss, getragen (wörtlich und libidinös) vom fensterlosen unterirdischen Raum totaler Beherrschung und unbegrenzter Jouissance – den ‘normalen’ Familienraum, der durch den geheimen Bereich des obszönen ‘Urvater’ verdoppelt wird? Fritzl schuf in seinem Keller seine eigene Utopie, ein privates Paradies, in dem er, wie er seinem Anwalt sagte, stundenlang fernsaß, TV schaute und mit den Jungen spielte, während seine Tochter Elisabeth das Abendessen zubereitete. In diesem in sich geschlossenen Raum war sogar die Sprache, die die Bewohner teilten, eine Art Privatsprache: Es wird berichtet, dass die beiden Söhne, Stefan und Felix, in einem bizarren Dialekt kommunizieren, wobei einige der Laute, die sie äußern, ‘tierähnlich’ seien. Der Fritzl-Fall bestätigt somit Lacans Wortspiel über Perversion als père-version – entscheidend ist, wie der geheime unterirdische Apartmentkomplex eine sehr präzise ideologisch-libidinöse Fantasie konkretisiert, eine extreme Version des Nexus von Vater-Herrschaft-Lust. Einer der Slogans des Mai ’68 lautete ‘Alle Macht der Fantasie’ – und in diesem Sinn ist Fritzl auch ein Kind von ’68, das seine Fantasie rücksichtslos verwirklicht.
Deshalb ist es irreführend, ja rundweg falsch, Fritzl als ‘unmenschlich’ zu beschreiben – wenn überhaupt, war er, um Nietzsches Wendung zu verwenden, ‘menschlich, allzu menschlich’. Kein Wunder, dass Fritzl sich beklagte, sein eigenes Leben sei durch die Entdeckung seiner geheimen Familie ‘ruiniert’ worden. Was seine Herrschaft so schaurig macht, ist gerade die Weise, wie seine brutale Machtausübung und sein Nießbrauch an der Tochter nicht bloß kalte Akte der Ausbeutung waren, sondern von einer ideologisch-familiären Rechtfertigung begleitet wurden (er tat einfach, was ein Vater tun sollte, nämlich seine Kinder vor Drogen und anderen Gefahren der Außenwelt zu schützen), ebenso wie von gelegentlichen Bekundungen von Mitgefühl und menschlicher Rücksichtnahme (er brachte die kranke Tochter tatsächlich ins Krankenhaus usw.). Diese Akte waren keine Risse warmer Menschlichkeit in seiner Rüstung aus Kälte und Grausamkeit, sondern Teile derselben schützenden Haltung, die ihn dazu brachte, seine Kinder einzusperren und zu verletzen.
Fritzl behauptete, er habe bemerkt, dass Elisabeth aus ihrem Zuhause fliehen wollte – sie kam spät nach Hause zurück, suchte eine Arbeit, hatte einen Freund, nahm möglicherweise Drogen, und er habe sie vor all dem schützen wollen. Die Konturen der zwanghaften Strategie sind hier klar erkennbar: ‘Ich werde sie vor den Gefahren der Außenwelt schützen, selbst wenn es bedeutet, sie zu zerstören’. Laut den Medien verteidigte sich Fritzl so: ‘Wenn es mich nicht gegeben hätte, wäre Kerstin heute nicht am Leben. Ich bin kein Monster. Ich hätte sie alle töten können. Dann gäbe es keine Spur. Niemand hätte mich entlarvt.’ Entscheidend ist hier die zugrunde liegende Prämisse: Als Vater hatte er das Recht, totale Macht über seine Kinder auszuüben, einschließlich sexuellen Missbrauchs und Tötung; dank seiner Güte habe er etwas Rücksicht gezeigt und ihnen das Überleben erlaubt. Und wie jeder Psychoanalytiker bestätigen kann, finden wir Spuren einer solchen Haltung oft selbst bei den ‘normalsten’ und fürsorglichsten Vätern: Plötzlich explodiert der freundliche Vater zu einem Vater-Ding, überzeugt davon, dass seine Kinder ihm alles schulden, ihre bloße Existenz, dass sie ihm absolut verpflichtet sind, dass seine Macht über sie grenzenlos ist, dass er das Recht hat, alles zu tun, was er will, um sich um sie zu kümmern.
Man sollte hier die Falle vermeiden, die Schuld der patriarchalen Autorität als solcher zuzuschieben und in Fritzls Monstrosität die ultimative Konsequenz des väterlichen Gesetzes zu sehen, ebenso wie die entgegengesetzte Falle, die Schuld auf die Desintegration des väterlichen Gesetzes zu schieben. Die fragliche Haltung ist weder einfach ein Bestandteil ‘normaler’ väterlicher Autorität (das Maß ihres Erfolgs ist gerade die Fähigkeit, das Kind freizulassen, es in die Außenwelt gehen zu lassen), noch bloß ein Zeichen ihres Scheiterns (in dem Sinn, dass die Leere der ‘normalen’ väterlichen Autorität ergänzt, ausgefüllt wird durch die wilde Figur des allmächtigen ‘Urvater’); sie ist vielmehr beides zugleich – eine Dimension, die unter ‘normalen’ Umständen virtuell bleibt, im Fall Fritzl aber aktualisiert wurde.
Die Versuche, mit dem Finger auf österreichische Besonderheiten zu zeigen, begehen denselben ideologischen Fehler wie jene, die von einer ‘alternativen Modernität’ zur vorherrschenden liberal-kapitalistischen träumen: Indem sie die Schuld auf kontingente österreichische Umstände verschieben, wollen sie die Unschuld der Vaterschaft als solcher legitimieren und proklamieren, das heißt, sie weigern sich, das Potenzial für solche Taten im Begriff der väterlichen Autorität selbst zu sehen. Anstatt also elende Versuche zu unternehmen, dieses schreckliche Verbrechen auf Österreichs NS-Vergangenheit oder den übermäßigen Sinn der Österreicher für Ordnungsliebe und Respektabilität zu schieben, sollte man die Figur Fritzls vielmehr mit einem weit respektableren österreichischen Mythos verbinden, dem der von-Trapp-Familie, verewigt in The Sound of Music : eine weitere Familie, die in ihrem abgeschiedenen Schloss lebt, wobei die wohlwollende militärische Autorität des Vaters sie vor dem Nazi-Übel draußen schützt, und die Generationen auf seltsame Weise miteinander vermischt sind (Schwester Maria, wie Elisabeth, ist eine Generation zwischen Vater und Kindern …). Man kann sich die verängstigten Kinder vorstellen, wie sie sich um die Mutter, Elisabeth, scharen, aus Angst vor dem Sturm, der die bevorstehende Ankunft des Vaters ist, und wie die Mutter sie mit einem Lied über ‘einige ihrer liebsten Dinge’ beruhigt, etwa über sehr geliebte TV-Sendungen oder die Spielzeuge, die der Vater mitbringt, auf die sie ihre Gedanken richten sollen.
In den letzten Jahren des kommunistischen Regimes in Rumänien wurde Nicolae Ceaus¸escu von einem ausländischen Journalisten gefragt, wie er die Beschränkungen des Auslandsreisens für rumänische Bürger rechtfertige. Sei dies nicht eine Verletzung ihrer Menschenrechte? Ceaus¸escu antwortete, diese Beschränkungen bestünden, um ein noch höheres und wichtigeres Menschenrecht zu schützen, das Recht auf Sicherheit, das durch zu viel freies Reisen bedroht worden wäre. Argumentierte er hier nicht wie Fritzl, der ebenfalls das ‘grundlegendere’ Recht seiner Kinder schützte, in einem sicheren Zuhause zu leben, wo sie vor den Gefahren der Außenwelt geschützt wären? Anders gesagt, um Peter Sloterdijks Begriffe zu verwenden: Fritzl schützte das Recht seiner Kinder, in einer sicheren, in sich geschlossenen Sphäre zu leben – während er sich selbstverständlich das Recht vorbehielt, die Barriere ständig zu überschreiten und sogar thailändische Sex-Touristen-Resorts zu besuchen, die geradezu die Verkörperung jener Art Gefahr sind, vor der er seine Kinder schützen wollte. Man erinnere sich, dass Ceaus¸escu sich ebenfalls als fürsorgliche väterliche Autorität sah, als Vater, der seine Nation vor ausländischer Dekadenz schützt – wie in allen autoritären Regimen war das grundlegende Verhältnis zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen, was immer es sonst noch gewesen sein mag, eines bedingungslosen Liebens.
Bei der Fürsorge für seinen eigenen Haushalt, die Stadt Bukarest, machte Ceaus¸escu einen Vorschlag, der auf seltsame Weise an die Architektur von Fritzls Haus erinnert: Um das Problem des verschmutzten Flusses zu lösen, der durch die Stadt fließt, wollte er unter dem bestehenden Flussbett einen weiteren breiten Kanal ausheben, in den der ganze Schmutz geleitet würde, so dass es zwei Flüsse gegeben hätte, den tiefen mit der gesamten Verschmutzung und den Oberflächenfluss, an dem sich die glücklichen Bürger erfreuen könnten … Eine solche Zweiebenen-Unterscheidung ist konstitutiv für jede Ideologie, wie in John Carpenters They Live (1988) deutlich gemacht wurde, einem der vernachlässigten Meisterwerke der Hollywood-Linken. Der Film erzählt die Geschichte von John Nada (spanisch für ‘Nichts’!), einem obdachlosen Arbeiter, der Arbeit auf einer Baustelle in Los Angeles findet. Einer der anderen Arbeiter, Frank Armitage, nimmt ihn mit, um die Nacht in einer örtlichen Wellblechsiedlung zu verbringen. Während man ihm in jener Nacht die Gegend zeigt, bemerkt er ein seltsames Verhalten an einer kleinen Kirche gegenüber. Als er es am nächsten Tag untersucht, stößt er zufällig auf mehrere Kisten, die in einem geheimen Hohlraum in einer Wand versteckt sind, voller Sonnenbrillen. Als er später zum ersten Mal ein Paar aufsetzt, stellt er fest, dass ein Werbeplakat nun einfach das Wort ‘GEHORCHE’ zeigt, während ein anderes den Betrachter auffordert, ‘HEIRATE UND REPRODUZIERE’. Er sieht auch, dass Papiergeld nun die Worte ‘DAS IST DEIN GOTT’ trägt. Bald entdeckt er, dass viele Menschen in der Stadt tatsächlich Außerirdische sind, und dann, sobald sie merken, dass er sie so sehen kann, wie sie sind, trifft die Polizei ein. Nada entkommt und kehrt zur Baustelle zurück, um seine Entdeckungen mit Armitage zu besprechen, der an seiner Geschichte zunächst uninteressiert ist. Die beiden kämpfen, während Nada versucht, ihn zu überzeugen, und dann, ihn zu zwingen, die Sonnenbrille aufzusetzen. Als er es schließlich tut, schließt Armitage sich mit Nada zusammen, und sie nehmen Kontakt zu der Gruppe aus der Kirche auf, die den Widerstand organisiert. Bei der Sitzung der Gruppe erfahren sie, dass die primäre Methode der Außerirdischen zur Kontrolle ein Signal ist, das über das Fernsehen ausgesendet wird und dafür sorgt, dass die breite Öffentlichkeit sie nicht so sehen kann, wie sie sind. In der finalen Schlacht wird Nada nach der Zerstörung der Sendeantenne der Außerirdischen tödlich verwundet; als letzte sterbende Handlung zeigt er den Außerirdischen den Mittelfinger. Da das Signal nun abgeschaltet ist, sind die Menschen erschrocken, die Außerirdischen mitten unter sich zu finden.
Es gibt eine Reihe von Merkmalen, die man hier beachten sollte, an erster Stelle die direkte Verknüpfung zwischen dem klassischen Hollywood-Subgenre der ‘Invasion der Körperschnapper’ – Außerirdische unter uns, die, unsichtbar für unseren Blick, unser Leben führen – und Klassenantagonismus, ideologischer Herrschaft und Ausbeutung. Man kann nicht umhin, von der bodenständigen Darstellung des elenden Lebens armer Arbeiter in der Wellblechsiedlung beeindruckt zu sein. Dann gibt es natürlich die schön naive Mise-en-scène der Ideologie: Durch die kritisch-ideologischen Brillen sehen wir direkt den Herrensignifikanten unter der Wissenskette – wir lernen, Diktatur in der Demokratie zu sehen. Dies könnte uns an die nicht allzu bekannte Tatsache erinnern, dass in den 1960er Jahren die Führung der Kommunistischen Partei Amerikas, um ihr Scheitern bei der Mobilisierung der Arbeiter zu erklären, ernsthaft die Idee erwog, die US-Bevölkerung werde durch den geheimen Einsatz von Drogen kontrolliert, die über die Luft und die Wasserversorgung verteilt würden. Aber wir brauchen keine Außerirdischen, keine geheimen Drogen oder Gase – die Form der Ideologie erledigt die Arbeit auch ohne sie. Wegen dieser Form inszeniert die dargestellte Szene dennoch unsere Realität. Schauen Sie auf die Titelseite unserer Tageszeitungen: Jede Schlagzeile, selbst und besonders wenn sie vorgibt, lediglich zu informieren, ist eine implizite Anweisung. Wenn man Sie bittet, zwischen liberaler Demokratie und Fundamentalismus zu wählen, ist es nicht nur so, dass der eine Begriff offensichtlich bevorzugt wird – wichtiger ist, und die eigentliche Anweisung ist, dass Sie dies als die einzig wahre Alternative sehen, jede dritte Option ignorierend.
Marxisten akzeptieren diesen Aspekt des Kampfes um Diktatur; sie machen den Kampf sichtbar und praktizieren ihn offen. Warum? Kehren wir zum Film zurück: Sobald Sie die Brille aufsetzen und den Herrensignifikanten direkt sehen, bestimmt er Sie nicht mehr. Das heißt, bevor Sie die ideologische Anweisung durch die Brille sehen, haben Sie sie ebenfalls gesehen, waren sich dessen aber nicht bewusst. Um auf den vierten fehlenden Begriff der rumsfeldianischen Epistemologie zu verweisen: Die Anweisungen waren Ihre ‘unbekannten Bekannten’. Deshalb tut es weh, sie wirklich zu sehen. Als der Held versucht, seinen Freund zu überzeugen, die Brille aufzusetzen, widersetzt sich der Freund, und es folgt ein langer Kampf, eines Fight Club würdig (ein weiteres Meisterwerk der Hollywood-Linken). Die hier inszenierte Gewalt ist positive Gewalt, eine Bedingung der Befreiung – die Lehre ist, dass unsere Befreiung von der Ideologie kein spontaner Akt ist, kein Akt der Entdeckung unseres wahren Selbst. Wir erfahren im Film, dass man, wenn man zu lange durch kritisch-ideologische Brillen auf die Wirklichkeit blickt, starke Kopfschmerzen bekommt: Es ist sehr schmerzhaft, des ideologischen Mehrgenusses beraubt zu werden. Um die wahre Natur der Dinge zu sehen, brauchen wir die Brille: Es ist nicht so, dass wir ideologische Brillen abnehmen müssten, um die Realität direkt so zu sehen, wie sie ist – wir sind ‘natürlich’ in der Ideologie, unser natürlicher Blick ist ideologisch.
Es gibt ein weiteres Merkmal, das diese Szene mit ideologisch-kritischen Brillen zeitgenössisch macht: In ihr ist die ideologische Anweisung verborgen, so dass sie nur durch die Brille direkt gesehen werden kann. Ein solches Verhältnis zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem ist in zeitgenössischen ‘konsumistischen’ Gesellschaften vorherrschend, in denen wir, die Subjekte, nicht mehr im Namen einer großen ideologischen Identität interpelliert werden, sondern direkt als Subjekte der Lust, so dass die implizierte ideologische Identität unsichtbar ist. So funktioniert der Diskurs der Universität: Seine Wahrheit, die Anweisung des Herrn, ist unter dem Balken verborgen. Im traditionellen Diskurs des Herrn, wo wir direkt interpelliert werden, ist das Verhältnis (fast symmetrisch) umgekehrt – der explizite Text spricht uns als Anhänger einer großen Sache an, während die zwischen den Zeilen gelieferte implizite Botschaft den obszönen Mehrgenuss betrifft, mit dem wir bestochen werden, wenn wir uns der Sache unterwerfen: Werde ein guter Faschist … und du darfst Juden bestehlen, schlagen und lynchen; werde katholischer Priester, diene Gott … und du darfst zur Belohnung mit Jungen spielen; heirate ordentlich … und eine gelegentliche diskrete Affäre wird toleriert. Man kann sich daher die Art von invertierten ideologischen Brillen vorstellen, die diese implizite obszöne Botschaft ausschreiben würden: etwa ein Wahlplakat einer nationalistisch-populistischen Partei, das Sie auffordert, sich für Ihr Land zu opfern, das aber, wenn man es durch die Brille betrachtet, zeigt, wie Sie davon profitieren werden, die Beute Ihres Opfers – die Erlaubnis, Ausländer zu demütigen, und so weiter, als Teil Ihrer patriotischen Pflicht. Oder stellen Sie sich ein Plakat in einer Kleinstadt im amerikanischen Süden während der Ku-Klux-Klan-Ära vor, das Sie auffordert, ein guter Christ zu sein und die westliche Zivilisation zu verteidigen, das aber, wenn man es durch die Brille sieht, erklärt, dass Sie schwarze Frauen vergewaltigen, schwarze Männer lynchen dürfen … Es gibt noch eine weitere Weise, sich die Funktionsweise der ideologischen Brillen vorzustellen: Wenn Ihnen eine Szene hungernder Kinder in Afrika gezeigt wird und Sie aufgefordert werden, etwas zu tun, um ihnen zu helfen, wäre die wahre Botschaft, die durch die Brille sichtbar wird, so etwas wie ‘Denk nicht, politisiere nicht, vergiss die wahren Ursachen ihrer Armut, handle einfach, spende Geld, damit du nicht denken musst!’
Zurück zum langen Kampf zwischen Nada und Armitage, der damit beginnt, dass Nada zu Armitage sagt: ‘Ich gebe dir eine Wahl. Entweder setzt du diese Brille auf oder du fängst an, diesen Mülleimer zu fressen.’ (Die Szene spielt zwischen umgestürzten Mülleimern.) Der Kampf, der volle zehn überwältigende Minuten dauert, mit gelegentlichen Pausen für den Austausch freundlicher Lächeln, ist an sich völlig irrational – warum stimmt Armitage nicht zu, die Brille aufzusetzen, nur um seinen Freund zufriedenzustellen? Die einzige Erklärung ist, dass er weiß, sein Freund will, dass er etwas Gefährliches sieht, Zugang zu einem verbotenen Wissen erhält, das die relative Ruhe seines Alltagslebens völlig verderben wird.
Haben wir es hier also mit der einfachen Opposition zwischen der Realität und ihrer Fantasie-Ergänzung zu tun? Die Topologie ist komplexer: Dem Fantasma geht nicht die Realität voraus, sondern ein Loch in der Realität, ihr Punkt der Unmöglichkeit, der durch das Fantasma ausgefüllt wird. Lacans Name für diesen Punkt ist natürlich das objet petit a. Die verschlungene Topologie dieses Objekts, das den eigentlichen Fokus von The Plague of Fantasies bildet, lohnt eine nähere Untersuchung.
Als er mit Statistiken über den niedrigen Prozentsatz der Wähler konfrontiert wurde, die ihn unterstützten, sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mike Huckabee (eine Figur, die wirkt, als sei sie direkt einem alten populistischen Frank-Capra-Film entstiegen, wenn nicht einem Dickens-Roman) am 8. Februar 2008 auf der Conservative Political Action Conference: ‘Ich kenne die Kommentatoren, und ich weiß, was sie sagen, die Mathematik geht nicht auf. Nun, ich habe nicht Mathematik als Hauptfach gehabt, ich hatte Wunder als Hauptfach. Und ich glaube auch immer noch an die.’ Das ist nicht nur deshalb zitierenswert, um sich über das Niveau der politischen Debatte in den USA lustig zu machen; es verweist auf negative Weise auf einen zentralen Bestandteil von Alain Badious Denken, das gerade Mathematik und Wunder zusammenführt. Wenn wir von Wundern sprechen, sollten wir natürlich Lacans Qualifikation im Auge behalten, dass die einzige ‘Irrationalität’, deren Existenz er zugesteht, die der irrationalen Zahlen in der Mathematik ist – auf homologe Weise sind die einzigen ‘Wunder’, deren Existenz ein radikaler Materialist zugesteht, die mathematischen. Ein ‘Wunder’ ist schlicht das plötzliche Auftauchen des Neuen, das auf seine vorausgehenden Bedingungen nicht reduzierbar ist, von etwas, das seine Bedingungen rückwirkend ‘setzt’: Jeder authentische Akt erzeugt seine eigenen Bedingungen der Möglichkeit.
Was ist, bei näherem Hinsehen, dieses irrationale Element? Wie Badiou hervorhob, definiert sich eine ‘Welt’ in erster Linie nicht durch ihre positiven Merkmale, sondern durch die Weise, wie sich ihre Struktur auf ihren eigenen inhärenten (Punkt der) Unmöglichkeit bezieht.¹ Die klassische Mathematik verwarf die Quadratwurzel aus –1 als irrelevante Äußerlichkeit, als Unsinn, den man ignorieren müsse, während die moderne Mathematik dieses Unmögliche berechenbar macht, indem sie es mit dem Buchstaben I markiert (‘imaginäre Zahl’): Die Mathematik spaltet und formt sich historisch neu, indem sie Konstanten schafft, die diese unmöglichen Plätze besetzen: Die Quadratwurzel aus –1 wird zur imaginären Zahl getauft, die dann in einem neuen Raum von Berechnungen verwendet wird. (Ähnlich verhält es sich mit Cantors Konzeptualisierung unterschiedlicher Modalitäten des Unendlichen: des Transfiniten usw.)
Dasselbe gilt für den Kapitalismus: Seine Dynamik der permanenten Selbstrevolutionierung beruht auf dem endlosen Aufschub seines Punktes der Unmöglichkeit (Endkrise, Zusammenbruch). Was für andere, frühere Produktionsweisen eine gefährliche Ausnahme ist, ist für den Kapitalismus Normalität: Die Krise ist im Kapitalismus internalisiert, mit einkalkuliert, als der Punkt der Unmöglichkeit, der ihn zu kontinuierlicher Aktivität antreibt. Der Kapitalismus ist strukturell immer in der Krise – deshalb expandiert er die ganze Zeit: Er kann sich nur reproduzieren, indem er ‘aus der Zukunft borgt’; indem er in die Zukunft flieht. Der endgültige Kassensturz, in dem alle Schulden bezahlt wären, kann niemals eintreten. Marx hatte einen Namen für den sozialen Punkt der Unmöglichkeit: ‘Klassenkampf’.
Und vielleicht sollte man dies auf die eigentliche Definition des Menschseins ausdehnen: Was den Menschen letztlich vom Tier unterscheidet, ist nicht ein positives Merkmal (Sprache, Werkzeugherstellung, reflexives Denken oder was auch immer), sondern das Auftauchen eines neuen Punktes der Unmöglichkeit, den Freud und Lacan als das Ding bezeichneten, den unmöglich-real(en) letzten Bezugspunkt des Begehrens. Der oft festgestellte experimentelle Unterschied zwischen Menschen und Affen gewinnt hier sein ganzes Gewicht: Wenn ein Affe mit einem Gegenstand konfrontiert ist, der außerhalb seiner Reichweite liegt und den er wiederholt nicht zu erlangen vermag, wird er ihn aufgeben und zu einem bescheideneren Gegenstand übergehen (etwa zu einem weniger attraktiven Sexualpartner), während ein Mensch in seinem Bemühen verharrt und vom Unmöglichen gebannt bleibt.
Deshalb ist das Subjekt als solches hysterisch: Das hysterische Subjekt ist genau ein Subjekt, das Jouissance als Absolutes setzt; es antwortet auf das Absolute der Jouissance in der Form unbefriedigten Begehrens. Ein solches Subjekt ist fähig, sich auf einen Begriff zu beziehen, der tabu ist; noch radikaler: Es ist ein Subjekt, das nur existieren kann, insofern es sich auf einen Begriff bezieht, der ‘außer Spiel’ ist. Hysterie ist somit die elementare ‘menschliche’ Weise, einen Punkt der Unmöglichkeit in der Gestalt absoluter Jouissance zu installieren. Ist Lacans il n’y a pas de rapport sexuel nicht ebenfalls ein solcher Punkt der Unmöglichkeit, der konstitutiv dafür ist, Mensch zu sein?
Wenn Kognitivisten, von Dennett an, versuchen, Bewusstsein zu erklären, zählen sie eine ganze Reihe spezifisch menschlicher Fähigkeiten auf, die ‘ohne Bewusstsein nicht wirklich funktionieren können’. Was aber, wenn wir statt dessen, uns darauf zu konzentrieren, was nur mit Bewusstsein möglich ist, das Gelände wechseln und fragen sollten: Was ist der spezifische Punkt der Unmöglichkeit des Bewusstseins? Was ist es, was wir mit Bewusstsein nicht tun können? Wie ist Bewusstsein bezogen auf das, dessen wir a priori nicht bewusst werden können? Und welches unüberbietbare Scheitern brachte Bewusstsein hervor? Ist Bewusstsein auf seiner Nullstufe nicht Bewusstsein eines Scheiterns – des Anpralls an eine Wand radikaler Unmöglichkeit? Hier taucht das Thema der Sterblichkeit wieder auf: Wenn Heidegger behauptet, nur der Mensch (nicht ein Tier) sei sterblich, bedeutet dies wiederum, dass der Tod die letzte Möglichkeit der Unmöglichkeit eines menschlichen Wesens ist, sein inhärenter Punkt der Unmöglichkeit, etwas, womit man rechnet und worauf man sich bezieht, im Gegensatz zu einem Tier, für das der Tod einfach äußerlich ist.
Dieser Punkt ist das objet a, das, was von der Realität abgezogen wird (weil es unmöglich ist) und ihr so Konsistenz verleiht – wenn es in die Realität einbezogen wird, verursacht es eine Katastrophe. In welchem Sinn rahmt das objet a (Mehrgenuss) die Realität? Denken wir zum Beispiel an das Motiv der ‘Herstellung eines Paares’, das eine Hollywood-Erzählung über ein großes historisches Ereignis wie einen Krieg oder eine Naturkatastrophe rahmt: Dieses Motiv ist buchstäblich der ideologische Mehrgenuss des Films. Obwohl wir die spektakulären Aufnahmen der Katastrophe direkt genießen (Schlachten, die gigantische Welle, die Städte zerstört, das Sinken der Titanic …), wird der Mehrgenuss durch die Nebenhandlung des Paares geliefert, die einen ‘Rahmen’ für das spektakuläre Ereignis bildet – der Asteroid, der in Deep Impact die Erde trifft, materialisiert den Zorn der Tochter auf die neue Ehe ihres Vaters; in Reds dient die Oktoberrevolution dazu, die Liebenden wieder zu vereinen; die wilden Dinosaurier in Jurassic Park verkörpern die aggressive Zurückweisung väterlicher Autorität und Fürsorge durch die Vaterfigur, und so weiter. Es ist dieser Rahmen (durch den wir das spektakuläre Ereignis wahrnehmen), mit seinem Mehrgenuss, der uns libidinös ‘bestecht’, die Ideologie der Geschichte zu akzeptieren.
Der Held von Perfume (Patrick Süskinds Roman und Tom Tykwers Film) ist ein Beispiel für eine Subjektivität, die durch eine solche katastrophale Einbeziehung ruiniert ist. Lacan ergänzte Freuds Liste partieller Objekte (Brust, Kot, Penis) um zwei weitere Objekte: Stimme und Blick. Vielleicht sollten wir dieser Reihe noch ein weiteres Objekt hinzufügen: Geruch. Süskinds Perfume scheint in diese Richtung zu weisen. Grenouille, der unglückliche Held des Romans, ist ohne jeden Geruch, so dass andere ihn nicht riechen können; er selbst besitzt jedoch einen außergewöhnlichen Geruchssinn, so dass er Menschen aus großer Entfernung wahrnehmen kann. Als seine ideale Frau zufällig stirbt, versucht er, nicht sie in ihrer körperlichen Existenz nachzuschaffen (Perfume ist ein wahrer Anti-Frankenstein), sondern ihren Geruch, indem er fünfundzwanzig hübsche junge Frauen tötet und die Oberfläche ihrer Haut abschabt, um ihre Gerüche zu extrahieren, sie zu dem idealen Parfüm mischend. Dieses unwiderstehliche Parfüm ist das ultimative odor di femina, die extrahierte ‘Essenz’ der Weiblichkeit: Wann immer gewöhnliche Menschen es riechen, setzen sie alle rationalen Hemmungen außer Kraft und geben sich der Wonne einer sexuellen Orgie hin. Als Grenouille gegen Ende des Romans wegen des Mordes an den fünfundzwanzig Jungfrauen verhaftet und zur öffentlichen Hinrichtung verurteilt wird, genügt es, dass er ein mit dem ultimativen Parfüm getränktes Taschentuch vor der versammelten Menge schwenkt, die, ihre Rufe nach seinem Tod sofort vergessend, beginnt, sich auszuziehen und Handlungen der Verderbtheit zu begehen. Die extrahierte Weiblichkeit ist das, was Lacan das objet petit a nannte, das Objekt-Ursache des Begehrens, das, was ‘in dir mehr als du’ ist und mich dich begehren lässt; deshalb muss Grenouille die Jungfrauen töten, um ihnen ihre Essenz zu entnehmen; oder, wie Lacan es ausdrückte: ‘Ich liebe dich, aber da ist etwas in dir, mehr als du selbst, das ich liebe, objet petit a, also zerstöre ich dich.’
Grenouilles Schicksal ist jedoch tragisch: Da er geruchlos ist, ist er ein reines Subjekt, ohne Objekt-Ursache des Begehrens in sich, und als solcher wird er von anderen niemals begehrt. Was er aus dieser Lage gewinnt, ist der direkte Zugang zur Objekt-Ursache des Begehrens: Während gewöhnliche Individuen eine andere Person wegen der Verlockung des objet a in ihr begehren, hat er direkten Zugang zu diesem Objekt. Gewöhnliche Individuen können nur begehren, insofern sie Opfer einer Illusion werden: Sie glauben, sie begehrten eine andere Person wegen ihr oder ihm, das heißt, sie sind sich nicht bewusst, dass ihr Begehren durch die Essenz/den Geruch verursacht ist, der mit der Person als solcher nichts zu tun hat. Da Grenouille die Person umgehen und direkt auf die Objekt-Ursache des Begehrens zielen kann, kann er diese Illusion vermeiden – deshalb ist Erotismus für ihn ein lächerliches Spiel der Lockungen. Der Preis, den er dafür zahlt, ist jedoch, dass er niemals die inverse Illusion akzeptieren kann, dass jemand ihn liebt: Er ist sich immer bewusst, dass nicht er, sondern sein Parfüm die Menschen dazu bringt, ihn zu verehren. Der einzige Ausweg aus dieser Lage, der einzige Weg, sich als Objekt des Begehrens der anderen zu setzen, ist suizidal: In der letzten Szene des Romans verschüttet er Parfüm auf sich und wird dann buchstäblich von einem Haufen Diebe, Bettler und Huren zerrissen und verschlungen.
Und ist diese gewaltsame Reduktion der Sache auf ihr objet a nicht auch ein Beispiel dessen, was Badiou Subtraktion nennt? Man zieht von der Sache ihren dezentrierten Kern ab und lässt ihren toten Körper zurück. Das Gegenteil dieser Subtraktion, und ebenfalls eine Weise, das objet a zu erzeugen, ist Protraktion. Ein Beispiel aus dem Kino ist ein formales Verfahren Tarkowskijs, das, angesichts seiner sowjetischen Herkunft, nicht umhin kann, ironisch an das (un)berüchtigte dialektische ‘Gesetz’ der Verwandlung von Quantität in Qualität zu erinnern, es ergänzt durch eine Art ‘Negation der Negation’ (die Stalin als zu hegelianisch, nicht richtig ‘materialistisch’, aus der Liste dieser ‘Gesetze’ strich):
Tarkowski schlug vor, dass, wenn eine Einstellung verlängert wird, beim Publikum ganz natürlich Langeweile einsetzt. Wenn die Einstellung jedoch noch weiter ausgedehnt wird, entsteht etwas anderes: Neugier. Tarkowski schlägt im Wesentlichen vor, dem Publikum Zeit zu geben, die Welt zu bewohnen, die die Einstellung uns zeigt, sie nicht anzuschauen, sondern sie zu betrachten, sie zu erkunden.²
Vielleicht ist das ultimative Beispiel dieses Verfahrens die berühmte Szene in Tarkowskijs Mirror, in der die Heldin, die als Korrektorin bei einer Tageszeitung in der Sowjetunion der mittleren 1930er Jahre arbeitet, im Regen von ihrem Zuhause zur Druckerei rennt, aus Angst, sie habe eine obszöne Fehlsetzung von Stalins Namen übersehen. (Tarkowski bezieht sich hier auf die Legende, nach der zur Zeit der dunkelsten Säuberungen eine Ausgabe der Pravda beinahe gedruckt worden wäre, in der Stalin als ‘Sralin’ falsch geschrieben wurde – der Scheißer, vom Verb ‘srat’, scheißen. Am Ende der Szene flüstert die Schauspielerin, erleichtert, dass der fatale Fehler nicht passiert ist, das Wort ihrer Freundin ins Ohr.) Sean Martin hat recht, die unerwartet unmittelbare physische Schönheit der Szene zu betonen:
Es ist, als wäre Tarkowski zufrieden, einfach Margarita Terekhova dabei zuzusehen, wie sie durch den Regen läuft, Stufen hinunter, über Höfe, in Korridore. Hier offenbart Tarkowski die Präsenz von Schönheit in etwas, das scheinbar banal ist und, paradoxerweise (angesichts der Epoche), für Maria auch potenziell tödlich sein könnte, wenn der Fehler, von dem sie glaubt, ihn gemacht zu haben, in den Druck gegangen ist.³
Dieser Schönheitseffekt wird gerade durch die übermäßige Länge der Szene erzeugt: Statt Maria bloß beim Rennen zuzusehen und, in die Erzählung versenkt, uns zu sorgen, ob sie rechtzeitig ankommt, um die Katastrophe zu verhindern, werden wir dazu verführt, die Szene zu betrachten, ihre phänomenalen Merkmale wahrzunehmen, die Intensität der Bewegungen und so weiter.
Die dritte Figur des objet a, nach Subtraktion und Protraktion, ist die der Obstruktion: das objet a als Agens der List der Vernunft, das Hindernis, das die Verwirklichung unserer Ziele stets stört. Ein weiteres Beispiel aus dem Kino: Der libidinöse Fokus der Coen-Brüder in No Country for Old Men (2007) ist die Figur des pathologischen Auftragskillers, gespielt von Javier Bardem – eine gnadenlose Tötungsmaschine, mit einer eigenen Ethik, die zu ihrem Wort steht, eine Figur dessen, was Kant das diabolische Böse nannte. Wenn er am Ende des Films die Frau des Helden unter Druck setzt, Kopf oder Zahl zu wählen (was darüber entscheidet, ob sie lebt oder stirbt), antwortet sie, er solle sich nicht hinter dem Wurf einer Münze verstecken – sein Wille entscheide, ob er sie töte. Er antwortet, sie verstehe nicht: Er, sein Wille, sei wie die Münze. Der Schlüssel zu dieser Figur liegt darin, dass sie keine Person aus dem wirklichen Leben ist, sondern eine Fantasie-Entität – die Verkörperung des reinen Objekt-Hindernisses, jenes unergründlichen ‘x’ des blinden Schicksals –, das immer, in einer seltsamen Mischung aus Zufall und unerbittlicher Notwendigkeit, als Notwendigkeit eines Zufalls (ein Anflug von Pech), interveniert, um die Erfüllung der Pläne und Absichten der Subjekte zu unterminieren, und garantiert, dass, so oder so, die Dinge immer irgendwie schiefgehen werden.
Man sollte die von Bardem gespielte Figur als das Gegenstück zum resignierten alten Sheriff (Tommy Lee Jones) verorten, der ständig über den Wahnsinn und die Gewalt der Gegenwart klagt – auf ihn bezieht sich der Titel des Films. Der Sheriff ist der ohnmächtig gemachte Meister, die gescheiterte väterliche Autorität, während die Bardem-Figur die Ursache seines Zusammenbruchs verkörpert. Die richtige Art, No Country for Old Men zu lesen, besteht daher darin, sich zuerst dieselbe Geschichte ohne die Bardem-Figur vorzustellen: nur das Dreieck aus dem Helden, der mit dem Geld davonläuft, nachdem er über den Ort der Schießerei der Gangster gestolpert ist; der Mafia, die einen Freelancer (Woody Harrelson) anheuert, um das Geld zurückzuholen; und dem Sheriff, der ihr Zusammenspiel aus vernünftiger Distanz beobachtet, den einen gegen den anderen ausspielt und den glücklichen (oder zumindest gerechten) Ausgang garantiert. Die Bardem-Figur ist das vierte Element, das objet a, das das Spiel ruiniert.
Anders gesagt: Das objet a verhindert, dass der Brief an seinem Bestimmungsort ankommt – aber tut es das? Wirkt hier nicht eine List der Vernunft, so dass wir durch die Tatsache selbst, dass der Brief seinen wahren Bestimmungsort verfehlt hat, gezwungen sind, unsere Perspektive zu ändern und den Bestimmungsort neu zu bestimmen? Der Darwin Award 2001 für die dümmste Handlung der Selbstvernichtung wurde einer unglücklichen Frau vom rumänischen Land verliehen, die mitten in ihrem eigenen Leichenzug aufwachte – nachdem sie begriffen hatte, was vor sich ging, und aus ihrem Sarg gekrochen war, rannte sie in blindem Entsetzen davon, nur um auf einer stark befahrenen Straße von einem Lastwagen erfasst und sofort getötet zu werden. Also wurde sie zurück in den Sarg gelegt, und der Leichenzug ging weiter wie zuvor … Ist dies nicht das ultimative Beispiel dessen, was wir Schicksal nennen – eines Briefes, der an seinem Bestimmungsort ankommt?
Das Schicksal von Nikolai Bucharins ‘Testament’, einem Brief, den er 1938, am Vorabend seiner Hinrichtung, an seine Frau Anna Larina schrieb, ist ein tragischer Fall dafür, wie ein Brief immer an seinem Bestimmungsort ankommt. Der Brief verschwand in den geheimen sowjetischen Archiven und wurde Anna Larina erst 1992 zugestellt:
Bucharin ermahnte sie am Vorabend seines schicksalhaften Prozesses: ‘Denk daran, dass die große Sache der UdSSR weiterlebt, und das ist das Wichtigste. Persönliche Schicksale sind vergänglich und im Vergleich erbärmlich.’ Sie las ihn in einer Welt, in der die UdSSR gerade zusammengebrochen war.⁴
Bucharins Brief kam an seinem Bestimmungsort an – er erreichte Anna Larina – in genau dem richtigen Moment; man kann sogar sagen, er wurde so früh wie möglich zugestellt, das heißt, sobald die historische Situation es möglich machte, dass seine Zustellung einen Wahrheitseffekt erzeugen würde. Bucharin nahm sein tragisches Schicksal als unbedeutend im Vergleich zum Gedeihen der großen historischen Sache der UdSSR wahr – die Kontinuität dieser Sache garantierte, dass sein Tod nicht sinnlos war. Nachdem die UdSSR verschwunden war gelesen, konfrontiert uns der Brief mit der Sinnlosigkeit von Bucharins Tod: Es gibt keinen großen Anderen, der ihn erlösen könnte, er starb buchstäblich umsonst.
Die allgemeine Lehre daraus ist, dass man, um eine Szene oder eine Äußerung zu interpretieren, manchmal das Entscheidende darin besteht, ihren wahren Adressaten zu lokalisieren. In einem der besten Perry-Mason-Romane wird der Anwalt Zeuge eines polizeilichen Verhörs eines Paares, in dessen Verlauf der Ehemann dem Polizisten in unerwartet großer Ausführlichkeit erzählt, was geschehen ist, was er gesehen hat und was er außerdem glaubt, dass auch geschehen sei – warum dieser Informationsüberschuss? Die Erklärung: Das Paar hatte den Mord begangen, und da der Ehemann wusste, dass er und seine Frau bald verhaftet und voneinander getrennt würden, nutzte er diese Gelegenheit, ihr die (falsche) Geschichte zu erzählen, an der beide festhalten sollten – der wahre Adressat seines endlosen Redens war somit nicht die Polizei, sondern seine Frau.
Subtraktion, Protraktion, Obstruktion: drei Versionen desselben übermäßigen/fehlenden Objekts, eines Objekts, das nie an seinem eigenen Platz ist, ihn immer verfehlt und ihn übersteigt. Die Beziehung zwischen Anorexie und Bulimie ist eines der höchsten Beispiele einer solchen Identität von Mangel und Überschuss: Anorexiker werden in der Regel zu Bulimikern und kehren dann, um sich zu bestrafen, zur Anorexie zurück. Bulimiker essen im Übermaß, während für Anorexiker jede Nahrung bereits ein Überschuss ist, ein widerlicher Fremdkörper, der ausgestoßen werden muss. Deshalb fallen die beiden zusammen: Beide fehlt das ‘gemeinsame Maß’ der normalen Essgewohnheit; beide bezeugen das Ungleichgewicht, das durch das Auftauchen von Subjektivität in den animalischen Rhythmus der Verdauung eingeführt wird – und die Objekt-Ursache dieses Ungleichgewichts ist genau das objet a, der Mehrgenuss.
Einleitung
Stellen wir uns in der Standardsituation männlich-chauvinistischer Eifersucht vor: Plötzlich erfahre ich, dass meine Partnerin Sex mit einem anderen Mann hatte – OK, kein Problem, ich bin rational, tolerant, ich akzeptiere es … aber dann überwältigen mich unwiderstehlich Bilder, konkrete Bilder dessen, was sie getan haben (warum musste sie ihn genau dort lecken? Warum musste sie ihre Beine so weit spreizen?), und ich bin verloren, schwitzend und zitternd, mein Frieden für immer dahin. Diese Plage von Fantasien, von der Petrarca in My Secret spricht, Bilder, die das klare Denken verschwimmen lassen, wird in den heutigen audiovisuellen Medien auf die Spitze getrieben. Unter den Antagonismen, die unsere Epoche charakterisieren (Globalisierung des Weltmarkts versus Behauptung ethnischer Partikularismen usw.), gehört vielleicht der Schlüsselplatz dem Antagonismus zwischen der Abstraktion, die unser Leben zunehmend bestimmt (in Gestalt von Digitalisierung, spekulativen Marktbeziehungen usw.), und der Sintflut pseudo-konkreter Bilder. In den guten alten Tagen der traditionellen Ideologiekritik bestand das paradigmatische kritische Verfahren darin, von ‘abstrakten’ (religiösen, rechtlichen …) Begriffen auf die konkrete soziale Realität zurückzugehen, in der diese Begriffe verwurzelt waren; heute scheint das kritische Verfahren immer mehr gezwungen zu sein, den entgegengesetzten Weg zu gehen, von pseudo-konkreter Bildlichkeit zu abstrakten (digitalen, marktmäßigen …) Prozessen, die unsere Lebenserfahrung effektiv strukturieren.
Dieses Buch geht systematisch, aus einer lacanianischen Perspektive, an die Voraussetzungen dieser ‘Plage der Fantasien’ heran. Das erste Kapitel (‘Die sieben Schleier der Fantasie’) arbeitet die Konturen des psychoanalytischen Begriffs der Fantasie aus, mit besonderer Berücksichtigung der Weise, in der Ideologie auf einen phantasmatischen Hintergrund angewiesen sein muss. Das zweite Kapitel (‘Liebe deinen Nächsten? Nein, danke!’) behandelt die ambivalente Beziehung zwischen Fantasie und Jouissance: die Weise, in der Fantasie das Genießen belebt und strukturiert, während sie zugleich als schützender Schild gegen dessen Exzess dient. Das dritte Kapitel (‘Fetischismus und seine Wechselfälle’) konzentriert sich auf die Aporien im Begriff des Fetischismus als paradigmatischem Fall phantasmatischer Verführung, von seinen religiösen Ursprüngen bis zu seinen postmodernen Umwälzungen. Das letzte Kapitel (‘Cyberspace, oder, der unerträgliche Abschluss des Seins’) nimmt das Thema Cyberspace als die jüngste Version der ‘Plage der Fantasien’ direkt in Angriff und bemüht sich, die Antwort auf die Frage zu skizzieren, wie die fortschreitende Digitalisierung den Status der Subjektivität beeinflussen wird. Die drei Anhänge zu diesen vier Hauptkapiteln analysieren drei Beispiele der Unrepräsentierbarkeit des Realen als der inhärenten Kehrseite der ‘Plage der Fantasien’: das Scheitern bei der Darstellung des Sexualakts im Kino (‘Vom Erhabenen zum Lächerlichen: Der Sexualakt im Kino’); die Einschreibung der Subjektivität in den Zusammenbruch der melodischen Linie in der Musik (‘Robert Schumann: Der romantische Anti-Humanist’); und die Verwerfung des Inhalts des moralischen Gesetzes in der modernen (kantischen) Ethik (‘Das unbewusste Gesetz: Auf dem Weg zu einer Ethik jenseits des Guten’).
[…] Plage der Fantasien (playlist)1. Die Plage der Fantasien2. Die Schleier der Fantasie3. Liebe deinen Nächsten4. Fetischismus & Interpassivität5. […]
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