Die Plage der Fantasien 4

3Fetischismus und seine Wechselfälle

Sich bewegende Statuen, erstarrte Körper

Wie verhält sich die Psychoanalyse zu der Verschiebung von der traditionellen Autorität einer von Generation zu Generation weitergegebenen Weisheit zur Herrschaft des Expertenwissens – das heißt, zur Vorherrschaft der modernen reflektierten Haltung, der die Stütze in der Tradition fehlt? Psychoanalyse ist weder eine neue Version der Rückkehr zur Tradition gegen das Übermaß moderner Reflexivität (‘wir sollten uns der Spontaneität unseres wahren Selbst öffnen, seinen archaischen, ursprünglichen Kräften’ – es war Jung, der diese antimodernistische Umkehrung der Psychoanalyse vollzog) noch einfach eine weitere Version des Expertenwissens, das uns befähigt, auch unsere tiefsten unbewussten Prozesse zu verstehen und sie damit rational zu beherrschen. Psychoanalyse ist vielmehr eine Art modernistische Meta-Theorie der Aporie der Moderne: Warum ist das Subjekt trotz seiner ‘Befreiung’ von den Zwängen traditioneller Autorität nicht ‘frei’? Warum misslingt der Rückzug traditioneller ‘repressiver’ Verbote nicht nur darin, uns von Schuld zu entlasten, sondern verstärkt sie sogar? Zudem wird heute die Opposition zwischen Tradition und Expertenwissen immer stärker reflexiv ‘vermittelt’: Die eigentliche ‘Rückkehr zur traditionellen Weisheit’ wird zunehmend von einer Vielzahl von Expert:innen (für transzendentale Meditation, für die Entdeckung unseres wahren Selbst …) abgewickelt.

Das genaue Gegenteil davon ist der sogenannte magische Realismus in der Literatur, der seinerseits als Hintergrund die Opposition zwischen dem traditionellen verzauberten Universum und der Moderne voraussetzt: Der magische Realismus präsentiert den eigentlichen Prozess der Modernisierung (die Ankunft der Maschinen, den Zerfall alter sozialer Strukturen) vom Standpunkt des traditionellen ‘verzauberten’ geschlossenen Universums aus – von diesem Blickpunkt aus sieht die Modernisierung selbst natürlich wie die ultimative Magie aus …¹ Und finden wir nicht etwas Ähnliches im New-Age-Kult des Cyberspace, der versucht, die Rückkehr zu alter heidnischer Weisheit in der höchsten Technologie zu verankern? (Vielleicht ist der ästhetische Postmodernismus als solcher ein verzweifelter Versuch, vormoderne Verzauberung in den Prozess der Modernisierung einzuspeisen.) So haben wir eine doppelte Bewegung reflexiver Vermittlung: (die Rückkehr zur) Tradition selbst wird zum Objekt moderner Expertise; die Modernisierung selbst wird zum Ultimativen an (traditioneller) Magie – ist das nicht analog zur Opposition zwischen Bewegung und Bild, wo die Bewegung des Lebens selbst als die magische Belebung ‘toter’ Bilder gedacht wird, während zugleich die ‘tote’ Statue oder das Foto als die ‘eingefrorene’, immobilisierte Bewegung des Lebens gedacht wird?

Diese Dialektik der Mortifikation ist entscheidend für unser Verständnis des zugrunde liegenden phantasmatischen Hintergrunds ideologischer Formationen. Es ist zutiefst bedeutsam, dass die Fotografie, das Medium der Immobilisierung, zunächst als etwas wahrgenommen wurde, das die Mortifikation des lebendigen Körpers mit sich bringt. Ähnlich wurde die Röntgenaufnahme als das wahrgenommen, was das ‘Innere’ des Körpers (das Skelett) direkt sichtbar macht. Man erinnere sich daran, wie die Medien gegen Ende des vorigen Jahrhunderts Roentgens Entdeckung der Röntgenstrahlen präsentierten: Die Idee war, dass Röntgenstrahlen es uns erlauben, einen Menschen, der noch lebt, so zu sehen, als wäre er bereits tot, reduziert auf ein bloßes Skelett (mit natürlich dem zugrunde liegenden theologischen Begriff der vanitas : Durch den Roentgen-Apparat sehen wir ‘was wir wirklich sind’, in den Augen der Ewigkeit …). Womit wir es hier zu tun haben, ist die negative Verknüpfung zwischen Sichtbarkeit und Bewegung: In ihrem ursprünglichen phänomenologischen Status ist Bewegung gleich Blindheit; sie verwischt die Konturen dessen, was wir wahrnehmen: Damit wir den Gegenstand klar wahrnehmen können, muss er eingefroren, immobilisiert sein – Unbeweglichkeit macht ein Ding sichtbar. Diese negative Verknüpfung erklärt die Tatsache, dass der ‘unsichtbare Mann’ aus Whales Film gleichen Namens in dem Augenblick seines Todes wieder sichtbar wird: ‘die Person, die aufgehört hat zu leben, existiert vollständiger als wenn sie tatsächlich lebendig ist und sich vor uns bewegt’.² Platons Ontologie und der lacanianische Begriff des Spiegelbildes, das Bewegung wie eine blockierte Filmrolle einfriert, überlappen hier: Nur Unbeweglichkeit verschafft eine feste sichtbare Existenz.³

Vor diesem Hintergrund kann man den Gegensatz zwischen dem gotischen Motiv einer sich bewegenden Statue (oder eines Bildes) und seinem Gegenstück, dem umgekehrten Verfahren der tableaux vivants, herausarbeiten. In seinen Wahlverwandtschaften liefert Goethe eine schöne Beschreibung der Praxis der tableaux vivants in aristokratischen Kreisen des achtzehnten Jahrhunderts: Berühmte Szenen aus Geschichte oder Literatur wurden zur häuslichen Unterhaltung inszeniert, wobei die lebenden Figuren auf der Bühne regungslos blieben – das heißt, der Versuchung zu bewegen widerstanden.⁴ Diese Praxis der tableaux vivants ist in die lange ideologische Tradition einzuordnen, eine Statue als einen eingefrorenen, immobilisierten lebendigen Körper zu begreifen, als einen Körper, dessen Bewegungen gelähmt sind (gewöhnlich durch eine Art bösen Zauber): Die Unbeweglichkeit der Statue impliziert somit unendlichen Schmerz – das objet petit a, das durch die Steifheit des lebendigen Körpers, durch sein Erstarren zur Gestalt einer Statue, erzeugt wird, ist gewöhnlich ein Zeichen von Schmerz, der durch die Statue wundersam gefiltert wird, vom Bluttröpfeln an der Gartenstatue in gotischen Romanen bis zu den Tränen, die jede sich selbst respektierende Statue der Jungfrau Maria in katholischen Ländern wundersam vergießt. Das letzte in dieser Reihe ist die Figur des Straßenkünstlers, der als Statue verkleidet ist (meist als Ritter in Rüstung) und über lange Zeiträume immobilisiert bleibt: Er bewegt sich (macht eine Verbeugung) nur, wenn ein Vorübergehender Geld in seinen Becher wirft.⁵ Im Gegensatz zu dieser Vorstellung der Statue als eingefrorenem, immobilisiertem Körper wurde das Kino zu Beginn als das ‘bewegte Bild’ wahrgenommen, ein totes Bild, das wundersam lebendig wird – darin liegt seine gespenstische Qualität.⁶ Im Hintergrund lauert das dialektische Paradox der Phänomenologie unserer Wahrnehmung: Die Unbeweglichkeit einer Statue wird implizit als Zustand eines lebendigen Wesens gedacht, das in unendlichem Schmerz in Unbeweglichkeit eingefroren ist; während das bewegte Bild ein toter, unbeweglicher Gegenstand ist, der auf magische Weise lebendig wird – in beiden Fällen wird die Barriere, die das Lebendige vom Toten trennt, überschritten. Das Kino ist ein ‘bewegtes Bild’, das Kontinuum toter Bilder, die den Eindruck von Leben erzeugen, indem sie mit der richtigen Geschwindigkeit ablaufen; das tote Bild ist ein ‘Still’, ein ‘Freeze-Frame’ – das heißt, eine versteifte Bewegung.

Womit wir es hier zu tun haben, sind die zwei entgegengesetzten Fälle des eigentlich hegelianischen Paradoxons einer Gattung, die ihre eigene Art ist – die zwei Arten umfasst, sich selbst und die Art als solche. Es ist falsch zu behaupten, es gebe zwei Arten von Bildern, bewegte und unbewegliche: Das Bild ‘als solches’ ist unbeweglich, eingefroren, und das ‘bewegte Bild’ ist seine Unterart, das magische Paradox eines ‘toten’ Bildes, das als gespenstische Erscheinung lebendig wird. Andererseits ist der Körper als solcher lebendig, bewegt, und die Statue ist das Paradox eines lebendigen Körpers, der schmerzhaft in Unbeweglichkeit eingefroren ist …⁷ Eine weitere lacanianische Bemerkung lautet, dass der ursprüngliche Fixpunkt (oder Freeze) in dem, was wir sehen, der Blick selbst ist : Der Blick mortifiziert nicht nur sein Objekt, er steht selbst für den eingefrorenen Punkt der Unbeweglichkeit im Feld des Sichtbaren. Verkörpert nicht das Haupt der Medusa einen Blick, der erstarrt wurde, als er dem Ding zu nahe kam und ‘zu viel sah’? In einer Reihe von Hitchcock-Filmen wird der Effekt momentaner Immobilisierung durch den direkten Blick der Schauspieler in die Kamera erzeugt (Scottie in der Alptraumsequenz in Vertigo ; der Detektiv Arbogast, während er in Psycho abgeschlachtet wird; und der unglückliche Fane während seines suizidalen Trapezakts in Murder).

So schneidet der Horror in beide Richtungen: Was Horror hervorruft, ist nicht nur die Entdeckung, dass das, was wir für einen lebendigen Menschen hielten, eine tote mechanische Puppe ist (Hoffmanns Olympia), sondern auch – vielleicht noch mehr – die traumatische Entdeckung, dass das, was wir für ein totes Ding hielten (ein Haus, die Wand einer Höhle …), tatsächlich lebendig ist – plötzlich beginnt es zu sickern, zu zittern, sich zu bewegen, zu sprechen, zu handeln mit (böser) Absicht … So haben wir auf der einen Seite die ‘Maschine im Gespenst’ (ein Schiff, das von selbst segelt, ohne Besatzung; ein Tier oder ein Mensch, der als komplexer Mechanismus aus Gelenken und Rädern entlarvt wird) und auf der anderen das ‘Gespenst in der Maschine’ (ein Zeichen von plus-de-jouir in der Maschine, das den Effekt ‘Es lebt!’ hervorruft). Der Punkt ist, dass beide diese Exzesse desubjektiviert sind: Die ‘blinde’ Maschine ebenso wie die ‘acephale’ formlose Lebenssubstanz sind zwei Seiten des Triebs (vereinigt im Alien-Monster, einer Kombination aus Maschine und schleimiger Lebenssubstanz). In literarischer Fiktion begegnet man oft einer Person, die innerhalb des diegetischen Raums wie eine weitere Person erscheint, aber effektiv ein ‘Niemand’ ist, der desubjektivierte Horror des reinen Triebs, der als normales Individuum verkleidet ist. Zahlreiche Kommentatoren, von Kierkegaard an, haben darauf hingewiesen, dass Mozarts Don Giovanni tatsächlich ‘charakterlos’ ist, ein reiner maschinenhafter Eroberungstrieb ohne jede ‘Tiefe’ der Persönlichkeit: Der ultimative Horror dieser Person liegt in der Tatsache, dass sie überhaupt keine richtige Person ist.

Dieses Paradox bewegter Statuen, toter Gegenstände, die lebendig werden, und/oder versteinerten lebendigen Gegenständen, ist nur innerhalb des Raums des Todestriebs möglich, der nach Lacan der Raum zwischen den zwei Toden ist, dem symbolischen und dem realen. Für einen Menschen ‘tot im Leben’ zu sein bedeutet, von der ‘toten’ symbolischen Ordnung kolonisiert zu sein; ‘lebendig im Tod’ zu sein bedeutet, dem Rest der Lebenssubstanz, der der symbolischen Kolonisation entkommen ist (‘lamella’), Körper zu geben. Womit wir es hier zu tun haben, ist somit die Spaltung zwischen A und J, zwischen der ‘toten’ symbolischen Ordnung, die den Körper mortifiziert, und der nicht-symbolischen Lebenssubstanz der jouissance.

Diese beiden Begriffe bei Freud und Lacan sind nicht das, was sie in unserem alltäglichen oder standardwissenschaftlichen Diskurs sind: In der Psychoanalyse bezeichnen sie beide eine eigentlich monströse Dimension. Leben ist das schreckliche Pulsieren der ‘lamella’, des nicht-subjektiven (‘acephalen’) ‘untoten’ Triebs, der über den gewöhnlichen Tod hinaus fortbesteht; Tod ist die symbolische Ordnung selbst, die Struktur, die als Parasit das lebende Wesen kolonisiert. Was den Todestrieb bei Lacan definiert, ist diese doppelte Lücke: nicht die einfache Opposition zwischen Leben und Tod, sondern die Spaltung des Lebens selbst in ‘normales’ Leben und schreckenerregendes ‘untotes’ Leben, und die Spaltung des Toten in ‘gewöhnlich’ Totes und die ‘untote’ Maschine. Die Grundopposition zwischen Leben und Tod wird somit ergänzt durch die parasitäre symbolische Maschine (Sprache als totes Ding, das ‘sich verhält, als ob es ein eigenes Leben besäße’) und ihr Gegenstück, den ‘lebenden Toten’ (die monströse Lebenssubstanz, die im Realen außerhalb des Symbolischen fortbesteht) – diese Spaltung, die innerhalb der Bereiche von Leben und Tod verläuft, konstituiert den Raum des Todestriebs.⁸ Diese Paradoxien gründen in der Tatsache, dass es, wie Freud wiederholt betont, im Unbewussten keinen Begriff und keine Vorstellung des Todes gibt : Der freudsche Todestrieb hat absolut nichts mit dem heideggerschen Sein-zum-Tode zu tun. Der Trieb ist unsterblich, ewig, ‘untot’: Die Vernichtung, zu der der Todestrieb tendiert, ist nicht der Tod als die unüberbietbare Grenze des Menschen als endlichem Wesen. Unbewusst glauben wir alle, wir seien unsterblich – es gibt keine Todesangst [Todesangst] in unserem Unbewussten, weshalb das eigentliche Phänomen des ‘Bewusstseins’ in unserer Kenntnis der eigenen Sterblichkeit gründet.

Kierkegaards Begriff der ‘Krankheit zum Tode’ stützt sich ebenfalls auf den Unterschied zwischen den zwei Toden. Das heißt, die eigentliche ‘Krankheit zum Tode’, ihre Verzweiflung, ist der Standardverzweiflung des Individuums entgegenzusetzen, das zwischen der Gewissheit gespalten ist, dass der Tod das Ende ist, dass es kein Jenseits ewigen Lebens gibt, und seinem unstillbaren Wunsch zu glauben, dass der Tod nicht das Letzte ist – dass es ein anderes Leben gibt, mit seinem Versprechen von Erlösung und ewiger Seligkeit. Die ‘Krankheit zum Tode’ dagegen beinhaltet das entgegengesetzte Paradox des Subjekts, das weiß, dass der Tod nicht das Ende ist, dass es eine unsterbliche Seele hat, aber den exorbitanten Forderungen dieser Tatsache nicht gewachsen ist (der Notwendigkeit, eitle ästhetische Vergnügungen aufzugeben und für sein Heil zu arbeiten), und daher verzweifelt glauben will, dass der Tod das Ende ist – dass es keine göttliche bedingungslose Forderung gibt, die Druck auf ihn ausübt:

Es ist nicht so, dass er durch einen unstillbaren Wunsch, die Begrenzung des Todes zu überwinden, seinen Wunsch nicht mit dem rationalen Glauben in Einklang bringen kann, dass er sie nicht überwinden wird; vielmehr kann er seinen Wunsch nicht mit dem in Einklang bringen, was er im Grunde weiß, aufgrund eines unstillbaren Wunsches, der Unannehmlichkeit auszuweichen, die in der Fähigkeit liegt, die Begrenzung zu überwinden.⁹

Die standardreligiöse je sais bien, mais quand même wird hier invertiert: Es ist nicht so, dass ‘ich sehr wohl weiß, dass ich ein bloß sterbliches lebendiges Wesen bin, aber dennoch verzweifelt glauben will, dass es Erlösung im ewigen Leben gibt’; vielmehr ist es so, dass ‘ich sehr wohl weiß, dass ich eine ewige Seele habe, die Gottes bedingungslosen Geboten verantwortlich ist, aber verzweifelt glauben will, dass es jenseits des Todes nichts gibt; ich will vom unerträglichen Druck der göttlichen Anordnung entlastet werden.’ Mit anderen Worten: Im Gegensatz zum Individuum, das in der standardmäßigen skeptischen Verzweiflung gefangen ist – dem Individuum, das weiß, dass es sterben wird, es aber nicht akzeptieren kann und auf ewiges Leben hofft –, haben wir hier im Fall der ‘Krankheit zum Tode’ das Individuum, das verzweifelt sterben, für immer verschwinden will, aber weiß, dass es das nicht kann: dass es zum ewigen Leben verurteilt ist. Die Lage des Individuums, das ‘krank zum Tode’ ist, ist dieselbe wie die der wagnerianischen Helden, vom Fliegenden Holländer bis zu Amfortas im Parsifal, die verzweifelt nach dem Tod streben, nach der endgültigen Vernichtung und Selbst-Auslöschung, die sie von der Hölle ihrer ‘untoten’ Existenz erlösen würde.

Troppo fisso!

Ist nicht Lacans futur antérieur seine Version von Marx’ These 11?¹⁰ Die verdrängte Vergangenheit wird niemals ‘als solche’ erkannt; sie kann nur im eigentlichen Prozess ihrer Transformation erkannt werden, da die Interpretation selbst in ihr Objekt interveniert und es verändert: Für Marx kann die Wahrheit über die Vergangenheit (Klassenkampf, der Antagonismus, der die gesamte vergangene Geschichte durchdringt) nur einem Subjekt sichtbar werden, das in den Prozess ihrer revolutionären Transformation verstrickt ist. Worum es hier geht, ist die Unterscheidung zwischen dem Subjekt der Aussage und dem Subjekt des Aussagens: Wenn der Analysand im Verlauf der psychoanalytischen Behandlung subjektiv vollständig die Tatsache akzeptiert, dass seine Identifizierung die eines wertlosen Abschaums oder Exkrements ist, ist eben diese Anerkennung das unmissverständliche Zeichen dafür, dass er diese Identifizierung faktisch bereits überwunden hat. (Schelling machte denselben Punkt in Bezug auf die grundlegende existentielle Entscheidung, die betrifft, was ich im Kern meines Seins bin: In dem Augenblick, in dem diese Entscheidung ausdrücklich getroffen, ins Bewusstsein gebracht wird, ist sie in Wirklichkeit bereits rückgängig gemacht.) Der entscheidende Punkt, der hier nicht zu verfehlen ist, ist, dass dieser Moment des futur antérieur nicht der Moment ist, in dem eine vergangene Situation ‘aufgetaut’, in eine Transformationsdynamik geraten wird, sondern im Gegenteil der Moment des ‘Tiefgefrierens’, wie Walter Benjamin ihn ausgearbeitet hat: Wie Benjamin in seinen Thesen betonte, erscheint dem Revolutionär die Gegenwart als ein eingefrorener Moment der Wiederholung, in dem der evolutionäre Fluss immobilisiert ist und Vergangenheit und Gegenwart auf kristalline Weise direkt überlappen. Ferner: Ist nicht dieser Moment des Troppo fisso! der eigentliche Moment des ‘nicht-dialektischen Exzesses’, der ‘Übertreibung’, in dem ‘ein einzelner Moment für alles steht’?

Wenn Dante im Purgatorio seinen Blick auf die geliebte Beatrice fixiert, alles andere vergessend, tadeln ihn göttliche Stimmen rasch dafür, zu starr zu starren (‘troppo fisso!’) – dieser erstarrte Blick, der die richtige Sicht auf die Totalität des Seins verwischt, bezeichnet die Ursünde des Blickens.

Gebannt von dem heiligen Lächeln, das mich dorthin zog

in die alten Netze, vergaß ich alles andere –

meine Augen trugen Scheuklappen und ich konnte mich nicht kümmern.

als plötzlich mein Blick weggerissen wurde

und gezwungen, nach links zu jenen Göttinnen zu wenden:

‘Er starrt zu fix!’, hörte ich sie sagen. (32: 4–9)

Diese Fixierung auf das geliebte Objekt (oder, genauer, auf irgendeine Szene der jouissance des Anderen), die es verfestigt, aus seinem Kontext reißt und dadurch den ausgewogenen Fluss der Dinge destabilisiert, entgleisen lässt, steht für den gewaltsamen Schnitt der Anamorphose, der auf der visuellen Ebene die Lücke zwischen Realität und dem Realen trägt. Insofern dieses ‘Troppo fisso!’ Negativität in ihrer elementarsten Form ist, ermöglicht es uns einen privilegierten Zugang zum ‘Mechanismus’ der hegelianischen Dialektik.

Adornos berühmte These, dass nichts in Freuds Theorie wahrer ist als ihre Übertreibungen, ist wörtlich zu nehmen und nicht auf die common-sense-‘Weisheit’ zu reduzieren, nach der Übertreibung in eine Richtung die bestehende entgegengesetzte Übertreibung korrigiert und so das richtige Gleichgewicht wiederherstellt. Man muss daher die Lehrbuchvorstellung des hegelianischen dialektischen Prozesses aufgeben, in der die erste Übertreibung durch die entgegengesetzte ersetzt wird, bis schließlich das richtige Gleichgewicht zwischen beiden hergestellt ist und jede auf ihren properen begrenzten Platz reduziert wird, wie in der Politik: Man braucht weder organische Verbindungen, die zu stark sind (die uns einen unflexiblen korporativen Staat geben, der individuelle Freiheit, das heißt das unendliche Recht der Subjektivität, nicht aufnehmen kann), noch eine zu starke einseitige Betonung abstrakter individueller Freiheit (die zu liberaler Anarchie und zum Zerfall konkreter sozialer Bindungen führt und als solche einen mechanischen Staat hervorbringt, der wiederum als äußere Macht erfahren wird, die die Freiheit der Subjekte begrenzt), sondern die richtige ‘Synthese’ der beiden …

Hegels Punkt ist keine neue Version des yin/yang-Gleichgewichts, sondern sein genaues Gegenteil: ‘Wahrheit’ liegt im Exzess der Übertreibung als solcher. Das heißt: Hier ist das grundlegende hegelianische logische Prinzip anzuwenden, dem zufolge die zwei Arten der Gattung die Gattung selbst und ihre eine Art sind, so dass wir nicht zwei Übertreibungen haben (die schließlich in einer Synthese wiedervereint werden), sondern das Gleichgewicht als solches und die disruptive ‘Übertreibung’, die seine Balance stört. Und natürlich ist Hegels Punkt das genaue Gegenteil der Standardweisheit: Die harmonische ausgewogene Totalität ist nicht die ‘Wahrheit’, innerhalb derer partikulare Übertreibungen, ihres Exzesses beraubt, ihren richtigen Platz finden müssen; im Gegenteil, der Exzess der ‘Übertreibung’ ist die Wahrheit, die die Falschheit der ausgewogenen Totalität unterminiert. Mit anderen Worten: In der Wahl zwischen dem Ganzen und seinem Teil muss man den Teil wählen und ihn zum Prinzip des Ganzen erheben – diese ‘verrückte’ Umkehrung führt die Dynamik des Prozesses ein. Man kann es auch in den Begriffen der Opposition zwischen ‘Sein’ und ‘Ereignis’ fassen, des Subjekts als Ereignis, wie Alain Badiou es artikuliert hat:¹¹ Das Subjekt emergiert im Ereignis der ‘Übertreibung’, wenn ein Teil seinen begrenzten Platz überschreitet und die Zwänge der ausgewogenen Totalität sprengt.

In den guten alten Zeiten des Sozialismus entwickelte einer der offiziellen jugoslawischen Philosophen ein Monster namens die ‘dialektische Bedeutungstheorie’, in der er sich bemühte, eine ‘dialektische Synthese’ aller zeitgenössischen Bedeutungstheorien zu liefern. Nachdem er alle ‘einseitigen’ Bedeutungstheorien (pragmatistische, referentielle, syntaktische, phänomenologische …) einer detaillierten Kritik unterzogen hatte, schlug er eine ‘dialektische’ Definition von Bedeutung als einer ‘komplexen’ Beziehung vor, in der ein Subjekt sich zu einem objektiven Gehalt über ein Set syntaktischer Regeln verhält, das innerhalb eines praktischen pragmatischen Kontexts ein Intentionalobjekt hervorbringt … ein völlig wertloses theoretisches Monster. Warum?

Wenn wir jede dieser ‘einseitigen’ Bedeutungstheorien genau betrachten, entdecken wir bald, dass ihr Moment der Wahrheit gerade in ihrer eigenen ‘Übertreibung’ zu finden ist: Was an der syntaktischen Bedeutungstheorie interessant und damit ‘aufklärend’ ist, ist nicht die Tatsache, dass auch syntaktische Struktur dazu beiträgt, sondern die weitaus exklusivere Vorstellung, dass das, was wir als ‘Bedeut-ung’ wahrnehmen, auf einen Effekt syntaktischer Interrelationen reduziert werden kann; was am Pragmatismus interessant ist, ist nicht eine eher common-sense-artige Vorstellung, dass die Bedeutung eines Ausdrucks immer in den Gebrauch dieses Ausdrucks innerhalb eines konkreten lebensweltlichen Kontexts eingebettet ist, sondern die viel radikalere These, dass die Bedeutung eines Ausdrucks ‘als solcher’ nichts anderes ist als die Vielheit seiner Verwendungen; was Oswald Ducrots Begriff argumentativer Topoi so interessant macht, ist nicht bloß die Prämisse, dass jede Aussage oder jedes Prädikat auch eine argumentative Dimension hat, dass wir es benutzen, um für eine bestimmte Haltung gegenüber dem bezeichneten Gehalt zu argumentieren – Ducrot behauptet, dass nicht nur der deskriptive Gehalt eines Prädikats stets von irgendeiner argumentativen Haltung begleitet ist, sondern dass dieser ‘deskriptive Gehalt’ selbst in sich nichts anderes ist als ein reifiziertes Bündel argumentativer Topoi ;¹² und so weiter. Erneut ist der entscheidende hegelianische Punkt, der hier nicht zu verfehlen ist, dass der aufklärende ‘Wahrheitseffekt’ jeder dieser Theorien nicht im reduzierten Kern der Wahrheit unterhalb der falschen Übertreibung liegt (‘nicht jede Bedeutung kann auf argumentative Haltung reduziert werden, aber eine begrenzte argumentative Position ergänzt in jeder Aussage, die wir machen, ihren referentiellen Gehalt …’), sondern in der eigentlichen ‘einseitigen’ reductionistischen Übertreibung.

Ist nicht jedoch der ganze Punkt Hegels, dass man von einer Position zur nächsten durch die Selbstauflösung ihres beschränkten Charakters übergehen soll? Ja, aber Hegels Punkt ist, dass dieser Übergang nur und genau dann erfolgt, wenn wir die ‘einseitige’ reductionistische Geste vollständig übernehmen: Die hegelianische Totalität ist kein organisches Ganzes, innerhalb dessen jedes Element an seinem begrenzten Platz haftet, sondern eine ‘verrückte’ Totalität, in der eine Position im eigentlichen Zug ihrer exzessiven Übertreibung in ihr Anderes umschlägt – die dialektische ‘Verknüpfung’ partieller Elemente entsteht nur durch ihre ‘Übertreibung’. Zurück zu Ducrot: Der hegelianische Punkt, der zu machen ist, lautet nicht, dass jedes Prädikat einen deskriptiven ebenso wie einen argumentativen Aspekt hat, sondern dass der deskriptive Aspekt selbst erst dann hervorgeht, wenn eine argumentative Haltung auf die Spitze getrieben, ‘reifiziert’ und damit selbstnegiert wird.

In der Standardvorstellung der Opposition zwischen Subjekt und Objekt wird das Subjekt als der dynamische Pol begriffen, als der aktive Agent, der jede feste Situation transzendieren kann, sein Universum zu ‘schaffen’, sich an jede neue Bedingung anzupassen, und so weiter, im Gegensatz zum festen, trägen Bereich der Objekte. Lacan ergänzt diese Standardvorstellung um ihr Gegenstück: Die eigentliche Dimension, die Subjektivität definiert, ist eine bestimmte ‘übertriebene’, exzessive, unbalancierte Fixierung oder ein ‘Freeze’, der den immerwährenden, sich wandelnden, ausgewogenen Fluss des Lebens stört, und drei Formen annehmen kann, entsprechend der Triade des Imaginären, Symbolischen und Realen:

•Auf der Ebene des Imaginären verortet Lacan – wie bekannt – das Auftreten des Ichs in der Geste der überstürzten Identifizierung mit dem äußeren, entfremdeten Spiegelbild, das die idealisierte Einheit des Selbst liefert, im Gegensatz zur tatsächlichen Hilflosigkeit und mangelnden Koordination des Kindes. Das hier zu betonende Merkmal ist, dass wir es mit einer Art ‘Einfrieren der Zeit’ zu tun haben: Der Fluss des Lebens wird suspendiert, das Reale des dynamischen lebendigen Prozesses wird durch ein ‘totes’, immobilisiertes Bild ersetzt – Lacan selbst benutzt die Metapher der Kinoprojektion und vergleicht das Ich mit dem fixierten Bild, das der Zuschauer wahrnimmt, wenn die Filmrolle klemmt. So muss man schon auf dieser elementarsten Ebene die Banalität invertieren, der zufolge ein Tier in seiner Umgebung gefangen ist, im in sich geschlossenen organischen Ganzen von Innenwelt und Außenwelt, während der Mensch diese Geschlossenheit transzendieren, die Begrenzungen seiner Umgebung dialektisch unterlaufen, neue, künstliche Umgebungen bauen kann, und so weiter – ja, aber was diese Transzendenz möglich macht, ist gerade eine exzessive Fixierung auf das Spiegelbild.

•Die Antwort auf diese Blockade scheint in der Opposition zwischen imaginärer Fixität und der dialektischen Flüssigkeit und vermittelnden Kraft des symbolischen Prozesses zu liegen: Ein Tier bleibt auf der imaginären Ebene stecken, es ist im Spiegelverhältnis zu seiner Umgebung gefangen, während der Mensch diese Geschlossenheit dadurch transzendieren kann, dass er in den Prozess der Symbolisierung eingebunden ist. Es ist der Bereich ‘symbolischer Fiktionen’, der es uns ermöglicht, uns an immer neue Situationen anzupassen, unsere Selbstwahrnehmung radikal zu verändern, und so weiter. Liegt nicht die ultimative Eigenschaft der symbolischen Ordnung in ihrer völligen Kontingenz? Wir können die ‘Geschichte, die wir über uns erzählen’, niemals aus unserer ‘realen Situation’ ableiten, es gibt immer eine minimale Lücke zwischen dem Realen und der/den Weise(n) seiner Symbolisierung … Hier jedoch ist wiederum die eigentliche Plastizität des Symbolisierungsprozesses strikt korrelativ zu – ja sogar gegründet in – der exzessiven Fixierung auf einen leeren Signifikanten : etwas vereinfacht gesagt: Ich kann meine symbolische Identität genau und nur insofern verändern, als mein symbolisches Universum ‘leere Signifikanten’ enthält, die durch einen neuen besonderen Gehalt gefüllt werden können. Zum Beispiel besteht der demokratische Prozess in der Ausarbeitung immer neuer Freiheiten und Gleichheiten (von Frauen, von Arbeitern, von Minderheiten …); doch während dieses Prozesses ist die Bezugnahme auf den Signifikanten ‘Demokratie’ konstant, und der ideologische Kampf ist genau der Kampf darum, diesem Ausdruck stets eine neue Bedeutung aufzuzwingen (etwa zu behaupten, dass eine Demokratie, die nicht eine Demokratie auch für Frauen einschließt, die nicht auch die Versklavung von Arbeitern ausschließt, die nicht auch den Respekt vor religiösen, ethnischen, sexuellen usw. Minderheiten einschließt, keine wahre Demokratie ist …). Die eigentliche Plastizität des Signifikat-Gehalts (der Kampf darum, was Demokratie ‘wirklich bedeutet’) stützt sich auf die Fixität des leeren Signifikanten ‘Demokratie’. Was die menschliche Existenz charakterisiert, ist somit die ‘irrationale’ Fixierung auf irgendeine symbolische Sache, materialisiert in einem Herrensignifikanten, an dem wir ungeachtet der Konsequenzen festhalten, unser elementarstes Interesse, das Überleben selbst, missachtend: Es ist gerade die ‘sturhafte Bindung’ an irgendeinen Herrensignifikanten (letztlich ein ‘Signifikant ohne Signifikat’), die es dem Menschen ermöglicht, freie Flexibilität gegenüber jedem Signifikat-Gehalten zu bewahren (die Tatsache, dass ich Gott absolut fürchte, ermöglicht mir, die Furcht vor jeder weltlichen Bedrohung zu überwinden, usw.).

•Nach dieser zweiten Banalität ist die sich selbst transzendierende Plastizität und Freiheit des Menschen in der Distanz zwischen ‘Dingen’ und ‘Wörtern’ begründet, in der Tatsache, dass die Weise, wie wir uns zur Realität verhalten, stets durch einen kontingenten symbolischen Prozess vermittelt ist. Hier greift jedoch erneut eine bestimmte exzessive Fixität ein: Nach der psychoanalytischen Theorie kann ein menschliches Subjekt Distanz zur (symbolisch vermittelten) Realität nur durch den Prozess der ‘Urverdrängung’ erwerben und aufrechterhalten: Was wir als ‘Realität’ erfahren, konstituiert sich durch die Verwerfung eines traumatischen X, das der unmögliche reale Kern bleibt, um den die Symbolisierung kreist. Was den Menschen von den Tieren unterscheidet, ist somit wiederum die exzessive Fixierung auf das Trauma (des verlorenen Objekts, der Szene irgendeiner erschütternden jouissance , usw.); was die Dynamik, die zur menschlichen Bedingung gehört, in Gang setzt, ist eben die Tatsache, dass irgendein traumatisches X jeder Symbolisierung entgleitet. ‘Trauma’ ist jener Kern des Selben, der immer wiederkehrt und jede symbolische Identität disruptiert.

So ist auf jeder der drei Ebenen die eigentliche dynamische, adaptive, sich selbst transzendierende Fähigkeit, die Subjektivität definiert, in einer exzessiven Fixierung gegründet.

Die Gewalt der Interpretation

Dieses Paradox der Wahrheit-in-der-Übertreibung erlaubt es uns auch, den Begriff der Interpretation in ein neues Licht zu rücken. Paul de Man schließt seine Preface zu The Rhetoric of Romanticism mit einer sehr knappen und weitreichenden These: ‘Reading as disfiguration, to the very extent that it resists historicism, turns out to be historically more reliable than the products of historical archeology.’¹³ Interpretation wird somit als ein gewaltsamer Akt der Entstellung des interpretierten Textes begriffen; paradoxerweise soll diese Entstellung der ‘Wahrheit’ des interpretierten Textes viel näher kommen als seine historizistische Kontextualisierung. Wie?

Konzentrieren wir uns auf Lacans große Lektüren klassischer literarischer und philosophischer Texte (Antigone, Platons Symposion, Kants Kritik der praktischen Vernunft). Diese Lektüren stellen klar einen Fall gewaltsamer Aneignung dar, unabhängig von philologischen Regeln, mitunter anachronistisch, oft ‘faktisch falsch’, das Werk aus seinem angemessenen hermeneutischen Kontext verschiebend; und doch erzeugt gerade diese gewaltsame Geste einen atemberaubenden ‘Wahrheitseffekt’, eine erschütternde neue Einsicht – sobald man Lacan liest, wird eine völlig neue Dimension von Platons und Kants Werk sichtbar. Der entscheidende Punkt hier ist, wie dieser ‘Wahrheitseffekt’ strikt ko-abhängig ist von der gewaltsamen Geste ‘anachronistischer’ Aneignung: Die einzige Weise, die Wahrheit Platons oder Kants aufzudecken, besteht darin, sie als ‘unsere Zeitgenossen’ zu lesen.

Ein anschaulicher Fall einer solchen produktiven ‘Gewalt der Interpretation’ ist Walter Benjamins Lektüre von Goethes Wahlverwandtschaften – ganz zu schweigen von den großen modernen Inszenierungen von Mozart und Wagner, in denen eine gewaltsame ‘Fehllektüre’ des ursprünglichen Gehalts (insbesondere die von Peter Sellars in Bezug auf Mozarts Così fan tutte: Das Paar, das wahrhaft und traumatisch verliebt ist, sind Alfonso und Despina, so dass die zentrale tragische Arie der Oper Despinas ‘Una donna a quindici anni’ ist) eine neue Perspektive auf die Oper selbst hervorbringt.¹⁴ Oder – in den Begriffen der hegelianischen Kritik an Kant – an genau diesem Punkt wird die Opposition zwischen ‘für uns’ (der bloßen Subjektivität der äußeren interpretativen Geste) und dem ‘An-sich ’ (des wahren Gehalts des Werks) suspendiert, da die eigentliche gewaltsame Geste subjektiver Intervention, ja brutaler Vergewaltigung, uns dem Werk An-sich näher bringt als jeder objektive historizistische Zugang … Man ist somit versucht zu sagen, dass das Motto der lacanianischen Lektüre von, sagen wir, Hegel lautet: ‘Philosophen haben Hegel bisher nur interpretiert; es kommt aber auch darauf an, ihn zu verändern.’¹⁵

Warum also ist ‘historische Archäologie’ unzureichend? Die erste Antwort, die sich aufdrängt, lautet: de Man ist natürlich dagegen, da er ein extremer ‘Diskursivist’ ist. Für ihn wird die historische ‘Realität’ selbst von ‘rhetorischen’ Tropen dominiert, so dass der wichtigste ideologische Mechanismus in der ‘Reifikation’ diskursiver Operationen als Eigenschaften der (diskursiv konstruierten) ‘Realität’ liegt. Man muss nur aus The Resistance to Theory seine berühmte Definition der Ideologie als ‘the confusion of linguistic with natural reality, of reference with phenomenalism’ in Erinnerung rufen. Führt diese Haltung jedoch effektiv zu einem ‘diskursiven Idealismus’, der ‘reale Kämpfe’ vernachlässigt und das Pathos des Realen der Geschichte auf die Inszenierung und das Ausspielen rhetorischer Tropen reduziert? Ich möchte argumentieren, dass das Gegenteil der Fall ist: Die wahre Alternative besteht nicht zwischen ‘naivem historizistischem Realismus’ (wo jede diskursive Formation im Kontext materieller Praktiken eingebettet ist und dadurch von ihnen abhängt) und ‘textualistischem Idealismus’ (il n’y a pas de hors texts, jede ‘direkte’ Erfahrung von Realität beinhaltet die Blindheit des Subjekts gegenüber den textuellen Mechanismen, die sie erzeugen …). Vielmehr ist es gerade durch den eigentlichen ‘Rückzug’ von der direkten Erfahrung der ‘Realität’ hin zu den textuellen Mechanismen, dass wir dem traumatischen Kern eines Realen näherkommen, das von der sogenannten ‘Realität’ selbst konstitutiv ‘verdrängt’ wird. Entscheidend ist hier, die Pointe von de Mans Standardkritik an der naturalisierenden organistischen Haltung nicht zu verfehlen: Was eine solche Haltung verkennt, sind nicht bloß die textuellen Mechanismen, die sie konstituieren, sondern der traumatische soziale Antagonismus (‘Klassenkampf’), der durch die Erfahrung der Gesellschaft als ästhetisiertes organisches Ganzes verschleiert wird. Wie Fredric Jameson betonte, ist der verzweifelte formalistische Versuch, formale Struktur von jedem positiven Gehalt zu unterscheiden, der unfehlbare Index der gewaltsamen Verdrängung irgendeines traumatischen Gehalts – die letzte Spur dieses Gehalts ist die eingefrorene Form selbst.

In der falschen Alternative zwischen ‘naivem historizistischem Realismus’ und ‘diskursivem Idealismus’ beschuldigen sich beide Seiten gegenseitig des ‘Fetischismus’: Für historizistische Realisten fetischisiert der diskursive Idealismus das ‘Gefängnishaus der Sprache’, während für Diskursivisten jeder Begriff vorsprachlicher Realität als ‘Fetisch’ zu denunzieren ist. Was diese Polemik theoretisch interessant macht, ist die Tatsache, dass diese einander ausschließenden Verwendungen des Begriffs ‘Fetischismus’ auf eine bestimmte Spaltung verweisen, die das Herz der Idee des Fetischismus selbst durchschneidet.

Marx eröffnet seine Diskussion des Warenfetischismus im Kapital mit der Feststellung: ‘a commodity is, in the first place, an object outside us, a thing that by its properties satisfies human wants of some sort or another’: Diese Standardvorstellung des Fetischismus beruht auf einer klaren common-sense-Unterscheidung zwischen dem, was das Objekt ‘an sich ’ ist, in seiner äußeren materiellen Realität, und der von außen auferlegten fetischistischen Aura, der ‘geistigen’ Dimension, die ihm anhaftet (zum Beispiel in ‘primitiver’ fetischistischer Religion erwirbt ein Baum, der ‘an sich ’ bloß ein Baum ist, eine zusätzliche gespenstische Dimension als Sitz des Waldgeistes – oder, im Warenfetischismus, wird ein Objekt, das irgendein menschliches Bedürfnis befriedigt, auch zum Träger von Wert, zur materiellen Verkörperung sozialer Beziehungen). Im Deutschen Idealismus hingegen (und in den radikalen Versionen des hegelianischen Marxismus, wie Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewusstsein) wird ‘Objektivität’ als solche, als festes, stabiles, unmittelbares, bestimmtes Sein im Gegensatz zur Flüssigkeit subjektiver Vermittlung, als ‘Fetisch’ begriffen (und denunziert), als etwas ‘Verdinglichtes’, als der Bereich, dessen Erscheinung stabilen Seins seine subjektive Vermittlung verbirgt. Aus dieser Perspektive ist die eigentliche Vorstellung des äußeren materiellen Seins des Objekts, direkt mit sich selbst identisch (‘wie die Dinge wirklich sind’), der ultimative Fetisch, unter dem die kritisch-transzendentale Analyse seine subjektive Vermittlung/Produktion erkennen soll. Der Fetisch ist somit zugleich der falsche Schein des An-sich und die Auferlegung irgendeiner ihm fremden geistigen Dimension auf dieses An-sich.

Es mag scheinen, dass diese Spaltung einfach die Opposition zwischen Materialismus (der das An-sich der Realität, unabhängig von subjektiver Vermittlung, behauptet) und Idealismus (der jede materielle Realität als etwas vom Subjekt Gesetztes/Vermitteltes begreift) anzeigt; bei genauerem Hinsehen jedoch zeigen diese beiden entgegengesetzten Pole eine tiefe verborgene Solidarität, eine gemeinsame begriffliche Matrix oder einen Rahmen. Für den marxistischen historischen Materialisten ist die eigentliche ideale Instanz, die angeblich jede materielle Realität ‘setzt’ oder vermittelt (das ‘transzendentale Subjekt’), bereits ein eigener Fetisch, ein Wesen, das den komplexen Prozess sozialhistorischer Praxis ‘abkürzt’ und damit verbirgt. Für einen dekonstruktiven ‘semiotischen Materialisten’ ist der Begriff ‘äußerer Realität’ – nicht weniger als der Begriff des ‘transzendentalen Subjekts’ – ein ‘reifizierter’ Referenzpunkt, der den textuellen Prozess verbirgt, der ihn erzeugt. Und dieses Spiel kann nahezu unendlich weitergehen: In einer marxistischen Antwort auf die Dekonstruktion wird der eigentliche Begriff von ‘Archi-Schrift’ oder Text wiederum als Fetisch verworfen, der den Prozess historischer materieller Praxis verbirgt …

Das theoretische Problem hinter diesen Aporien lautet: Wie sollen wir irgendeine ‘Unmittelbarkeit’ denken, die nicht als ‘reifizierter’ fetischistischer Schirm wirkt und den Prozess verschleiert, der sie erzeugt? Lacan stimmt dem argumentativen Zug des Deutschen Idealismus zu, wonach jede Bezugnahme auf ‘äußere Realität’ zu kurz greift: Unser Zugang zu dieser ‘Realität’ ist immer-schon durch den symbolischen Prozess ‘vermittelt’. An diesem Punkt ist es jedoch entscheidend, die Unterscheidung zwischen Realität und dem Realen im Auge zu behalten: Das Reale als ‘Unmögliches’ ist gerade der Exzess der ‘Unmittelbarkeit’, der nicht in einem Fetisch ‘reifiziert’ werden kann, das unergründliche X, das, obwohl nirgends präsent, jeden Raum symbolischer Repräsentation krümmt/verzerrt und ihn zum endgültigen Scheitern verurteilt. Wenn wir die Konturen dieses Realen erkennen wollen, können wir den Windungen des Begriffs Fetischismus nicht ausweichen.

Von der Religion zum Universum der Waren

Wie verschieben Marx und Freud den Begriff des Fetischismus im Verhältnis zu seiner vorherigen anthropologischen Verwendung?¹⁶ Der Erste, der diesen Ausdruck systematisierte und klar verortete, war Charles de Brosses, der 1760 den Fetischismus als die erste, primitive Stufe der Religion definierte, die die Verehrung natürlicher Objekte (Steine, Tiere …) einschließt. Der begriffliche Hintergrund des Fetischismus liegt somit im evolutionistischen Universalismus: ‘Fetischismus’ hat seinen Platz innerhalb der Vorstellung einer universalen Menschheitsgeschichte, die vom niedrigeren Stadium (Verehrung natürlicher Objekte) zum abstrakten spiritualisierten Stadium (dem rein geistigen Gott) fortschreitet; er erlaubt uns, die Einheit der menschlichen Gattung zu fassen, den Anderen zu erkennen und dennoch unsere Überlegenheit zu behaupten. Der fetischistische Andere ist stets ‘niedriger’ – das heißt, der Begriff des Fetischismus ist strikt korrelativ zum Blick des Beobachters, der die ‘primitive’ Gemeinschaft von außen herangeht.

Als solcher scheint der Begriff des Fetischismus unauflöslich die Ideologiekritik und die Ideologie selbst zu vereinen: In der eigentlichen Geste der Zurückweisung der Ideologie (Kritik an den Illusionen und der Blindheit des ‘primitiven’ Anderen, seiner Verehrung falscher Götzen) wiederholt die Kritik die ideologische Geste. Es wäre leicht, Marx und Freud den Vorwurf zu machen, dass auch ihr Gebrauch des Begriffs ‘Fetischismus’ denselben äußeren Blick einschließt und somit nicht weniger ideologisch ist: Beruht Marx’ Kritik des Warenfetischismus nicht auf dem utopischen Punkt transparenter sozialer Beziehungen? Ist dies nicht der Standpunkt, von dem aus er seine eigene Gesellschaft wie von außen beobachten und so ihre ideologische Blindheit artikulieren kann? Und enthält Freuds Begriff des Fetischismus nicht eine Bezugnahme auf die ‘normale’ sexuelle Beziehung? Im Gegenteil: Bei genauerem Hinsehen kann man leicht zeigen, dass die Dinge komplizierter sind. Marx verwendet den Begriff Fetischismus in analogischer Weise – er verweist auf die Ähnlichkeit zwischen dem Begriff des Fetischs in ‘primitiven’ Religionen und dem Fetischismus im eigentlichen Kern unserer ‘entwickelten’ Gesellschaft. Seine Argumentation lautet: Wir, in unserer ‘entwickelten’ westlichen Gesellschaft, neigen dazu, unsere reine geistige Religion der ‘primitiven’ Verehrung natürlicher Objekte entgegenzustellen; ist es aber nicht der Fall, dass die eigentliche Grundlage unserer Gesellschaft die Verehrung eines materiellen Objekts (Geld, Gold) einschließt, das im Prozess des Austauschs mit übernatürlichen Eigenschaften versehen wird? Die Bezugnahme auf die äußere (‘primitive’) Gesellschaft dient somit dazu, uns (im brechtschen Sinn der Verfremdung) von unserer eigenen Gesellschaft zu entfremden, so dass wir den ‘Primitivismus’ in ihrem eigentlichen Kern erkennen können. Im Gegensatz zur Haltung des traditionellen Anthropologen ist die Haltung von Marx somit nicht einfach die eines äußeren Beobachters, sondern eine verschlungene Mischung aus Außenheit und Innenheit: Die Bezugnahme auf – die Analogie mit – dem äußeren Anderen ermöglicht es uns, eine kritische Distanz zu unserer eigenen Gesellschaft zu gewinnen …¹⁷

Es gibt jedoch eine verborgene Teleologie in Marx’ Begriff des Fetischismus. Das heißt: Wie bekannt, artikuliert Marx den Begriff des Warenfetischismus im Vergleich zu vier anderen sozialen Produktionsverhältnissen, zwei existierenden und zwei fiktiven: der primitiven familialen Organisation der Produktion; der feudalen Organisation der Produktion innerhalb des sozialen Rahmens von Dienstbarkeit und Herrschaft; Robinson Crusoes solitärer Produktion auf einer Insel; und der zukünftigen kommunistischen Produktion. Wenn wir für einen Moment die rätselhafte Rolle des Beispiels Crusoe beiseitelassen (das durch seine Analogie zur kommunistischen Produktion darauf verweist, dass im Kommunismus auch die Dimension des Sozialen abgeschafft sein wird, dass die Gesellschaft als ein vereinheitlichter gemeinsamer Intellekt funktionieren wird), gibt es unterhalb des Scheins eines synchronen Vergleichs eine klare teleologische Evolutionslinie von der prähistorischen familialen Produktion über Sklaven- und feudale Verhältnisse direkter interpersonaler Dienstbarkeit und Herrschaft, und dann über den kapitalistischen Warenfetischismus zur zukünftigen kommunistischen Transparenz des Sozialen. Marx weist darauf hin, dass in vorkapitalistischen Produktionsweisen die sozialen Produktionsverhältnisse in gewissem Sinne transparenter sind, als sie es im Kapitalismus sind, da sie nicht auf Beziehungen zwischen Dingen verschoben sind, sondern als direkte Beziehungen zwischen Menschen erlebt werden (Herrschaftsbeziehungen zwischen Herren und Dienern); während im Kapitalismus Beziehungen zwischen Menschen als frei und gleich erlebt werden – das heißt, Herrschaft als solche wird auf ‘Beziehungen zwischen Dingen’ verschoben.

Jedoch müssen wir, um zwischen vorkapitalistischen Herrschaftsgesellschaften und der nachkapitalistischen Gesellschaft (Kommunismus) richtig zu unterscheiden, eine weitere Unterscheidung einführen, den Begriff eines bestimmten ‘Fetischismus’, der von der Opposition zwischen ‘Menschen’ und ‘Objekten’ unabhängig ist: Er bezeichnet den Zustand, in dem der Effekt einer ‘Struktur’, eines Netzes, als direkte Eigenschaft einer einzelnen Entität (fehl)wahrgenommen wird: Im Fall des Warenfetischismus wird die Tatsache, dass eine bestimmte Ware als ‘allgemeines Äquivalent’ fungiert, als ihre direkte pseudonatürliche Eig-enschaft (fehl)wahrgenommen, wie bei interpersonalen Beziehungen, in denen (das Beispiel stammt von Marx selbst) Subjekte, die eine bestimmte Person als König anrufen, sich nicht bewusst sind, dass diese Person nur insofern König ist, als sie ihn als einen solchen behandeln, nicht umgekehrt. Um diese Inversion zu charakterisieren, bezieht Marx sich auf den hegelianischen Begriff der ‘reflexiven Bestimmung’: Im eigentlichen Warenfetischismus ebenso wie in fetischisierten intersubjektiven Beziehungen wird die Eigenschaft, die tatsächlich nur eine ‘reflexive Bestimmung’ eines Objekts oder einer Person ist, als ihre direkte ‘natürliche’ Eigenschaft fehlwahrgenommen. Aus dieser Analogie zwischen Warenfetischismus und fetischisierten interpersonalen Beziehungen muss man eine paradoxe Schlussfolgerung ziehen: Was im Warenfetischismus verschoben wird, ist der Fetischismus selbst – nämlich die frühere direkte ‘Fetischisierung’ intersubjektiver Beziehungen. Warenfetischismus ist somit eine seltsame Zwischenstufe zwischen fetischisierten sozialen Beziehungen und transparenten sozialen Beziehungen: eine Stufe, in der soziale Beziehungen nicht mehr fetischisiert sind, der Fetischismus jedoch auf ‘(soziale) Beziehungen zwischen Dingen’ übertragen wird.

Man sollte daher sorgfältig darauf achten, die präzise Logik der ‘fetischistischen Verkennung’ nicht zu verfehlen. Es ist leicht, der nominalistischen Reduktion einer Institution auf ihre Individuen und deren Akte zu erliegen, in denen und durch die diese Institution existiert: Wenn man sagt ‘Amerika bombardierte den Irak’, bedeutet das tatsächlich, dass Präsident Bushs Befehl die Befehlskette in Gang setzte, die zum Start der Bomber führte … Ist eine solche Reduktion jedoch nicht ebenfalls irreführend? Was ‘tatsächlich stattgefunden’ hat, waren natürlich bloß individuelle Akte; damit jedoch individuelle Akte, die in ihrer Materialität vernachlässigbar sind (eine Unterschrift auf einem Blatt Papier, ein Anruf …), derart enorme Konsequenzen haben (die Tötung von Tausenden Menschen, die Zerstörung von Hunderten Häusern und Brücken …), muss eine symbolische Ordnung wirksam sein, eine Ordnung, die rein ‘virtuell’ ist (sie ‘existiert’ nirgends ‘tatsächlich’), und doch das Schicksal der Dinge bestimmt. Die hier wirksame Verkennung ist also nicht nur diejenige, die von Nominalisten kritisiert wird (die reifizierende Hypostase der symbolischen Ordnung), sondern auch diejenige, die durch die nominalistische Reduktion selbst exemplifiziert wird (als ob wir es bei einem Akt wie der amerikanischen Bombardierung des Irak mit direkten ‘Beziehungen zwischen Menschen’ zu tun hätten – das heißt: als ob man, um zu erklären, was ‘tatsächlich stattgefunden’ hat, nicht gezwungen wäre, die Wirksamkeit der symbolischen Institution zu berücksichtigen …).

Fetischistische ‘Reifikation’ ist somit doppelt: Nicht nur werden ‘Beziehungen zwischen Menschen’ in ‘Beziehungen zwischen Dingen’ reifiziert (so dass die kritische Analyse die reifizierte Oberfläche durchdringen und unter ihr die ‘Beziehungen zwischen Menschen’ erkennen muss, die sie tatsächlich animieren) – eine noch heiklere ‘fetischistische Reifikation’ ist am Werk, wenn wir die Situation als einfach ‘Beziehungen zwischen Menschen’ (fehl)wahrnehmen und die unsichtbare symbolische Struktur nicht berücksichtigen, die diese Beziehungen reguliert. Ein alltägliches bürgerliches Subjekt (fehl)wahrnimmt Geld nicht nur als materielles Objekt mit der ‘magischen’ Eigenschaft, als Äquivalent aller Waren zu fungieren; im alltäglichen Bewusstsein ist ein solches Subjekt gewöhnlich sehr wohl darüber im Klaren, dass Geld lediglich ein Zeichen ist, das seinem Besitzer das Recht garantiert, einen Teil des gesellschaftlichen Produkts zu seiner Verfügung zu haben, und so weiter. Was ein alltägliches bürgerliches Subjekt auf einer viel grundlegenderen Ebene effektiv nicht wahrnimmt, ist die Tatsache, dass Geld gerade nicht bloß ein Token interpersonaler Beziehungen ist, sondern als Materialisierung der symbolischen Institution hervorgeht, insofern diese Institution irreduzibel auf direkte Interaktion zwischen ‘konkreten Individuen’ ist.

Die Tatsache, dass die hartnäckigste fetischistische Fehlwahrnehmung in der eigentlichen Reduktion der sozialen Struktur auf transparente ‘Beziehungen zwischen konkreten Individuen’ besteht, ist für die marxsche Kritik des sogenannten ‘utopischen Sozialismus’ absolut entscheidend (in seinen Theorien über den Mehrwert, dem geplanten Band IV des Kapitals, der die systematische Kritik seiner ‘bürgerlichen’ Vorgänger enthält). Was Marx hier zurückweist, ist die utopisch-sozialistische Vorstellung einer Gesellschaft, in der Geld nicht länger fetischisiert wäre, sondern direkt als vollständig transparenter Vermittler in den ‘Beziehungen zwischen Menschen’ fungieren würde – als eine Art neutraler Gutschein, der das Recht seines Besitzers auf einen bestimmten Teil des gesellschaftlichen Produkts bescheinigt. Hier haben wir sozusagen Marx in Bestform, wie er zeigt, dass die Verzerrung eines universalen Mediums oder Instruments, die scheinbar auf kontingent-empirische Umstände zurückgeht, in seinen Begriff selbst eingeschrieben ist: Aus a priori-Gründen ist es nicht möglich, Geld nur als neutralen Gutschein ohne die Effekte fetischistischer Inversion zu haben; es ist nicht möglich, eine perfekte staatskapitalistische Gesellschaft zu haben, in der der Staat als kollektiver Kapitalist agiert und jedem seiner Beschäftigten den ‘vollen Wert’ seiner Arbeit zahlt, seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Produktivität … Eine solche Vorstellung, der Glaube an eine solche Möglichkeit, ist die präziseste Definition von ‘Utopie’.

Die Spektralisierung des Fetischs

Heute besteht eine starke Versuchung, auf den Begriff des Fetischismus zu verzichten und zu behaupten, sein Grundmechanismus (die Verschleierung des Produktionsprozesses in seinem Resultat) sei in unserer Ära einer neuen Art ‘falscher Transparenz’ nicht mehr wirksam. Der paradigmatische Fall hierfür ist die jüngste Serie von ‘The making of …’-Filmen, die Großproduktionen begleiten: Terminator 2, Indiana Jones, und so weiter: Weit davon entfernt, die ‘fetischistische’ Illusion zu zerstören, stärkt die Einsicht in den Produktionsmechanismus sie vielmehr sogar, insofern sie die Lücke zwischen den körperlichen Ursachen und ihrem Oberflächeneffekt fühlbar macht … Kurz, das Paradox von ‘the making of …’ ist dasselbe wie das eines Magiers, der den Trick offenlegt, ohne das Geheimnis des magischen Effekts aufzulösen. Dasselbe gilt zunehmend für politische Kampagnenwerbung und Publicity im Allgemeinen: Wo der Akzent zunächst auf dem Produkt (oder Kandidaten) selbst lag, verschob er sich dann auf das Effektbild und verlagert sich nun immer mehr auf das Making des Bildes (die Strategie der Herstellung einer Werbung wird selbst beworben, usw.). Das Paradox ist, dass – in einer Art Umkehrung des Klischees, wonach westliche Ideologie den Produktionsprozess zugunsten des Endprodukts verschleiert – der Produktionsprozess, weit davon entfernt, der geheime Ort des Verbotenen zu sein, dessen, was nicht gezeigt werden kann, dessen, was vom Fetisch verborgen wird, als Fetisch dient, der durch seine Präsenz fasziniert.

Auf einer etwas anderen Ebene ist ein weiteres Zeichen derselben Tendenz die Tatsache, dass heute auch die Fehlleistungen ihr freudsches subversives Potential verloren haben und immer mehr zum Thema des Mainstream-Entertainments werden: Eine der beliebtesten Sendungen im amerikanischen Fernsehen ist ‘The best bloopers of …’, die Fragmente aus TV-Serien, Filmen, Nachrichten und so weiter zusammenbringt, die herausgeschnitten wurden, weil etwas Dummes geschah (der Schauspieler verhedderte sich in seinen Zeilen, rutschte aus …). Von Zeit zu Zeit hat man sogar den Eindruck, dass die Ausrutscher selbst sorgfältig geplant werden, damit sie in genau einer solchen Sendung verwendet werden können. Der beste Indikator dieser Entwertung des Ausrutschers ist der Gebrauch des Ausdrucks ‘Freudian slip’ (‘Oh, I just made a Freudian slip!’), der seinen subversiven Stachel vollständig suspendiert.

Das zentrale Paradox (und vielleicht die knappste Definition) der Postmoderne ist, dass der eigentliche Produktionsprozess, das Bloßlegen seines Mechanismus, als Fetisch fungiert, der die entscheidende Dimension der Form, das heißt der gesellschaftlichen Produktionsweise, verdeckt.¹⁸ In einem Schritt weiter in dieser Marx-Diskussion ist man daher versucht, ein Schema von drei aufeinanderfolgenden Figuren des Fetischismus vorzuschlagen, die eine Art hegelianische ‘Negation der Negation’ bilden: erstens traditioneller interpersonaler Fetischismus (Charisma des Herrn); dann standardmäßiger Warenfetischismus (‘Beziehungen zwischen Dingen statt Beziehungen zwischen Menschen’, das heißt die Verschiebung des Fetischs auf ein Objekt); schließlich, in unserem postmodernen Zeitalter, das, was wir als allmähliche Auflösung der eigentlichen Materialität des Fetischs beobachten. Mit der Aussicht auf elektronisches Geld verliert das Geld seine materielle Präsenz und verwandelt sich in eine rein virtuelle Entität (zugänglich mittels Bankkarte oder sogar eines immateriellen Computercodes); diese Entmaterialisierung verstärkt jedoch nur seinen Griff: Geld (das verschlungene Netz finanzieller Transaktionen) wird so zu einem unsichtbaren und gerade deshalb allmächtigen spektralen Rahmen, der unser Leben dominiert. Man kann nun in welchem präzisen Sinn die Produktion selbst als Fetisch dienen kann sehen: Die postmoderne Transparenz des Produktionsprozesses ist falsch, insofern sie die immaterielle virtuelle Ordnung verschleiert, die das Geschehen effektiv steuert … Diese Verschiebung hin zum elektronischen Geld beeinflusst auch die Opposition zwischen Kapital und Geld. Kapital fungiert als das sublime, unre-präsentierbare Ding, nur in seinen Effekten präsent, im Gegensatz zur Ware, einem bestimmten materiellen Objekt, das wundersam ‘zum Leben erwacht’, sich zu bewegen beginnt, als wäre es von einem unsichtbaren Geist beseelt. Im einen Fall haben wir den Exzess an Materialität (soziale Beziehungen erscheinen als Eigenschaft eines pseudokonkreten materiellen Objekts); im anderen den Exzess unsichtbarer Spektralität (soziale Beziehungen, die vom unsichtbaren Gespenst des Kapitals dominiert werden). Heute, mit dem Aufkommen elektronischen Geldes, scheinen die beiden Dimensionen zusammenzufallen: Geld selbst nimmt zunehmend die Züge eines unsichtbaren spektralen Dings an, das nur durch seine Effekte erkennbar ist.

Erneut ist das Paradox, dass mit dieser Spektralisierung des Fetischs, mit der fortschreitenden Desintegration seiner positiven Materialität, seine Präsenz noch bedrückender und allgegenwärtiger wird, als gäbe es keine Weise, wie das Subjekt seinem Griff entkommen könnte … warum? Entscheidend für das Fetisch-Objekt ist, dass es am Schnittpunkt der zwei Mängel hervortritt: des Mangels des Subjekts selbst ebenso wie des Mangels seines großen Anderen. Darin liegt Lacans fundamentales Paradox: Innerhalb der symbolischen Ordnung (der Ordnung differentieller Beziehungen, die auf einem radikalen Mangel beruhen) tritt die Positivität eines Objekts nicht dann auf, wenn der Mangel gefüllt wird, sondern im Gegenteil dann, wenn zwei Mängel überlappen. Der Fetisch fungiert zugleich als Repräsentant der unzugänglichen Tiefe des Anderen und als ihr genaues Gegenteil, als Stellvertreter dessen, was dem Anderen selbst fehlt (‘Phallus der Mutter’). Im fundamentalsten Sinn ist der Fetisch ein Schirm, der die Grenzerfahrung der Ohnmacht des Anderen verdeckt – die Erfahrung, die am besten durch die schwindelerregende Einsicht epitomisiert wird, dass ‘die Geheimnisse der Ägypter auch Geheimnisse für die Ägypter selbst waren’, oder (wie in Kafkas Romanen) dass das allgegenwärtige Spektakel des Gesetzes ein bloßer Schein ist, inszeniert, um den Blick des Subjekts zu faszinieren.¹⁹

Innerhalb des Bereichs der psychoanalytischen Behandlung wird diese Ambiguität des Objekts, die die Bezugnahme auf die zwei Mängel einschließt, in der Gestalt der Opposition zwischen dem Fetisch und dem phobischen Objekt sichtbar: In beiden Fällen sind wir fasziniert, unsere Aufmerksamkeit ist fixiert, von einem Objekt, das als Stellvertreter der Kastration fungiert; der Unterschied ist, dass im Fall des Fetischs die Verleugnung der Kastration gelingt; während im Fall des phobischen Objekts diese Verleugnung misslingt und das Objekt die Dimension der Kastration direkt ankündigt.²⁰ Der Blick kann zum Beispiel als Fetisch-Objekt par excellence fungieren (nichts fasziniert mich mehr als der Blick des Anderen, der insofern fasziniert, als er das wahrnimmt, was ‘in mir mehr als ich selbst’ ist, der geheime Schatz im Kern meines Seins), aber er kann auch leicht zum Vorboten des Horrors der Kastration umschlagen (der Blick des Medusenhaupts). Das phobische Objekt ist somit eine Art Reflexion-in-sich des Fetischs: In ihm verwandelt sich der Fetisch als Ersatz für den fehlenden (mütterlichen) Phallus in den Vorboten eben dieses Mangels … Der Punkt, der nicht zu verfehlen ist, ist, dass wir es mit ein und demselben Objekt zu tun haben: Der Unterschied ist rein topologisch.²¹ Die Phobie artikuliert die Angst vor Kastration, während in der fetischistischen Perversion die (symbolische) Kastration das ist, worauf das Subjekt aus ist, sein Objekt des Begehrens. Das heißt: Selbst bei der fetischistischen Verleugnung der Kastration sind die Dinge ambivalenter, als sie scheinen mögen. Entgegen der doxa ist der Fetisch (oder das perverse Ritual, das die fetischistische Szene inszeniert) nicht primär ein Versuch, die Kastration zu verleugnen und am (Glauben an den) mütterlichen Phallus festzuhalten; unterhalb des Scheins dieser Verleugnung lassen sich leicht Spuren des verzweifelten Versuchs des perversen Subjekts erkennen, die symbolische Kastration zu inszenieren – die Trennung von der Mutter zu erreichen und so einen Raum zu gewinnen, in dem man frei atmen kann. Aus diesem Grund gilt: Wenn die fetischistische Inszenierung der Kastration zerfällt, wird der Andere vom Subjekt nicht länger als kastriert erfahren; seine Dominanz über das Subjekt ist vollständig …

Die theoretische Lehre daraus ist, dass man die Banalität invertieren sollte, der zufolge Fetischismus die Fixierung auf irgendeinen bestimmten Gehalt beinhaltet, so dass die Auflösung des Fetischs es dem Subjekt ermöglicht, den Schritt in den Bereich symbolischer Universalität zu vollziehen, innerhalb dessen es frei ist, von einem Objekt zum anderen zu gehen und zu jedem eine vermittelte dialektische Beziehung aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu diesem Klischee sollte man die paradoxe Tatsache vollständig akzeptieren, dass die Dimension der Universalität stets durch die Fixierung auf einen bestimmten Punkt getragen wird.

Fetisch zwischen Struktur und Humanismus

Nach der klassischen althusserianischen Kritik an der marxistischen Problemstellung des Warenfetischismus beruht dieser Begriff auf der humanistischen ideologischen Opposition von ‘menschlichen Personen’ versus ‘Dingen’. Ist es nicht eine der Standardbestimmungen von Marx, dass es im Fetischismus um ‘Beziehungen zwischen Dingen (Waren)’ statt um direkte ‘Beziehungen zwischen Menschen’ geht – dass Menschen im fetischistischen Universum ihre sozialen Beziehungen in der Gestalt von Beziehungen zwischen Dingen (fehl)wahrnehmen? Althusserianer sind vollkommen berechtigt, zu betonen, wie unterhalb dieser ‘ideologischen’ Problemstellung bereits ein anderer, völlig unterschiedlicher – strukturaler – Begriff des Fetischismus bei Marx am Werk ist: Auf dieser Ebene bezeichnet ‘Fetischismus’ den Kurzschluss zwischen der formalen/differentiellen Struktur (die per definitionem ‘abwesend’ ist, das heißt sie ist in unserer Erfahrungsrealität niemals ‘als solche’ gegeben) und einem positiven Element dieser Struktur. Wenn wir Opfer der ‘fetischistischen’ Illusion sind, (fehl)wahrnehmen wir als unmittelbare/ ‘natürliche’ Eigenschaft des Fetisch-Objekts das, was diesem Objekt kraft seines Platzes innerhalb der Struktur verliehen wird. Die Tatsache, dass Geld uns ermöglicht, Dinge auf dem Markt zu kaufen, ist keine direkte Eigenschaft des Objekts Geld, sondern resultiert aus dem strukturellen Platz des Geldes innerhalb des komplexen Netzes sozioökonomischer Beziehungen; wir verhalten uns zu einer bestimmten Person nicht als zu einem ‘König’, weil diese Person ‘an sich ’ (aufgrund ihres charismatischen Charakters oder etwas Ähnlichem) ein König ist, sondern weil sie den Platz eines Königs innerhalb des Sets soziosymbolischer Beziehungen einnimmt.

Unser Punkt ist jedoch, dass diese beiden Ebenen des Begriffs Fetischismus notwendig miteinander verbunden sind: Sie bilden die zwei konstitutiven Seiten des Begriffs Fetischismus selbst; deshalb kann man die erste nicht einfach als ideologisch entwerten, im Gegensatz zur zweiten, die eigentlich theoretisch (oder ‘wissenschaftlich’) ist. Um diesen Punkt klarzumachen, sollte man das erste Merkmal in viel radikalerer Weise neu formulieren. Unterhalb der scheinbar humanistisch-ideologischen Opposition zwischen ‘Menschen’ und ‘Dingen’ lauert ein anderer, viel produktiverer Begriff, der des Rätsels der Substitution und/oder Verschiebung: Wie ist es ontologisch möglich, dass die innersten ‘Beziehungen zwischen Menschen’ auf ‘Beziehungen zwischen Dingen’ verschoben (oder durch sie substituiert) werden können? Das heißt: Ist es nicht ein Grundzug von Marx’ Begriff des Warenfetischismus, dass ‘Dinge an unserer Stelle glauben, an unserer Stelle, statt unserer’? Der Punkt, den man wieder und wieder wiederholen sollte, ist, dass in Marx’ Begriff des Fetischismus der Ort der fetischistischen Inversion nicht in dem liegt, was Menschen zu tun glauben, sondern in ihrer sozialen Aktivität selbst: Ein typisches bürgerliches Subjekt ist in seiner bewussten Haltung ein utilitaristischer Nominalist – in seiner sozialen Aktivität, im Austausch auf dem Markt, handelt es so, als wären Waren nicht einfache Objekte, sondern Objekte, die mit besonderen Kräften ausgestattet sind, voller ‘theologischer Grillen’. Mit anderen Worten, die Menschen sind sich sehr wohl bewusst, wie die Dinge wirklich stehen; sie wissen sehr wohl, dass die Waren-Geldform nichts als eine reifizierte Erscheinungsform sozialer Beziehungen ist, dass unter den ‘Beziehungen zwischen Dingen’ ‘Beziehungen zwischen Menschen’ sind – das Paradox ist, dass sie in ihrer sozialen Aktivität so handeln, als wüssten sie das nicht, und der fetischistischen Illusion folgen. Der fetischistische Glaube, die fetischistische Inversion, wird auf die Dinge verschoben; er ist in dem verkörpert, was Marx ‘soziale Beziehungen zwischen Dingen’ nennt. Und der entscheidende Fehler, der hier zu vermeiden ist, ist die eigentlich ‘humanistische’ Vorstellung, dass dieser Glaube, in Dingen verkörpert, auf Dinge verschoben, nichts als eine reifizierte Form direkten menschlichen Glaubens ist: Die Aufgabe der phänomenologischen Rekonstruktion der Genese der ‘Reifikation’ bestünde dann darin zu zeigen, wie ursprünglicher menschlicher Glaube auf Dinge übertragen wurde …

Das Paradox, das festzuhalten ist, lautet, dass die Verschiebung ursprünglich und konstitutiv ist: Es gibt kein unmittelbares, selbstpräsentes lebendiges Subjekt, dem der in ‘sozialen Dingen’ verkörperte Glaube zugeschrieben werden könnte und dem er dann entzogen wird. Es gibt einige Glaubensformen, die fundamentalsten, die von Anfang an ‘dezentrierte’ Glaubensformen des Anderen sind; das Phänomen des ‘Subjekts, dem zu glauben unterstellt wird’, ist somit universal und strukturell notwendig. Von Anfang an verschiebt das sprechende Subjekt seinen Glauben auf den großen Anderen als Ordnung des reinen Scheins, so dass das Subjekt ‘wirklich nie daran glaubte’; von Anfang an verweist das Subjekt auf irgendeinen dezentrierten Anderen, dem es diesen Glauben zuschreibt. Alle konkreten Versionen dieses ‘Subjekts, dem zu glauben unterstellt wird’ (von kleinen Kindern, um derentwillen Eltern so tun, als glaubten sie an den Weihnachtsmann, bis zu den ‘gewöhnlichen arbeitenden Menschen’, um derentwillen kommunistische Intellektuelle so tun, als glaubten sie an den Sozialismus) sind Stellvertreter des großen Anderen.²² Also – die Weise, wie man auf die konservative Plattitüde antworten sollte, nach der jeder ehrliche Mensch ein tiefes Bedürfnis habe, an irgendetwas zu glauben, ist zu sagen, dass jeder ehrliche Mensch ein tiefes Bedürfnis hat, ein anderes Subjekt zu finden, das an seiner Stelle glauben wird.

Das Subjekt, dem zu glauben unterstellt wird

Um den Umfang dieses Begriffs des Subjekts, dem zu glauben unterstellt wird, als grundlegendes, konstitutives Merkmal der symbolischen Ordnung richtig zu bestimmen,²³ sollte man ihn einem anderen, bekannteren Begriff gegenüberstellen, dem des Subjekts, dem zu wissen unterstellt wird: Wenn Lacan vom Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird, spricht, verfehlt man gewöhnlich zu bemerken, wie dieser Begriff nicht die Norm, sondern die Ausnahme ist, die ihren Wert im Kontrast zum Subjekt, dem zu glauben unterstellt wird, als dem Standardmerkmal der symbolischen Ordnung gewinnt. Also – was ist das ‘Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird’?

In der TV-Serie Columbo wird das Verbrechen (die Mordtat) im Voraus detailliert gezeigt, so dass das zu lösende Rätsel nicht das von ‘wer war’s?’, sondern das, wie der Detektiv die Verbindung zwischen der trügerischen Oberfläche (dem ‘manifesten Gehalt’ des Tatorts) und der Wahrheit über das Verbrechen (seinem ‘latenten Gedanken’) herstellen wird – wie er oder sie dem Täter seine oder ihre Schuld beweisen wird. Der Erfolg von Columbo bezeugt somit die Tatsache, dass die wahre Quelle des Interesses an der Arbeit des Detektivs der Prozess des Entzifferns selbst ist, nicht sein Ergebnis (die triumphale abschließende Enthüllung ‘Und der Mörder ist …’ fehlt hier vollständig, da wir von Anfang an wissen, wer es ist). Noch entscheidender als dieses Merkmal ist die Tatsache, dass nicht nur wir, die Zuschauer, im Voraus wissen, wer es getan hat (da wir es tatsächlich sehen), sondern dass, unerklärlicherweise, der Detektiv Columbo selbst es sofort weiß: In dem Moment, in dem er den Tatort besucht und dem Täter begegnet, ist er absolut sicher, er weiß einfach, dass der Täter es getan hat. Seine anschließende Anstrengung betrifft somit nicht das Rätsel ‘wer war’s?’, sondern wie er dies dem Täter beweisen soll.

Diese Umkehrung der ‘normalen’ Ordnung hat klare theologische Konnotationen: Wie in der wahren Religion, wo ich zuerst an Gott glaube und dann, auf der Grundlage meines Glaubens, für die Beweise der Wahrheit meines Glaubens empfänglich werde, weiß auch hier Columbo zuerst, mit einer geheimnisvollen, aber dennoch absolut unfehlbaren Gewissheit, wer es getan hat; und geht dann, auf der Basis dieses unerklärlichen Wissens, dazu über, Beweise zu sammeln … Und auf eine etwas andere Weise ist dies das, worum es beim Analytiker als ‘Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird’ geht: Wenn der Analysand in eine Übertragungsbeziehung zum Analytiker eintritt, hat er dieselbe absolute Gewissheit, dass der Analytiker sein Geheimnis kennt (was nur bedeuten kann, dass der Patient a priori ‘schuldig’ ist, dass aus seinen Handlungen eine geheime Bedeutung zu ziehen ist). Der Analytiker ist somit kein Empirist, der den Patienten mit verschiedenen Hypothesen sondiert, nach Beweisen sucht, und so weiter; er verkörpert die absolute Gewissheit (die Lacan mit der Gewissheit von Descartes’ Cogito ergo sum vergleicht) von der ‘Schuld’ des Analysanden, von seinem unbewussten Begehren.

Diese beiden Begriffe – der des Subjekts, dem zu glauben unterstellt wird, und der des Subjekts, dem zu wissen unterstellt wird – sind nicht symmetrisch, da Glaube und Wissen selbst nicht symmetrisch sind: Im radikalsten Sinn ist der Status des (lacanianischen) großen Anderen als symbolische Institution der des Glaubens (Vertrauens), nicht der des Wissens, da der Glaube symbolisch ist und das Wissen real (der große Andere schließt ein und stützt sich auf ein fundamentales ‘Vertrauen’).²⁴ Glaube ist immer minimal ‘reflexiv’, ein ‘Glaube an den Glauben des anderen’ (‘Ich glaube noch immer an den Kommunismus’ ist das Äquivalent dazu zu sagen ‘Ich glaube, es gibt noch immer Menschen, die an den Kommunismus glauben’), während Wissen gerade kein Wissen über die Tatsache ist, dass es einen anderen gibt, der weiß.²⁵ Aus diesem Grund kann ich durch den anderen glauben, aber ich kann nicht durch den anderen wissen. Das heißt: Aufgrund der inhärenten Reflexivität des Glaubens gilt, wenn ein anderer an meiner Stelle glaubt, glaube ich selbst durch ihn; Wissen ist nicht in derselben Weise reflexiv – das heißt, wenn dem anderen zu wissen unterstellt wird, weiß ich nicht durch ihn.

Nach einer bekannten anthropologischen Anekdote antworteten die ‘Primitiven’, denen man bestimmte ‘abergläubische Glaubensvorstellungen’ zuschrieb, wenn man sie direkt danach fragte, dass ‘einige Leute glauben …’, wodurch sie ihren Glauben sofort verschoben, ihn übertrugen auf einen anderen. Tun wir nicht wieder dasselbe mit unseren Kindern: Wir durchlaufen das Ritual des Weihnachtsmanns, weil unsere Kinder (daran zu glauben) unterstellt werden und wir sie nicht enttäuschen wollen. Ist dies nicht auch die übliche Ausrede des mythischen krummen oder zynischen Politikers, der ehrlich wird? – ‘Ich kann diejenigen [die mythischen ‘gewöhnlichen Leute’] nicht enttäuschen, die daran [oder an mich] glauben’. Ferner: Ist nicht dieses Bedürfnis, einen anderen zu finden, der ‘wirklich glaubt’, auch das, was uns in unserem Bedürfnis antreibt, den Anderen als (religiösen oder ethnischen) ‘Fundamentalisten’ zu stigmatisieren? Auf unheimliche Weise scheint Glaube immer in der Gestalt eines solchen ‘Glaubens auf Distanz’ zu funktionieren: Damit der Glaube funktioniert, muss es einen letzten Garanten dafür geben, doch dieser Garant wird immer aufgeschoben, verschoben, niemals in persona präsent. Wie ist dann Glaube möglich? Wie wird dieser Teufelskreis aufgeschobenen Glaubens kurzgeschlossen? Der Punkt ist natürlich, dass das Subjekt, das direkt glaubt, nicht existieren muss, damit der Glaube wirksam ist: Es reicht aus, seine Existenz gerade zu präsupponieren, das heißt, an sie zu glauben – entweder in der Gestalt der mythologischen Gründungsfigur, die nicht Teil unserer Erfahrungsrealität ist, oder in der Gestalt des unpersönlichen ‘man’ (‘man glaubt …’). Der entscheidende Fehler, der hier zu vermeiden ist, ist wiederum die eigentlich ‘humanistische’ Vorstellung, dass dieser in Dingen verkörperte, auf Dinge verschobene Glaube nichts anderes sei als eine reifizierte Form eines direkten menschlichen Glaubens, in welchem Fall die Aufgabe der phänomenologischen Rekonstruktion der Genese der ‘Reifikation’ darin bestünde zu zeigen, wie der ursprüngliche menschliche Glaube auf Dinge übertragen wurde … Das Paradox, das im Gegensatz zu solchen Versuchen phänomenologischer Genese festzuhalten ist, lautet, dass die Verschiebung ursprünglich und konstitutiv ist : Es gibt kein unmittelbares, selbstpräsentes lebendiges Subjekt, dem der in ‘sozialen Dingen’ verkörperte Glaube zugeschrieben werden könnte und dem er dann entzogen wird.

Je sais bien, mais quand même … [Ich glaube]: darin liegt das Dilemma – entweder spielen wir das jungianische obskurantistische Spiel ‘lasst uns nicht auf unser oberflächliches rationales Wissen fokussieren, lasst uns die tiefen archetypischen Glaubensformen umarmen, die das Fundament unseres Seins bilden’, oder wir schlagen den schwierigen Weg ein, diesen Glaubensformen im Wissen Rechnung zu tragen. Schon Kierkegaard formulierte das ultimative Paradox des Glaubens: Er betonte, dass der Apostel die Notwendigkeit zu glauben predigt und verlangt, dass wir seinen Glauben auf sein Wort hin akzeptieren; er bietet niemals ‘harte Beweise’, die Nichtgläubige überzeugen sollen. Aus diesem Grund ist die Zurückhaltung der Kirche, sich Material zu stellen, das ihre Behauptungen beweisen oder widerlegen könnte, ambivalenter, als sie erscheinen mag. Im Fall des Turiner Grabtuchs – das angeblich die Konturen des gekreuzigten Jesus enthält und damit sein beinahe fotografisches Porträt – ist es zu simpel, die Zurückhaltung der Kirche als Ausdruck der Angst zu lesen, das Tuch werde sich als Fälschung aus einer späteren Zeit erweisen – vielleicht wäre es noch erschreckender, wenn sich das Tuch als authentisch erwiese, da diese positivistische ‘Verifikation’ des Glaubens seinen Status unterminieren und ihn seines Charismas berauben würde. Glaube kann nur im schattigen Bereich zwischen offenkundiger Falschheit und positiver Wahrheit gedeihen. Die Jansenisten’ Vorstellung eines Wunders bezeugt, dass sie sich dieses Paradox voll bewusst waren: Für sie ist ein Wunder ein Ereignis, das die Qualität eines Wunders nur in den Augen des Gläubigen hat – für die common-sense-Augen eines Ungläubigen sieht es wie ein rein natürlicher Zufall aus. Es ist daher viel zu simpel, diese Zurückhaltung der Kirche als Versuch zu lesen, die objektive Prüfung der Wahrheit eines Wunders zu vermeiden: Der Punkt ist vielmehr, dass das Wunder inhärent mit der Tatsache des Glaubens verknüpft ist – es gibt kein neutrales Wunder, das zynische Ungläubige überzeugen könnte. Die Tatsache, dass das Wunder nur den Gläubigen als solches erscheint, ist ein Zeichen von Gottes Macht, nicht von seiner Ohnmacht …²⁶

Die ursprüngliche Substitution

Dieses Substitutionsverhältnis ist nicht auf Glaubensformen begrenzt: Dasselbe gilt für jedes der innersten Gefühle und Haltungen des Subjekts, einschließlich Weinen und Lachen. Man muss nur an das alte Rätsel transponierter/verschobener Emotionen denken, von den sogenannten ‘Klageweibern’ (Frauen, die dafür bezahlt werden, bei Beerdigungen zu weinen) in ‘primitiven’ Gesellschaften, bis zum ‘Konservenlachen’ auf dem TV-Schirm, und bis zur Übernahme einer Bildschirm-Persona im Cyberspace. Wenn ich ein ‘falsches’ Bild von mir konstruiere, das in einer virtuellen Gemeinschaft, an der ich teilnehme, für mich steht (in sexuellen Spielen etwa nimmt ein schüchterner Mann oft die Bildschirm-Persona einer attraktiven promiskuitiven Frau an), sind die Emotionen, die ich als Teil meiner Bildschirm-Persona fühle und ‘vortäusche’, nicht einfach falsch: Obwohl (das, was ich als) mein ‘wahres Selbst’ sie nicht fühlt, sind sie dennoch in gewissem Sinne ‘wahr’ – wie wenn ich eine TV-Miniserie mit Konservenlachen schaue, wo ich, selbst wenn ich nicht lache, sondern nur auf den Bildschirm starre, müde nach einem harten Arbeitstag, mich dennoch nach der Sendung erleichtert fühle …²⁷ Dies ist es, worauf der lacanianische Begriff der ‘Dezentrierung’, des dezentrierten Subjekts, zielt: Meine intimsten Gefühle können radikal externalisiert werden; ich kann buchstäblich ‘durch einen anderen lachen und weinen’.

Und ist nicht die ursprüngliche Version dieser Substitution, vermittels derer ‘jemand anderes es für mich tut’, die Substitution eines Signifikanten für das Subjekt selbst? In einer solchen Substitution liegt das grundlegende, konstitutive Merkmal der symbolischen Ordnung : Ein Signifikant ist genau ein Objekt-Ding, das für mich substituiert, an meiner Stelle handelt. Die sogenannten primitiven Religionen, in denen ein anderer Mensch mein Leiden, meine Strafe auf sich nehmen kann (aber auch mein Lachen, meinen Genuss …) – das heißt, in denen man durch den Anderen leiden und den Preis für eine Sünde zahlen kann (bis hin zu Gebetsmühlen, die für dich beten) sind nicht so dumm und ‘primitiv’, wie sie erscheinen mögen – sie bergen ein ungeheures befreiendes Potential. Indem ich meinen innersten Gehalt, einschließlich meiner Träume und Ängste, dem Anderen überlasse, öffnet sich ein Raum, in dem ich frei atmen kann: Wenn der Andere für mich lacht, bin ich frei, mich auszuruhen; wenn der Andere an meiner Stelle geopfert wird, bin ich frei, weiterzuleben mit dem Bewusstsein, dass ich für meine Schuld Sühne geleistet habe; und so weiter.

Die Wirksamkeit dieser Substitutionsoperation wird in der hegelianischen reflexiven Umkehrung exemplifiziert: Wenn der Andere für mich geopfert wird, opfere ich mich durch den Anderen; wenn der Andere für mich handelt, handle ich selbst durch den Anderen ; wenn der Andere für mich genießt, genieße ich selbst durch den Anderen. Nehmen wir den guten alten Witz über den Unterschied zwischen sowjetischem bürokratischem Sozialismus und jugoslawischem Selbstverwaltungssozialismus: In Russland fahren die Mitglieder der Nomenklatura, die Vertreter der gewöhnlichen Leute, selbst in teuren Limousinen, während in Jugoslawien die gewöhnlichen Leute selbst durch ihre Vertreter in Limousinen fahren. Dieses befreiende Potential mechanischer Rituale ist auch in unserer modernen Erfahrung klar erkennbar: Jeder Intellektuelle kennt den erlösenden Wert, zeitweilig militärischem Drill unterworfen zu sein, den Anforderungen einer ‘primitiven’ körperlichen Arbeit oder einer ähnlichen äußerlich regulierten Tätigkeit – das bloße Bewusstsein, dass der Andere den Prozess reguliert, an dem ich teilnehme, setzt meinen Geist frei zu schweifen, da ich weiß, dass ich nicht involviert bin. Das foucaultsche Motiv der Verknüpfung zwischen Disziplin und subjektiver Freiheit erscheint so in einem anderen Licht: Indem ich mich irgendeiner disziplinären Maschine unterwerfe, übertrage ich, sozusagen, dem Anderen die Verantwortung, den reibungslosen Ablauf der Dinge aufrechtzuerhalten, und gewinne so kostbaren Raum, in dem ich meine Freiheit ausüben kann.

Derjenige, der ursprünglich ‘es für mich tut’, ist der Signifikant selbst in seiner äußeren Materialität, von dem ‘Konservengebet’ in der tibetischen Gebetsmühle bis zum ‘Konservenlachen’ in unserem Fernsehen: Das Grundmerkmal der symbolischen Ordnung als ‘großer Anderer’ ist, dass sie niemals einfach ein Werkzeug oder Mittel der Kommunikation ist, da sie das Subjekt von innen her ‘dezentriert’, im Sinn dessen, dass sie seine Handlung für ihn vollzieht. Diese Lücke zwischen dem Subjekt und dem Signifikanten, der ‘es für ihn tut’, ist in der gewöhnlichen Alltagserfahrung klar erkennbar: Wenn eine Person ausrutscht, kann eine andere Person, die neben ihr steht und den Unfall nur beobachtet, ihn mit ‘Ups!’ oder etwas Ähnlichem begleiten. Das Rätsel dieses alltäglichen Vorkommnisses besteht darin, dass, wenn der andere es für mich tut, an meiner Stelle, seine symbolische Wirksamkeit genau dieselbe ist, wie sie gewesen wäre, hätte ich es direkt getan. Darin liegt das Paradox des Begriffs des ‘Performativen’ oder Sprechakts: In der eigentlichen Geste, eine Handlung durch das Aussprechen von Worten zu vollziehen, werde ich der Autorschaft beraubt; der ‘große Andere’ (die symbolische Institution) spricht durch mich. Es ist daher kein Wunder, dass Menschen, deren professionelle Funktion wesentlich performativ ist (Richter, Könige …), etwas Marionettenhaftes haben: Sie werden auf eine lebendige Verkörperung der symbolischen Institution reduziert; ihre einzige Pflicht ist, mechanisch ‘die i-Punkte zu setzen’, einem von anderen ausgearbeiteten Gehalt das institutionelle Siegel zu verleihen. Der spätere Lacan ist völlig berechtigt, den Begriff ‘Akt’ für etwas viel suizidaleres und realeres als einen Sprechakt zu reservieren.

Dieses Rätsel der symbolischen Ordnung wird durch den rätselhaften Status dessen exemplifiziert, was wir ‘Höflichkeit’ nennen: Wenn ich beim Treffen eines Bekannten sage ‘Freut mich, dich zu sehen! Wie geht’s dir heute?’, ist beiden klar, dass ich es gewissermaßen ‘nicht ernst meine’ (wenn mein Gegenüber vermutet, dass ich wirklich interessiert bin, kann er sogar unangenehm überrascht sein, als ob ich in etwas hineinbohre, das zu intim und nicht meine Angelegenheit ist – oder, um den alten freudschen Witz zu paraphrasieren: ‘Warum sagst du, du freust dich, mich zu sehen, wenn du dich wirklich freust, mich zu sehen!?’). Es wäre jedoch falsch, meinen Akt einfach als ‘heuchlerisch’ zu bezeichnen, denn auf eine andere Weise meine ich es doch: Der höfliche Austausch etabliert eine Art Pakt zwischen uns beiden; in demselben Sinn, in dem ich ‘aufrichtig’ durch das Konservenlachen lache (der Beweis ist die Tatsache, dass ich mich danach tatsächlich ‘erleichtert fühle’).

Wenn wir das Substitutionsverhältnis (d.h. den ersten Aspekt des Fetischismusbegriffs) auf diese Weise radikalisieren, dann wird die Verbindung zwischen den beiden Aspekten, der Opposition ‘Personen versus Dinge’, ihrem Substitutionsverhältnis (‘Dinge statt Menschen’, oder eine Person statt einer anderen, oder ein Signifikant statt des Signifikats), und der Opposition ‘Struktur versus eines ihrer Elemente’, klar: Die differentielle/formale Struktur, die durch das Element-Fetisch verdeckt wird, kann nur dann hervortreten, wenn die Geste der Substitution bereits stattgefunden hat. Mit anderen Worten: Die Struktur ist immer, per definitionem, eine signifikante Struktur, eine Struktur von Signifikanten, die für den signifizierten Gehalt substituiert sind, nicht eine Struktur des Signifikats. Damit die differentielle/formale Struktur hervortreten kann, muss das Reale sich im symbolischen Register verdoppeln, eine reduplicatio muss stattfinden, aufgrund derer Dinge nicht länger als das zählen, was sie direkt ‘sind’, sondern nur in Bezug auf ihren symbolischen Platz. Diese ursprüngliche Substitution des großen Anderen, der symbolischen Ordnung, für das Reale der unmittelbaren Lebenssubstanz (in lacanianischen Begriffen: von A – le grand Autre – für J – jouissance), erzeugt $, das ‘gestrichene Subjekt’, das dann durch die Signifikanten ‘repräsentiert’ wird – das heißt, in dessen Namen Signifikanten ‘handeln’, das durch Signifikanten handelt …

Interpassivität

Vor diesem Hintergrund ist man versucht, den modischen Begriff der ‘Interaktivität’ durch sein schattiges und weit unheimlicheres Supplement/Doppel, den Begriff der ‘Interpassivität’, zu ergänzen.²⁸ Das heißt: Es ist eine Banalität, zu betonen, wie mit den neuen elektronischen Medien der passive Konsum eines Textes oder eines Kunstwerks vorbei ist: Ich starre nicht mehr bloß auf den Bildschirm, ich interagiere zunehmend mit ihm, trete in eine dialogische Beziehung zu ihm (von der Wahl der Programme über die Teilnahme an Debatten in einer virtuellen Gemeinschaft bis zur direkten Bestimmung des Ausgangs der Handlung in sogenannten ‘interaktiven Narrativen’). Diejenigen, die das demokratische Potential der neuen Medien preisen, fokussieren gewöhnlich genau auf diese Merkmale: darauf, wie der Cyberspace die Möglichkeit eröffnet, dass die große Mehrheit der Menschen aus der Rolle des passiven Beobachters ausbricht, der das von anderen inszenierte Spektakel verfolgt, und aktiv nicht nur am Spektakel selbst, sondern zunehmend an der Festlegung der eigentlichen Regeln des Spektakels teilnimmt.

Ist nicht jedoch die andere Seite dieser Interaktivität die Interpassivität? Ist nicht das notwendige Gegenstück dazu, dass ich mit dem Objekt interagiere, statt bloß passiv der Show zu folgen, die Situation, in der das Objekt selbst mir meine eigene passive Reaktion der Befriedigung (oder Trauer oder des Lachens) abnimmt, mich ihrer beraubt, so dass es das Objekt selbst ist, das ‘die Show genießt’ statt meiner, mich von der Über-Ich-Pflicht entlastet, selbst zu genießen? Sehen wir ‘Interpassivität’ nicht in einer großen Zahl heutiger Werbespots oder Plakate, die sozusagen das Produkt an unserer Stelle passiv genießen? (Cola-Dosen mit der Aufschrift ‘Ooh! Ooh! What taste!’ emulieren die Reaktion des idealen Kunden im Voraus.) Ein weiteres seltsames Phänomen bringt uns näher an den Kern der Sache: Fast jeder VCR-Aficionado, der zwanghaft Hunderte Filme aufnimmt (mich eingeschlossen), ist sich dessen bewusst, dass der unmittelbare Effekt eines VCR darin besteht, dass man tatsächlich weniger Filme schaut als in den guten alten Tagen eines einfachen TV-Geräts ohne VCR; man hat nie Zeit fürs Fernsehen, und statt einen kostbaren Abend zu verlieren, nimmt man den Film einfach auf und lagert ihn für eine zukünftige Sichtung (für die es natürlich fast nie Zeit gibt …). So schaue ich zwar tatsächlich keine Filme, doch das bloße Bewusstsein, dass die Filme, die ich liebe, in meiner Videothek gespeichert sind, verschafft mir eine tiefe Befriedigung und ermöglicht es mir gelegentlich, einfach zu entspannen und mich der exquisiten Kunst des far niente hinzugeben – als ob der VCR sie gewissermaßen für mich, an meiner Stelle, schaut … Der VCR steht hier für den ‘großen Anderen’, für das Medium symbolischer Registrierung.²⁹

Ist nicht die Obsession des westlichen liberalen Akademikers mit dem Leiden in Bosnien das herausragende jüngste Beispiel interpassiven Leidens? Man kann authentisch durch Berichte über Vergewaltigungen und Massenmorde in Bosnien leiden und dabei ruhig seine akademische Karriere verfolgen … Ein weiteres Standardbeispiel der Interpassivität liefert die Rolle des ‘Verrückten’ innerhalb einer pathologisch verzerrten intersubjektiven Verknüpfung (etwa einer Familie, deren verdrängte Traumata im mentalen Zusammenbruch eines ihrer Mitglieder explodieren): Wenn eine Gruppe einen Verrückten produziert, verschieben sie nicht auf ihn die Verpflichtung, das Leiden, das zu allen gehört, passiv zu ertragen? Ferner: Ist nicht das ultimative Beispiel der Interpassivität das ‘absolute Beispiel’ (Hegel) selbst: das von Christus, der das (verdiente) Leiden der Menschheit auf sich nahm? Christus erlöste uns alle nicht dadurch, dass er für uns handelte, sondern dadurch, dass er die Last der ultimativen passiven Erfahrung auf sich nahm. (Der Unterschied zwischen Aktivität und Passivität ist natürlich oft verwischt; Weinen als Akt öffentlicher Trauer ist nicht einfach passiv, es ist Passivität, transformiert in eine aktive ritualisierte symbolische Praxis.)

Im politischen Bereich ist eines der jüngsten herausragenden Beispiele von ‘Interpassivität’ die ‘Besorgnis’ des multikulturalistischen linken Intellektuellen darüber, wie selbst die Muslime, die großen Opfer des Jugoslawienkriegs, nun die multiethnische pluralistische Vision Bosniens aufgeben und der Tatsache nachgeben, dass, wenn die Serben und Kroaten ihre klar definierten ethnischen Einheiten wollen, auch sie einen ethnischen Raum für sich wollen. Dieses ‘Bedauern’ des Linken ist multikulturalistischer Rassismus in seiner schlimmsten Form: als ob die Bosnier nicht buchstäblich in die Schaffung ihrer eigenen ethnischen Enklave hineingedrängt worden wären durch die Weise, wie der ‘liberale’ Westen sie in den letzten fünf Jahren bedroht hat. Was uns hier jedoch interessiert, ist, wie das ‘multiethnische Bosnien’ nur das neueste Glied in der Reihe mythischer Figuren des Anderen ist, durch die westliche linke Intellektuelle ihre ideologischen Fantasien ausagieren: Dieser Intellektuelle ist ‘multiethnisch’ durch Bosnier, bricht aus dem kartesischen Paradigma aus, indem er die Weisheit der Native Americans bewundert, und so weiter – so wie in vergangenen Jahrzehnten, als sie Revolutionäre waren, indem sie Kuba bewunderten, oder ‘demokratische Sozialisten’, indem sie den Mythos des jugoslawischen ‘Selbstverwaltungs’-Sozialismus als ‘etwas Besonderes’, als einen genuinen demokratischen Durchbruch, befürworteten … In all diesen Fällen führten sie weiterhin ihre ungestörte akademische Existenz der oberen Mittelschicht, während sie ihre progressive Pflicht durch den Anderen erfüllten.

Dieses Paradox der Interpassivität, des Glaubens oder Genießens durch den anderen, eröffnet auch einen neuen Zugang zur Aggressivität: Aggressivität wird in einem Subjekt provoziert, wenn das andere Subjekt, durch das das erste Subjekt glaubte oder genoss, etwas tut, was das Funktionieren dieser Übertragung stört. Man sehe sich zum Beispiel die Haltung einiger westlicher linker Akademiker gegenüber der Auflösung Jugoslawiens an: Da die Tatsache, dass die Menschen des Ex-Jugoslawien den Sozialismus zurückwiesen (‘verrieten’), den Glauben dieser Akademiker störte – das heißt, sie daran hinderte, in ihrem Glauben an einen ‘authentischen’ Selbstverwaltungssozialismus durch den Anderen, der ihn realisiert, fortzufahren –, wurde jeder, der ihre jugo-nostalgische Haltung nicht teilte, als protofaschistischer Nationalist abgetan.³⁰

Das Subjekt, dem zu genießen unterstellt wird

Haben wir jedoch unter der Überschrift ‘Interpassivität’ nicht verschiedene Phänomene verwechselt? Gibt es nicht eine entscheidende Unterscheidung zwischen dem Anderen, der mir den ‘dumpfen’ mechanischen Aspekt routinierter Pflichten abnimmt, und dem Anderen, der mir das Genießen abnimmt und mich damit des Genießens beraubt? Ist nicht ‘vom eigenen Genießen entlastet zu werden’ ein sinnloses Paradox, bestenfalls ein Euphemismus dafür, ihm einfach beraubt zu werden? Ist Genießen nicht etwas, was gerade nicht durch den Anderen getan werden kann?

Auf der Ebene elementarer psychologischer Beobachtung kann man darauf antworten, indem man an die tiefe Befriedigung erinnert, die ein Subjekt (ein Elternteil zum Beispiel) aus dem Bewusstsein ziehen kann, dass seine geliebte Tochter oder sein geliebter Sohn wirklich etwas genießt; ein liebender Elternteil kann buchstäblich durch das Genießen des Anderen genießen. Es ist hier jedoch ein viel unheimlicheres Phänomen am Werk: Die einzige Weise, die Befriedigung und das befreiende Potential, durch den Anderen genießen zu können – vom eigenen Genießen entlastet zu werden und es auf den Anderen zu verschieben –, wirklich zu erklären, besteht darin zu akzeptieren, dass Genießen selbst kein unmittelbarer spontaner Zustand ist, sondern durch ein Über-Ich-Gebot getragen wird: Wie Lacan immer wieder betonte, ist der letzte Gehalt der Über-Ich-Anordnung ‘Genieße!’.

Um dieses Paradox richtig zu erfassen, sollte man zuerst die Opposition zwischen dem (öffentlichen symbolischen) Gesetz und dem Über-Ich erläutern. Das öffentliche Gesetz ‘zwischen den Zeilen’ toleriert stillschweigend – ja reizt sogar an –, was sein expliziter Text verbietet (etwa Ehebruch), während die Über-Ich-Anordnung, die jouissance gebietet, durch die eigentliche Direktheit ihres Befehls den Zugang des Subjekts dazu viel effizienter verhindert als jedes Verbot. Erinnern wir uns an die Figur des Vaters, der seinen Sohn hinsichtlich sexueller Abenteuer berät: Wenn der Vater ihn davor warnt, es formal verbietet, mit Mädchen auszugehen, und so weiter, treibt er den Sohn natürlich zwischen den Zeilen nur dazu an, es zu tun – Befriedigung darin zu finden, das väterliche Verbot zu verletzen; wenn hingegen der Vater ihn in obszöner Weise direkt dazu drängt, ‘sich wie ein Mann zu verhalten’ und Mädchen zu verführen, wird der tatsächliche Effekt davon wahrscheinlich der entgegengesetzte sein (der Rückzug des Sohnes, Scham über den obszönen Vater, sogar Impotenz …). Vielleicht ist die knappste Weise, das Über-Ich-Paradox zu formulieren, die Anordnung ‘Ob du willst oder nicht, genieße dich!’

Ein Versuch, dieselbe Blockade zu lösen, ist die typische hysterische Strategie, die symbolische Verknüpfung zu verändern (zu suspendieren), während man vorgibt, in der Realität habe sich nichts geändert: Ein Ehemann zum Beispiel, der sich von seiner Frau scheiden lässt und dann weiterhin ihr Haus und die Kinder regelmäßig besucht, als wäre nichts geschehen, sich nicht nur so zu Hause fühlt wie zuvor, sondern sogar entspannter; da die symbolische Verpflichtung gegenüber der Familie gebrochen ist, kann er es nun wirklich ruhig angehen lassen und sie genießen. Vor diesem Hintergrund ist es leicht, das befreiende Potential, vom Genießen entlastet zu werden, zu erkennen: Auf diese Weise wird man von der monströsen Pflicht zu genießen entlastet. Bei genauerer Analyse müsste man daher zwischen zwei Typen ‘der Andere tut (oder, vielmehr, erduldet) es für mich’ unterscheiden:³¹

•Im Fall des Warenfetischismus wird unser Glaube auf den Anderen gelegt: Ich glaube, ich glaube nicht, aber ich glaube durch den Anderen. Die Geste der Kritik besteht hier in der Behauptung von Identität: nein, du bist es, der durch den Anderen glaubt (an die theologischen Grillen der Waren, an den Weihnachtsmann …).

•Im Fall eines Videorekorders, der einen Film für mich ansieht und genießt (oder des Konservenlachens, oder der Klageweiber, die für dich weinen und trauern, oder der tibetischen Gebetsmühle) ist es umgekehrt: du glaubst, du habest die Show genossen, aber der Andere tat es für dich. Die Geste der Kritik lautet hier: nein, nicht du hast gelacht, der Andere (das TV-Gerät) tat es.

Liegt der Schlüssel zu dieser Unterscheidung nicht darin, dass wir es hier mit der Opposition zwischen Glaube und jouissance, zwischen dem Symbolischen und dem Realen zu tun haben? Im Fall des (symbolischen) Glaubens verleugnest du die Identität (du erkennst dich in dem Glauben, der deiner ist, nicht wieder); im Fall der (realen) jouissance verkennst du die Dezentrierung in dem, was du als ‘deine eigene’ jouissance (fehl)wahrnimmst. Vielleicht ist die grundlegende Haltung, die das Subjekt definiert, weder die der Passivität noch die der autonomen Aktivität: sondern gerade die der Interpassivität. Diese Interpassivität ist der hegelianischen List der Vernunft (‘cunning of Reason’) entgegenzusetzen: Im Fall der ‘List der Vernunft’ bin ich aktiv durch den anderen – das heißt, ich kann passiv bleiben, während der Andere es für mich tut (wie die hegelianische Idee, die außerhalb des Konflikts bleibt und die menschlichen Leidenschaften die Arbeit für sie erledigen lässt); im Fall der Interpassivität bin ich passiv durch den anderen – das heißt, ich überlasse dem anderen den passiven Aspekt (des Genießens), während ich aktiv engagiert bleiben kann (ich kann abends weiterarbeiten, während der VCR für mich passiv genießt; ich kann finanzielle Arrangements für das Vermögen des Verstorbenen treffen, während die Klageweiber für mich trauern). Dies erlaubt uns, den Begriff falscher Aktivität vorzuschlagen: du glaubst, du seist aktiv, während deine wahre Position, wie sie im Fetisch verkörpert ist, passiv ist … Begegnen wir nicht etwas Ähnlichem dieser falschen Aktivität im Paradox der Prädestination (die eigentliche Tatsache, dass Dinge im Voraus entschieden sind – dass unsere Haltung zum Schicksal die eines passiven Opfers ist – drängt uns dazu, uns in unablässige frenetische Aktivität zu stürzen) und in der typischen Strategie des Zwangsneurotikers, die ebenfalls eine ‘falsche Aktivität’ einschließt: er ist frenetisch aktiv, um zu verhindern, dass das Reale geschieht (in einer Gruppensituation, in der eine Spannung zu explodieren droht, redet der Zwanghafte die ganze Zeit, erzählt Witze usw., um den peinlichen Moment der Stille zu verhindern, der den Beteiligten die zugrunde liegende Spannung bewusst machen würde)?³²

Das Objekt, das dem Mehrgenuss Körper gibt, fasziniert das Subjekt, es reduziert ihn auf einen passiven Blick, der impotent auf das Objekt starrt; dieses Verhältnis wird vom Subjekt natürlich als etwas Beschämendes, Unwürdiges erfahren. Direkt vom Objekt fixiert zu sein, sich passiv seiner Faszinationsmacht zu unterwerfen, ist letztlich unerträglich: Die offene Zurschaustellung der passiven Haltung des ‘es Genießens’ beraubt das Subjekt irgendwie seiner Würde. Interpassivität ist daher als die ursprüngliche Form der Abwehr des Subjekts gegen jouissance zu begreifen: Ich verschiebe jouissance auf den Anderen, der sie passiv erduldet (lacht, leidet, genießt …) in meinem Namen. In diesem präzisen Sinn ist der Effekt des Subjekts, dem zu genießen unterstellt wird – die Geste, die eigene jouissance auf den Anderen zu übertragen – vielleicht noch ursprünglicher als der des ‘Subjekts, dem zu wissen unterstellt wird’, oder des ‘Subjekts, dem zu glauben unterstellt wird’. Darin liegt die libidinöse Strategie eines Perversen, der die Position des reinen Instruments der jouissance des Anderen einnimmt: Für den (männlichen) Perversen beinhaltet der Sexualakt (Koitus) eine klare Arbeitsteilung, in der er sich selbst zu einem reinen Werkzeug des Genießens der Frau reduziert; er verrichtet die harte Arbeit, vollzieht die aktiven Gesten, während sie in Ekstase-Entrückung es passiv erduldet und ins Leere starrt … Im Verlauf der psychoanalytischen Behandlung muss das Subjekt lernen, seine Beziehung zu dem Objekt, das seiner jouissance Körper gibt, direkt zu akzeptieren, den Stellvertreter zu umgehen, der an seiner Stelle, statt seiner, genießt. Die verleugnete fundamentale Passivität meines Seins ist in der grundlegenden Phantasie strukturiert, die, obwohl sie mir a priori unzugänglich ist, die Weise reguliert, wie ich mich zur jouissance verhalte. Genau aus diesem Grund ist es dem Subjekt unmöglich, seine grundlegende Phantasie zu übernehmen, ohne die radikale Erfahrung der ‘subjektiven Entblößung’ zu durchlaufen: Indem ich meine grundlegende Phantasie übernehme, nehme ich den passiven Kern meines Seins auf mich – den Kern, dessen Distanz die meine subjektive Aktivität trägt.

Die Substitution des Objekts für das Subjekt ist daher in gewisser Weise noch ursprünglicher als die Substitution des Signifikanten für das Subjekt: Wenn der Signifikant die Form des ‘aktiv durch einen anderen Sein’ ist, ist das Objekt die Form des ‘passiv durch einen anderen Sein’ – das heißt, das Objekt ist ursprünglich das, was für mich, an meiner Stelle, leidet, es erduldet: kurz, das, was für mich genießt. So ist das Unerträgliche in meiner Begegnung mit dem Objekt, dass ich mich in ihm in der Gestalt eines leidenden Objekts sehe: Was mich zu einem faszinierten passiven Beobachter reduziert, ist die Szene meiner selbst, wie ich es passiv erdulde. Weit davon entfernt, ein exzessives Phänomen zu sein, das nur in extremen ‘pathologischen’ Situationen auftritt, ist Interpassivität, in ihrer Opposition zur Interaktivität (nicht im Standardsinn, mit dem Medium zu interagieren, sondern im Sinn, dass ein anderer es für mich tut, an meiner Stelle), somit das Merkmal, das die elementarste Ebene, das notwendige Minimum, von Subjektivität definiert: Um ein aktives Subjekt zu sein, muss ich die träge Passivität, die die Dichte meines substantiellen Seins enthält, loswerden – und auf den anderen übertragen. In diesem präzisen Sinn überlappt die Opposition Signifikant/Objekt mit der Opposition Interaktivität/Interpassivität: Der Signifikant ist interaktiv, er ist in meinem Namen aktiv, an meiner Stelle, während das Objekt interpassiv ist, es leidet für mich. Meine eigentliche passive Erfahrung auf einen anderen zu übertragen ist ein viel unheimlicheres Phänomen als das, aktiv durch einen anderen zu sein: In der Interpassivität bin ich in viel radikalerer Weise dezentriert als in der Interaktivität, da Interpassivität mich des eigentlichen Kerns meiner substantiellen Identität beraubt.

Folglich ergibt sich die Grundmatrix der Interpassivität aus dem Begriff des Subjekts selbst als der reinen Aktivität des (Selbst-)Setzens, als der Flüssigkeit reinen Werdens, entleert jedes positiven, festen Seins: Damit ich als reine Aktivität funktionieren kann, muss ich mein (passives) Sein externalisieren – kurz: Ich muss passiv durch einen anderen sein. Dieses träge Objekt, das mein Sein ‘ist’, in dem mein träges Sein externalisiert ist, ist das lacanianische objet petit a. Insofern die elementare, konstitutive Struktur der Subjektivität hysterisch ist – insofern also Hysterie durch die Frage definiert ist ‘Was für ein Objekt bin ich (in den Augen des Anderen, für das Begehren des Anderen)?’, konfrontiert sie uns mit Interpassivität in ihrer reinsten Form: Was das hysterische Subjekt nicht zu akzeptieren vermag, was in ihm eine unerträgliche Angst hervorruft, ist die Ahnung, dass der/die Andere(n) ihn in der Passivität seines Seins wahrnehmen, als ein Objekt, das getauscht, genossen oder sonstwie ‘manipuliert’ werden kann. Darin liegt das ‘ontologische Axiom’ lacanianischer Subjektivität: Je aktiver ich bin, desto mehr muss ich an der Stelle eines anderen passiv sein – das heißt, desto mehr muss es ein anderes Objekt geben, das an meiner Stelle, in meinem Namen, passiv ist. (Dieses Axiom wird in äußerster Einfachheit im sprichwörtlichen Senior-Manager realisiert, der sich von Zeit zu Zeit gezwungen fühlt, Prostituierte zu besuchen, um masochistischen Ritualen ausgesetzt zu werden und ‘als bloßes Objekt behandelt’ zu werden.) Was die Psychoanalyse in einem aktiven Subjekt sucht, ist genau die grundlegende Phantasie, die seine verleugnete Passivität trägt.

Das theoretische Problem, das sich hier ergibt, ist das, was Adorno vor langem formulierte (und wofür er seine Lösung der ‘angstlosen Passivität (passivity without anxiety]’ vorschlug): Ist es dem Subjekt möglich, gegenüber dem Bereich der Objekte passiv zu sein, die ‘Primat des Objekts’ anzuerkennen, ohne dem Fetischismus zu verfallen? In lacanianischen Begriffen sollte dasselbe Problem so umformuliert werden: Fungiert objet petit a immer und notwendig als fetischistisches Objekt, als das Objekt, dessen faszinierende Präsenz den Mangel der Kastration verdeckt (das kleine a über minus phi der Kastration, in Lacans Mathemen)?

Sexuelle Differenz

Entscheidend ist hier die reflexive Umkehrung von ‘der Andere tut es für mich, statt meiner, an meiner Stelle ’ in ‘ich selbst tue es durch den Anderen’: Diese Umkehrung bringt die Minimalbedingung von Subjektivität zum Ausdruck – das heißt, die Haltung, die Subjektivität konstituiert, ist nicht ‘ich bin der aktive autonome Agent, der es tut’, sondern ‘wenn ein anderer es für mich tut, tue ich selbst es durch ihn’ (eine Frau, die es durch ihren Mann tut, usw.). Diese Umkehrung ist im hegelianischen dialektischen Prozess wiederholt am Werk, in der Gestalt der Umkehrung bestimmender Reflexion in reflexive Bestimmung. Wie wir wissen, ist die bestimmende Reflexion die dialektische Einheit von Setzen und äußerer Reflexion. Auf der Ebene der Aktivität des Subjekts tritt ‘setzende Reflexion’ auf, wenn ich direkt aktiv bin; in der ‘äußeren Reflexion’ ist der Andere aktiv und ich beobachte es nur passiv. Wenn der Andere es für mich tut, statt meiner, wenn er als mein Stellvertreter handelt, wird meine Beziehung zu ihm zur der bestimmenden Reflexion – äußere und setzende Reflexion überlappen in ihr bereits (der eigentliche Akt, den Anderen zu beobachten, wie er es für mich tut, der Moment äußerer Reflexion, macht mir bewusst, dass er es für mich tut – dass ich in diesem Sinn seine Aktivität selbst ‘gesetzt’ habe, dass seine Aktivität durch meine subjektive Position ‘vermittelt’ ist); erst wenn ich direkte Identität zwischen der Aktivität des Anderen und meiner eigenen setze – wenn ich mich selbst als die wahrhaft aktive Partei begreife, als diejenige, die es durch den Anderen tut –, gehen wir von der bestimmenden Reflexion zur reflexiven Bestimmung über (da auf dieser Ebene die Aktivität des Anderen nicht nur durch meine Reflexion bestimmt ist, sondern direkt als meine reflexive Bestimmung gesetzt ist). Oder – um nochmals auf den jugoslawischen Witz zu verweisen – wir haben es hier mit der Verschiebung von ‘Vertreter der Leute, die an Stelle der gewöhnlichen Leute Limousinen fahren’ zu ‘gewöhnliche Leute selbst, die durch ihre Vertreter Limousinen fahren’ zu tun … Im Bereich der jouissance ist diese Verschiebung eine Verschiebung davon, dass der Andere es statt meiner, an meiner Stelle, genießt, hin dazu, dass ich selbst es durch den Anderen genieße.

Dieses Paradox erlaubt uns auch, sexuelles Differenz in ein neues Licht zu rücken. Wenn John Rawls zu Beginn seiner Argumentation für distributive Gerechtigkeit feststellt, seine Hypothese schließe die Präsenz von Neid in rationalen Subjekten aus, schließt er damit das Begehren selbst in seiner konstitutiven Vermittl-ung mit dem Begehren des Anderen aus. Die Logik des ‘Neids’ ist jedoch nicht für beide Geschlechter dieselbe. Wie unterscheidet sich dann ‘Begehren ist das Begehren des Anderen’ im Fall von Männern und Frauen? Die männliche Version ist, einfach gesagt, die der Konkurrenz/des Neids: ‘Ich will es, weil du es willst, insofern du es willst’ – das heißt, was einem Objekt den Wert der Begehrbarkeit verleiht, ist, dass es bereits von einem anderen begehrt wird. Das Ziel hier ist die ultimative Zerstörung des Anderen, was das Objekt natürlich wertlos macht – darin liegt das Paradox der männlichen Dialektik des Begehrens. Die weibliche Version hingegen ist die von ‘ich begehre durch den Anderen’, in beiden Bedeutungen von ‘lass den Anderen es (das Objekt besitzen und genießen, usw.) für mich tun’ (lass meinen Ehemann, meinen Sohn … für mich Erfolg haben), ebenso wie ‘ich begehre nur, was er begehrt, ich will nur sein Begehren erfüllen’ (Antigone, die nur das Begehren des Anderen erfüllen will, indem sie die angemessene Bestattung ihres Bruders vollzieht).³³

Die These, dass ein Mann dazu tendiert, direkt zu handeln und seinen Akt auf sich zu nehmen, während eine Frau lieber stellvertretend handelt, einen anderen es für sie tun lässt (oder einen anderen dazu manipuliert, es für sie zu tun), mag wie das schlimmste Klischee klingen, das das berüchtigte Bild der Frau als einer angeborenen Intrigantin hervorbringt, die sich hinter dem Rücken des Mannes versteckt.³⁴ Was jedoch, wenn dieses Klischee dennoch auf den weiblichen Status des Subjekts verweist? Was, wenn die ‘ursprüngliche’ subjektive Geste, die Geste, die Subjektivität konstituiert, nicht die des autonomen ‘etwas Tuns’ ist, sondern vielmehr die der ursprünglichen Substitution, des Rückzugs und des Zulassens, dass ein anderer es für mich, an meiner Stelle, tut? Frauen sind, weit mehr als Männer, in der Lage, stellvertretend zu genießen, tiefe Befriedigung aus dem Bewusstsein zu ziehen, dass ihr geliebter Partner genießt (oder Erfolg hat, oder sein oder ihr Ziel auf irgendeine andere Weise erreicht hat).³⁵ In diesem präzisen Sinn bezeugt die hegelianische ‘List der Vernunft’ die entschieden weibliche Natur dessen, was Hegel ‘Vernunft’ nennt: ‘Suche nach der verborgenen Vernunft (die sich in der scheinbaren Verwirrung egoistischer direkter Motive und Akte realisiert)!’ ist Hegels Version des berüchtigten Cherchez la femme! So also erlaubt der Verweis auf Interpassivität, die Standardopposition Mann versus Frau als aktiv versus passiv zu komplizieren: sexuelle Differenz ist in den Kern des Substitutionsverhältnisses selbst eingeschrieben – die Frau kann passiv bleiben, während sie durch ihren anderen aktiv ist ; der Mann kann aktiv sein, während er durch seinen anderen leidet.³⁶

Das ‘objektiv Subjektive’

Das ontologische Paradox – ja sogar der Skandal – dieser Phänomene (deren psychoanalytischer Name natürlich Phantasie ist) liegt darin, dass sie die Standardopposition von ‘subjektiv’ und ‘objektiv’ unterlaufen: Natürlich ist Phantasie per definitionem nicht ‘objektiv’ (im naiven Sinn von ‘unabhängig von den Wahrnehmungen des Subjekts existierend’); sie ist jedoch auch nicht ‘subjektiv’ (im Sinn, auf die bewusst erfahrenen Intu-itionen des Subjekts reduzierbar zu sein). Phantasie gehört vielmehr zur ‘bizarren Kategorie des objektiv Subjektiven – die Weise, wie die Dinge dir tatsächlich, objektiv erscheinen, selbst wenn sie dir nicht so erscheinen’.³⁷ Wenn zum Beispiel das Subjekt tatsächlich eine Reihe phantasmatischer Formationen erlebt, die als so viele Permutationen voneinander interrelieren, ist diese Reihe niemals vollständig: Es ist immer, als ob die tatsächlich erlebte Reihe so viele Variationen einer zugrunde liegenden ‘grundlegenden’ Phantasie darböte, die vom Subjekt nie tatsächlich erlebt wird. (In Freuds ‘Ein Kind wird geschlagen’ setzen die zwei bewusst erlebten Phantasien eine dritte voraus und beziehen sich damit auf sie, ‘Mein Vater schlägt mich’, die nie tatsächlich erlebt wurde und nur rückwirkend als präsupponierte Referenz der – oder in diesem Fall als das Zwischenglied zwischen – den beiden anderen Phantasien rekonstruiert werden kann.) Man kann noch weiter gehen und behaupten, dass in diesem Sinn das freudsche Unbewusste selbst ‘objektiv subjektiv’ ist: Wenn wir zum Beispiel behaupten, jemand, der bewusst Juden gegenüber wohlwollend eingestellt ist, hege dennoch tiefe antisemitische Vorurteile, derer er sich nicht bewusst ist, behaupten wir dann nicht, dass er (insofern diese Vorurteile nicht die Weise ausdrücken, wie Juden wirklich sind, sondern wie sie ihm erscheinen) nicht weiß, wie Juden ihm wirklich erscheinen?

Das führt uns zurück zum Rätsel des ‘Fetischismus’: Wenn das Subjekt mittels eines Fetischs ‘durch den anderen glaubt’ (d.h. wenn das Fetisch-Ding für ihn, an seiner Stelle, glaubt), begegnen wir auch dieser ‘bizarren Kategorie des objektiv Subjektiven’: Was der Fetisch objektiviert, ist ‘mein wahrer Glaube’, die Weise, wie die Dinge ‘mir wirklich erscheinen’, obwohl ich sie tatsächlich nie auf diese Weise erfahre; in Bezug auf den Warenfetischismus verwendet Marx selbst den Ausdruck ‘objektiv-notwendiger Schein’. Wenn also ein kritischer Marxist einem bürgerlichen Subjekt begegnet, das im Warenfetischismus versunken ist, lautet der Kommentar des Marxisten nicht ‘Die Ware mag dir wie ein magisches Objekt erscheinen, das mit besonderen Kräften ausgestattet ist, aber in Wirklichkeit ist sie nur ein reifizierter Ausdruck von Beziehungen zwischen Menschen’; der eigentliche Kommentar des Marxisten lautet vielmehr: ‘Du magst glauben, dass die Ware dir als einfache Verkörperung sozialer Beziehungen erscheint (dass Geld zum Beispiel nur eine Art Gutschein ist, der dich zu einem Teil des gesellschaftlichen Produkts berechtigt), aber so erscheinen dir die Dinge nicht wirklich – in deiner sozialen Realität legst du, durch deine Teilnahme am sozialen Austausch, Zeugnis ab von der unheimlichen Tatsache, dass eine Ware dir wirklich als magisches Objekt erscheint, das mit besonderen Kräften ausgestattet ist.’

Auf einer allgemeineren Ebene: Ist dies nicht ein Charakterzug der symbolischen Ordnung als solcher? ‘Wenn ich einem Träger symbolischer Autorität begegne (einem Vater, einem Richter …), kann meine subjektive Erfahrung von ihm die sein, dass er ein korrupter Schwächling ist, und doch behandle ich ihn mit dem gebührenden Respekt, weil er mir ‘objektiv so erscheint’. Ein weiteres Beispiel: In kommunistischen Regimen war der Schein, dem zufolge die Menschen die Partei unterstützten und enthusiastisch den Sozialismus aufbauten, kein bloß subjektiver Schein (niemand glaubte wirklich daran), sondern vielmehr eine Art ‘objektiver Schein’, ein Schein, der im tatsächlichen sozialen Funktionieren des Regimes materialisiert war, in der Weise, wie die herrschende Ideologie in ideologischen Ritualen und Apparaten materialisiert wurde. Oder, um es in hegelianischen Begriffen zu sagen: Der Begriff des ‘objektiv Subjektiven’, des im ‘objektiven’ Sinn gefassten Scheins, bezeichnet den Moment, in dem die Differenz zwischen objektiver Realität und subjektivem Schein innerhalb des Bereichs des subjektiven Scheins selbst reflektiert wird. Was wir in dieser Reflexion-in-den-Schein der Opposition zwischen Realität und Schein erhalten, ist genau der paradoxe Begriff objektiven Scheins, von ‘wie die Dinge mir wirklich erscheinen’. Darin liegt die dialektische Synthese zwischen dem Bereich des Objektiven und dem Bereich des Subjektiven: nicht einfach im Begriff subjektiver Erscheinung als vermitteltem Ausdruck objektiver Realität, sondern im Begriff eines Scheins, der sich selbst objektiviert und als ‘realer Schein’ zu funktionieren beginnt (der vom großen Anderen, der symbolischen Institution, getragene Schein) gegen den bloß subjektiven Schein tatsächlicher Individuen.

Dies ist auch eine Weise, die Bedeutung von Lacans Behauptung des konstitutiven ‘Dezentrierens’ des Subjekts zu präzisieren: Sein Punkt ist nicht, dass meine subjektive Erfahrung durch objektive unbewusste Mechanismen reguliert wird, die gegenüber meiner Selbsterfahrung ‘dezentriert’ und als solche jenseits meiner Kontrolle sind (ein Punkt, den jeder Materialist behauptet), sondern vielmehr etwas viel Beunruhigenderes: Ich werde sogar meiner intimsten ‘subjektiven’ Erfahrung beraubt, der Weise, wie die Dinge ‘mir wirklich erscheinen’, nämlich der grundlegenden Phantasie, die den Kern meines Seins konstituiert und garantiert, da ich sie niemals bewusst erfahren und übernehmen kann … Nach der Standardauffassung ist die Dimension, die für Subjektivität konstitutiv ist, die der phänom-enalen (Selbst-)Erfahrung – ich bin ein Subjekt in dem Moment, in dem ich mir sagen kann: ‘Egal welcher unbekannte Mechanismus meine Handlungen, Wahrnehmungen und Gedanken regiert, niemand kann mir nehmen, was ich jetzt sehe und fühle.’ Lacan kehrt diese Standardauffassung um: Das ‘Subjekt des Signifikanten’ entsteht erst dann, wenn ein entscheidender Aspekt der phänomenalen (Selbst-)Erfahrung des Subjekts (seine ‘grundlegende Phantasie’) ihm unzugänglich wird; das heißt: ‘ursprünglich verdrängt’ ist. Im radikalsten Sinn ist das Unbewusste das unzugängliche Phänomen, nicht der objektive Mechanismus, der meine phänomenale Erfahrung reguliert.

Die prima facie philosophische Beobachtung in Bezug auf dieses Paradox wäre natürlich, dass die moderne Philosophie einen solchen Begriff des ‘objektiv Subjektiven’ längst ausgearbeitet hat. Das ist der ganze Punkt des kantischen Begriffs des ‘Transzendentalen’, der gerade Objektivität bezeichnet, insofern sie ‘subjektiv’ vermittelt/konstituiert ist: Kant betont immer wieder, dass sein transzendentaler Idealismus nichts mit einem einfachen subjektiven Phänomenalismus zu tun hat – sein Punkt ist nicht, dass es keine objektive Realität gebe, dass uns nur subjektive Erscheinungen zugänglich seien. Es gibt definitiv eine Linie, die objektive Realität von bloßen subjektiven Eindrücken trennt, und Kants Problem ist genau, wie wir von der bloßen Vielheit subjektiver Eindrücke zur objektiven Realität gelangen: Seine Antwort lautet natürlich: durch transzendentale Konstitution – durch die synthetische Tätigkeit des Subjekts. Der Unterschied zwischen objektiver Realität und bloßen subjektiven Eindrücken ist somit subjektivitätsintern, er ist der Unterschied zwischen bloß subjektiv und objektiv subjektiv … Dies ist jedoch nicht das, worauf der lacanianische Begriff der Phantasie zielt. Um diesen Unterschied zu erfassen, sollte man hier die scheinbar haarspalterische, aber dennoch entscheidende Unterscheidung zwischen ‘subjektiv objektiv’ und ‘objektiv subjektiv’ einführen: Die kantische transzendental konstituierte Realität ist subjektiv objektiv (sie steht für Objektivität, die subjektiv konstituiert/vermittelt ist), während Phantasie objektiv subjektiv ist (sie bezeichnet einen innersten subjektiven Gehalt, ein Produkt des Phantasierens, der paradoxerweise ‘desubjektiviert’ ist, dem Subjekt unmittelbarer Erfahrung unzugänglich gemacht ist).

Es wäre jedoch ein schweres Missverständnis, diese radikale Dezentrierung, die im Begriff des Fetischismus enthalten ist (ich werde meiner innersten Glaubensformen, Phantasien usw. beraubt), als ‘das Ende kartesischer Subjektivität’ zu lesen. Was diese Beraubung (d.h. die Tatsache, dass eine phänomenologische Rekonstruktion, die ‘reifizierten’ Glauben aus dem präsupponierten ‘Ich-Person’-Glauben generieren würde, notwendig scheitert, die Tatsache, dass Substitution ursprünglich ist, die Tatsache, dass selbst im Fall der intimsten Glaubensformen, Phantasien usw. der große Andere ‘es für mich tun’ kann) effektiv unterminiert, ist der Standardbegriff des sogenannten ‘Cartesian Theatre’, der Begriff eines zentralen Bewusstseinsschirms, der den Fokus der Subjektivität bildet, wo (auf phänomenaler Ebene) ‘Dinge wirklich geschehen’.³⁸ Im klaren Kontrast dazu ist das lacanianische Subjekt als $, das Vakuum selbstreferentieller Negativität, strikt korrelativ zur ursprünglichen Dezentrierung: Die eigentliche Tatsache, dass ich sogar meines innersten psychischen (‘mentalen’) Gehalts beraubt werden kann, dass der große Andere (oder der Fetisch) für mich lachen, für mich glauben, und so weiter kann, ist das, was mich zu $, dem ‘gestrichenen’ Subjekt macht, zum reinen Vakuum ohne positiven substantiellen Gehalt. Das lacanianische Subjekt ist somit im radikalen Sinn leer, insofern es sogar der minimalen phänomenologischen Stütze beraubt ist: Es gibt keinen Reichtum an Erfahrungen, der sein Vakuum füllen könnte. Und Lacans Prämisse ist, dass die kartesische Reduktion des Subjekts auf das reine cogito eine solche Reduktion jedes substantiellen Gehalts bereits impliziert, einschließlich meiner innersten ‘mentalen’ Haltungen – der Begriff des ‘Cartesian Theatre’ als ursprünglichen Orts der Subjektivität ist bereits eine ‘Reifikation’ des Subjekts als $, des reinen Vakuums der Negativität.

Zwei miteinander verbundene Schlussfolgerungen sind daher aus diesem Kapitel zu ziehen. Im Gegensatz zur Banalität, wonach die neuen Medien uns zu passiven Konsumenten machen, die nur blind auf den Bildschirm starren, sollte man behaupten, dass die sogenannte Bedrohung der neuen Medien darin liegt, dass sie uns unserer Passivität, unserer authentischen passiven Erfahrung, berauben und uns damit auf die gedankenlose frenetische Aktivität vorbereiten. Im Gegensatz zur Vorstellung, dass wir es mit einem Subjekt zu tun haben, in dem Moment, in dem eine Entität Zeichen eines phantasmatischen ‘Innenlebens’ zeigt, das nicht auf äußeres Verhalten reduziert werden kann, sollte man behaupten, dass das, was Subjektivität charakterisiert, vielmehr die Lücke ist, die die beiden trennt: Phantasie ist auf ihrer elementarsten Ebene dem Subjekt unzugänglich, und es ist diese Unzugänglichkeit, die das Subjekt ‘leer’ macht. So erhalten wir ein Verhältnis, das den Standardbegriff des Subjekts, das sich selbst, seine ‘inneren Zustände’, direkt erfährt, völlig unterläuft: ein ‘unmögliches’ Verhältnis zwischen dem leeren, nicht-phänomenalen Subjekt und den Phänomenen, die für immer ‘desubjektiviert’, dem Subjekt unzugänglich bleiben – das eigentliche Verhältnis, das Lacans Formel der Phantasie, $◊a, registriert.

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