Die Plage der Fantasien 9

Anmerkungen

Vorwort zur Neuausgabe:

Mein eigenes privates Österreich

1 Siehe Alain Badiou, Logiques des mondes, Paris: Editions du Seuil, 2007.

2 Sean Martin, Andrei Tarkovsky, Harpenden: Pocket Essentials, 2005, S. 49.

3 Ebd., S. 135.

4 Nikolai Bucharin, Philosophical Arabesques, London: Pluto Press, 2005, S. 29.

1Die sieben Schleier der Phantasie

1 Siehe Anders Linde-Laursen, ‘Small Differences – Large Issues’, The South Atlantic Quarterly 94: 4 (Herbst 1995), S. 1123–44.

2 Der offensichtlichste Fall – den ich gerade deshalb ausgelassen habe – ist natürlich der der ideologischen Konnotation unterschiedlicher Positionen im sexuellen Akt; das heißt der impliziten ideologischen Aussagen, die wir machen, indem wir ‘es’ in einer bestimmten Position tun.

3 Henri Bergson, An Essay on Laughter, London: Smith, 1937, S. 83.

4 Für eine detailliertere Ausarbeitung der Paradoxien des Fetischismus siehe Kapitel 3 unten.

5 Das Beispiel der konservativen Bezugnahme auf die schreckenerregenden Ursprünge der Macht (ihr Verbot, über diese Ursprünge zu sprechen, das gerade den Schrecken des ‘ursprünglichen Verbrechens’, durch das Macht eingesetzt wurde, hervorbringt) bringt die radikal mehrdeutige Funktionsweise des Schrecklichen in Bezug auf den Phantasieschirm perfekt zum Ausdruck: Schrecken ist nicht einfach und eindeutig das unerträgliche Reale, das vom Phantasieschirm maskiert wird – in der Weise, wie er unsere Aufmerksamkeit bündelt, sich als der verleugnete und gerade deshalb umso wirksamere zentrale Bezugspunkt aufdrängt. Das Schreckliche kann auch als der Schirm selbst fungieren, als dasjenige, dessen faszinierende Wirkung etwas ‘Schrecklicheres als den Schrecken selbst ’ verbirgt, die ursprüngliche Leere oder den Antagonismus. Ist zum Beispiel nicht das antisemitische dämonische Bild des Juden, die jüdische Verschwörung, eine solche Beschwörung des ultimativen Schreckens, die gerade als phantasmatischer Schirm fungiert und es uns ermöglicht, der Konfrontation mit dem gesellschaftlichen Antagonismus auszuweichen?

Die Logik des Schreckens, der als Schirm funktioniert und die Leere maskiert, lässt sich auch durch die unheimliche Macht des Motivs eines allein dahintreibenden Schiffs illustrieren, ohne Kapitän oder lebende Mannschaft, die es steuert. Dies ist der ultimative Schrecken: nicht das sprichwörtliche Gespenst in der Maschine, sondern die Maschine im Gespenst: Es gibt kein planendes Agens dahinter, die Maschine läuft einfach von selbst, als blindes kontingentes Gerät. Auf gesellschaftlicher Ebene ist dies auch das, was die Vorstellung einer jüdischen oder freimaurerischen Verschwörung verbirgt: den Schrecken der Gesellschaft als eines kontingenten Mechanismus, der blind seinen Weg verfolgt, gefangen im Teufelskreis seiner Antagonismen.

6 Wir können das Merkmal beiseitelassen, das Gemeinplatzstatus erlangt hat: Die Antwort auf die Frage ‘Wer, wo, wie ist das (phantasierende) Subjekt in die phantasmatische Erzählung eingeschrieben?’ ist alles andere als offensichtlich; selbst wenn das Subjekt selbst innerhalb seiner Erzählung erscheint, ist dies nicht automatisch sein Identifikationspunkt – das heißt, es ‘identifiziert sich’ keineswegs notwendig ‘mit sich selbst ’. (Auf einer anderen Ebene gilt dasselbe für die symbolische Identität des Subjekts; der beste Weg, ihr Paradox anschaulich zu machen, ist, den Standardhinweis aus dem Abspann eines Films zu paraphrasieren: ‘Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen oder Personen ist rein zufällig’: Die Kluft zwischen $ und S, zwischen der Leere des Subjekts und dem signifikanten Merkmal, das es repräsentiert, bedeutet, dass ‘jede Ähnlichkeit des Subjekts mit sich selbst rein zufällig ist’. Es gibt keinerlei Verbindung zwischen dem (phantasmatischen) Realen des Subjekts und seiner symbolischen Identität: Die beiden sind vollständig inkommensurabel.) Phantasie erzeugt so eine Vielzahl von ‘Subjektpositionen’, unter denen das (beobachtende, phantasierende) Subjekt frei schweben kann, seine Identifikation von einer zur anderen verschieben kann. Hier ist die Rede von ‘multiplen, verstreuten Subjektpositionen’ gerechtfertigt, mit der Maßgabe, dass diese Subjektpositionen strikt von der Leere zu unterscheiden sind, die das Subjekt ist.

7 Der Bezug auf Erzählung ermöglicht es uns auch, zwischen Neurose (Hysterie) und Perversion zu unterscheiden, da jede eine einzigartige Form von Erzählung umfasst: Die Hysterie zeigt die lineare Ursprungserzählung (den ‘Familienmythos’ des Neurotikers), während in der Perversion die Erzählung an derselben Stelle festhängt und sich endlos wiederholt – das heißt, die perverse Erzählung ist außerstande, sich angemessen ‘fortzubewegen’.

8 Für einen solchen Begriff von ‘Totalitarismus’ siehe Kapitel 6 von Slavoj Žižek, For They Know Not What They Do, London: Verso, 1991.

9 Zu den politischen Einsätzen, die D.P. Schrebers Psychose überdeterminieren, siehe Eric Santner, My Own Private Germany, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1996.

10 Ein hervorragendes Beispiel für diese Verschiebung liefern die Romane von Walter Scott, besonders Waverley, ein wahres Epos der Umkehrung von Stammesheldentum in Banditentum; sobald die schottische Gesellschaft der bürgerlichen Rechtsordnung untergeordnet ist, sehen die Handlungen, die bislang die ethische Großzügigkeit der Clan-Gesellschaft verkörperten, plötzlich wie einfache Verbrechen aus.

11 Hegels Science of Logic, London: Allen & Unwin, 1969, S. 402.

12 Eine weitere Art, dieselbe Aporie zu formulieren, ist über die Beziehung zwischen Althusser und Foucault: Im Unterschied zu Foucault, der die Beziehung zwischen juridischer und disziplinärer Macht grosso modo als eine der historischen Abfolge begreift (und damit das Ausmaß unterschätzt, in dem moderne disziplinäre Macht selbst eines ‘juridischen’ Supplements bedarf und umgekehrt), bemüht sich Althusser (und scheitert letztlich daran), die beiden Aspekte synchron zu denken, als die zwei Bestandteile des ideologischen Prozesses (die Interpellation durch den großen Anderen steht für den ‘juridischen’ Aspekt der Macht, während die Ideologischen Staatsapparate für die disziplinären ‘Mikropraktiken’ stehen), und lässt dabei die historischen Verschiebungen im Verhältnis der beiden Aspekte außer Betracht. Wie sind die beiden Ansätze, den foucaultschen und den althusserschen, zusammen zu denken, so dass wir den historischen Übergang als Verschiebung im Status der Spaltung zwischen den beiden Aspekten selbst begreifen?

13 In Anschluss an die russischen Formalisten hat David Bordwell die Unterscheidung zwischen story und plot ausgearbeitet: Die story ist die Abfolge der Ereignisse ‘an sich ’, während der plot die Weise bezeichnet, wie Ereignisse ‘für sich ’ sind, in der Erzählung präsentiert. Das klarste Beispiel für die Kluft zwischen story und plot ist natürlich der Detektiv-Whodunit, in dem der plot von Spuren des Verbrechens zu seiner abschließenden Nacherzählung als konsistente lineare Erzählung fortschreitet. (Ist diese Unterscheidung nicht analog zu der zwischen Sammlung und Menge – zu der Tatsache, dass es möglich ist, aus derselben Sammlung eine Vielzahl von Mengen zu konstruieren?) Der Punkt dieser Unterscheidung ist natürlich, dass es stricto sensu keine story gibt, die dem plot einfach vorausginge: Jede story ist bereits ein ‘plot’, sie beinhaltet ein Minimum an erzählerischer Organisation, so dass die Unterscheidung zwischen story und plot dem plot intern ist: ‘story’ (die ‘wahre Abfolge der Ereignisse’) im Gegensatz zum plot impliziert immer ein Minimum an naturalisierender Verkennung der Verfahren des plot. Aus diesem Grund ist das Beispiel des Whodunit irreführend, insofern es nahelegt, der plot sei eine Art, ‘das, was wirklich vor sich ging’ (die story) zu manipulieren-zu verdrängen, wie in den Rückblendeverfahren, durch die wir allmählich in den wahren Umriss der story eindringen. Der Punkt ist vielmehr, dass die story selbst auf einem Minimum an ‘Verdrängung’ beruht, und der plot (d.h. die Weise, wie die story in ihrer Präsentation manipuliert wird) in seiner eigenen ‘Verzerrung’ der ‘natürlichen’ Ereignisfolge das ‘Verdrängte’ der story enthüllt (wie in der freudschen Unterscheidung zwischen latentem Gedanken und manifestem Inhalt eines Traums, in der das wahre Geheimnis, der unbewusste Wunsch, sich gerade über die Verzerrung des latenten Gedankens im manifesten Inhalt einschreibt). Wenn man ein Detektivrätsel in linearer Form nacherzählt, verliert es seinen Reiz, da gerade das Element des Rätselhaften verloren geht; dieser Überschuss, der durch die Verschiebung von der linearen Erzählung eines Verbrechens zur Rekonstruktion dieses Verbrechens mittels Deduktion auf der Grundlage der Interpretation der Spuren erzeugt wird, ist nicht bloß ‘rhetorisch’, er enthüllt eine ‘Wahrheit’, die in der linearen Nacherzählung verschwindet.

Nebenbei gilt dies nicht nur im Fall des Rätsels, wo unser Interesse dadurch wachgehalten wird, dass wir nicht wissen, was in der Vergangenheit geschehen ist, sondern vielleicht noch mehr im entgegengesetzten Fall eines tragischen Verlaufs von Ereignissen, der noch tragischer wird, wenn uns seine letztendliche katastrophale Wirkung im Voraus präsentiert wird. In J.B. Priestleys Time and the Conways sehen wir in Akt I ein abendliches Beisammensein junger Familienmitglieder, Brüder und Schwestern, die von ihren Zukunftsplänen träumen; in Akt III sehen wir sie zwanzig Jahre später, allesamt gescheitert, ein elendes Leben führend; Akt III kehrt dann zu demselben Abend wie Akt I zurück und präsentiert seine Fortsetzung, mit den Conways, die von ihren hellen Zukunftshoffnungen träumen … diese minimale, elementare Verschiebung von story zu plot (die Umkehrung der zeitlichen Ordnung) – die Tatsache, dass wir, nachdem wir ihr elendes Scheitern bereits gesehen haben, die Conways in Akt III von ihrer Zukunft träumen sehen – macht die Situation nicht nur viel deprimierender, sondern vermittelt auch ihre Wahrheit: die Tatsache, dass ihre Hoffnungen vergeblich waren, dass sie zum Scheitern verurteilt waren.

14 Ein weiterer Punkt am Perversen ist, dass er, da für ihn das Gesetz nicht vollständig etabliert ist (das Gesetz ist sein verlorenes Objekt des Begehrens), diesen Mangel durch ein kompliziertes Regelwerk ergänzt (das masochistische Ritual). Der entscheidende Punkt ist daher, den Gegensatz zwischen Gesetz und Vorschriften (oder ‘Regeln’) im Auge zu behalten: Letztere zeugen von der Abwesenheit oder Suspendierung des Gesetzes.

15 Dieses Beispiel verdanke ich Charity Snider, Columbia University.

16 Ich stütze mich hier auf Henry Staten, Eros in Mourning, Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press, 1995, S. 125.

17 Ebd., S. 124.

18 Worauf dieses reaktionäre Märchen beruht, ist die Überlappung der beiden Mängel in der Begegnung mit dem Rätsel des Begehrens des Anderen. Wie Lacan sagt, beantwortet das Subjekt das Rätsel des Begehrens des Anderen (was will der Andere von mir? Was bin ich für den Anderen?) mit seinem eigenen Mangel, indem es sein eigenes Verschwinden anbietet: Wenn ein kleines Kind mit dem Rätsel des Begehrens seiner Eltern konfrontiert ist, ist die grundlegende Phantasie, dieses Begehren zu testen, die Phantasie des eigenen Verschwindens (Was, wenn ich sterbe oder verschwinde? Wie werden Mutter und Vater reagieren?). Im slowenischen Märchen wird diese phantasmatische Struktur realisiert: Die Kinder stellen sich als nicht existent vor und befragen von dieser Position aus das Begehren ihrer Eltern (‘Warum zog meine Mutter ihre Karriere oder ein neues Auto mir vor?’).

19 Roses Voreingenommenheit war auch deutlich erkennbar in seiner kuriosen, fast lacanianischen, Definition der ‘Sicherheitszonen’, die UNPROFOR garantieren sollte: In einem TV-Interview betonte er, man solle sie auf ‘flexible’ Weise definieren – wenn die Serben einen Teil einer Sicherheitszone besetzen, definiert man ihre Grenzen einfach neu, so dass UNFROFOR nun die verkleinerte Zone garantiert; auf diese Weise bleibt, egal was die Serben tun, die Sicherheit dieser Zonen immer gewahrt … Die Argumente, die den Fall von Srebrenica greifbar machten, folgten ebenfalls derselben sophistischen Argumentation: Zuerst verlangten die UN-Truppen, die belagerten Bosnier in Srebrenica sollten entwaffnen, da die UN nur Zivilbevölkerungen verteidigen könne, nicht eine Armee gegen eine andere; dann, nachdem die Serben die nahezu wehrlose Zivilbevölkerung von Srebrenica angegriffen hatten, ließ UNPROFOR natürlich wissen, dass seine begrenzten Kräfte eine wehrlose Stadt nicht vor der gut bewaffneten serbischen Armee schützen könnten.

20 Siehe Christopher Hitchens, The Missionary Position, London: Verso, 1995.

21 Die Inhaltsangabe und das erhaltene Fragment von ‘Beatrice Palmato’ sind veröffentlicht in Gloria Erlich, The Sexual Education of Edith Wharton, Los Angeles: University of California Press, 1992.

22 Aus diesem Grund ist es auch falsch, Nazi-Rituale als ‘unauthentische’, gefälschte Imitation heidnischer sakraler Rituale abzutun: Der Nationalsozialismus vollzieht tatsächlich die ‘Wiederkehr des Verdrängten’ des Christentums – der heidnischen Logik der ‘Opfergabe an dunkle Götter’: ‘Dies, die monströsesten und angeblich überwundenen Formen des Holocaust nachstellend, ist das Drama des Nationalsozialismus’ (Jacques Lacan, The Four Fundamental Concepts of Psycho-Analysis, New York: Norton, 1978, S. 275), Mit anderen Worten: Diejenigen, die den Verlust der authentischen, ‘primitiven’ Beziehung zum Heiligen in unserer ‘rationalistischen’ und ‘utilitaristischen’ westlichen Zivilisation beklagen, haben kein Recht, sich über Nazi-Rituale zu entrüsten …

23 Judith Butler, Bodies That Matter, New York: Routledge, 1994, S. 219.

24 In einem jüngeren privaten Gespräch.

25 Gegen Ende von 1996 bezogen sich der kroatische Präsident Tudjman und seine engen Berater in ihrem Überblick über die Lage in Kroatien auf eine ‘freimaurerisch-jüdische Verschwörung gegen Kroatien’, denunzierten westliche Organisationen und Stiftungen (Amnesty International, Soros) als Hand in Hand mit den Feinden Kroatiens und fügten dieser Liste sogar die BBC und Voice of America hinzu, warnten vor dem Eindringen bezahlter Subversiver in jede Pore des kroatischen öffentlichen und kulturellen Lebens (nebenbei genau dieselbe Feindesliste wie vor zwanzig Jahren, als das frühere kommunistische Regime vor der subversiven ideologischen Kriegsführung des Westens warnte). Das Maß der ideologisch-politischen ‘Regression’ ist das Ausmaß, in dem solche Behauptungen im öffentlichen Diskurs akzeptabel werden.

26 Siehe Judith Butler, ‘The Force of Fantasy’, Differences 2: 2 (1990).

27 Im (noch kommunistischen) Slowenien Mitte der 1970er Jahre kam es zu einem berühmten politischen Zwischenfall, bekannt als ‘die Affäre der fünfundzwanzig Delegierten’. Die unglücklichen fünfundzwanzig ‘Delegierten’ (Selbstverwaltungs-Neusprech für die Mitglieder der Nationalversammlung) schlugen als Kandidaten für eines der beiden slowenischen Mitglieder des kollektiven jugoslawischen Präsidiums zusätzlich zu den zwei ‘offiziellen’ Kandidaten eine weitere Person vor, so dass die Wähler zwei von drei wählen müssten; sie brachen absolut keine Regel, ihr Verfahren folgte allen formalen Regeln, sogar die Person, die sie vorschlugen, war ein absolut treuer Partei-Apparatschik – das unerträgliche Trauma für die Macht war die einfache Tatsache, dass ein weiterer Name außerhalb der etablierten ungeschriebenen Regeln der Kandidatenwahl auftauchte. So gab es unmittelbar nach dieser ‘Affäre’ eine heftige Kampagne in allen öffentlichen Medien gegen die unglücklichen fünfundzwanzig ‘Delegierten’, beschuldigt des ‘pseudo-demokratischen Formalismus’, antisozialistischer Tätigkeit und so weiter – sie wurden alle zum Rücktritt gezwungen.

28 Friedrich Nietzsche, Thus Spake Zarathustra, Buffalo, NY: Prometheus Books, 1993, S. 338.

29 Apropos dieses materiellen Gewichts von Van Goghs Gemälden lässt sich der Unterschied zwischen traditioneller und moderner Malerei artikulieren: In der traditionellen Malerei ist der Fleck begrenzt, lokalisiert im anamorphotischen Element (der langgezogene-verzerrte Schädel in Holbeins The Ambassadors usw.), während bei Van Gogh der Fleck sich gewissermaßen ausbreitet und das ganze Bild durchdringt, so dass jedes Element innerhalb des Rahmens eine Darstellung eines ‘realen Objekts’ ist und zugleich ein Fleck mit eigenem materiellem Gewicht.

30 Jacques Lacan, Écrits: A Selection, New York: Norton, 1977, S. 324.

31 Der paradigmatische Fall einer Erzählung, die ‘erklärt’, wie die jouissance, der wir beraubt sind, im Anderen angehäuft wird, ist natürlich der neurotische Mythos vom ursprünglichen Vater [Père-Jouissance].

32 Ist nicht die Tendenz, dasselbe Objekt zu begehren und zu genießen, verantwortlich für das, was Freud als die ‘universelle Tendenz zur Erniedrigung im Bereich der Liebe’ wahrnahm? Führt nicht das paradigmatisch moderne Bemühen, dasselbe Objekt zu lieben, zu begehren und zu genießen, zu dem Über-Ich-Druck, der das Subjekt schuldig fühlen lässt, wenn es das Objekt, das es genießt, nicht liebt? Vielleicht wäre es produktiv, die Matrix aller möglichen Kombinationen zwischen den vier grundlegenden Modi der Beziehung zu einem (libidinösen) Objekt zu artikulieren: Liebe, Begehren, jouissance, Freundschaft. Eine jouissance, der Liebe und/oder Begehren vollständig entzogen sind, kann dennoch von einem authentischen Akt der Freundschaft und Solidarität zeugen (die melodramatische Figur einer Frau, die mit ihrem männlichen Kollegen in Not ins Bett geht, um ihn zu trösten). In For the Moment, einem kanadischen Kriegs-Melodram, geht eine promiskuitive ältere Frau mit einem Herz aus Gold mit dem Helden ins Bett, der von einer unmöglichen Liebesaffäre zerstört ist; als die Geliebte des Helden das Paar im Bett überrascht, ist sie nicht eifersüchtig, da sie sofort versteht, dass ihr Geliebter aus Verzweiflung gehandelt hat – manchmal kann Sex mit einem Dritten als Beweis der Liebe fungieren.

33 Man kann auch sagen, dass, während die Hysterikerin das Begehren des Anderen (nach ihr) lebendig halten will, um dem Schicksal zu entgehen, zum Objekt der jouissance des Anderen zu werden, der Zwangsneurotiker seine Existenz als Objekt des Begehrens auslöschen will: Sobald er in seinem Anderen Anzeichen des Begehrens des Letzteren wahrnimmt, reagiert er mit Panik.

Der Unterschied zwischen Hysterie und Zwangsneurose betrifft auch ihre unterschiedliche Historizität: Hysterie war bereits in der Antike bekannt; sie ist gewissermaßen wesensgleich mit der Logik der symbolischen Identifikation, sich selbst im symbolischen Mandat wiederzuerkennen, das der soziale ‘große Andere’ uns verleiht; während die Zwangsneurose paradigmatisch modern ist und nur vor dem Hintergrund des Phänomens entstehen kann, das als ‘Niedergang der väterlichen Autorität’ (fehl)wahrgenommen wird, und dessen Folge der Rückzug direkter Manifestationen von Aggressivität aus dem öffentlichen Leben ist (keine Opfer mehr, öffentlichen Strafen und Folterungen …). Die verdrängten aggressiven Triebe kehren dann in der Gestalt zwanghafter Symptome wieder – der Rituale, die dazu bestimmt sind, die Aggressivität in Schach zu halten, die weiterhin in den Subjekten lauert.

34 Siehe Louise Kaplan, Feminine Perversions, Harmondsworth: Penguin, 1993.

35 Sigmund Freud, ‘A Child is Being Beaten’, Standard Edition, Bd. 10, S. 185.

36 Siehe Jacques-Alain Miller, ‘Retour de Granade: Savoir et satisfaction’, Revue de la cause Freudienne 33, 1996.

37 Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was Heidegger mit Gestell als dem Wesen der Technik meint, ist es instruktiv, einen Blick auf die Friedhöfe veralteter oder verbrauchter technischer Objekte zu werfen: aufgetürmte Berge gebrauchter Autos und Computer, der berühmte Flugzeug-‘Ruheplatz’ in der kalifornischen Wüste … in diesen ständig wachsenden Haufen trägen, dysfunktionalen ‘Zeugs ’, die uns nicht anders als mit ihrer nutzlosen, trägen Präsenz treffen können, lässt sich gewissermaßen der technologische Trieb in Ruhe wahrnehmen. Erinnern wir uns daran, wie wir den Tod eines uns nahestehenden Menschen erleben: Selbst wenn wir seinen oder ihren Tod direkt miterleben, verdoppelt sich das Trauma, da oft der unerträglichste Moment danach kommt, wenn wir das Zuhause des Verstorbenen besuchen und seine privaten Räume beobachten: Schränke voller seiner Kleidung, Regale voller seiner Bücher, das Bad mit seinen Toilettenartikeln … Erst in diesem Moment – wenn wir anerkennen müssen, dass die Person, zu der all dies gehört, nicht mehr hier ist, dass all diese persönlichen Dinge nun völlig nutzlos sind – werden wir uns seines endgültigen Fortgangs voll bewusst, nehmen ihn vollständig in uns auf. Dahinter steht natürlich die Tatsache, dass eine Person gewissermaßen in den materiellen Spuren ihrer Präsenz in ihrer Wohnumgebung mehr ‘hier’ ist als in der unmittelbaren Präsenz ihrer körperlichen Existenz. Und – natürlich auf einer völlig anderen Ebene – ist es nicht dasselbe mit den Friedhöfen gebrauchter Technologie? Erst hier, wenn ihr Funktionieren suspendiert ist, werden wir uns des rücksichtslosen technologischen Triebs, der unser Leben bestimmt, voll bewusst.

Sind wir dann zu der erstickenden Alternative verurteilt, entweder vom technologischen Trieb beherrscht zu werden oder uns seiner Sinnlosigkeit durch die Konfrontation mit seinem nutzlosen Geröll bewusst zu werden? Die dritte Wahl (die vielleicht ein hervorragendes Beispiel dafür liefert, was Geist im nicht-obskurantistischen Sinn des Wortes ist) wurde von den heutigen Japanern erfunden, in Gestalt von chindogu, der Kunst nutzlos überfunktionaler Objekte, das heißt von Objekt-Erfindungen, die durch ihre geradezu exzessive Funktionalität sinnlos werden und Lachen provozieren, wie Brillen (Ferngläser) mit elektrisch betriebenen Scheibenwischern, die uns ermöglichen sollen, bei Regen klar zu sehen. Bestätigt dieser japanische Trend nicht Kojèves Einsicht, wie die Japaner dem kapitalistischen Funktionalismus eine Note von Snobismus hinzugefügt haben?

2Liebe deinen Nächsten? Nein, danke!

1 Jacques Lacan, The Ethics of Psychoanalysis, London: Routledge, 1992, S. 182–3.

2 Hier sollten wir an eine typische feministische dekonstruktionistische Analyse eines Film noir erinnern: eine detaillierte Lektüre, die triumphierend eine sexistische oder patriarchale Tendenz aufdeckt (die paranoide Angst vor erwachter weiblicher Sexualität usw.). Eine solche Analyse stellt nicht nur keinerlei wirksame Bedrohung für die vorherrschende sexistische ideologische Hegemonie dar; gerade ihr Verfahren, diese Hegemonie anzuprangern, steigert unsere (die des Zuschauers) jouissance beim Konsum des Analyseobjekts. Man ist versucht, hier Walter Benjamins entscheidende Unterscheidung zwischen der Haltung, die ein Kulturprodukt gegenüber den dominierenden Produktionsverhältnissen einnimmt, und der Position dieses selben Produkts innerhalb dieser Produktionsverhältnisse anzurufen: Ein Produkt, dessen explizite Haltung den dominierenden Produktionsverhältnissen gegenüber sehr kritisch ist, passt oft vollkommen in den Rahmen dieser Produktionsverhältnisse. Oder – um es in den Begriffen von Lacans Opposition zwischen dem geäußerten Inhalt und der Position der Äußerung zu sagen – was auf der Ebene des geäußerten Inhalts die kritische Zurückweisung einer ideologischen Hegemonie ist, kann auf der Ebene der Position der Äußerung durchaus die volle Billigung genau dieser Hegemonie beinhalten.

3 Derselbe Mechanismus ist bereits am Werk in der alltäglichen Haltung des verlassenen Liebenden, der sich selbst und seine Freunde verzweifelt fragt: ‘Oh mein Gott, warum hat sie mich verlassen? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich etwas gesagt? Hat sie einen anderen Kerl getroffen?’ Um die Modalität dieses Fragens zu enthüllen, genügt es, dem trauernden Liebenden direkt und brutal zu sagen: ‘Ich weiß, warum sie dich verlassen hat. Willst du es wirklich wissen?’ Seine Antwort wird definitiv ein verzweifeltes ‘Nein!’ sein, da seine Frage, gerade insofern sie unbeantwortet bleibt, bereits eine eigene Befriedigung liefert – das heißt, gewissermaßen als ihre eigene Antwort fungiert.

4 Diese Einsicht verdanke ich Eric Santner, Princeton (privates Gespräch).

5 Siehe Nestor Braunsiein, La Jouissance. Un concept lacanien, Paris: Point Hors Ligne, 1992.

6 The Seminar of Jacques Lacan, Book II. The Ego in Freud’s Theory and in the Technique of Psychoanalysis, Cambridge: Cambridge University Press, 1988, S. 226.

7 Jacques Lacan, Écrits: A Selection, New York: Norton, 1977, S. 317.

8 Ebd., S. 319.

9 Neil Jordans The Crying Game ist vielleicht das ultimative Beispiel dieser Spannung zwischen dem Historischen und dem ‘Ewigen’, aufgrund des plötzlichen und unerwarteten Umschlags des Films von einem konkreten historischen Terrain (dem Kampf zwischen der IRA und der britischen Armee in Nordirland) zum ‘ewigen’ Thema der Paradoxien sexueller Identität und des Begehrens. Und wiederum ist es falsch, diesen Umschlag als implizite Forderung nach einer noch stärkeren Historisierung zu lesen, die sogar die scheinbar ‘ewige’ Logik des sexuellen Begehrens relativiert: Das eigentlich kierkegaardianische Paradox, dem zufolge die Ewigkeit in einer konkreten zeitlichen, historischen Tat gründet, muss voll übernommen werden – trotz ihrer ‘Historisierung’ bleibt die Ewigkeit wahre Ewigkeit, nicht bloß eine Illusion, nicht bloß die illusorische Verewigung einer konkreten historischen Konstellation.

10 Virginia Woolf hat dieses Paradox schön eingefangen in ihrer Aussage, dass irgendwo um 1910 eine grundlegende Veränderung der menschlichen Natur eingetreten sei: Ihr Punkt ist nicht einfach, dass die menschliche Natur historisch, kulturell-sozial bedingt ist usw. usw., sondern sehr viel radikaler, dass die ‘Ewigkeit’ selbst an zeitliche Verschiebungen und Teilungen gebunden ist.

11 Siehe Kapitel 1 von Slavoj Žižek, The Indivisible Remainder, London: Verso, 1996.

12 Siehe Daniel J. Goldhagen, Hitler’s Willing Executioners, New York: Little, Brown & Co., 1996.

13 Siehe Alain Badiou, L’Éthique, Paris: Hatier, 1993.

14 Der zusätzliche Reiz des Films liegt im impliziten ödipalen Rahmen, der dem politischen Drama aufgepfropft ist: der ältere Held ist der obszöne Vater, der die Braut seines Sohnes stiehlt, und der Sohn kehrt später als Rächer zurück.

15 Eine solche Umkehrung ist entscheidend für den Fortschritt der psychoanalytischen Behandlung: Am Anfang will der Patient die Konsistenz seines Selbst bewahren und lediglich die peinlichen Symptome loswerden, die diese Konsistenz stören; im Verlauf der Analyse jedoch löst sich das Selbst des Patienten auf, während der Patient direkt mit seinem Symptom konfrontiert wird, beraubt des schützenden Schildes seines Selbst.

16 Siehe Slavoj Žižek, ‘ “I Hear You with My Eyes”; or, The Invisible Master’, in Gaze and Voice as Love Objects, Durham, NC: Duke University Press, 1966.

17 Ich stütze mich hier auf Thomas W. Laqueur, ‘Masturbation, Credit and the Novel During the Long Eighteenth Century’, Qui Parle 8: 2, 1995.

18 Immanuel Kant, The Metaphysics of Morals, Teil II: The Doctrine of Virtue, II, 7, Abs. 424.

19 Zitiert nach Berthold Litzmann, Clara Schumann, Em Kunstlerleben, Bd. 1, Leipzig: Breitkopf & Hartel, 1902, S. 211.

20 Ebd., S. 206.

21 Wenn Scottie mit dem Porträt von Carlotta konfrontiert ist, in das statt von Carlottas Gesicht Midges gewöhnliches, bebrilltes Gesicht hineingemalt ist, ist das nicht ein klarer Fall einer Konfrontation mit einem Blick? Ist nicht Midges Gesicht der Punkt, von dem aus das Gemälde, sozusagen, seinen Blick erwidert?

22 Die Szene aus Vertigo verdichtet und kündigt so in gewissem Sinn die endgültige Täuschung des Helden an: Wenn er am Ende des Films entdeckt, dass das Mädchen, das er in die perfekte Kopie der verlorenen Madeleine formen will, Madeleine selbst ist – dass Madeleine selbst bereits eine Fälschung war –, genügt es nicht zu sagen, dass er getäuscht wird, da die Kopie nicht mehr zum verlorenen Ideal passt: Es ist das Ideal selbst, das zerfällt, das von innen her untergraben wird.

23 Siehe Eric Santner, My Own Private Germany, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1996.

24 Siehe Kapitel 3 von Slavoj Žižek, The Metastases of Enjoyment, London: Verso, 1994.

25 Natürlich wäre der offensichtliche feministische Punkt der, dass das, was Frauen in ihrer alltäglichen Liebeserfahrung bezeugen, vielmehr der entgegengesetzte Übergang ist: Man küsst einen schönen jungen Mann und, nachdem man ihm zu nahe gekommen ist – das heißt, wenn es bereits zu spät ist –, bemerkt man, dass er in Wirklichkeit ein Frosch ist …

26 Die Assoziation mit dem berühmten surrealistischen ‘toten Esel auf einem Klavier’ ist hier voll gerechtfertigt, da die Surrealisten auch eine Version des Durchquerens der Phantasie praktizierten. (Nebenbei: In jüngeren Budweiser-Werbungen klebt eine Froschzunge an einer Bierflasche.)

27 Und hat nicht Syberberg auf einer anderen Ebene in seinem Parsifal etwas Ähnliches vollbracht, indem er inkonsistente phantasmatische Fragmente ‘abscheulich’ aufhäufte, von Marx über romantischen Kitsch bis zu Hitler?

28 Ich stütze mich hier auf Peter Biskind, ‘Blockbusters’, in Mark Crispin Miller, Hg., Seeing Through the Movies, New York: Pantheon, 1990.

29 Doch selbst hier sind die Dinge eigentlich unentscheidbar, da Infantilisierung ein ‘schwebender Signifikant’ ist, der auch als Teil eines Zuges gegen die patriarchale Familie und ihre Gewalt fungieren kann, wie in Spielbergs eigenem The Color Purple: In diesem Film ist die Infantilisierung der Heldin dazu bestimmt, das Standardklischee über Schwarze als unschuldige Kinder zu unterlaufen – Infantilisierung wird hier nicht als der ‘natürliche Zustand’ kindlicher Unschuld und Unverantwortlichkeit der Afroamerikaner dargestellt, sondern als sekundäres reaktives Phänomen, als verzweifelter Versuch, mit dem schrecklichen Trauma des Leidens, des psychischen und physischen Missbrauchs fertigzuwerden. Auf einer anderen Ebene war Adorno für dasselbe Phänomen sensibel in seiner berüchtigten Zurückweisung des Jazz: Er begriff Jazz als die Weise, wie Afroamerikaner ihre historische Erfahrung des Schmerzes in eine Zirkusvorstellung verwandeln, die dazu bestimmt ist, ihre weißen Herren zu amüsieren, das heißt, gerade diejenigen, die die letztendliche Ursache ihres Schmerzes waren – was Adorno zurückwies, war somit das Element schwarzer Selbsterniedrigung im Jazz.

30 Siehe Hanna Gekle, Tod im Spiegel: Zur Lacans Theorie des Imaginären, Frankfurt: Suhrkamp, 1996.

31 Blaise Pascal, Pensées, Harmondsworth: Penguin, 1966, S. 46, 216.

32 The Seminar of Jacques Lacan, Book II: The Ego in Freud’s Theory and in the Technique of Psychoanalysis, S. 128.

33 Eine analoge Operation des Aufdeckens der (verborgenen) Karten auf dem Tisch wird von Kierkegaard vollzogen, der betonte, dass die notwendige Konsequenz (die ‘Wahrheit’) der christlichen Forderung, seinen Feind zu lieben, sei:

‘die Forderung, den Geliebten aus Liebe und in Liebe zu hassen … So hoch – menschlich gesprochen bis zu einer Art Wahnsinn – kann das Christentum die Forderung der Liebe treiben, wenn die Liebe die Erfüllung des Gesetzes sein soll. Darum lehrt es, dass der Christ, wenn es verlangt wird, fähig sein soll, seinen Vater und seine Mutter und seine Schwester und den Geliebten zu hassen.’ (Søren Kierkegaard, Works of Love, New York: Harper & Row, 1962, S. 114.)

Hier wendet Kierkegaard die Logik der hamamoration an, später von Lacan artikuliert, die auf der Spaltung im Geliebten zwischen der geliebten Person selbst und dem wahren Objekt-Ursache meiner Liebe zu ihm beruht, dem, was ‘in ihm mehr ist als er selbst ’ (für Kierkegaard: Gott) – manchmal ist Hass der einzige Beweis, dass ich dich wirklich liebe.

34 Siehe Nicolas Malebranche, Treatise on Nature and Grace, Oxford: Clarendon Press, 1992.

35 Jacques Lacan, The Four Fundamental Concepts of Psycho-Analysis, New York: Norton 1978, S. 252–3.

36 Ein exemplarischer Fall dafür, wie die Unterteilung der Sammlung die eigentliche Dynamik des Spiels erklärt, ist Tennis, mit seiner Struktur von Spiel, Satz und Match: Obwohl der Punkt der elementaren Einheit des Spiels immer derselbe bleibt (welcher der beiden Spieler wird den Ball nicht zurückspielen), ist es die innere Gliederung dieses repetitiven Prozesses in Spiel, Satz und Match (mit übrigens seiner völlig ‘irrationalen’ Zählweise der Punkte – 15, 30, 40 …), die das Spiel interessant macht. Ohne dies – das heißt, wenn man die Punkte in ihrer bloßen Akkumulation zählen würde – verlöre das Spiel sein Interesse und würde viel langweiliger … Sehen wir nicht das ultimative Beispiel dieser Kluft zwischen einer bloßen Sammlung und ihrer Organisation zur Menge in unserem Kalender, der zwei Klassifikationsprinzipien kombiniert: Ein Tag ist immer durch zwei Bestimmungen angegeben: durch seinen numerischen Platz im Rahmen eines Monats (der 13. September) und seinen Platz im Rahmen einer Woche (Freitag)?

37 Siehe Émile Benveniste, Problèmes de linguistique générale, Paris: Minuit, 1968.

3Fetischismus und seine Wechselfälle

1 Siehe Franco Moretti, Modern Epic, London: Verso, 1996. Und war nicht Twin Peaks ein verzweifelter Versuch, interessant gerade in seinem ultimativen Scheitern, einen ‘magischen Realismus’ innerhalb der hochentwickelten Gesellschaft der Ersten Welt zu erzeugen? (Diese Idee wurde mir von Susan Willis nahegelegt.)

2 Paul Virilio, The Art of the Motor, Minneapolis: University of Minnesota Press, 1995, S. 69.

3 Im Gegensatz zu Menschen nehmen manche Tiere nur Objekte wahr, die sich bewegen, und sind daher außerstande, uns zu sehen, wenn wir vollkommen erstarrt sind – was wir hier haben, ist die Opposition zwischen vorsymbolischem realen Leben, das nur Bewegung sieht, und dem symbolisierten Blick, der nur ‘mortifizierte’, versteinert-petrifizierte Objekte sehen kann.

4 In Elective Affinities kann diese Unbeweglichkeit der tableaux vwants als Metapher für die eigentliche Steifheit der Helden des Romans gelesen werden, die außerstande sind, sich der Leidenschaft hinzugeben.

5 Ein interessanter Zwischenfall bezüglich beweglicher Statuen ereignete sich in den letzten Jahren des Sozialismus in Slowenien: An einer Kreuzung nahe einer Kleinstadt nördlich der Hauptstadt Ljubljana begann angeblich ein kleiner Statuenkopf der Maria in einem Bildstock sich zu bewegen und sogar Tränen zu vergießen. Die örtlichen kommunistischen Verwalter waren begeistert; sie wollten das Phänomen ökonomisch ausnutzen – religiöse Touristen anziehen (vielleicht als Nebenschauplatz des florierenden Geschäfts, das durch die regelmäßigen Marienerscheinungen in Medjugorje im nahegelegenen Kroatien angestoßen wurde), Hotels und Freizeitzentren bauen und so weiter. Überraschenderweise jedoch war der örtliche katholische Priester vehement gegen das Phänomen; er behauptete, es handle sich lediglich um einen Fall von Massenhalluzination, nicht um ein echtes Wunder. Aus diesem Grund griff ihn die offizielle Parteizeitung wegen seiner ‘antisozialen, unkooperativen Haltung’ an – warum weigerte er sich, es als Wunder zu verkünden und damit der Gemeinschaft zu helfen?

6 Thomas Elsaesser (auf den ich mich hier stütze) machte diesen Punkt apropos seiner gut begründeten Zurückweisung der Standardopposition zwischen Lumière (dem ersten ‘Realisten’, Vorläufer des cinéma vérité) und Méliès (dem ersten ‘Fiktionalisten’, Begründer des narrativen Kinos). Eine sorgfältige Beobachtung zeigt die straffe und detaillierte narrative Struktur von Lumières berühmten kurzen ‘Dokumentarfilmen’ (die meisten von ihnen mit einer klaren Struktur des Abschlusses, bei der das Ende den Anfang spiegelt usw.). Warum wurde dieser narrative oder fiktionale Aspekt von Lumière ‘verdrängt’? Weil er auf eine mögliche Geschichte des Kinos verweist, die von derjenigen abweicht, die realisiert wurde und die wir alle kennen: Lumière skizzierte andere Möglichkeiten zukünftiger Entwicklung, Möglichkeiten, die – aus heutiger rückwirkender ideologischer Lektüre, die in der Vergangenheit nur die ‘Keime’ der Gegenwart zu erkennen vermag – schlicht unsichtbar sind. Eine der großen Aufgaben der materialistischen Filmgeschichte ist es daher, Walter Benjamin zu folgen und die ‘tatsächliche’ Geschichte des Kinos vor dem Hintergrund ihrer ‘immanenten Negation’ zu lesen, der möglichen alternativen Geschichten, die ‘verdrängt’ wurden und von Zeit zu Zeit als ‘Wiederkehr des Verdrängten’ einbrechen (von Flaherty bis Godard …), wie im bekannten Science-Fiction-Motiv paralleler Universen, in dem ein Reisender vorübergehend vom Weg abkommt und in ein anderes Universum gerät.

7 Wie bekannt ist, verhielt sich die Kamera zu Beginn des Kinos zur Bühne genau so, als wäre sie eine Theaterbühne: Sie blieb diesseits der Barriere, die das Podium von den Zuschauern trennt, und registrierte die Handlung, als wäre es vom Standpunkt des Theaterzuschauers aus. Es dauerte einige Jahre, bis das Kino als spezifische Kunstform geboren war: Dies geschah in dem Moment, in dem die Kamera die Barriere überschritt, die sie von der Bühne trennt, in den Raum der Schauspieler eindrang und begann, sich unter ihnen zu bewegen. Eine der möglichen Definitionen des Kinos ist somit, dass es ein Subgenre des Theaters ist – eine Theateraufführung, in der der Zuschauer mittels seines Stellvertreters (Kamera) in den Raum vorrückt, den er beobachtet. In einer Art Gegenbewegung bemüht sich das moderne Theater manchmal, die Grenze zwischen Podium und Publikum zu überschreiten, indem es das Publikum mit den Schauspielern umgibt und die Schauspieler sich mit dem Publikum mischen lässt.

8 Innerhalb des Bereichs der Psychoanalyse liefert der Zwangsneurotiker einen exemplarischen Fall der Umkehrung des Verhältnisses zwischen Leben und Tod: Was er als die Drohung des Todes erlebt, wovor er in seine fixierten zwanghaften Rituale flieht, ist letztlich das Leben selbst, da das einzige erträgliche Leben für ihn das eines ‘lebenden Toten’ ist, das Leben des verleugneten, mortifizierten Begehrens.

9 Alastair Hannay, Kierkegaard, London: Routledge, 1991, S. 33.

10 ‘Was in meiner Geschichte realisiert wird, ist nicht die Vergangenheit, das Präteritum dessen, was war, da es nicht mehr ist, oder auch das Perfekt dessen, was gewesen ist in dem, was ich bin, sondern das Futur II dessen, was ich gewesen sein werde, für das, was ich im Begriff bin zu werden’ (Jacques Lacan, Écrits: A Selection, New York: Norton, 1977, S. 86).

11 Siehe Alain Badiou, L’Être et l’événement, Paris: Seuil, 1988.

12 Siehe Oswald Ducrot, Le Dire et le dit, Paris: Minuit, 1984.

13 Paul de Man, The Rhetoric of Romanticism, New York: Columbia University Press, 1984, S. 123.

14 Man kann den Punkt vertreten, dass Heideggers berühmte Lektüren der Geschichte der Metaphysik derselben Logik interpretativer Gewalt gehorchen: Obwohl Philologen längst die faktische Unwahrheit seiner Behauptung ‘bewiesen’ haben, die frühen Griechen hätten den Begriff für Wahrheit, alethia, im Sinne einer ‘Entbergung’ verwendet, sind die Effekte seiner (Fehl-)Lektüre dennoch außerordentlich produktiv.

15 Mutatis mutandis würde die ‘These elf’ des späten Lacan zur psychoanalytischen Praxis lauten: ‘Psychoanalytiker, einschließlich des frühen Lacan, haben bislang nur Symptome interpretiert; der Punkt ist jedoch auch, die Phantasie zu durchqueren.’

16 Ich stütze mich hier auf Alfonzo Iacono, Le Fétichisme, Histoire d’un concept, Paris: PUF, 1992.

Was die Analogie zwischen Marx’ und Freuds Gebrauch des Begriffs Fetischismus betrifft: In beiden Fällen steht Fetischismus für eine Verschiebung (Beziehungen zwischen Menschen werden auf Beziehungen zwischen Dingen verschoben; das sexuelle Interesse des Subjekts wird vom ‘normalen’ Sexualobjekt auf dessen Ersatz verschoben); diese Verschiebung ist in beiden Fällen eine ‘regressive’ Verlagerung des Fokus auf ein ‘niederes’ und partielles Element, das den wahren Bezugspunkt verdeckt (und zugleich bezeichnet). Die Analogie besteht weiter darin, dass der Fetisch für Marx und Freud nicht einfach ein ‘niederes Stadium’ der Entwicklung ist (der Gesellschaft, der genitalen ödipalen Sexualität), sondern ein Symptom des inhärenten Widerspruchs innerhalb des ‘höheren’ Stadiums selbst: Warenfetischismus zum Beispiel enthüllt den Riss im spirituellen Christentum und im ‘reifen’ freien Individuum der ‘entwickelten’ Gesellschaft selbst.

17 Diese marxsche Einsicht wurde bereits von einigen südamerikanischen Eingeborenen selbst gemacht, die in einer bekannten Anekdote bemerkten, dass Gold der Fetisch der Spanier sei.

18 Was ist mit Derridas zentraler Kritik an Marx, der zufolge Marx in seiner sehr eindringlichen Beschreibung der Logik der Gespenstigkeit im Warenuniversum und im gesellschaftlichen Leben im Allgemeinen dennoch auf den revolutionären Moment setzt, in dem die Dimension der Gespenstigkeit als solche suspendiert sein wird, da das gesellschaftliche Leben vollständige Transparenz erreichen wird? Die lacanianische Antwort ist, dass Gespenstigkeit nicht der letztendliche Horizont unserer Erfahrung ist: Es gibt eine Dimension jenseits (oder vielmehr unterhalb) von ihr, die Dimension des Triebs, die erreicht wird, wenn man die ‘fundamentale Phantasie durchquert’ (siehe Slavoj Žižek, ‘The Abyss of Freedom’, in F.W.J. Schelling, The Ages of the World, Ann Arbor: University of Michigan Press, 1997). Außerdem sollte man an diesem Punkt die Frage gegen Derrida wenden, der sich selbst in eine notwendige Ambiguität verstrickt apropos des Problems, wie la clôture métaphysique sich zum Bereich des westlichen Denkens verhält. Derrida variiert endlos das Motiv, wie wir in Bezug auf diese clôture weder ganz innerhalb noch ganz außerhalb sind und so weiter – jedoch: Was ist mit Japan oder Indien oder China? Sind sie ein unzugängliches Außen, und ist die Dekonstruktion somit auf den Westen beschränkt, oder ist différance eine Art ‘universelle’ Struktur nicht nur der Sprache, sondern des Lebens als solchen, die auch im tierischen Leben erkennbar ist?

19 Es ist leicht, diesen verdoppelten Mangel bereits in der Funktionsweise des religiösen Fetischs zu erkennen. Nach der Standardauffassung verwechseln ‘primitive’ Religionen das materielle Symbol der spirituellen Dimension mit dem spirituellen Ding selbst: Für einen primitiven Fetischisten ist das fetischisierte Objekt (ein heiliger Stein, Baum, Wald) ‘heilig’ an sich, in seiner eigenen materiellen Präsenz, nicht nur als Symbol einer anderen spirituellen Dimension … Besteht jedoch die wahre ‘fetischistische Illusion’ nicht gerade in der Idee, dass es ein (spirituelles) Jenseits gibt, das durch die Präsenz des Fetischs verdeckt wird? Ist es nicht das ultimative Taschenspielerstück des Fetischs, die Illusion hervorzubringen, dass es etwas jenseits von ihm gibt, den unsichtbaren Bereich der Geister?

20 Siehe Paul-Laurent Assoun, Le Regard et la voix, Paris: Anthropos, 1995, Bd. 2, S. 15.

21 Dies erlaubt uns auch, ein neues Licht auf die Beziehung zwischen den beiden Fetisch-Objekten bei Richard Wagner zu werfen: dem Ring im Ring-Zyklus und dem Gralskelch in Parsifal; der Gral ist stabil, unbeweglich, er bleibt an seinem Platz und zeigt sich nur von Zeit zu Zeit, während der Ring nicht am Platz ist und umherwandert; aus diesem Grund bringt der Gral inkommensurable Freude, während der Ring Unheil und Verderben über den bringt, der ihn besitzt … Was man natürlich tun muss, ist, die ‘spekulative Identität’ zwischen den beiden zu behaupten: Es ist ein und dasselbe Objekt, in einer anderen Modalität aufgefasst.

22 Die Aktualität des Subjekts, dem unterstellt wird, an den stalinistischen ‘Totalitarismus’ zu glauben, wird vielleicht am besten durch den bekannten Zwischenfall im Zusammenhang mit der Großen Sowjetischen Enzyklopädie veranschaulicht, der 1954, unmittelbar nach dem Sturz Berijas, geschah. Als die sowjetischen Abonnenten den Band der Enzyklopädie erhielten, der die Einträge unter dem Buchstaben B enthielt, gab es dort natürlich einen doppelseitigen Artikel über Berija, der ihn als den großen Helden der Sowjetunion pries; nach seinem Sturz und seiner Denunziation als Verräter und Spion erhielten alle Abonnenten vom Verlag einen Brief mit der Bitte, die Seiten über Berija auszuschneiden und zurückzuschicken; im Gegenzug wurde ihnen umgehend ein doppelseitiger Eintrag (mit Fotos) über die Beringstraße zugesandt, so dass, wenn sie ihn in den Band einfügten, dessen Ganzheit wiederhergestellt war; es blieb keine Leerstelle, die von der plötzlichen Umschreibung der Geschichte Zeugnis abgelegt hätte … Das Rätsel hier ist: für wen wurde diese (Schein-)Ganzheit aufrechterhalten, wenn jeder Abonnent von der Manipulation wusste (da er sie selbst ausführen musste)? Die einzige Antwort ist natürlich: für das nicht existierende Subjekt, dem unterstellt wird zu glauben …

23 Siehe Michel de Certeau, ‘What We Do When We Believe’, in On Signs, Hg. Marshall Blonsky, Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press, 1985, S. 200. Siehe auch Kapitel 5 von Slavoj Žižek, The Sublime Object of Ideology, London: Verso, 2008.

24 Aus genau diesem Grund spricht Lacan von ‘Wissen im Realen’, nicht von Glauben im Realen. Eine andere Art, es zu sagen, ist, dass sich Glauben und Wissen zueinander verhalten wie Begehren und Trieb: Begehren ist auch immer reflexiv, ein ‘Begehren zu begehren’, während der Trieb nicht ‘Trieb zum Trieb’ ist.

25 Die Logik des ‘Subjekts, dem unterstellt wird zu wissen’, ist somit nicht ‘autoritaristisch’ (sich auf ein anderes Subjekt stützend, das an meiner Stelle weiß), sondern im Gegenteil produktiv für neues Wissen: das hysterische Subjekt, das unablässig das Wissen des Meisters sondiert, ist das eigentliche Modell für das Entstehen neuen Wissens. Es ist die Logik des ‘Subjekts, dem unterstellt wird zu glauben’, die in ihrer Abstützung auf die Struktur des Glaubens, die vom Subjekt nicht in Frage gestellt werden darf (‘was immer du zu wissen meinst, bewahre deinen Glauben, handle so, als ob du glaubst …’), tatsächlich ‘konservativ’ ist.

26 Ein weiterer interessanter Fakt zum Verhältnis von Glauben und Wissen ist, dass Versuche, ‘die Existenz Gottes zu demonstrieren’ (d.h. unserer Gewissheit, dass ‘Gott existiert’, den Status von Wissen zu verleihen) in der Regel dann auftauchen, wenn niemand an seiner Existenz zu zweifeln scheint (kurz, wenn ‘alle glauben’), nicht in Zeiten des Aufstiegs des Atheismus und der Krise der Religion (wer ist heute noch ernsthaft damit beschäftigt, ‘die Existenz Gottes’ zu ‘beweisen’?). Man ist daher versucht zu behaupten, dass paradoxerweise gerade das Bemühen, die Existenz Gottes zu demonstrieren, Zweifel einführt – gewissermaßen das Problem erzeugt, das es zu lösen vorgibt. Nach der Standardvorstellung bei Hegel bezeugen Versuche, Gottes Existenz durch Vernunftschlüsse zu beweisen, dass die Ursache (unser unmittelbarer Glaube an ihn) bereits verloren ist – dass unsere Beziehung zu ihm nicht mehr ein ‘substantieller’ Glaube, sondern bereits ein reflexiv ‘vermitteltes’ Wissen ist. In klarem Gegensatz zu dieser Vorstellung scheint reflexives Wissen eher den Status eines ‘Überschusses’ zu haben, den wir uns leisten, wenn wir unserer Glaubensgewissheit sicher sind (wie eine Person in einer emotionalen Beziehung, die es sich erlauben kann, ihren Partner sanft zu verspotten, gerade dann, wenn sie sich der Tiefe ihrer Beziehung so sicher ist, dass sie weiß, solche oberflächlichen Scherze können ihr nicht schaden).

27 Bevor man sich an ‘Konservenlachen’ gewöhnt, gibt es dennoch gewöhnlich eine kurze Phase der Unbehaglichkeit: die erste Reaktion darauf ist Schock, da es schwer zu akzeptieren ist, dass die Maschine da draußen ‘für mich lachen’ kann; an diesem Phänomen ist etwas von Grund auf Obszönes. Mit der Zeit jedoch gewöhnt man sich daran, und das Phänomen wird als ‘natürlich’ erlebt.

28 Ich stütze mich hier auf Robert Pfallers Intervention beim Symposium Die Dinge lachen an unsere Stelle, Linz (Österreich), 8–10 Oktober 1996.

29 Es scheint, dass heute selbst Pornographie immer mehr in einer interpassiven Weise funktioniert. X-rated movies sind nicht mehr primär Mittel, die dazu bestimmt sind, den Nutzer in seiner (oder ihrer) solitären masturbatorischen Tätigkeit zu erregen: Es reicht aus, einfach auf den Bildschirm zu starren, wo ‘die Action ist’ – das heißt, es genügt, dass ich beobachte, wie andere an meiner Stelle genießen.

30 Hier ist der Fall Peter Handkes illustrativ: Viele lange Jahre lebte er sein authentisches Leben interpassiv, befreit von der Korruption des westlichen konsumistischen Kapitalismus, durch die Slowenen (seine Mutter war Slowenin): Für ihn war Slowenien ein Land, in dem Wörter sich direkt auf Objekte bezogen (in den Geschäften wurde Milch einfach ‘Milch’ genannt, wodurch die Falle kommerzialisierter Markennamen vermieden wurde usw.) – kurz, eine reine phantasmatische Formation. Nun haben die slowenische Unabhängigkeit und die Bereitschaft, der Europäischen Union beizutreten, in ihm eine gewaltsame Aggressivität entfesselt: In seinen jüngsten Schriften weist er die Slowenen als Sklaven des österreichischen und deutschen Kapitals zurück, die ihr Erbe an den Westen verkaufen … all dies, weil sein interpassives Spiel gestört wurde – weil die Slowenen sich nicht länger in einer Weise verhalten, die es ihm ermöglichen würde, durch sie authentisch zu sein. Kein Wunder also, dass er sich Serbien zugewandt hat als dem letzten Überrest von Authentizität in Europa und bosnische Serben, die Sarajevo belagern, mit Native Americans vergleicht, die ein Lager weißer Kolonisatoren belagern …

31 Auch hier stütze ich mich auf Pfaller, Intervention beim Symposium, Oktober 1996.

32 Es wäre interessant, von diesem Paradox der Interpassivität aus Schellings Begriff der höchsten Freiheit anzugehen als den Zustand, in dem Aktivität und Passivität, Aktivsein und Erleiden, harmonisch überlappen: Der Mensch erreicht seinen Gipfel, wenn er seine eigene Subjektivität in das Prädikat einer immer höheren Potenz (im mathematischen Sinn des Begriffs) verwandelt, das heißt, wenn er sich, sozusagen, dem Anderen überlässt, seine intensivste Aktivität ‘entpersonalisiert’ und sie ausführt, als ob eine andere, höhere Macht durch ihn wirkte, ihn als ihr Medium benutzte – wie die mystische Erfahrung der Liebe, oder wie ein Künstler, der sich im höchsten Rausch der Kreativität als Medium erlebt, durch das sich eine substantiellere, unpersönliche Macht ausdrückt. (Siehe Kapitel 1 von Slavoj Žižek, The Indivisible Remainder, London: Verso, 1996.) Dieser Begriff der höchsten Freiheit bezeichnet den unmöglichen Punkt perfekter Überlappung von Passivität und Aktivität, in dem die Kluft der Inter-(Aktivität oder Passivität) aufgehoben ist: Wenn ich aktiv bin, brauche ich nicht länger einen anderen, der für mich, an meiner Stelle, passiv ist, da meine Aktivität selbst bereits an sich die höchste Form der Passivität ist; und umgekehrt: Wenn ich mich in einer authentischen mystischen Erfahrung vollständig gehen lasse, die passive Haltung der Gelassenheit annehme, ist diese Passivität an sich die höchste Form der Aktivität, da in ihr der große Andere selbst (Gott) durch mich handelt …

33 Siehe Darian Leader, Why Do Women Write More Letters Than They Post?, London: Faber & Faber, 1966.

34 Wenn der Begriff ‘Klischee’ auf unsere alltäglichen ideologischen Wahrnehmungen des Verhältnisses zwischen Frauen und Männern angewandt wird, ist er theoretisch falsch. Das heißt: Wenn man diese Wahrnehmungen als ‘Klischees’ denunziert, wird dies in der Regel so gesagt, dass es uns erlaubt, auf eine genaue Analyse dessen zu verzichten, was diese ‘Klischees’ genau sind. Innerhalb des sozialen Raums ist letztlich alles ein ‘Klischee’ (d.h. eine kontingente symbolische Formation, die nicht in der unmittelbaren ‘Natur der Dinge’ gründet). ‘Klischees’ sollten daher äußerst ernst genommen werden, und das Problem mit dem Begriff ‘Klischee’ ist, dass er irreführend ist, insofern man vor ihm immer ein unmerkliches ‘bloß’ hören kann (‘Klischee’ gleich ‘bloßes Klischee’).

35 Im Fall der Männer ist das unterstellte Genießen des Anderen vielmehr die Quelle zwanghafter Angst; das ultimative Ziel zwanghafter Rituale ist gerade, den anderen zu mortifizieren, das heißt, ihn daran zu hindern zu genießen …

36 Wenn Lacan in seinem Schema der vier Diskurse $ (Subjekt) unter S1 (dem Meistersignifikanten) setzt, ist nicht eine mögliche Weise, diese Substitution zu lesen, die, Frau unter Mann zu setzen – den Mann als metaphorischen Ersatz der Frau zu begreifen, als ihren Stellvertreter? (Die entgegengesetzte Substitution, $ unter objet petit a, wäre natürlich die Frau als Ersatz des Mannes.)

37 Daniel C. Dennett, Consciousness Explained, New York: Little, Brown & Co., 1991, S. 132. (Dennett ruft dieses Konzept natürlich in einem rein negativen Sinn auf, als eine unsinnige contradictio in adjecto.)

38 Für diesen Begriff des ‘Kartesischen Theaters’ siehe Dennett, Consciousness Explained.

4Cyberspace, oder, Der unerträgliche

Abschluss des Seins

1 Für eine detaillierte Darstellung dieser Struktur der Sublimierung siehe Kapitel 4 von Slavoj Žižek, The Metastases of Enjoyment, London: Verso, 1994.

2 Außerdem wäre es produktiv, die Vielzahl ‘irrationaler’ Hindernisse in Buñuels Filmen zu klassifizieren; sie lassen sich in vier Kategorien gruppieren, die eine Art greimassches semiotisches Quadrat bilden: das sexuelle Hindernis, das die Vollendung des Liebesakts verhindert und damit beweist, dass ‘es kein sexuelles Verhältnis gibt’ (That Obscure Object of Desire); das religiöse Hindernis, das unseren Zugang zur spirituellen Freiheit verhindert (Navarin); die Unmöglichkeit, an einem banalen alltäglichen sozialen Ritual teilzunehmen, d.h. an einem Dinner (The Discreet Charm of the Bourgeoisie); die umgekehrte Unmöglichkeit, das soziale Ritual zu beenden und das Haus nach einem Dinner zu verlassen (The Exterminating Angel); die kriminelle transgressive Tat, d.h. Mord (The Criminal Life of Archibaldo de la Cruz – ein wahrer Anti-Ödipus, da im Unterschied zu Ödipus, der unwissentlich seinen Vater ermordet, der arme Archibaldo bewusst eine Reihe von Frauen töten will, die dann tatsächlich getötet werden, jedoch durch einen wundersamen Zufall, der nichts mit ihm zu tun hat); schließlich das soziopolitische Hindernis, das die Verwirklichung der Freiheit verhindert und Freiheit für immer ‘phantomatisch’ macht, d.h. jenes geheimnisvolle X, aufgrund dessen Revolutionen immer schiefzugehen scheinen (The Phantom of Liberty, präzise).

Als erstes ist zu tun, diese Beispiele in die Paare von Gegensätzen zu klassifizieren: Teilnahme an einem banalen sozialen Ritual versus der Akt, den Ort dieses Rituals zu verlassen; der sexuelle Akt (d.h. der Akt, Leben zu schaffen) versus Töten (Leben nehmen); irdische anarchische Freiheit versus religiöse spirituelle Freiheit. Es ist, als würde derselbe Gegensatz drei Mal wiederholt, in drei unterschiedlichen Potenzen/Potenzierungen – auf der Ebene banaler sozialer Rituale, ‘sündhafter’ privater Handlungen und des Bemühens, absolute Freiheit zu erreichen. Auf jeder der drei Ebenen können wir weder ‘hinaus’ noch ‘drinnen bleiben’: Es ist unmöglich, am banalen sozialen Ritual teilzunehmen, aber es ist auch unmöglich, aus ihm herauszukommen; es ist unmöglich, Liebe zu machen, und auch zu töten; es ist unmöglich, Erfüllung und spirituelle Freiheit in der christlichen Transzendenz zu finden, aber es ist nicht weniger unmöglich, sie in sozialer Anarchie zu finden … Der lacanianische Name für eine solche Unfähigkeit, ‘hinauszukommen’ und ‘drinnen zu bleiben’, ist natürlich das Reale; dasselbe Paradox des Realen ist am Werk in ‘freien Assoziationen’ innerhalb der psychoanalytischen Kur (wir haben sie nie wirklich, man kann den Druck der Hemmungen nie vollständig suspendieren und ‘sich gehen lassen’; zugleich ist jedoch alles, was man auf der analytischen Couch sagt, eine freie Assoziation, selbst wenn es sorgfältig geplant war oder wenn es eine lange Kette strenger logischer Argumentation ist) und in jouissance: Jouissance entzieht sich uns, sie ist jenseits unserer Reichweite, ihre volle Konfrontation ist tödlich; zugleich jedoch kann man sie nie loswerden, ihr Rest haftet an uns, was immer wir tun. Entlang derselben Linien hat auch das kantische ethische Gebot den Status des Realen: Es ist unmöglich, seine ethische Pflicht vollständig zu verwirklichen, doch es ist ebenso unmöglich, dem Druck des Rufes der Pflicht auszuweichen.

3 Zu Eisenstein siehe V.V. Ivanov, ‘Eisenstein’s Montage of Hieroglyphic Signs’, in On Signs, Hg. Marshall Blonsky, Baltimore, MD: The Johns Hopkins University Press, 1985, S. 221–35.

4 Siehe Sherry Turkle, Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet, New York: Simon & Schuster, 1995.

5 Siehe Gilles Deleuze, The Logic of Sense, New York: Columbia University Press, 1990.

6 Eine weitere Falle, die hier zu vermeiden ist, besteht darin, die Verschiebung von der modernistischen Kultur der Kalkulation zur postmodernistischen Kultur der Simulation zu schnell zu sexualisieren, indem man sie als Verschiebung vom ‘Männlichen’ zum ‘Weiblichen’ bezeichnet: von der männlichen modernistischen Haltung der Kontrolle, Dominanz usw. zur postmodernen weiblichen Haltung des Bastelns, des Dialogs mit der Maschine … Auf diese Weise verfehlt man den entscheidenden Punkt: Ein Cyborg-Monster hat kein Geschlecht, es ist asexuell im Sinn der lacanianischen Lamelle, das heißt, es steht für das, was im Eintritt des menschlichen Tiers in die Ordnung der Sexualität verloren ging.

7 Diese doppelte Falle ist analog zur doppelten Falle apropos des Ideologiebegriffs: die einfache Stützung auf eine vor-ideologische äußere Realität als Maß der ideologischen Verzerrung ist strikt korrelativ zur Haltung ‘es gibt keine äußere Realität, alles, womit wir zu tun haben, ist die Vielzahl der Simulakren, der diskursiven Konstrukte’. Siehe Slavoj Žižek, ‘Introduction’, in Mapping Ideology, London: Verso, 1995.

8 Paul Virilio, The Art of the Motor, Minneapolis: University of Minnesota Press, 1995, S. 4.

9 Siehe Allucquere Rosanne Stone, The War of Desire and Technology, Cambridge, MA: MIT Press, 1995.

10 Virilio, The Art of the Motor, S. 113.

11 Ebd., S. 148.

12 Siehe Kapitel 2 von Judith Butter, Bodies That Matter, New York: Routledge, 1993.

13 Turkle, Life on the Screen, S. 126.

14 Vor Jahren gab in einem TV-Interview eine der Teilnehmerinnen an einem Wettbewerb um das beste ‘Madonna-Lookalike’ eine passende Antwort auf die herablassende Frage des Journalisten, wie sie sich dabei fühle, ihres wahren Selbst beraubt zu sein durch ihre totale Imitation einer anderen Person: ‘An 364 Tagen im Jahr bin ich gezwungen, mit meinem wahren Selbst zu leben – es ist eine befreiende Erfahrung, es wenigstens für einen Tag loswerden zu können!’

15 Turkle, Life on the Screen, S. 205.

16 Mit anderen Worten: Computerisierung unterminiert Performativität. Indem ich dies behaupte, erwecke ich nicht den Mythos der guten alten vorcomputerisierten Zeiten wieder, in denen Wörter wirklich zählten. Wie Derrida – aber auch Lacan – immer wieder betonte, kann das Performative aus strukturellen Gründen immer schiefgehen; es kann nur vor dem Hintergrund radikaler Unentscheidbarkeit entstehen – schon die Tatsache, dass ich mich auf das Wort des anderen verlassen muss, bedeutet, dass der andere mir für immer ein Rätsel bleibt. Was in virtuellen Gemeinschaften tendenziell verlorengeht, ist gerade dieser Abgrund des anderen, gerade dieser Hintergrund der Unentscheidbarkeit: Im ‘verdrahteten Universum’ tendiert die Opazität des anderen zu verdampfen. In diesem Sinn ist die Suspendierung der Performativität in virtuellen Gemeinschaften das genaue Gegenteil der Suspendierung der Performativität in der psychoanalytischen Kur, wo ich meinem Analytiker alles sagen kann, all meine obszönen Phantasien über ihn, in dem Wissen, dass er nicht beleidigt sein wird, dass er es nicht ‘persönlich nehmen’ wird.

17 Turkle, Life on the Screen, S. 200.

18 Oder – um ein eher vulgäres alltägliches Beispiel zu nehmen – als leicht Übergewichtiger stehen mir zwei Strategien zur Verfügung, diese Tatsache zu verbergen. Ich kann ein Hemd mit vertikalen Streifen anziehen, das mich schlank erscheinen lässt, oder ich kann im Gegenteil ein Hemd mit horizontalen Streifen anziehen, in der Erwartung, dass die Menschen, denen ich begegne, mein Übergewicht als die Illusion (fehl)wahrnehmen werden, die durch meine unangemessene Kleidung erzeugt wird: ‘Schau, dieses dumme Hemd lässt ihn fett aussehen, dabei ist er gar nicht so fett!’

19 Siehe Kapitel 3 oben.

20 Siehe Alenka Zupancic, ‘Philosophers’ Blind Man’s Buff ’, in Voice and Gaze as Love Object (SIC Series, Bd. 1), Durham, NC: Duke University Press, 1996.

21 Siehe Jacques Lacan, Le Séminaire, livre VIII: Le transfert, Paris: Éditions du Seuil, 1991.

22 Siehe Joseph McBride, Frank Capra: The Catastrophe of Success, New York: Simon & Schuster, 1992.

23 Siehe den faszinierenden Bericht in Thomas Schatz, The Genius of the System, New York: Hold & Co., 1996, S. 393–403.

24 Unter Hitchcocks Filmen hat auch Topaz zwei andere Enden, die gedreht, später aber aufgegeben wurden: (1) Granville, als russischer Spion entlarvt, reist nach Russland ab und trifft am Flughafen den Helden, der ebenfalls nach Amerika abreist; (2) Granville und der Held treffen sich in einem leeren Stadion zu einem Duell, aber bevor das Duell beginnt, wird er von einem versteckten KGB-Auftragskiller erschossen …

25 Siehe Kapitel 5 von Slavoj Žižek, Tarrying With the Negative, Durham, NC: Duke University Press, 1993.

26 Diese Information verdanke ich John Higgins, Cape Town University (privates Gespräch).

27 Diese Information verdanke ich Constance Penley, UCLA (privates Gespräch).

28 Nebenbei plante Kierkegaard auch, ‘das Tagebuch einer Hetäre’ zu schreiben, ein Tagebuch der Verführung aus der Perspektive der Verführerin (die typischerweise als ‘Hetäre’, d.h. als Prostituierte, konzipiert ist).

29 Man ist jedoch auch versucht zu behaupten, dass es eine Weise gibt, in der im Cyberspace die verworfene Dimension des symbolischen Meisters ‘im Realen wiederkehrt’: in Gestalt zusätzlicher Charaktere, die nur als programmierte Entitäten innerhalb des Cyberspace existieren (wie Max Headroom aus der gleichnamigen TV-Serie – siehe Kapitel 6 von Stone, The War of Desire and Technology). Sind solche Figuren nicht die exemplarischen Fälle dessen, was Lacan l’Un-enplus nennt, das Eine, das sich der Serie hinzufügt, der direkte Punkt der Subjektivierung der anonymen Ordnung, die die Beziehungen zwischen ‘realen’ Subjekten reguliert?

30 Für einen Umriss dieser unerreichbaren Grenze siehe Paul Virilio, Cybermonde, la politique du pire, Paris: Textuel, 1996.

31 Für eine detailliertere Darstellung der unerträglichen Nähe des anderen siehe Kapitel 2 oben.

32 Siehe Michel Chion, La Voix au cinéma, Paris: Cahiers du cinéma, 1982.

33 Ich stütze mich hier auf Tiziana Terranova, ‘Digital Darwin’, New Formations 29 (Sommer 1996), London: Lawrence & Wishart.

34 Die andere Verwerfung, korrelativ zu der des sozialen Antagonismus, ist die der sexuellen Differenz: Cyberevolutionismus strebt danach, sexuelle Fortpflanzung durch Modelle direkter Klonierung (der sich selbst reproduzierenden Gene) zu ersetzen.

35 Siehe Lacan, Le Séminaire, livre VIII: Le transfert.

36 ‘Also, wenn der Gott des Schicksals tot ist, ersetzt man, statt diesen Tod anzunehmen und seine Trauer zu vollziehen, sich selbst an seine Stelle und setzt gegenüber dem anderen einen Willen-zur-Kastration fort, indem man diesem Willen die Gestalt des Schicksals verleiht, um die eigene verleumdete Jouissance zu maskieren’ (Philippe Julien, L’Étrange jouissance du prochain, Paris: Seuil, 1995, S. 137). Passen diese Zeilen, geschrieben zur Illustration der Position von Père Badillon in Claudels L’otage, nicht perfekt auf die Position des stalinistischen Partei-Henkers?

37 Siehe Jean Delumeau, La Peur en Occident, Paris: Albin Michel, 1976.

38 Während meines Militärdienstes freundete ich mich sehr mit einem albanischen Soldaten an. Wie bekannt ist, sind Albaner sehr empfindlich gegenüber sexuellen Beleidigungen, die sich auf ihre nächsten Familienangehörigen beziehen (Mutter, Schwester); ich wurde von meinem albanischen Freund tatsächlich akzeptiert, als wir das oberflächliche Spiel von Höflichkeit und Respekt hinter uns ließen und uns mit formalisierten Beleidigungen begrüßten. Wenn wir uns also morgens trafen, begrüßte ich ihn gewöhnlich mit: ‘Ich werde deine Mutter ficken!’, worauf er regelmäßig antwortete: ‘Nur zu, gern – nachdem ich mit deiner Schwester fertig bin!’ Das Interessante war, wie schnell dieser Austausch seinen offen obszönen oder ironischen Charakter verlor und formalisiert wurde: Schon nach ein paar Wochen machten wir beide uns nicht mehr die Mühe mit dem ganzen Satz; morgens, wenn ich ihn sah, nickte ich nur mit dem Kopf und sagte ‘Mutter!’, worauf er einfach ‘Schwester!’ erwiderte.

39 F.W.J. Schelling, Die Weltalter Fragments. In den Urfassungen von 1811 und 1813, Hg. Manfred Schroeter, München: Biederstem, 1946 (Ausg. 1979), S. 105.

40 Diese Idee verdanke ich Ed Cadava, Princeton University. In seiner Kino-Version von Heart of Darkness (Apocalypse Now) verzerrt Francis Ford Coppola die Kurtz-Figur, indem er ihr einen New-Age-Twist gibt: Coppola liest Kurtz als eine Fisher-King-Figur, die auf ihren Tod wartet (und ihn damit akzeptiert) als ein Ritual, das zu seiner nachfolgenden Regeneration führen wird.

41 Hier folge ich Gedanken, die Jacques Rancière (in einem privaten Gespräch) entwickelt hat. Eine solche Geste, die die Trennlinie zwischen ‘realen Problemen’ und ‘ideologischen Chimären’ zieht, ist seit Platon die eigentliche Gründungsgeste der Ideologie: Ideologie ist per Definition selbstreferenziell – das heißt, sie etabliert sich immer dadurch, dass sie eine Distanz zu (dem, was sie als) ‘bloße Ideologie’ denunziert, einnimmt.

42 Für eine genauere Analyse dieser Szene siehe Anhang I unten.

Anhang I

Vom Erhabenen zum Lächerlichen:

Der Sexualakt im Kino

1 ‘Humour’, in The Pelican Freud Library, Bd. 14: Art and Literature, Harmondsworth: Penguin, 1985, S. 432.

2 Ich stütze mich hier auf Alenka Zupancic, ‘The Logic of the Sublime’, The American Journal of Semiotics 9: 2–3, 1992, S. 51–68.

3 Immanuel Kant, Critique of Practical Reason, New York: Macmillan, 1956, S. 166.

4 Für eine detailliertere Diskussion dieses ‘subversiven Überkonformismus’ siehe Kapitel 2 oben.

5 Die reine Abwesenheit, das Loch an der Stelle des Sexualakts, findet sich auch im stalinistischen Kino. Nebenbei finden wir einen exemplarischen Fall derselben Haltung sogar in Hollywood, in North Star (geschrieben von Lillian Hellman): Wenn das glückliche Kolchos-Paar (Anne Baxter und Farley Granger) von seiner gemeinsamen Zukunft träumt, sieht es sich umgeben von einer Schar von Enkeln, nicht von Kindern – die erste Generation der Nachkommenschaft wird in Schweigen übergangen, zensiert, da sie dennoch Sex zwischen den Eltern impliziert!

6 Siehe Jacques Lacan, Le Séminaire, livre XX: Encore, Paris: Éditions du Seuil, 1975.

7 Dieselbe Triade von Phi, a und S(Ⱥ) ist in den drei Kino-Hits des Sommers 1996 (Twister, Independence Day, Mission Impossible) klar erkennbar; in jedem verleiht ein Objekt der Dimension des Realen Körper. Der Wirbel des Tornados in Twister ist offensichtlich Phi, das schreckliche Objekt, das für das reale Ding steht. Die anderen beiden Fälle, wenn auch weniger offensichtlich, sind vielleicht interessanter. In Independence Day wird der Kontakt mit den eindringenden Aliens durch ein in ihren Computer eingeschleustes Virus hergestellt. Ist ein Computer-Virus – ein fremder Eindringling, ein Parasit, der den Computer funktionsunfähig macht, ein ‘Organ ohne Körper’, das den penetrierten Körper ‘durchdrehen’ und inkonsistent funktionieren lässt – nicht ein Exempel des Realen im Bereich des Cyberspace, des Realen qua S(Ⱥ); das heißt: Ist das Computer-Virus nicht die ultimative Figur des Signifikanten der Inkonsistenz des Anderen (des Computers), des Signifikanten, aufgrund dessen Intervention der Cyberspace-große Andere (die Software-Regeln) seine Konsistenz verliert? Symptomatisch ist hier der Begriff ‘Virus’ selbst, der für die ultimative Bedrohung im Cyberspace ebenso steht wie im ‘realen Leben’ (vom Ebola-Virus bis zu AIDS).

DePalmas Mission Impossible ist emblematisch für die neue materielle Sensibilität des heutigen Kinos: auf der einen Seite die ultrakomplexe Handlung, mit ihren doppelten und dreifachen Umkehrungen (gerade der Agent, der die Verschwörung entlarven und das Problem lösen soll, ist der wirkliche Verräter), mit einer Vielzahl technologischer Gadgets (Brillen, die die Sicht des Subjekts direkt übertragbar machen usw.); auf der anderen Seite, strikt korrelativ zu dieser Überkomplexität der Handlung, das akzentuierte Genießen der materiellen Textur – die Präsenz glatter Oberflächen, wo jedes Detail körperlicher Menschlichkeit oder Animalität katastrophal sein kann (wie die unerwartete Ratte im Luftschacht oder das winzige Schweißperlchen in der berühmten CIA-Einbruchsszene) – das heißt, eine Art hyperrealistische Textur, in der die materiellen Objekte der vulgären Materialität schlechter Gerüche und Verwesung entkleidet sind, zugleich jedoch in ihrer sauberen, glatt funktionierenden ätherischen Modalität überpräsent sind. Die Ratte im Luftschacht und das Schweißperlchen sind nicht gewöhnliche Körper, sondern gerade objet petit a, eine Art erhabener Rest/Ausscheidung der Reduktion des vulgären Körpers auf die glatt funktionierende Maschine. Das winzige Schweißperlchen, das von Cruises Kopf fällt, als er von der Decke des ultrageheimen Computerraums der CIA hängt, und das seine Anwesenheit den Detektoren zu verraten droht, wenn es den Boden berührt, ist nicht länger ein gewöhnliches körperliches Exkrement, sondern eine Art ätherisches materialisiertes Zeichen der Anwesenheit, absolut sauber in seiner glasartigen Transparenz. (Im Gegensatz zu dieser gespenstischen körperlichen Präsenz ist der Körper des CIA-Computerspezialisten, der sich übergibt und schwitzt, ein gewöhnlicher schmutziger materieller Körper.)

8 Milan Kundera bewirkt eine ähnliche Umkehrung vom pathetisch Erhabenen zum Lächerlichen. Schon in seinem ersten Roman, The Joke, will die Jugendliebe des Erzählers, inzwischen eine reife Frau, Selbstmord begehen, doch sie greift zur falschen Flasche, so dass sie statt der beabsichtigten toxischen Pillen ein starkes Abführmittel schluckt – alles, was aus ihrer pathetischen Tat resultiert, ist, dass sie zur Toilette rennen muss … In seinem neuesten Roman, La Lenteur, will ein Biologe aus der Tschechischen Republik, der nach dem Zusammenbruch des Sozialismus an einem internationalen Symposium in Frankreich teilnimmt, seinen Beitrag mit einer kurzen Erinnerung an totalitäre Schrecken einleiten; jedoch lässt ihn das Pathos seiner Bemerkungen vergessen, sein wissenschaftliches Paper vorzutragen – er steigt nach dem Applaus, der seinen einleitenden politischen Bemerkungen im Lob der Freiheit folgt, vom Podium herab …

9 Für diesen Punkt bin ich James McFarland, Princeton University, verpflichtet.

10 Insofern sich der Trieb zum Begehren verhält wie das partielle Objekt zum Subjekt, beinhaltet diese ‘Desubjektivierung’ den Übergang vom Begehren zum Trieb: Begehren zielt auf das Subjekt, auf die Leere, die den Kern der Subjektivität des anderen ausmacht; während der Trieb nicht die ganze Person berücksichtigt, nur das partielle Objekt, um das er zirkuliert (Schuhe, Anus …):

11 Judith Butler, ‘The Force of Fantasy’, Differences 2: 2, 1990, S. 111.

12 Siehe Kapitel 2 oben.

13 Siehe Kapitel 1 oben.

14 Siehe Michel Chion, David Lynch, London: British Film Institute, 1995.

15 Siehe André Bazin, Orson Welles: A Critical View, New York: Harper & Row, 1979, S. 74.

16 Diesen Punkt verdanke ich einem Gespräch mit Roman de la Campa, Stony Brook.

17 Ein weiteres Schlüsselmerkmal ist die offensichtliche theatralische Übertreibung in Dafoes Belästigung von Dern: Die Szene involviert einen dritten Blick, für den sie inszeniert ist, wie das wilde Schreien und Gestikulieren von Dennis Hopper, während er Isabella Rossellini in der berühmten Szene aus Blue Velvet brutal belästigt – Hoppers lächerliche Theatralik richtet sich ebenfalls klar an den Beobachter im Schrank, den offensichtlichen Stellvertreter des Zuschauers. Perus abschließende freundliche Zurückweisung von Derns ‘Fuck me!’ ist ohne den Bezug auf diesen dritten Blick unverständlich, und die ganze Szene ist für den Zuschauer gerade deshalb so unerquicklich, weil er gezwungen ist, den Platz dieses dritten Blicks einzunehmen – weil seine Position als Zeuge direkt in die Szene eingeschrieben ist: Die abschließende Zurückweisung fungiert als ein ‘schlechter Witz’, der im Zuschauer (nicht in Dern) ein unbehagliches Lachen hervorruft und die Energie freisetzt, die der Zuschauer für die saftige Kopulationsszene aufgespart hatte, die auf Derns erpresstes ‘Fuck me!’ hätte folgen sollen. Mit anderen Worten: Die Szene ist so unerquicklich nicht, weil wir uns wegen Derns Demütigung schämen, sondern weil wir auf frischer Tat in unserer eigenen phantasmatischen Erwartung ertappt werden.

18 In diesem Gedankenexperiment haben wir den Mechanismus natürlich radikal vereinfacht: Das Verhältnis zwischen einem bestimmten Typ öffentlichen, intersubjektiven Verhaltens und seiner phantasmatischen Stütze ist niemals direkt; das heißt, wir können uns leicht vorstellen, dass eine Frau, die in ihren Beziehungen zu Männern aggressiv und durchsetzungsfähig ist, heimlich davon phantasiert, brutal misshandelt zu werden; ferner können wir uns leicht vorstellen, dass eine Frau, die davon träumt, submissiv zu sein, damit eine fundamentalere Phantasie viel aggressiverer Natur verdeckt … Die Schlussfolgerung ist, dass man in Kontakten mit einem anderen Menschen nie sicher sein kann, wann und auf welche Weise man seine oder ihre Phantasie berühren und stören wird.

19 Eine weitere Weise, denselben Punkt zu machen, ist, auf die entscheidende Tatsache aufmerksam zu machen, dass Männer, die tatsächlich Vergewaltigungen begehen, nicht davon phantasieren, Frauen zu vergewaltigen – im Gegenteil, sie phantasieren davon, sanft zu sein, einen liebenden Partner zu finden; Vergewaltigung ist vielmehr ein gewaltsames passage à l’acte, das aus ihrer Unfähigkeit hervorgeht, einen solchen Partner im wirklichen Leben zu finden …

20 Siehe Gilles Deleuze, Coldness and Cruelty, New York: Zone Books, 1989. Diesen Punkt verdanke ich Renata Salecl, New York

Anhang II

Robert Schumann:

Der romantische Anti-Humanist

1 Siehe Jacques Lacan, Le Séminaire, livre VIII: Le transfert, Paris: Éditions du Seuil, 1991.

2 Siehe Ivan Nagel, Autonomy and Mercy, Cambridge, MA; Harvard University Press, 1991.

3 Hier kann man auch klar wahrnehmen, wie die eigentliche historische Entwicklung sich von bloßer natürlicher Evolution unterscheidet: In einem evolutionären Prozess geht eine Gestalt in eine andere über, und das Zwischenstadium ist einfach die allmähliche Transformation der einen Gestalt in die andere, während in der eigentlichen historischen Entwicklung eine Art unmögliche Grenze zwischen den Stadien A und B interveniert und von beiden verfehlt wird. (Das literarische Gegenstück zu diesem Übergang ist vielleicht der Übergang von Jane Austen zu Emily Brontë.) Während Mozarts Intersubjektivität die ‘Tiefe’ der Subjektivität fehlt, bezahlt Beethoven seinen Zugang zur ‘Tiefe’ der Subjektivität mit dem Verlust der eigentlichen Intersubjektivität, die in seinen Händen sich in eine Art äußerlich aufgezwungenes mechanisches Gerät verwandelt; als ob die ‘tiefen’ Subjekte alle zu aggressiv und intensiv wären, als dass ihre Interaktion in einem harmonischen Ensemble koordiniert werden könnte. Der Übergang dreht sich somit um den unmöglichen-utopischen Punkt intersubjektiver Harmonie zwischen ‘tiefen’ Subjekten.

4 Auf einer Ebene, die völlig anders ist als der eigentliche Romantizismus, begegnet man derselben Komplizenschaft zwischen Scheitern und Wahrheit natürlich bereits bei Mozart: Die strukturelle Notwendigkeit des Scheiterns des Finales von Così fan tutte (d.h. die Tatsache, dass die finale Versöhnung scheitert) ist der Moment seiner Wahrheit. Siehe Mladen Dolar, ‘La femme-machine’, New Formations 23 (Sommer 1994).

5 Ich stütze mich hier auf Charles Rosens bewundernswertes The Romantic Generation, London: Harper Collins, 1996.

6 Ebd., S. 175.

7 Bezeichnenderweise wird diese Wahrheit in Gestalt einer Geschichte in der Geschichte artikuliert (diese Geschichte wird der Princesse de Clèves von ihrem Ehemann erzählt); wie in Goethes Elective Affinities, wo die eigentliche ethische Haltung des ‘nicht von seinem Begehren ablassen’ in der Geschichte über zwei jugendliche Liebende aus einem kleinen Dorf artikuliert wird, erzählt von einem Besucher des Herrenhauses.

8 Siehe Brigitte Balbure, der Eintrag ‘Mélancolie’, in Dictionnaire de la psychanalyse, Hg. Roland Chemama, Paris: Larousse, 1993.

9 Siehe Bernard Baas, Le Désir pur, Louvain: Peeters, 1992.

10 Ein weiterer Begriff, der eng mit Melancholie verbunden ist, ist der der Depression: In ihrer elementarsten Form hat das depressive Subjekt seine Verbindungen zum Universum der Intentionen und Bedeutungen gekappt, seine Einbettung und aktive Teilnahme an intersubjektiver Tätigkeit; wie Heidegger es ausgedrückt hätte: Was ‘Depression’ suspendiert, ist die Haltung des aktiven In-der-Welt-Seins, der ‘Sorge [Sorge]’. Diese Verbindung zu Heidegger wird weiter durch den veränderten Status der Temporalität untermauert: Nach Heidegger sind in der ‘Sorge’ Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verflochten (die Gegenwart des Subjekts besteht darin, wie es seine Zukunft aus seinem Geworfensein, durch seine Vergangenheit, in seine bestimmte Situation hinein entwirft), während in der Depression die Zeit auf eine einförmige, monotone Dauer reduziert ist.

11 Für eine detailliertere Darstellung dieser ‘Nacht der Welt’ siehe Slavoj Žižek, ‘The Abyss of Freedom’, in F. W. J. Schelhng, The Ages of the World, Ann Arbor: Michigan University Press, 1997.

12 Rosen, The Romantic Generation, S. 11.

13 Ebd.

14 Ebd.

15 Jacques Lacan, ‘Position of the Unconscious’, in Reading Seminar XI, Hg. Bruce Fink et al., Albany, NY: SUNY Press, 1995, S. 274.

16 Siehe Alain Badiou, L’Être et l’événement, Paris: Éditions du Seuil, 1988.

17 Die ersten Schritte in diese Richtung waren bereits von Schubert unternommen worden, etwa in seinem Death and the Maiden: Das Haupt-Todesmotiv wird zuerst allein auf dem Klavier gespielt; die Stimme des Mädchens – die mit einer anderen, aktiveren und lebhafteren melodischen Linie antwortet – fungiert so als eine Art Flucht oder verzweifelte Verteidigung dagegen; dann übernimmt die Stimme des Todes das zuerst auf dem Klavier gespielte Motiv und lädt das Mädchen sanft ein, sich nicht zu fürchten und sich ihm zu überlassen.

18 Rosen, The Romantic Generation, S. 67.

19 Ebd., S. 68.

20 Ebd., S. 114.

21 Der Vergleich dieses Liedes mit dem letzten Lied von Frauenliebe zwingt uns auch, die Frage der sexuellen Differenz im Hinblick darauf aufzuwerfen, wie das Subjekt auf den Verlust des Geliebten reagiert. Die Reaktion des Mannes ist eine des verwundeten Narzissmus: Er bläht die Tatsache auf und verschiebt sie, dass das Mädchen ihn durch einen plötzlichen unerwarteten Tod verlassen hat, und geht dann dazu über, um sie zu trauern, bleibt auf ihren Verlust fixiert und verwandelt dadurch seine Klage in eine neue Quelle der Befriedigung; die Frau hingegen durchläuft den ‘Verlust eines Verlusts’, das heißt, sie zieht sich in sich selbst zurück, in die ‘Nacht der Welt’, ergibt sich dem Wirbel ‘weiblicher Depression’ und ist so für immer mit ihrem verlorenen Geliebten wiedervereint, der schließlich, nachdem sie sich von der äußeren Realität abgekoppelt hat, für sie ihre ganze Welt wird …

22 Siehe Serge Leclaire, Psychanalyser, Paris: Éditions du Seuil, 1968.

23 Schumann bezieht sich auf den Rhein als auf den Vaterfluss (‘Vater Rhein’), der in seinen Tiefen das Bild des Geliebten birgt; die kaum verhüllte tödliche Dimension dieses Bildes wird direkt in Lied 7 des Zyklus Liederkreis (Opus 24) evoziert, das den Rhein (an der Oberfläche ruhig und gütig, doch in seinen Tiefen Nacht und Tod verbergend) als Bild des Geliebten präsentiert, dessen Anschein von Freude und Güte Treulosigkeit und Verfall verbirgt. Wenn die Konturen dieser Gestalt im Fluss erkennbar werden und uns in seine Tiefen rufen, werden wir tatsächlich Zeugen des Rufes des Todes – Frau als einer der Namen-des-Vaters.

Anhang III

Das unbewusste Gesetz:

Hin zu einer Ethik jenseits des Guten

1 Siehe Judith Butler, Gender Trouble, New York: Routledge, 1990; Bodies That Matter, New York: Routledge, 1993.

2 ‘Einerseits gibt es ein katastrophales Ereignis, das Symptome hervorbringt und nach Zeugenschaft verlangt. Und dann geschieht es noch einmal, wenn der Wert des Zeugen im Zeugnis negiert wird und niemand da ist, der den Bericht hört, niemand, der beachtet oder antwortet – nicht einfach auf das Ereignis, sondern auch auf seinen Zeugen’ (Tom Keenan, ‘The AIDS Crisis Is Not Over’, in Trauma: Explorations in Memory, Hg. Cathy Caruth, Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press, 1995, S. 23).

3 Für eine detailliertere Darstellung siehe Slavoj Žižek, ‘Introduction’, in Mapping Ideology, London: Verso, 1995.

4 Ernesto Laclau, Emancipation(s), London: Verso, 1996, S. 37.

5 Ebd.

6 Siehe Jacques-Alain Miller, ‘L’Action de la structure’, Cahiers pour l’Analyse 9, Paris, 1966.

7 Ich stütze mich hier auf Jacob Rogozinski, Kanten, Paris: Éditions Kime, 1996.

8 Für eine detailliertere Darstellung dieses Aspekts von Kants Philosophie siehe Teil 1 von Slavoj Žižek, Tarrying With the Negative, Durham, NC: Duke University Press, 1993.

9 Siehe Rogozinski, Kanten, S. 124–30.

10 Für eine detailliertere Darstellung der Verbindung zwischen den kantischen Antinomien und Lacans Paradoxien des Nicht-Alle siehe Kapitel 2 von Žižek, Tarrying With the Negative.

11 Dasselbe gilt für die Beziehung zwischen (sozialem) Antagonismus und der ‘ontologischen’ Kluft zwischen dem Realen und der Realität. Wie verhalten sich die beiden zueinander? Vielleicht begegnen wir hier der ultimativen Trennlinie zwischen Idealismus und Materialismus. Das heißt: Idealismus verortet den ultimativen Horizont menschlicher Erfahrung in der Kluft, die die ontologische Leere von der konstituierten Realität trennt. Die ultimative idealistische Problematik ist die des Inhalts, der die Leere füllt, die mitten in der Realität klafft (wird diese Leere bloß durch Phantasien gefüllt?), während Materialismus die Leere (oder den ‘ursprünglichen Mangel’) als Indikator der ursprünglichen Verdrängung des Antagonismus begreift. So ist die ultimative idealistische Geste der ‘Entmystifizierung’ die, jeden und jeden positiven Inhalt als kontingenten Füller (Platzhalter) der transzendentalen Leere zu denunzieren, während Materialismus danach strebt, in die Dimension jenseits (oder vielmehr unterhalb) dieser Leere einzutreten. Und beruht dieser Gegensatz nicht auf dem Kontrast zwischen Trieb und Begehren? Trieb umfasst einen rein ontischen Antagonismus und ist daher strikt prä-ontologisch, während Begehren ‘ontologisch’ ist, aufrechterhalten durch die Leere inmitten des Ontischen.

12 Man kann sehen, wie Ernesto Laclaus Begriff der Hegemonie perfekt zu diesem kantischen ethischen Rahmen passt: Der positive Inhalt des leeren Universalen wird vom Subjekt geliefert, das durch einen Akt abgründiger Entscheidung das (leere) Universale mit einem bestimmten partikularen Inhalt identifiziert, der es hegemonisiert (zum Beispiel im Fall einer erfolgreichen Nazi-ideologischen Hegemonie: ‘ein wahrer Deutscher zu sein’ gleich ‘liberalen Individualismus ebenso wie das Prinzip des Klassenkampfs zurückzuweisen zugunsten der Vision einer Gesellschaft als eines korporativen Körpers, dessen Mitglieder – Klassen – harmonisch ko-operieren’).

13 Für eine detailliertere Darstellung dieses Schlüsselmerkmals von Kants Ethik siehe Kapitel 2 von Slavoj Žižek, The Indivisible Remainder, London: Verso, 1996.

14 Siehe Alenka Zupancic, Die Ethik da Realen. Kant mit Lacan, Wien: Tuna & Kant, 1995.

15 Siehe Kapitel 2 oben.

16 Eine weitere solche Szene ist definitiv James Masons – der auch in Caught ist – berühmte Zeile ‘God was wrong!’ (darin, Abraham im letzten Moment am Schlachten Isaaks zu hindern) aus Nicholas Rays Bigger Than Life.

17 Siehe Kapitel 6 von Mary Ann Doane, The Desire to Desire, Bloomington: Indiana University Press, 1987.

18 Elisabeth Bronfen (siehe Kapitel 8 von The Knotted Subject, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1997) macht darauf aufmerksam, wie Tippi Hedrens finale Konfrontation mit den Vögeln (in The Birds), die sie zu einer handlungsunfähigen Mumie reduziert, die nur noch zu hysterischen wilden Abwehrgesten des Händewedelns fähig ist, das Szenario der Gothic novels à la Radcliffe wiederholt, in denen die junge und unschuldige Heldin schließlich wagt, die Treppe hinaufzugehen und den Raum auf dem Dachboden zu betreten, den Ort verbotener Geheimnisse, der in der Nacht Flüstern und Schreie ausstößt – in einer Art ironischer Umkehrung der Formel wird Hedren selbst zur ‘Wahnsinnigen auf dem Dachboden’ reduziert. Die Szene ihres Treppensteigens ist strikt analog zur Szene des Detektivs Arbogast, der die Treppe im Haus der Mutter hinaufsteigt und dann von der Mutter-Figur in Psycho angegriffen wird: eine weitere Bestätigung dafür, dass die angreifenden Vögel für die entfesselte Kraft des mütterlichen Über-Ich stehen … Der Dachbodenraum mit einer geheimnisvollen Öffnung in seinem Dach ist somit buchstäblich der Ort der Ex-timität: der Ort im Zentrum des Hauses, der das bedrohliche Außen (die angreifenden Vögel) beherbergt. Das ‘Geheimnis’ ist somit, dass der wahre Ort des bedrohlichen Außen gut innerhalb des Hauses liegt, weshalb uns keine Holzplanken davor schützen können: In einer freudschen Lektüre ist der Dachbodenraum, dem Hedren sich nähert, natürlich das elterliche Schlafzimmer.

19 Gilles Deleuze, Coldness and Cruelty, New York: Zone Books, 1991, S. 82–3.

20 Siehe wiederum Rogozinski, Kanten.

21 Zum Begriff des ‘diabolischen Bösen’ siehe Kapitel 3 von Žižek, Tarrying With the Negative; zum crimen inexpiable des juristischen Mordes am Monarchen siehe Kapitel 5 von Slavoj Žižek, For They Know Not What They Do, London: Verso, 1991.

22 Siehe Joan Copjec, ‘Introduction: Evil in the Time of the Finite World’, in Radical Evil, London: Verso, 1996.

23 Hannah Arendt, ‘The Concentration Camps’, Partisan Review 15: 7, Juli 1948, S. 758.

24 Siehe Richard Bernstein, Hannah Arendt and the Jewish Question, Cambridge: Polity Press, 1996, S. 147.

25 John Silber, ‘Kant at Auschwitz’, in Proceedings of the Sixth International Kant Congress, Hg. G. Funke und T. Seebohm, Washington, DC: Center for Advanced Research in Phenomenology, 1991, S. 198.

26 Ebd., S. 200.

27 Hegels Aesthetics, Oxford: Oxford University Press, 1975, S. 222.

28 Alain Juranville (siehe ‘Du Malin Génie au Surmoi’, in L’Âne 64, Oktober 1996, S. 35–40) stellt das Über-Ich qua das obszöne Gesetz, das Genießen auferlegt, dem ‘wahren’ symbolischen Gesetz gegenüber, durch das wir uns dem Ruf des authentischen Anderen jenseits narzisstischer Verzerrungen öffnen. In dieser Perspektive ist der ‘Ödipuskomplex’ (dessen Ergebnis das Über-Ich ist) nicht länger die notwendige Matrix der ‘Sozialisierung’ (der Integration des Subjekts in ein soziosymbolisches Universum), sondern eine paradigmatische pathologische Verzerrung des normativen Prozesses des Eintritts des Subjekts in die symbolische Ordnung. Aus unserer Perspektive jedoch ist eine solche Gegenüberstellung zwischen dem ‘eigentlichen’ symbolischen Gesetz und seiner ‘pathologischen’ Über-Ich-Verzerrung gerade die ideologische Operation (oder ‘idealistische Fälschung’), die zu vermeiden ist: Die grundlegende Lehre der Psychoanalyse ist gerade, dass es kein Gesetz ohne Über-Ich gibt – das Über-Ich ist der obszöne Fleck, der strukturell unvermeidbar ist, es ist das schattenhafte Supplement zum ‘reinen’ symbolischen Gesetz, das ihm seine notwendige phantasmatische Stütze liefert.

29 Für die Beziehung zwischen Kant und Hegel ist es daher entscheidend, aus dieser doppelten Verengung auszubrechen: sowohl aus der ‘naturalisierten’ pseudo-hegelianischen Position, von der aus Kant als ein sich selbst widersprechender Philosoph erscheint, der seine eigenen Vermutungen nicht bis zu Ende durchdacht hat und sich so in sinnlose Inkonsistenzen verstrickt, als auch aus der Standard-Kantischen Position, der zufolge Hegel die Grenze, die für Kant konstitutiv ist, als bloße Beschränkung misswahrnimmt, die zu überwinden sei, und so zurück in die traditionelle Metaphysik regressiert. Der Punkt ist hier nicht, die beiden Philosophen in einen ‘Dialog’ zu verwickeln, in dem jeder den wahren Beitrag des anderen ‘respektieren’ würde, sondern sehr viel radikaler: Die traditionelle kantische Kritik an Hegel ist der Schirm, der uns daran hindert, Zugang zur wirklich subversiven Dimension von Kants Philosophie selbst zu gewinnen (die Konsequenzen seiner ‘Grenzbegriffe’ wie diabolisches Böses, das Monströse usw. zu skizzieren); und umgekehrt: Die standardmäßige hegelianische kritische (Fehl-)Wahrnehmung Kants ist ein Schirm, der den unerhörten realen Kern der hegelianischen Dialektik selbst verschleiert.

30 Entlang derselben Linien ist auch das lacanianische, im symbolischen Gesetz gegründete Begehren eine Abwehr gegen die tödliche jouissance.

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