Denn sie wissen nicht was sie tun 5

II REFLEXION

Die Logik der Re-Markierung

Die Lehre, die aus dem zu ziehen ist, was wir bislang ausgearbeitet haben, lautet, dass Hegel sorgfältig und wörtlich zu lesen ist. Wenn er zum Beispiel sagt, die härteste Nuss des spekulativen Ansatzes sei es, die Identität der Gegensätze als Gegensätze zu erkennen, die Positivität im Negativen selbst aufzudecken, dann bedeutet dies nicht, dass die Gegensätze irgendwie vereinigt, harmonisiert werden müssten (wogegen wir stets einwenden könnten, dass diese Operation niemals ohne einen Rest gelingt, der der Synthese widersteht), oder dass die negative Kraft irgendwie in Positivität „invertiert“ oder von ihr „umfasst“ werden müsste (wogegen wir wiederum stets einwenden könnten, dass es ein Übermaß an Negativität gibt, das der Absorption in die Positivität der dialektisch vermittelten Identität widersteht). Wie wir apropos der „List der Vernunft“ gesehen haben, besteht die entscheidende Geste des dialektischen Ansatzes darin, die „positive“ (ermöglichende, „produktive“) Dimension auszustellen, die dem Negativen als solchem zukommt; zu begreifen, wie das, was zunächst als rein negative (drohende) Instanz erschien, als positive „Bedingung der Möglichkeit“ desjenigen fungiert, was es behindert.

Die Unangemessenheit der gegenwärtigen Doxa über Hegel tritt an diesem Punkt am deutlichsten hervor – apropos der Inversion des Negativen in Positivität. Die härteste Nuss für den nicht-dialektischen Ansatz ist es, dies mit der Hegelschen Affirmation der „unendlichen Kraft des Negativen“ zu versöhnen. Das heißt: Es genügt nicht, Hegel als den „Denker der Negativität“ zu begreifen, als den Philosophen, der den bacchantischen Tanz der Negativität vorführte, der jede positive-substantielle Identität hinwegfegt. Was einem solchen Ansatz entgeht, ist schlicht die Identität selbst, die Weise, in der Identität durch die reflexive Selbstbeziehung des Negativen konstituiert wird. Wir werden uns bemühen, diese härteste Nuss anhand einer symptomatischen Aporie der Derrida’schen Hegel-Lektüre zu erhellen.

Es scheint, als wiederhole die Derrida’sche Behandlung Hegels selbst die oben erwähnte paradoxale Logik des „Supplement“ (Ergänzung), die Derrida apropos seiner Modellanalyse der Rolle der Schrift im platonischen Text ausarbeitet. Zunächst wird die Schrift einfach als eine sekundäre Äußerlichkeit ausgeschlossen, die die innere Präsenz der Idee nicht berührt; dann ist er zweitens gezwungen, ihre unheimliche Nähe anzuerkennen, als ob das innere Wesen immer-schon von dem Prozess des Schreibens affiziert, ja sogar durch ihn konstituiert wäre – weshalb wir den Ausschluss der Schrift auf einer anderen Ebene, innerhalb der Idee selbst, wiederholen müssen. Derrida und die Derrida’schen Interpreten (Nancy, Lacoue-Labarthe, Gasche) stellen Hegel dementsprechend zunächst Derrida entgegen, indem sie ihn als eine Art wirksames Gegenbild Derridas präsentieren.

Die Hegelsche Dialektik ist der Kulminationspunkt der Metaphysik der Präsenz, die logische Maschine des Begriffs, die mittels ihrer Selbstvermittlung jede Heterogenität „aufhebt“ und umfasst, ein geschlossener Kreis teleologischer Bewegung, innerhalb dessen jede Verschiedenheit im Voraus als ihr eigener idealer Moment gesetzt ist – im Gegensatz zu Derrida, der die irreduzible Dissemination des Differenzprozesses bejaht, die Unmöglichkeit, diesen Prozess je innerhalb des Kreises selbstvermittelter Identität einzuschließen … Zweitens jedoch räumen sie ein, dass es nahezu unmöglich ist, den Prozess der Selbstdifferenzierung des Begriffs von der Bewegung der différance zu unterscheiden, dass die Linie, die sie trennt, nahezu unmerklich ist, dass ihre Nähe nahezu absolut ist. Aus diesem Grund muss ihre Abgrenzung wiederholt werden — und, wie wir bereits hervorgehoben haben, ähnelt die Form dieser Wiederholung unheimlich derjenigen der fetischistischen Verleugnung, der Formel „je sais bien, mais quand même …“ Ihr erster Teil artikuliert das Wissen, das den Ausgangspunkt unterminiert (Hegel als Philosoph metaphysischer Identität, und so weiter); während der zweite Teil den ersten nicht widerlegt, sondern schlicht zum Ausgangspunkt zurückkehrt und an ihm wie an einem Glaubensartikel festhält – „Ich weiß sehr wohl, dass bei Hegel jede Identität nur ein vorübergehender Moment im Prozess der Differenz ist; und doch (glaube ich weiterhin, dass) die spekulative Identität letztlich alle Differenzen aufhebt.“

Das vielleicht deutlichste Beispiel dieser Dissonanz begegnet uns in Rodolphe Gasches The Tain of the Mirror,9 in dem das Verhältnis der Derrida’schen Dekonstruktion zur Philosophie der Reflexion mit immensem theoretischem Wissen und Scharfsinn ausgearbeitet wird. Die erste Überraschung ist jedoch die Art, wie Gasche als spezifisch „Derrida’sch“ eine ganze Reihe von Propositionen präsentiert, die klingen, als seien sie der Hegelschen Logik entnommen – zum Beispiel auf den Seiten 201–2: „… jedes Seiende ist, was es ist, nur indem es durch das Andere, auf das es sich bezieht, geteilt wird, um sich zu konstituieren“ – ein nahezu wörtliches Zitat aus dem Beginn von Hegels „Logik des Wesens“! Um die Distanz zwischen Hegel und Derrida aufrechtzuerhalten, ist Gasche somit gezwungen, Hegel eine unsinnig vereinfachte Version des „absoluten Idealismus“ zuzuschreiben, indem er die abgenutzten Lehrbuch-Plattitüden über „das dialektische Eine, das sowohl das Eine wie das Mannigfaltige umfasst“ (S. 277) und dergleichen zusammenfasst. Der Punkt kulminiert, wenn Gasche Hegel mittels Hegel selbst widerlegt – wenn er als Grenze, die Hegel angeblich entgeht, die elementaren Propositionen der Hegelschen Logik selbst präsentiert, wie etwa in der folgenden charakteristischen Passage:

Die Möglichkeit, den Gegensatz zwischen dem Verdoppelten und seinem Doppel dialektisch als ein Verhältnis der Veräußerlichung und Wiederaneignung des Doppels als des Negativen dessen, was verdoppelt ist, zu begreifen, ist logisch abhängig von der ursprünglichen Verdopplung, gemäß der kein(e)s in seinem Erscheinen auf sich selbst verweisen kann, außer indem es sich in einem Anderen verdoppelt, (S. 228)

Kurz: Zunächst imputiert man Hegel einen absurd übervereinfachten Begriff dialektischer Reflexion („Wiederaneignung des Doppels als des Negativen dessen, was verdoppelt ist“); anschließend behauptet man als Bedingung einer solchen Wiederaneignung, die der Dialektik entgehen soll, die elementare dialektische Einsicht, dass ein Seiendes auf sich selbst nur verweisen kann, indem es sich in einem Anderen verdoppelt!

Diese inhärente Ambiguität der „dekonstruktiven“ Hegel-Lektüre tritt am heftigsten apropos des entscheidenden Begriffs der „Aufhebung“ [Aufhebung] hervor. In der ersten Phase stehen Hegel und Derrida natürlich klar gegeneinander. Aufhebung bezeichnet das dialektische Überwinden von Differenzen, die eigentliche Weise, in der der Begriff Heterogenität, Verschiedenheit umfasst, indem er sie in einen ideal-aufgehobenen Moment seiner eigenen Identität verwandelt – Differenzen werden als „aufgehoben“, als Momente einer artikulierten Totalität erkannt, während Derridas ganzer Akzent auf einem „infrastrukturellen“ Rest liegt, der der Aufhebung widersteht, der in seiner Heterogenität fortbesteht und gerade als solcher – als Grenze der Aufhebung, als Fels, an dem Aufhebung notwendig scheitert – ihre positive Bedingung ist. In einer zweiten Phase jedoch verwischt sich dieser Gegensatz zwischen Aufhebung und ihrem Rest. Wenn Derrida etwa in Dissémination die Mallarmé’sche Problematik der „remark“ [ré-marque] behandelt, räumt er ein, dass Aufhebung als elementare Matrix der Hegelschen spekulativen Reflexion von der Graphik der remark nahezu nicht zu unterscheiden ist, sodass die Geste der Differenzierung auf weitaus verfeinerte und ambivalentere Weise wiederholt werden muss. Diese Derrida’sche Lektüre/Umschrift der Mallarmé’schen remark verdient eine nähere Untersuchung, da, wie wir sehen werden, Derrida hier der Lacan’schen Logik des Signifikanten am nächsten kommt.

Wie gelangt man von der Markierung [marque] zur Re-Markierung? Warum muss jede Markierung (jede signifikante Spur) re-markiert werden? Derridas Ausgangspunkt ist der differentielle Charakter der Textur der Markierungen. Eine Markierung ist nichts als eine Spur, ein Bündel von Merkmalen, die sie von anderen Markierungen unterscheiden, wobei diese Differentialität in ihre Selbstreferenz überführt werden muss – wobei jede Serie von Markierungen als semische (Bedeutungsträger) „eine zusätzliche tropologische Bewegung enthalten muss, durch die die seme Markierung auf das verweist, was die Markierungen demarkiert, auf die Zwischenräume zwischen den Markierungen, die die verschiedenen Markierungen aufeinander beziehen“.10 Kurz: In jeder Serie von Markierungen gibt es immer mindestens eine, die als „leer“, „asemisch“ fungiert – das heißt, die den differentiellen Raum der Einschreibung der Markierungen re-markiert. Erst durch die Geste des Re-Markierens wird eine Markierung zur Markierung, da nur die Re-Markierung den Ort ihrer Einschreibung eröffnet und aufrechterhält …

Befinden wir uns damit nicht mitten in der „Logik des Signifikanten“, wie Jacques-Alain Miller sie in seinen zwei kurzen „kanonischen“ Schriften „Suture“ und „Matrix“11 ausarbeitet, in der zweiten von beiden benutzt er sogar dieselben Termini wie Derrida (die Markierung und der leere Ort ihrer Einschreibung, getragen von einer zusätzlichen leeren Markierung, und so weiter)? Ist nicht die elementare Proposition der „Logik des Signifikanten“ (von Derrida in einer kurzen Note – remark – in On Grammatology abgewiesen), dass jede Serie von Signifikanten ein paradoxes Überschuss-Element enthalten muss, das innerhalb dieser Serie den Ort der Abwesenheit des Signifikanten selbst hält – um auf die Formel zurückzugreifen, die seit langem zum Jargon gehört, ein Signifikant des Mangels des Signifikanten? Das heißt: Insofern die Ordnung des Signifikanten differentiell ist, muss die Differenz zwischen dem Signifikanten und seiner Abwesenheit in sie selbst eingeschrieben werden; und ist nicht diese „Valenz, die nicht nur eine unter anderen ist“12 das Lacan’sche S1, der Herrensignifikant, der „asemische“ Signifikant-ohne-Signifikat, der die Kette des „Wissens“ (S2) stets supplementiert und sie so ermöglicht? Und ist nicht außerdem der durch die Re-Markierung repräsentierte leere Ort das Lacan’sche „sujet barré“, das Subjekt des Signifikanten, sodass diese elementarste Matrix bereits die Folgerung der Lacan’schen Definition des Signifikanten als dessen ermöglicht, was „das Subjekt für alle anderen Signifikanten repräsentiert“? Repräsentiert die Re-Markierung nicht den leeren Raum der Einschreibung für alle anderen Markierungen?

Um diese Logik der Re-Markierung „greifbar“ zu machen, erinnern wir uns lediglich an ein bestimmtes Verfahren, das sich in unterschiedlichen Kunstbereichen findet, von der Malerei (das Verhältnis zwischen Figur und Grund) bis zur Musik (das Verhältnis von Motiv und Begleitung) und zum Kino: die paradoxe Inversion, mittels derer das, was zunächst als Motiv (Figur) erscheint, rückwirkend, nachdem es durch ein neues Motiv (Figur) re-markiert wurde, in Begleitung (Grund) übergeht – und die komplementäre Inversion, durch die das, was zunächst als „bloße Begleitung“ erscheint, rückwirkend zum Hauptmotiv wird. Beginnen wir mit Eschers graphischen Paradoxien. Ihr Grundverfahren ist das dialektische Wechselspiel von Figur und Grund, die graduelle Transformation von Grund in Figur, die rückwirkende Re-Markierung des Grundes als Figur und umgekehrt. Das paradoxe Resultat eines solchen Wechselspiels – die Inkonsistenz einer Serie von Treppen, bei der wir uns, wenn wir ganz hinabgehen, zum Beispiel wieder oben finden – bezeugt die Präsenz des Subjekts: Das Subjekt „ist“ diese Inkonsistenz der Struktur selbst – in unserem Fall die Leere, die unsichtbare und „unmögliche“ Lücke zwischen der niedrigsten und der höchsten Stufe, die durch optische Täuschung überbrückt wird. Und ist nicht Eschers bekanntestes visuelles Paradox, das von zwei Händen, die einen Bleistift halten und einander zeichnen, ein perfekter Fall zweier Markierungen, die einander zugleich re-markieren?

Um die Logik der Re-Markierung zu entdecken, muss man jedoch nicht an die Ränder der Kunst gehen, wo Kunst an technische Trickhaftigkeit heranrückt (Paradoxien, Anamorphosen und so weiter). Es genügt, „mainstream“-Werke in einem anderen Licht zu betrachten. Mozart zum Beispiel: Wir alle kennen das Klischee von Mozarts Musik als „himmlisch“, „göttlich“ – diese Charakterisierung enthält dennoch ein Körnchen Wahrheit. Sie verweist auf ein typisches mozartisches Verfahren, bei dem die Anfangsmelodie von einer anderen melodischen Linie begleitet wird, die sozusagen „von oben“ herabsteigt und den Status der ersten Melodie rückwirkend in den einer „Begleitung“ verwandelt (das bekannteste Beispiel ist der dritte Satz der Serenade Nr. 10 in B-Dur, KV 361). Man könnte sagen, dass dieses zweite, „himmlische“ Motiv das anfängliche Motiv re-markiert, neu rahmt. Vielleicht könnten wir auch die elementare Hypothese wagen, dass gerade eine solche Re-Markierung der Motive, ihr Übergang in Begleitung, bei Beethoven verloren geht – sie erscheint in seinem Werk nur ausnahmsweise (etwa im dritten Satz der Neunten Symphonie).13

Im Bereich des Kinos wird eine homologe Inversion häufig von Alfred Hitchcock praktiziert – in The Birds zum Beispiel, in der berühmten Panoramaaufnahme aus großer Höhe einer Kleinstadt, in der gerade ein Brand ausgebrochen ist. Plötzlich tritt ein einzelner Vogel von hinter der Kamera ins Bild; bald gesellt sich ein Paar hinzu, gefolgt von der gesamten Schar. Dieselbe Einstellung wird somit re-markiert. Was zunächst wie eine establishing shot der gesamten Szene erschien, aus einem „neutralen“, objektiven Blickpunkt aufgenommen, wird subjektiviert und erweist sich als der bedrohliche Blick der Vögel selbst auf ihre Opfer. Ein ähnliches, wenn auch symmetrisch invertiertes Verfahren verwendet Francis Ford Coppola in den opening titles von his Conversation. Die Kamera zeigt verschiedene Szenen aus einem Park voller Spaziergänger während einer Mittagspause, mit einer Tonspur seltsam verzerrter Stimmen. Wir, die Zuschauer, nehmen dies automatisch für einen neutralen, rein illustrativen Hintergrund der Titel, dessen einzige Funktion darin besteht, die richtige „Stimmung“ zu erzeugen. Es wird jedoch bald evident, dass die während der Titel gezeigte Szene die Schlüsselszene des gesamten Films ist (eine Detektivagentur mitten im Abhören eines ehebrecherischen Paares). Der entscheidende Punkt, der hier nicht zu verfehlen ist, besteht darin, dass der Verweis auf die imaginäre Ebene der Gestalt nicht ausreicht, um dieses dialektische Wechselspiel von „Figur“ und „Hintergrund“ zu erklären. Inversionen dieser Art sind nur innerhalb des Universums des Signifikanten möglich – das heißt innerhalb eines Universums, in dem mindestens ein Element den Ort der Einschreibung von und für alle anderen Elemente repräsentiert. Ohne die Einschreibung, innerhalb der Serie der Elemente, eines Elements, das ihren Ort der Einschreibung selbst re-markiert, kann die Distanz zwischen „Figur“ und ihrem „Grund“ nicht etabliert werden.

Diese Dialektik von „Figur“ und „Grund“ macht es möglich, die Homologie zwischen Re-Markierung und Aufhebung zu erkennen, auf die Derrida selbst hingewiesen hat. Ein Element wird „aufgehoben“ – unterdrückt und zugleich bewahrt –, wenn es durch einen neuen Rahmen re-markiert, in ein neues symbolisches Netzwerk eingeschlossen, in sein Element „erhoben“ wird. In der oben erwähnten Einstellung aus The Birds zum Beispiel wird der „objektive“ Blick von oben auf die Stadt unterdrückt-und-bewahrt, indem er als der „subjektive“ Blick der Vögel selbst re-markiert wird. „Das Ding bleibt exakt dasselbe wie zuvor, und doch ändert sich plötzlich sein Sinn total“; es bleibt dasselbe als Markierung, doch es wird auf andere Weise re-markiert. In diesem Sinn folgt die dialektische Inversion stets der Logik der Re-Markierung: Das Ding selbst in seiner Unmittelbarkeit ändert sich nicht; alles, was sich ändert, ist die Modalität seiner Einschreibung in das symbolische Netzwerk. In diesem Sinn wird auch klar, warum die Re-Markierung mit dem Lacan’schen S1, dem Herrensignifikanten, dem „Stepppunkt“ [point de capiton] zusammenfällt. Der Effekt des „Steppens“ tritt ein, wenn mit einer plötzlichen Umkehrung der Perspektive das, was noch vor einem Augenblick als Niederlage wahrgenommen wurde, als Sieg erscheint.

Nehmen wir den Fall des heiligen Paulus, dessen Wiederlektüre des Todes Christi dem Christentum seine definitiven Konturen gab. Er fügte den bereits existierenden Dogmen keinen neuen Inhalt hinzu – alles, was er tat, war, als größten Triumph, als Erfüllung der höchsten Mission Christi (Versöhnung Gottes mit der Menschheit) zu re-markieren, was zuvor als traumatischer Verlust erfahren wurde (die Niederlage von Christi weltlicher Mission, sein schmählicher Tod am Kreuz).14 Hier begegnen wir erneut dem grundlegenden Hegelschen Motiv: „Versöhnung“ bezeichnet keinerlei wundersame Heilung der Wunde der Spaltung, sie besteht ausschließlich in einer Umkehrung der Perspektive, mittels derer wir wahrnehmen, wie die Spaltung in sich selbst bereits Versöhnung ist – wie etwa Christi Niederlage und schmählicher Tod bereits in sich selbst Versöhnung sind. Um „Versöhnung“ zu vollziehen, müssen wir die Spaltung nicht „überwinden“, wir müssen sie nur re-markieren.15

Ferner: Verweist diese Logik der Re-Markierung nicht auf den selbstreflexiven Charakter dessen, was Derrida „Textualität“ nennt – auf die Weise, in der jede Textur von Markierungen notwendig „in sich“ reflektiert, innerhalb ihrer selbst, ihren eigenen Raum der Einschreibung, ihre eigenen Bedingungen der Möglichkeit – in der Gestalt ihres Gegenteils, versteht sich? Der leere Raum der Einschreibung (der Mangel) reflektiert sich in der Gestalt einer positiven Markierung, als „eine unter anderen“. Gasche schlägt die folgende prägnante Formulierung vor: „Indem sie sich durch die Re-Markierung affiziert, ihren eigenen Raum der Hervorbringung bezeichnet, schreibt sich die Markierung in sich selbst ein, reflektiert sich in sich selbst in der Form dessen, was sie nicht ist.“16 Ist die Logik der Re-Markierung daher nicht die elementare Matrix der Hegelschen selbstreflexiven Bewegung des Begriffs? In On Grammatology artikuliert Derrida, wie Rousseau „Textualität in den Text einschreibt“, wie er „uns im Text sagt, was Text ist“. Die Themen, auf die die Derrida’sche Rousseau-Lektüre zentriert ist („Supplementarität“ zum Beispiel), sind nicht einfach Themen unter anderen in der Kette; es sind Themen, die (im Text reflektieren) die textuelle Kette selbst, die Weise, in der der Text „operiert“, beschreiben. Wenn es daher, wie Gasche unter Bezug auf Derrida hervorhebt, eine nahezu perfekte Koinzidenz zwischen der Logik der Re-Markierung und der reflexiven Bewegung der Aufhebung gibt, wie unterscheidet man sie dann?

Gasches Grundstrategie besteht darin, eine Unterscheidung zu ziehen zwischen der selbstreflexiven Schicht des Textes (Elementen, Motiven, mittels derer Textualität im Text reflektiert, repräsentiert wird) und seinem „infrastrukturellen“ Hintergrund, den textuellen Operationen, die eine solche Reflexivität möglich machen und sie durch dieselbe Geste behindern – die ihren Raum öffnen, ihn aber zugleich daran hindern, vollständig zu gelingen und so mit sich selbst in vollendeter Selbstspiegelung zusammenzufallen. Er zitiert die folgende Passage aus Grammatology: „Wenn ein Text sich immer eine gewisse Repräsentation seiner eigenen Wurzeln gibt, leben diese Wurzeln nur durch diese Repräsentation, indem sie sozusagen niemals den Boden berühren“, und kommentiert sie: „Der umgrenzte Diskurs, in dem ein Text sich präsentiert, ist eine Repräsentation, die ständig vom gesamten System der eigenen Ressourcen und Gesetze des Textes überrannt wird.“17

Hier sollten wir uns eine kurze „dekonstruktive“ Lektüre Gasches selbst erlauben. Sein Kommentar verfehlt – oder vielmehr verlegt – die Akzentuierung von Derridas Proposition. Das heißt: Gasche legt den Akzent auf die Weise, in der Selbstreflexion in infrastrukturelle Mechanismen „eingebettet“ ist, die sie übersteigen, während der ganze Punkt von Derridas zitierter Proposition genau das Gegenteil ist. Diese infrastrukturellen Mechanismen „leben nur durch diese Repräsentation“ – das heißt, die Textualität des Textes selbst wird durch diese Selbstreflexion getragen. Es gibt keine primordiale textuelle „Infrastruktur“, die sich infolgedessen verzerrt, partiell, im Text reflektieren könnte – „Textualität“ ist nichts als ein Name für eben diesen Prozess textueller Selbstreflexion: mit anderen Worten, für diesen Prozess der Re-Markierung. Wenden wir uns jedoch Gasches Hauptargument gegen die Identifizierung der „Infrastruktur der Re-Markierung“ mit der Hegelschen Reflexionsbewegung zu:

Dieses Thema [das die Kette selbst beschreibt] reflektiert nicht die ganze Kette, wenn Reflexion bedeutet, was sie immer bedeutet hat, eine spiegelnde Repräsentation, durch die ein Selbst sich wieder aneignet. Statt die Kette des Textes in sich selbst zu reflektieren, re-markiert „Supplementarität“ diese Kette auf dieselbe Weise, wie sie selbst re-markiert ist, das heißt, zurück in die Position einer Markierung innerhalb der textuellen Kette versetzt.… Die Illusion einer reflexiven Totalisierung durch ein Thema oder einen Begriff ist im repräsentationalen Auslöschen ihrer Position als Markierungen innerhalb der Kette begründet, die sie zu regieren tendieren. Aufgrund der Re-Markierung finden Selbstrepräsentation und Selbstreflexion niemals ganz statt. Ein Thema oder Begriff kann den Text nur en abyme bezeichnen; das heißt, seine Repräsentation ist die Repräsentation einer Repräsentation.18

Schon der erste Satz ist aufschlussreich: Man kann Re-Markierung von Reflexion nur unterscheiden, indem man voraussetzt, dass „Reflexion bedeutet, was sie immer bedeutet hat“ – diese Aussage ist formal wie inhaltlich doppelt fragwürdig. Inhaltlich ist sie – um auf naive, hier durchaus angemessene Termini zurückzugreifen – schlicht falsch. Sie imputiert Hegel einen strikt vorhegelianischen Begriff der Reflexion („eine spiegelnde Repräsentation, durch die ein Selbst sich wieder aneignet“) – einen Begriff, der verfehlt, was Hegel mit „absoluter Reflexion“ zu umreißen suchte. Wäre dies der Hegelsche Begriff der Reflexion, dann könnten wir gewiss nicht von einer „Ähnlichkeit“ zwischen der Bewegung der Reflexion und der Re-Markierung sprechen. Formal kann eine solche Aussage aus dem Mund eines „Dekonstruktivisten“ nur etwas eigentümlich klingen. Ist nicht die gesamte Anstrengung der „Dekonstruktion“ darauf gerichtet, aufzuweisen, wie Wörter niemals einfach „bedeuten, was sie immer bedeutet haben“ – wie sie niemals die volle Identität ihrer „eigentlichen Bedeutung“ erreichen können? Hier jedoch sind wir plötzlich verpflichtet, uns darauf zu berufen, was Reflexion „immer bedeutet hat“ .… Was, wenn Hegel selbst den Begriff der Reflexion bereits „dekonstruiert“ hätte, indem er ihn auf eine innerhalb der vorhegelianischen (und vielleicht auch posthegelianischen) Tradition unerhörte Weise funktionieren ließ? Was, wenn gerade mit Hegel „Reflexion“ nicht länger „bedeutet, was sie immer bedeutet hat“?

Der Abgrund re-markiert

Um über diesen entscheidenden Punkt zu entscheiden, müssen wir Gasches Argumentationslinie genau betrachten. Entgegen der Reflexionsbewegung – wo durch reflexive Totalisierung ihr Agens die gesamte Kette „dominiert“ und die reflektierten Inhalte „wieder aneignet“ – dominiert in der Derrida’schen Logik der Re-Markierung das Element, durch das Textualität sich im Text selbst reflektiert – das Element, das den Ort der Kette als solchen re-markiert – niemals die Kette, da es selbst die Position eines ihrer Elemente einnimmt und somit durch andere Elemente erneut re-markiert wird.19 Aus diesem Grund kann jedes Element Textualität nur en abyme, durch endlose Aufschiebung, reflektieren – es gibt stets ein bestimmtes Übermaß an Re-Markierung, das der dialektischen Totalisierung entgeht:

… so wird der Serie ein Tropus zu viel hinzugefügt, und, in der Form eines Stellvertreters …, repräsentiert er, was nicht wirklich zur Serie der Seme gehört, das Nichtbedeuten, vor dessen Hintergrund die vollen Markierungen hervortreten. Wenn dieser Tropus jedoch aus der Serie herausgezogen wird, um durch den Begriff [der Markierung] totalisiert zu werden, dann lässt diese Totalisierung wenigstens eine Markierung unberücksichtigt. So durch den Raum der Einschreibung re-markiert, der alle Markierungen demarkiert, könnte kein Begriff oder Thema der Markierung hoffen, mit dem zu koinzidieren, was es zu umfassen zielt. Die Re-Markierung ist eine wesentliche Grenze für jede koinzidierende Reflexion oder Spiegelung, eine Verdopplung der Markierung, die jede selbstreflexive Adäquation unmöglich macht. Aus strukturellen Gründen gibt es immer mehr als Totalität; die zusätzliche Valenz, hinzugefügt durch den Delegierten des asemischen Raums diakritischer Differenzierung der Totalität der Seme, bleibt immer – unendlich – zu verrechnen.20

Das Argument ist klar. Die (begriffliche) Totalisierung einer Kette von Markierungen wird stets durch eine zusätzliche Markierung re-markiert, die innerhalb der Serie semischer Markierungen deren Grund, ihr Feld der Einschreibung repräsentiert (den Platz dafür hält) – das heißt ihre Differentialität selbst, die Differenz zwischen Markierungen als solchen. Totalität findet nur als re-markierte statt; sobald sie geschieht, wird immer eine Überschuss-Markierung hinzugefügt. Mit anderen Worten: Totalisierung totalisiert niemals alles; aufgrund einer strukturellen Notwendigkeit wird sie mittels eines Exzesses vollzogen, der selbst nicht totalisiert, nicht verrechnet bleibt. Was nicht möglich ist, ist eine Totalisierung, die sich durch eine selbstreflexive Gleichung mit sich selbst selbst umfassen würde, ihre eigene Re-Markierung – die sich selbst re-markieren und so transparente Selbst-Koinzidenz erreichen würde. Doch die Hegelsche reflektierende Wiederaneignung ist genau eine solche unmögliche Totalisierung, in der das Feld der Markierungen seine eigenen Bedingungen restlos re-markiert (reflektiert); in der der Rahmen des Textes in den Text selbst eingeschrieben, von ihm verrechnet wird.

Trägt dieses Argument? Ist es tatsächlich ein Argument gegen Hegel? Statt eine formale Antwort zu geben, werde ich eine „empirische Widerlegung“ riskieren, so naiv sie erscheinen mag, indem ich mich auf eine bestimmte Gedankenlinie bei Hegel beziehe, die Gasches Beschreibung der Weise, wie Re-Markierung als Überschuss fungiert, durch den Totalisierung stattfindet, vollkommen entspricht: Hegels Deduktion der Monarchie aus seiner Rechtsphilosophie.

Diese Deduktion wird in der Regel verachtet. Man sieht in ihr den Beweis für Hegels Konzession an vorbürgerliche historische Umstände, wenn nicht den offenen Beleg seines Konformismus. Es herrscht Verwunderung über die Absurdität und Inkonsistenz Hegels, des Philosophen der absoluten Vernunft, der dafür eintritt, dass die Entscheidung darüber, wer Staatsoberhaupt sein wird, von dem nicht-rationalen, biologischen Faktum der Abstammung abhängen soll. Man weist darauf hin, wie Hegels gesamte Argumentation an einem Wortspiel über „Unmittelbarkeit“ hängt. Um wirksam zu sein, müsse die Einheit des Staates wieder in einem Individuum verkörpert sein, in dessen Existenz allein der Wille für sich existiert – unmittelbare Existenz erreicht – und diese Forderung nach natürlicher Unmittelbarkeit werde am besten gerade durch die Erbfolge erfüllt .… Diese Kritik jedoch geht völlig fehl: nicht weil sie einfach falsch wäre – der Punkt ist vielmehr, dass sie, ohne es zu wissen, Hegels Grundidee bestätigt. Die konstitutionelle Monarchie ist ein rational gegliedertes organisches Ganzes, an dessen Spitze ein „irrationales“ Element steht, die Person des Königs. Entscheidend ist hier gerade die Tatsache, die Hegels Kritiker akzentuieren: der Abgrund, der den Staat als organische rationale Totalität von dem „irrationalen“ factum brutum der Person trennt, die die höchste Macht verkörpert – das heißt, durch die der Staat die Form der Subjektivität annimmt. Gegen den Vorwurf, das Schicksal des Staates werde damit der natürlichen Kontingenz der psychischen Konstitution des Souveräns (seiner Weisheit, Ehrlichkeit, Tapferkeit und so weiter) überlassen, entgegnet Hegel:

… all dies beruht auf einer Voraussetzung, die nichtig ist, nämlich dass alles von dem besonderen Charakter des Monarchen abhänge. In einem vollständig organisierten Staat ist es nur eine Frage des kulminierenden Punktes formaler Entscheidung .… Es ist daher falsch, objektive Qualitäten von einem Monarchen zu verlangen; er hat nur „ja“ zu sagen und das „i“ zu punktieren … was immer der Monarch darüber hinaus noch haben mag, zusätzlich zu dieser Macht der letzten Entscheidung, ist Bestandteil seines Privatcharakters und sollte ohne Bedeutung sein. … In einer wohlorganisierten Monarchie gehört der objektive Aspekt allein dem Gesetz, und der Anteil des Monarchen besteht lediglich darin, dem Gesetz das subjektive „Ich will“ zu setzen.21

Der Akt des Monarchen ist somit rein formaler Natur: Sein Rahmen ist durch die Verfassung bestimmt, der konkrete Inhalt seiner Entscheidungen wird ihm von seinen Beratern vorgelegt, sodass „er oft nicht mehr zu tun hat, als seinen Namen zu unterschreiben. Aber dieser Name ist wichtig. Er ist das letzte Wort, über das hinaus es unmöglich ist zu gehen.“22

Damit ist tatsächlich alles gesagt. Der Monarch fungiert als „reiner“ Signifikant, als Signifikant-ohne-Signifikat; seine ganze Wirklichkeit (und Autorität) besteht in seinem Namen, und gerade deshalb ist seine physische Realität völlig beliebig und könnte der biologischen Kontingenz der Erbfolge überlassen werden. Der Monarch verkörpert damit die Funktion des Herrensignifikanten in ihrer reinsten Gestalt; er ist das Eine der Ausnahme, die „irrationale“ Auswölbung des sozialen Gebäudes, die die amorphe Masse des „Volkes“ in eine konkrete Totalität der Sitten verwandelt. Durch seine Ex-sistenz als reiner Signifikant konstituiert er das Ganze des sozialen Gewebes in seiner „organischen Gliederung“ [organische Gliederung] -der „irrationale“ Überschuss als Bedingung der rationalen Totalität, der Exzess des „reinen“ Signifikanten ohne Signifikat als Bedingung des organischen Ganzen von Signifikant/Signifikat: „Ohne seinen Monarchen und die Gliederung des Ganzen, die das unentbehrliche und unmittelbare Korrelat der Monarchie ist, ist das Volk eine formlose Masse und nicht länger ein Staat.“23

Mit anderen Worten: Der Monarch ist nicht bloß ein „Symbol“ der Gemeinschaft, er ist etwas entschieden Mehr. Durch ihn, in ihm erreicht die Gemeinschaft selbst ihr „Für-sich-Sein“ und verwirklicht sich damit – es ist ein paradoxes „Symbol“, mittels dessen der symbolisierte Inhalt sich aktualisiert. Der Monarch kann diese Aufgabe nur insofern erfüllen, als seine Autorität rein „performativ“ ist und nicht in seinen effektiven Fähigkeiten gründet. Es sind allein seine Ratgeber, die Staatsbürokratie im Allgemeinen, die nach ihren jeweiligen Fähigkeiten und ihrer Tauglichkeit für die erforderliche Aufgabe ausgewählt werden sollen. Man hält so die Kluft aufrecht zwischen Staatsbediensteten, die ihr Amt durch harte Anstrengung erlangen müssen, indem sie sich dessen würdig erweisen, und dem Monarchen selbst als dem Punkt reiner Autorität des Signifikanten:

die Vielzahl der Individuen, die Masse des Volkes, steht einem Einzigen Individuum gegenüber, dem Monarchen – sie sind die Vielheit, Bewegung, Fluidität; – er ist die Unmittelbarkeit, Natürlichkeit – nur er ist natürlich, das heißt, bei ihm hat die Natur Zuflucht genommen; er ist ihr letzter Rest, als positiver Rest – die Familie des Fürsten ist die einzige positive Familie – alle anderen Familien müssen zurückgelassen werden – andere Individuen haben Wert nur insofern, als sie entäußert sind, insofern sie sich gemacht haben.24

Diese Koinzidenz reiner Kultur (des leeren Signifikanten) mit dem Rest der Natur in der Person des Königs impliziert das Paradox des Verhältnisses des Königs zum Gesetz: streng genommen kann der König das Gesetz nicht brechen, da sein Wort unmittelbar Gesetz macht; nur vor diesem Hintergrund gewinnt Kants unbedingtes Verbot des gewaltsamen Sturzes des Königs seine Rationalität. In diesem Sinn fungiert der Monarch als Personifikation von Wittgensteins „skeptischem Paradox“: Wir können nicht sagen, dass sein Akt die Regel verletzt, da er sie (neu) definiert. Alle anderen Subjekte sind durch die Kluft markiert, die ihre „pathologische“ Realität, das, was sie faktisch sind und tun, für immer von der idealen Ordnung dessen trennt, was sie sein sollten – sie entsprechen ihrem Begriff niemals vollständig und können folglich nach ihrer (Un-)Angemessenheit an ihn beurteilt und gemessen werden; während der Monarch unmittelbar die Wirklichkeit seines eigenen Begriffs ist. Um auf kantische Termini zurückzugreifen: Der König ist ein Ding, das phänomenale Existenz erlangt hat, ein Kurzschluss-Punkt zwischen der noumenalen Ordnung der Freiheit (moralisches Gesetz) und der Ebene phänomenaler Erfahrung – genauer: obwohl er es nicht ist, sind wir, die Subjekte, verpflichtet, so zu handeln, als ob er das Ding verkörpert wäre.

Das Paradox des Hegelschen Monarchen ist somit, dass er in einem Sinn der Punkt des Wahnsinns des sozialen Gewebes ist; seine soziale Position ist unmittelbar durch seine Abstammung, durch Biologie bestimmt; er ist der Einzige unter den Individuen, der schon durch seine „Natur“ ist, was er (sozial) ist – alle anderen müssen sich „erfinden“, den Inhalt ihres Seins durch ihre Tätigkeit ausarbeiten. Wie immer hatte Saint-Just recht, als er in seiner Anklage gegen den König dessen Hinrichtung nicht wegen irgendeiner seiner spezifischen Taten verlangte, sondern einfach, weil er König war. Aus einer radikal republikanischen Perspektive besteht das höchste Verbrechen im bloßen Faktum, König zu sein, nicht darin, was man als König tut.

Hier ist Hegel weit ambivalenter, als es scheinen mag. Seine Schlussfolgerung lautet ungefähr wie folgt: insofern ein Herr in der Politik unentbehrlich ist, sollten wir nicht zu der common-sense-Argumentation herablassen, die uns sagt, „der Herr sollte wenigstens so weise, tapfer und gut wie möglich sein …“. Im Gegenteil, wir sollten die größtmögliche Kluft zwischen der symbolischen Legitimation des Herrn und dem Niveau „effektiver“ Qualifikationen aufrechterhalten; die Funktion des Herrn an einem vom Ganzen ausgeschlossenen Ort lokalisieren; ihn auf eine Instanz rein formaler Entscheidung reduzieren, wobei es keine Rolle spielt, ob er faktisch ein Idiot ist … 25 Gerade an dem Punkt, an dem Hegel die Monarchie zu preisen scheint, vollzieht er eine Art Trennung zwischen S1 und a, zwischen reinem Signifikanten und Objekt. Wenn die charismatische Faszinationsmacht des Königs von einer Koinzidenz von S1 und a abhängt – von der Illusion, der Herrensignifikant bedecke tief in sich selbst das kostbare Objekt –, trennt Hegel sie und zeigt uns einerseits S1 in seiner imbezillen Tautologie eines leeren Namens; und andererseits das Objekt (den Körper des Monarchen) als reines Exkrement, einen an den Namen angehängten Rest.26

Von gescheiterter Reflexion zu reflektiertem Scheitern

Das entscheidende Merkmal ist somit, dass der Hegelsche Monarch aus der dialektischen Vermittlung von Natur und Geist herausfällt. Er stellt einen Punkt des unmittelbaren Übergangs des einen in den anderen dar, einen paradoxen Punkt, an dem der reine Name, die reine Instanz des Signifikanten, unmittelbar am „letzten Rest“ positiver Natürlichkeit haftet – an dem, was NICHT aufgehoben, nicht durch die Arbeit der Vermittlung sublatiert ist .… Haben wir nicht hier, in dieser Position des Monarchen, einen klaren Fall eines Elements, das in seiner Beziehung zur semischen Totalität (des Staates) gerade als eine „Re-Markierung“ im Derrida’schen Sinn des Wortes fungiert? Eines Elements, das „mehr als Totalität“ ist, das aus der rationalen Totalität des Staates „hervorsteht“, insofern es der letzte Rest der Natur ist – der Nicht-Vernunft –, das aber gerade als solches den Raum der Gliederung der rationalen Totalität „reflektiert“? Eines Elements, das buchstäblich „repräsentiert, was nicht zur Serie der Seme gehört“; die Natur in ihrer Unmittelbarkeit? Der Monarch ist ein fremder Körper im Gewebe des Staates; er bleibt durch rationale Vermittlung „unverrechnet“. Gerade als solcher aber ist er das Element, durch das die rationale Totalität sich konstituiert. Darin liegt das „Geheimnis“ der dialektischen Vermittlung sozialer Elemente durch die rationale Totalität des Staates. Diese Vermittlung kann nur durch einen „irrationalen“ Rest unvermittleter Natur zustande kommen – das heißt durch das stupide biologische Faktum des Körpers des Monarchen. Mit anderen Worten: Was die Derrida’sche „Dekonstruktion“ nach großem Kampf herausarbeitet und als die immanente Grenze der dialektischen Vermittlung erklärt – den Punkt, an dem die Bewegung der Aufhebung notwendig scheitert –, setzt Hegel direkt als den entscheidenden Moment dieser Bewegung. „Alles kann vermittelt werden“, in seiner Unmittelbarkeit aufgehoben und als idealer Moment rationaler Totalität gesetzt werden – unter der Bedingung, dass diese Macht absoluter Vermittlung selbst erneut in der Form ihres Gegenteils verkörpert wird; als ein träger, nicht-rationaler Rest natürlicher Unmittelbarkeit. Wir können nun vielleicht sehen, warum der Begriff des Monarchen „von allen Begriffen der schwerste für das Räsonnement“ ist,27 einschließlich des dekonstruktiven.28

Aus diesem Grund ist Gasches Satz „So durch den Raum der Einschreibung re-markiert, der alle Markierungen demarkiert, könnte kein Begriff oder Thema der Markierung hoffen, mit dem zu koinzidieren, was es zu umfassen zielt“ in seinem vollen Gewicht zu nehmen und wörtlicher zu nehmen, als er vermutlich gemeint war. Durch seine bloße Präsenz hindert, verhindert die Re-Markierung (die den Ort der Einschreibung anderer Markierungen – Themen – repräsentiert) die anderen Markierungen daran, mit sich selbst zu koinzidieren, ihre volle Identität zu erreichen. Die Identität-mit-sich selbst einer Re-Markierung verkörpert Negativität, Auto-Spaltung, die allen Markierungen inhärent ist, insofern diese Identität in der unmöglichen Koinzidenz eines Elements mit dem leeren Ort seiner Einschreibung besteht (was die Hegelsch-Wittgenstein’sche Definition von Identität ist). Durch seine bloße Präsenz dient der Monarch als Erinnerung an die ultimative Instabilität des sozialen Gewebes; an die Tatsache, dass das, was wir „Gesellschaft“ nennen, die Verfestigung einer ursprünglichen Gewalt ist, die jederzeit wieder ausbrechen und die etablierte Ordnung pulverisieren kann. Der Monarch ist daher zugleich der Punkt, der Stabilität und Konsistenz garantiert, und die Verkörperung einer radikalen Negativität – das zentrale Element, in Bezug auf das die Struktur Stabilität und Sinn erhält; der Identitätspunkt in ihrem Innersten, der mit seinem eigenen Gegenteil koinzidiert.29

Es sollte nun klar sein, warum die Grundprämisse der Derrida’schen Hegel-Kritik – dass Aufhebung selbst nicht aufgehoben werden könne, dass Re-Markierung selbst ihrerseits immer-schon durch die Serie, in die sie eingeschrieben ist, re-markiert werde – vollständig fehlgeht. Nach Derrida würde Aufhebung eine „erfolgreiche“ Einschreibung/Re-Markierung des Raums in die Serie der Markierungen bedeuten – das heißt von Textualität in den Text. Gegen diese „Illusion“ weist er dann darauf hin, wie Re-Markierung niemals die Kette der Markierungen vollständig reflektieren könne, wie sie niemals mit sich selbst in einer perfekten Selbstspiegelung vollständig koinzidieren könne – wie der Text stets verzerrt, verschoben, „biased“ – kurz: in einer re-markierten Perspektive – in sich selbst hinein reflektiert werde. Damit verlegt Derrida als Grenze der Reflexion, was bei Hegel das grundlegende Merkmal „absoluter“ Reflexion ist. Reflexion scheitert, gewiss, letztlich immer – keine positive Markierung, die in die Serie aufgenommen ist, könnte den leeren Raum der Einschreibung der Markierungen jemals „erfolgreich“ repräsentieren/reflektieren. Es ist jedoch dieses Scheitern als solches, das den Einschreibungsraum „konstituiert“. Der „Ort“ der Einschreibung der Markierungen ist nichts als die Leere, die durch das Scheitern der Re-Markierung eröffnet wird. Mit anderen Worten: Es gibt keinen infrastrukturellen Raum der Einschreibung der Markierungen ohne die Re-Markierung. Re-Markierung „repräsentiert“/reflektiert nicht irgendein zuvor konstituiertes infrastrukturelles Netzwerk – der Akt der Reflexion als gescheiterter konstituiert rückwirkend das, was ihm entgeht.

Um dieses entscheidende Problem zu klären, kehren wir noch einmal zu Gasche zurück. Ihm zufolge bestehen die „Grenzen spekulativer Aufhebung“ darin, dass sie

nicht imstande ist, die Re-Markierung als solche zu verrechnen, nicht nur weil diese Infrastruktur nicht phänomenologisiert und erfahren werden kann, sondern auch weil wenigstens eine Repräsentation davon – das heißt wenigstens eine Figur, in der sie verschwindet – unverrechnet bleibt. Diese letzte Figur ist letztlich die Figur der Aufhebung selbst.30

Was unseren Verdacht erregen sollte, ist die Verwendung der scheinbar harmlosen Figur „nicht nur … sondern auch …“; die Aufzählung zweier Gründe, warum Aufhebung notwendig scheitert: einerseits der unerreichbare, stets entgleitende Exzess der „Infrastruktur“, der im Text niemals vollständig gespiegelt werden kann; andererseits der unverrechenbare Exzess der Figur der Aufhebung selbst, die sich selbst niemals totalisieren kann. Das Paradox ist, dass das Verhältnis zwischen diesen beiden „Exzessen“, die der Reflexionsbewegung entgehen sollen, selbst reflexiv ist. Zuerst haben wir den Exzess dessen, was der reflexiven Bewegung der Aufhebung entgeht, dann haben wir den Exzess eben dieser Bewegung der Aufhebung – und wir gehen von Gasche (und Derrida) zu Hegel in dem Moment über, in dem wir begreifen, dass dieses „nicht nur … sondern auch …“ überflüssig ist; dass die beiden Exzesse nichts als zwei Aspekte derselben Geste sind; dass statt „nicht nur … sondern auch …“ „videlicet“ stehen sollte – dass der unerreichbare Exzess der „Infrastruktur“ sich dadurch konstituiert, dass die Aufhebung als „unverrechenbar“ erscheint. Die Hegelsche „absolute Reflexion“ ist nichts als der Name für ein solches „reflexives“ Verhältnis zwischen diesen beiden Exzessen. Sie ist, sozusagen, eine verdoppelte Reflexion, die reflexive Re-Markierung des Überschusses, der der Reflexion entgeht.31

Die Konturen einer möglichen Hegelschen Kritik an Derrida beginnen sich somit abzuzeichnen. Was Derrida entgeht, ist der „negative“ Kern der Identität selbst – die Tatsache, dass Identität als solche eine „reflexive Bestimmung“ ist, eine invertierte Darstellung ihres Gegenteils. Nehmen wir den folgenden Satz von Gasche:

In dem Maß, in dem [der] asemische Raum durch einen Stellvertreter innerhalb und zusätzlich zur Serie repräsentiert wird, wird er metaphorisch oder metonymisch in eine Markierung transformiert, das heißt in genau das, was er ermöglichen soll.32

Das Paradox der Re-Markierung besteht also darin, dass ihre Identität als Stellvertreter ihres eigenen Gegenteils (reiner Differenz, des Raums zwischen Markierungen) fungiert, dass das Eine der Re-Markierung als Stellvertreter für das Blank ihres eigenen Einschreibungsortes fungiert, und so weiter. Hinzuzufügen ist nur, dass dieses Paradox, weit davon entfernt, die zusätzliche Identität der Re-Markierung, Supplement zur Identität „gewöhnlicher“ Markierungen, zu charakterisieren, Identität als solche definiert. Die „Identität“ eines Objekts besteht in dem Merkmal, das den asemischen Raum seiner Einschreibung re-markiert (der Lacan’sche „Signifikant ohne Signifikat“). Mit anderen Worten: Jede Identität-mit-sich selbst ist nichts als der „semische Stellvertreter“ für die auseinandergezogene Semiöffnung, die [sie] möglich macht33 – das heißt der invertierte Repräsentant des Raums ihrer eigenen Bedingung der (Un-)Möglichkeit. Folglich ist, wenn Gasche von „einem Tropus zu viel“ spricht, der der Serie semischer Markierungen hinzugefügt wird, darauf hinzuweisen, dass dieses „eins zu viel“ gerade das Eine als solches ist; es gibt kein Eine, zu dem anschließend „eins zu viel“ hinzugefügt würde – das Eine ist „ursprünglich“ eins-zu-viel, das signifikante Eine, dessen Signifikat Leere ist.34

Auf paradoxe Weise bleibt Derrida Gefangener der – letztlich „commonsensical“ – Konzeption, die darauf zielt, Heterogenität von den Zwängen der Identität zu befreien; einer Konzeption, die genötigt ist, ein konstituiertes Feld der Identität (die „Metaphysik der Präsenz“) vorauszusetzen, um sich an die endlose Arbeit ihrer Subversion machen zu können. Die Hegelsche Antwort darauf wäre: Wir „dekonstruieren“ Identität, indem wir rückwirkend feststellen, wie Identität selbst eine „reflexive Bestimmung“ ist, eine Erscheinungsform ihres Gegenteils – Identität als solche ist die höchste Affirmation der Differenz; sie ist die Weise, in der Differentialität, der Raum der Differenzen „als solcher“, sich innerhalb des Feldes der Differenzen (der Serie verschiedener Bestimmungen) einschreibt-reflektiert.

Das ist eine harte Nuss selbst für jene Hegel-Anhänger, die von der „Macht des Negativen“, vom wilden Tanz der Negativität, die alle positiven, festen Bestimmungen „verflüssigt“, fasziniert bleiben. Für sie ist das „letzte Geheimnis“ der dialektischen Spekulation noch immer unzugänglich. Der „Standpunkt des Verstandes“ – was Hegel „abstraktes Räsonnement“ nennt – ist vom ewigen „Fluss der Dinge“ verzaubert, wodurch jede bestimmte, feste Form dem Tod geweiht ist, wodurch jede fixierte Identität nur ein vorübergehender Moment des allumfassenden Strudels von Entstehen und Vergehen ist. Was diesem Ansatz entgeht, ist nicht die „Vermittlung“ aller festen, fixierten Formen durch die negative Macht der „Verflüssigung“, sondern der unmittelbare Übergang dieser „Verflüssigung“ in einen Punkt träger, fester Identität-mit-sich selbst, die Weise, in der der Staat als Instanz rationaler „Vermittlung“ der Gesellschaft volle Wirklichkeit gewinnt, sich verwirklicht, nur in der trägen, „irrationalen“ Unmittelbarkeit des Körpers des Monarchen etwa. Für den „Standpunkt des Verstandes“ könnte dies nur bedeuten, dass die Person des Monarchen die Totalität des Staates „symbolisiert“, „repräsentiert“ – was er nicht fassen kann, ist, dass der Monarch in seiner Leiblichkeit den Staat in einer Weise „ist“, die weit davon entfernt ist, „metaphorisch“ zu sein. Er kann nicht fassen, wie das, was der Monarch „symbolisiert“ – „repräsentiert“ –, außerhalb dieser „Repräsentation“ keine Konsistenz hat.

Der Spiegelbelag

Tatsächlich wird das grundlegende Missverständnis von Gasches Buch am besten durch seinen Titel selbst exemplifiziert: der Spiegelbelag, der Teil, an dem die reflektierende Oberfläche abgeschabt ist, sodass wir die dunkle Rückseite sehen. Innerhalb von Gasches Argumentationslinie dient dieser Spiegelbelag selbstverständlich als Metapher für die Grenze der (philosophischen) Reflexion–Spiegelung. Reflexion – die Spiegelung des Subjekts im Objekt, die Wiederaneignung des Objekts dadurch, dass das Subjekt in ihm sich selbst, sein eigenes Produkt, erkennt – stößt in dem „Spiegelbelag“ an ihre Grenze; an den Punkten, an denen der Spiegel dem Betrachter statt seines eigenen Bildes einen sinnlosen dunklen Fleck entgegenhält. Diese dunklen Flecken sind selbstverständlich zugleich die Bedingung der Möglichkeit und der Unmöglichkeit der Spiegelung. Gerade indem sie die Reflexion begrenzen, erzeugen sie die minimale Distanz zwischen dem, was gespiegelt wird, und seinem Spiegelbild, die Distanz, die den Spiegelungsvorgang selbst möglich macht.

Hier zahlt Gasche den Preis dafür, dass er – in einem Buch, das letztlich einer Kritik des dialektischen Begriffs der Reflexion gewidmet ist – die elementare Struktur des Hegelschen Begriffs der Reflexion (setzende, äußere, bestimmende Reflexion) nicht ausarbeitet. Das heißt: Die Untersuchung dieser Struktur würde uns unmittelbar mit der Weise konfrontieren, in der die Hegelsche „absolute“ Reflexion in sich selbst immer-schon verdoppelt, durch ihre eigene Unmöglichkeit „vermittelt“ ist. Hegel weiß sehr wohl, dass Reflexion stets scheitert, dass das Subjekt im Spiegel immer auf irgendeinen dunklen Fleck stößt, auf einen Punkt, der ihm sein Spiegelbild nicht zurückgibt – in dem es sich nicht „wiedererkennen“ kann. Gerade an diesem Punkt „absoluter Fremdheit“ jedoch wird das Subjekt (das Subjekt des Signifikanten, S, nicht das imaginäre Ich, gefangen im Spiegelverhältnis m – i(a)) in das Bild eingeschrieben. Der Fleck im Spiegelbild ist somit strikt konstitutiv für das Subjekt; das Subjekt qua Subjekt des Blicks „ist“ nur insofern, als das Spiegelbild, auf das es blickt, inhärent „unvollständig“ ist – insofern es, das heißt, einen „pathologischen“ Fleck enthält – das Subjekt ist zu diesem Fleck korrelativ.

Darin besteht letztlich der Punkt von Lacans beständigem Bezug auf Anamorphose: Holbeins Die Gesandten exemplifiziert wörtlich die Hegelsche spekulative Proposition über die Phrenologie „Geist (= Subjekt) ist ein Knochen (= Schädel)“: den blinden Fleck des Bildes. In der der Reflexionsbewegung eigenen Umkehrung erfährt das Subjekt sich selbst als korrelativ zu dem Punkt in seinem Anderen, an dem es auf eine absolut fremde Macht stößt, eine Macht, mit der kein Spiegel-Austausch möglich ist. In der Hegelschen Lektüre des Terrors der Französischen Revolution zum Beispiel muss das Subjekt in der willkürlichen Macht, die jederzeit seinen Kopf abschneiden kann, eine Materialisierung seines eigenen Wesens erkennen. Die Guillotine, dieses Bild unkontrollierbarer Andersheit, mit der keine Identifikation möglich zu sein scheint, ist nichts als das „objektive Korrelat“ der abstrakten Negativität, die das Subjekt definiert. Der Übergang von „äußerer“ zu „absoluter“ Reflexion besteht genau in dieser Verdopplung der Reflexion. Reflexion als symmetrische Spiegelung des Subjekts in Objektivität scheitert, es bleibt stets ein Rest, der der Integration widersteht, und in diesem Rest, der dem reflexiven Zugriff entgeht, wird die eigentliche Dimension des Subjekts „reflektiert“. Mit anderen Worten: Das Subjekt ist der Spiegelbelag.35

In Kafkas Apolog über die Tür des Gesetzes (aus seinem Prozess) nimmt der Mann vom Lande bis zur finalen dénouement die Position der „äußeren Reflexion“ ein. Er ist mit dem transzendenten Bild des Palastes des Gesetzes konfrontiert, wo hinter jeder Tür eine weitere Tür ist, die ein unzugängliches Geheimnis verbirgt, und dessen Repräsentant (der Türhüter) ihn mit völliger Gleichgültigkeit und Verachtung behandelt. Die entscheidende Umkehrung findet statt, als der Türhüter dem sterbenden Mann erklärt, die Tür sei von Anfang an nur für ihn bestimmt gewesen – mit anderen Worten: Das Gesetz, das der Mann vom Lande mit ehrfürchtigem Respekt betrachtete, in der automatischen Annahme, es nehme seine Anwesenheit nicht einmal wahr, hatte ihn von Anfang an angesehen; gerade als Ausgeschlossener war er immer-schon mit in Rechnung gestellt. „Absolute Reflexion“ ist schlicht der Name für diese Erfahrung, wie das Subjekt durch sein eigenes Scheitern, das Geheimnis des Anderen zu ergreifen, bereits in die „Buchhaltung“ des Anderen eingeschrieben ist, in das Andere hinein reflektiert: die Erfahrung, wie seine „äußere“ Reflexion des Anderen bereits eine „reflexive Bestimmung“ des Anderen selbst ist.

Hegels häufig zitierte und noch häufiger missverstandene Proposition aus der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes, es wäre vergeblich, wenn das Subjekt versuchen wollte, das Absolute zu ergreifen, wenn das Absolute nicht wäre und nicht wollte, in- und für-sich selbst bereits bei uns zu sein, ist vor diesem Hintergrund zu begreifen. Indem Heidegger sie als „das Absolute ist immer bei uns“ umformuliert, verfehlt selbst er ihren entscheidenden Punkt. Worauf es hier ankommt, ist nicht die Vorstellung, dass das Absolute (immer) bei uns ist, erst recht nicht die Vorstellung, dass es durch eine letzte Synthese – Versöhnung – bei uns sein wird, sondern die Erfahrung, wie es immer-schon bei uns war. Unsere Erfahrung des „Verlusts“, des Risses zwischen uns (dem Subjekt) und dem Absoluten, ist die Weise, in der das Absolute bereits bei uns ist. In diesem Sinn ist die Schlussbehauptung des Türhüters, von Anfang an sei die Tür nur für den Mann vom Lande bestimmt gewesen, Kafkas Version der Hegelschen Proposition, dass das Absolute immer-schon bei uns war. Die Erscheinung der unzugänglichen Transzendenz, des Geheimnisses, das jenseits der endlosen Reihe von Türen verborgen ist, ist eine Erscheinung „für das Bewusstsein“ – es ist die Weise, in der das Gesetz das Subjekt adressiert. So sollten wir den Übergang von „äußerer“ zu „bestimmender“ (absoluter) Reflexion fassen. Die Vorstellung des unzugänglichen, transzendenten Absoluten hat Sinn nur insofern, als der Blick des Subjekts bereits hier ist – in ihrem Begriff selbst impliziert die unzugängliche Andersheit ein Verhältnis zu ihrem eigenen Anderen (dem Subjekt). Das Subjekt „internalisiert“, „vermittelt“ nicht das An-sich-Sein des Absoluten; es nimmt lediglich zur Kenntnis, dass dieses An-sich an sich für das Subjekt ist.

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