Denn sie wissen nicht was sie tun 7

II VERSÄUMNISURTEIL

„Das Wort ist ein Elefant“

„Mangel an Identität“ als Schlüsselbestandteil spekulativer Identität findet seinen klarsten Ausdruck in Hegels Urteilstheorie, in der – überraschend für jene, die von Hegel stets dieselbe berüchtigte ‚Triade‘ erwarten – Tatsache, dass es vier Arten des Urteils und nicht drei gibt: das Daseinsurteil, das Reflexionsurteil, das Notwendigkeitsurteil und das Begriffsurteil. Legen wir sofort die Karten auf den Tisch: Die drei Urteile erhalten tatsächlich das vierte, weil ‚Substanz Subjekt ist‘; mit anderen Worten: Der „Mangel an Identität“ zwischen Subjekt und Prädikat wird als solcher im vierten Urteil (dem des Begriffs) gesetzt.15

Beginnen wir mit der ersten Form, dem Daseinsurteil. Diese Form ergibt sich unmittelbar aus dem Einzelnen als dem letzten (dritten) Moment des Begriffs. Hegel eröffnet den Abschnitt über das Urteil mit dem Satz: „Das Urteil ist die im Begriff selbst gesetzte Bestimmtheit des Begriffs.“16 Das Urteil [Urteil] teilt ursprünglich [ur-teilen] den Begriff (noch eines von Hegels berühmten Wortspielen) in Subjekt und Prädikat – das heißt: Die Bestimmtheit einer Einzelheit (eines selbständigen, substantiellen Seienden als des Endmoments der begrifflichen Triade Allgemeines–Besonderes–Einzelnes) wird veräußerlicht, der Einzelheit entgegengesetzt und damit als solche gesetzt: Das individuelle Subjekt ist jenes Prädikat (diese oder jene abstrakt-allgemeine Bestimmung). In Hegels Beispiel: „Die Rose ist rot.“

Hier müssen wir auf zweierlei achten. Erstens darauf, dass der gesamte substantielle Gehalt hier auf der Seite des Subjekts liegt: Dasjenige, das als „wirklich existierend“ vorausgesetzt wird (und aus diesem Grund sprechen wir vom „Daseinsurteil“), ist das Subjekt, das Individuelle, und das Prädikat ist nur irgendeine abstrakt-allgemeine Eigenschaft, die es sich aneignet; es hat keine selbständige Existenz. Die Kehrseite davon ist, dass das Verhältnis von Subjekt und Prädikat hier vollständig äußerlich ist: Das Prädikat ist eine völlig gleichgültige abstrakt-allgemeine Eigenschaft, die vom Subjekt erworben wird, nicht etwas, das von der inneren Natur des Subjekts abhängt.

Die zweite Form des Daseinsurteils, die auf die erste (das positive Urteil) folgt, das negative Urteil, setzt eben dieses gleichgültige äußerliche Verhältnis als solches, indem sie die erste Form negiert: Wenn die substantielle Natur der Rose völlig gleichgültig dagegen ist, ob die Rose rot ist oder nicht, dann könnten wir mit ebenso gutem Recht die Behauptung setzen: „Die Rose ist nicht rot“. Wie Hegel betont, negieren wir nicht das Verhältnis von Subjekt und Prädikat als solches: Die Behauptung „Die Rose ist nicht rot“ wird nur vor dem Hintergrund betrachtet, dass die Rose irgendeine (andere) Farbe hat, sagen wir blau. Das negative Urteil schreitet so vom Allgemeinen ins Besondere fort: Die Bestimmtheit des Prädikats, die zunächst als abstrakt allgemein gesetzt war, wird nun als etwas Besonderes spezifiziert, als eine besondere Bestimmung – der positive Ausdruck des negativen Urteils lautet: „das Subjekt (dieses Einzelne) ist eine Besonderheit“, die Rose hat zum Beispiel irgendeine bestimmte Farbe (sie ist blau oder gelb oder rot …).

Die dritte Form des Urteils, das unendliche Urteil, verdoppelt die Negation, die bereits im negativen Urteil wirksam ist, oder bringt sie vielmehr zur Selbstbezüglichkeit: Es negiert nicht nur irgendein (besonderes) Prädikat, sondern das allgemeine Gebiet selbst, das in der Negation des besonderen Prädikats mitgesetzt war. Das unendliche Urteil ist daher in seiner Form sinnlos: Ein (besonderes) Prädikat wird negiert, dessen (allgemeines) Genus selbst mit dem Subjekt unvereinbar ist – so erhalten wir solche Sprüche leerer Weisheit wie „Die Rose ist kein Elefant“, „Der Geist ist nicht rot“, „Die Vernunft ist kein Tisch“ und so weiter. Diese Urteile sind, wie Hegel sagt, richtig oder wahr, aber dennoch „sinnlos und unerquicklich“. Hegel führt das Verbrechen als Beispiel des unendlichen Urteils an, und wir können genau aus dem Genannten verstehen, warum: Im Unterschied zu einem Rechtsstreit vor Gericht, wo beide Seiten nacheinander besondere Gesetze anrufen, dabei aber beide das allgemeine Gesetz (Legalität) als verpflichtendes Medium anerkennen, stellt die kriminelle Tat die allgemeine Sphäre des Rechts selbst, das Recht als solches, in Frage.17

Die positive Form des unendlichen Urteils – gerade weil sie nicht nur das besondere Prädikat, sondern das Genus selbst negiert, innerhalb dessen das Prädikat mit dem Subjekt zusammenkommen könnte – ist nicht mehr ein durch die Negation impliziertes besonderes Urteil: Aus „Die Rose ist nicht rot“ folgt, dass die Rose irgendeine andere Farbe hat; aus „Die Rose ist kein Elefant“ folgt hingegen keine positive besondere Bestimmung. Der positive Gegenpol des unendlichen Urteils kann daher nur eine Tautologie sein: Aus „Die Rose ist kein Elefant“ folgt nur, dass „Die Rose eine Rose ist“. Die Tautologie bringt in positiver Form lediglich die radikale Äußerlichkeit des Prädikats gegenüber dem Subjekt zum Ausdruck; diese „Wahrheit“ der ganzen Sphäre des Daseinsurteils tritt im unendlichen Urteil hervor: Weil Subjekt und Prädikat völlig äußerlich sind, kann kein Prädikat das Subjekt angemessen bestimmen – oder vielmehr: Das einzig angemessene Prädikat für das Subjekt ist das Subjekt selbst.

Rätselhaft bleibt hier nur, dass Hegel neben „unerquicklich“er Negation und Tautologie nicht die dritte Form des unendlichen Urteils erwähnt, die scheinbar „sinnlose“ affirmative Form („Die Rose ist ein Elefant“, sagen wir). Was wir hier haben, ist keine Art leerer Möglichkeit, denn eine solche Form des unendlichen Urteils trägt den spekulativen Gehalt der Dialektik der Phrenologie in der Phänomenologie des Geistes: „Der Geist ist ein Knochen“. Erst dieses Urteil drückt den spekulativen „Mangel an Identität“ vollständig aus, indem es die unmögliche Identität zweier einander ausschließender Momente bejaht: Dieses Urteil wird – wenn wir es unmittelbar lesen – als offenkundig absurd erfahren, die Diskrepanz zwischen den Momenten ist absolut; der „Geist“ als Kraft absoluter Negativität ist jedoch nichts anderes als eben diese absolute Diskrepanz.18 Man muss die These „Die Substanz ist Subjekt“ genau als eine solche Art „unendlichen Urteils“ lesen: Sie bedeutet nicht, dass die Substanz „wirklich Subjekt“ ist – dass das Subjekt (Selbstbewusstsein) der „Grund“, die „Substanz“ allen Seins ist – sondern zieht uns in einen absoluten Widerspruch zwischen Substanz und Subjekt hinein: Substanz kann zum Subjekt niemals „aufschließen“, kann die negative Macht des Subjekts niemals in sich umfassen; und das „Subjekt“ ist nichts anderes als diese Unfähigkeit der Substanz, das Subjekt in sich zu „enthalten“, diese innere Selbstspaltung der Substanz, der Mangel ihrer Identität-mit-sich-selbst.

Darin besteht die spekulative Umkehrung, die uns den Schlüssel zur Logik des unendlichen Urteils gibt: Es genügt nicht zu sagen, dass zwischen Substanz und Subjekt ein „Mangel an Identität“ bestehe – wenn wir nur das tun, setzen wir Substanz und Subjekt noch immer als zwei (positive, identische) Entitäten voraus, zwischen denen keine Identität besteht; der Punkt ist vielmehr, dass eines der beiden Momente (Subjekt) nichts anderes ist als die Nicht-Identität-mit-sich-selbst des anderen Moments (Substanz). „Der Geist ist ein Knochen“ bedeutet, dass der Knochen selbst niemals vollständige Identität mit sich erreichen kann, und „Geist“ ist nichts anderes als jene „Kraft der Negativität“, die den Knochen daran hindert, vollständig „er selbst zu werden“.19

Das unendliche Urteil verzweigt sich somit innerlich in die Triade „Die Rose ist kein Elefant“, „Die Rose ist eine Rose“ und „Die Rose ist ein Elefant“. Die spekulative Wahrheit dieser letzten Form demonstriert Lacan, wenn er in seinem ersten Seminar ein ähnliches Paradox („Das Wort ist ein Elefant“) hervorruft, um das dialektisch-negative Verhältnis zwischen Wort und Ding zu veranschaulichen; die Tatsache, dass das Wort den symbolischen Mord am Ding impliziert: „Das Wort ist ein Elefant“ bedeutet, dass ein Elefant im Wort, das ihn evoziert, „gegenwärtiger“ ist als in seinem unmittelbaren physischen Sein – er ist gegenwärtig (wie Lacan anhand eines Verweises auf Hegel hervorhebt) in seinem Begriff:

Gewiss ist der Begriff nicht das Ding, wie es ist, aus dem einfachen Grund, dass der Begriff immer dort ist, wo das Ding nicht ist; er ist da, um das Ding zu ersetzen, wie der Elefant, den ich neulich mittels des Wortes Elefant in den Raum gebracht habe. Wenn das für einige von Ihnen so frappierend war, dann deshalb, weil klar war, dass der Elefant wirklich da war, sobald wir ihn benannt hatten. Vom Ding, was ist es denn, das da sein kann? Weder seine Form noch seine Realität, denn im gegenwärtigen Stand der Dinge sind alle Plätze besetzt. Hegel formuliert es mit äußerster Strenge – der Begriff ist das, was das Ding da sein lässt, während es zugleich nicht da ist.20

„Das Wort ist ein Elefant“ drückt somit die spekulative Identität von „Wort“ und „Elefant“ aus, die Tatsache, dass ein Elefant im Wort „Elefant“ als aufgehoben, verinnerlicht-aufgehoben, präsent ist.

Wohin führt dann das Resultat der Dialektik des Daseinsurteils? Zu absolutem Widerspruch, zu einem Zusammenbruch jedes gemeinsamen Mediums zwischen Subjekt und Prädikat, der darin kulminiert, dass das Subjekt auf eine Tautologie reduziert wird – darauf, nur noch durch sich selbst prädizierbar zu sein. Wir können über das Subjekt als solches nichts sagen, wir können ihm nichts zuschreiben, keine Bestimmung; es wird auf ein nichtiges „dies“ reduziert. Hier vollzieht sich der Übergang zur folgenden Urteilsform, dem Reflexionsurteil: Das Reflexionsurteil nimmt das Resultat des Daseinsurteils zur Kenntnis – dass das Subjekt des Urteils ein nichtiges, leeres „dies“ ist, ohne substantielle Inhalte – und verlagert daher den Schwerpunkt auf die andere Seite, auf das Prädikat, das nun als das substantielle Moment erscheint.

Das entscheidende Merkmal des Reflexionsurteils ist daher, dass in ihm irgendeine kontingente Individualität in Beziehung zu einer Bestimmung gesetzt wird, die nicht mehr ihre gleichgültige, abstrakt-allgemeine Eigenschaft ist, sondern ihre wesentliche Bestimmung. Universalität ist hier nicht die abstrakte „Eigenschaft“ eines substantiellen Dinges, sondern ein umfassendes Wesen, das die Einzelheiten unter sich begreift. Reflexionsurteile sind, wie Hegel sagt, Urteile der Subsumtion: Ein immer weiter werdender Kreis von Subjekten wird unter das Prädikat subsumiert, als unter eine wesentliche Bestimmung, die an sich existiert. Beispiele eines Reflexionsurteils sind „Menschen sind sterblich“, „Dinge sind vergänglich“ und so weiter. Dass alle (materiellen, endlichen) Dinge vergänglich sind, ist ihre wesentliche Bestimmung: Sie ergibt sich aus ihrem Begriff selbst, daraus, dass sie die Negativität außer sich haben (in der Gestalt der Macht der Zeit, der sie unterworfen sind). Dass diese Urteile „reflexiv“ sind, zeigt sich schon bei einem oberflächlichen ersten Blick, der hier nicht täuscht: Urteile vom Typ „Dinge sind vergänglich“, „Menschen sind sterblich“ und so weiter drücken das aus, was wir im Alltagsgebrauch ebenfalls „Reflexion“ nennen – nämlich tiefere Gedanken über die Natur der Dinge.

Hegel verwendet den Ausdruck jedoch in einem strengeren technischen Sinn: In Reflexionsurteilen wird das Subjekt – das zuvor, im Daseinsurteil, als selbständige substantielle Entität gedacht war – als etwas Vergängliches-Unsubstanzielles gesetzt, als etwas, das nur „reflektiert“, dessen kontingente Realität nur das An-sich eines bleibenden Wesens „spiegelt“, das im Prädikat ausgedrückt ist. „Reflexion“ ist hier im Sinne äußerer Reflexion zu verstehen: Die endliche Welt wird als vergänglicher, gleichgültiger Schein gesetzt, der ein transzendentales, allgemeines Wesen reflektiert.

Wie wir gesehen haben, liegt im Daseinsurteil alle „Bewegung“ auf der Seite des Prädikats: Das Subjekt wird als bleibende, substantielle Entität gesetzt, und das Prädikat geht vom Allgemeinen über das Besondere zum Einzelnen über. Im Reflexionsurteil dagegen liegt alle „Bewegung“ auf der Seite des Subjekts, während das Prädikat ein fester substantieller Gehalt bleibt; die Bewegungsrichtung ist ebenfalls die entgegengesetzte: vom Einzelnen über das Besondere zum Allgemeinen. Diese Umkehrung der Richtung ist leicht zu fassen: Das Prädikat eines Daseinsurteils passt sich nach und nach dem (einzelnen) Subjekt an, bis es in einer unmöglichen Identität mit ihm zusammenfällt; während im Reflexionsurteil das Subjekt sich nach und nach dem allgemeinen Prädikat anpasst, indem es sich vom Einzelnen zum Allgemeinen ausweitet. Die drei Formen des Reflexionsurteils sind daher singuläre, partikulare und universelle Urteile: zum Beispiel „Dieser Mensch ist sterblich“, „Viele Menschen sind sterblich“, „Alle Menschen sind sterblich“.

Die Paradoxien der Sexuierung

Damit haben wir den Übergang vom Reflexionsurteil zur folgenden Form, dem Notwendigkeitsurteil, gesetzt: Alles, was wir zu tun haben, ist, die Bestimmung der Universalität ausdrücklich zu setzen, die im universellen Urteil an sich enthalten ist; konkret heißt das: Statt „Alle Menschen sind sterblich“ müssen wir nur sagen „Der Mensch ist sterblich“. Der Übergang betrifft somit nur die Form, wenn auch in wesentlicher Weise: Schon auf der intuitiven Ebene ist es nicht schwer zu spüren, dass die Aussagen „Alle Menschen sind sterblich“ und „Der Mensch ist sterblich“ nicht dasselbe Gewicht haben – mit dem Übergang von der ersten zur zweiten bewegen wir uns von der empirischen Menge „aller Menschen“ – von dem, was allen Menschen gemeinsam ist – zur Universalität, zur notwendigen Bestimmung des Begriffs des Menschen als solchen. Mit anderen Worten: Während es im Reflexionsurteil noch um das Verhältnis der begrifflichen Bestimmung (Prädikat) zur kontingenten, unbegrifflichen Menge empirischer Entitäten („dies“) geht, betreten wir im Notwendigkeitsurteil den Bereich notwendiger Begriffsverhältnisse – der immanenten Selbstbestimmungen des Begriffs als solchen. „Sterblichkeit“ ist nicht mehr das Prädikat einer außerbegrifflichen Entität, sondern die immanente Bestimmung des „Menschen“.

Die gesamte Tragweite dieser Verschiebung ließe sich genauer bestimmen durch das wohlbekannte Paradox des Verhältnisses zwischen universellem und existentialem Urteil im klassischen aristotelischen Syllogismus: Das existenziale Urteil impliziert die Existenz des Subjekts, während das universelle Urteil auch dann wahr ist, wenn sein Subjekt nicht existiert, da es nur den Begriff des Subjekts betrifft. Wenn man zum Beispiel sagt „Mindestens ein Mensch ist (oder: einige Menschen sind) sterblich“, ist dieses Urteil nur dann wahr, wenn mindestens ein Mensch existiert; wenn man hingegen sagt „Das Einhorn hat nur ein Horn“, bleibt dieses Urteil auch dann wahr, wenn es keine Einhörner gibt, da es ausschließlich die immanente Bestimmtheit des Begriffs „Einhorn“ betrifft.

So sehr diese Unterscheidung als zu spitzfindig erscheinen mag, sollte man sich nur daran erinnern, wie viel Gewicht der Unterschied zwischen dem Universellen und dem Partikulären in der „Logik der Emotionen“ haben kann: Wenn ich allgemein, ohne irgendwelche konkreten Details, weiß, dass meine Frau mit anderen Männern schläft, muss mich das nicht sehr tief berühren; die Welt stürzt erst dann ein, wenn mir jemand konkrete Details bringt, die ihren Ehebruch bestätigen (ein Foto von ihr im Bett mit einem anderen Mann und so weiter) – der Übergang vom Universellen zur existenzialen Partikularität macht den ganzen Unterschied. Kurz: Wenn ich allgemein weiß, dass meine Frau mich betrügt, setze ich die Realität dessen gewissermaßen außer Kraft, ich behandle es als nicht ernst – „ernst“ wird es erst mit dem Übergang zum Partikulären. Genau dieses Ungleichgewicht zwischen Existenz und Universalität liefert den Schlüssel zu den Paradoxien der lacanschen „Formeln der Sexuierung“, in denen auf der „männlichen“ Seite die universelle Funktion (Vx.Φx: alle x sind der Funktion Φ unterworfen) die Existenz einer Ausnahme impliziert (Ex.nonΦx: es gibt mindestens ein x, das von der Funktion Φ ausgenommen ist), während auf der weiblichen Seite eine partikulare Negation (nonVx.Φx: nicht-alle x sind der Funktion Φ unterworfen) impliziert, dass es keine Ausnahme gibt (nonEx.nonΦx: es gibt kein x, das von der Funktion Φ ausgenommen sein könnte):

Der gesunde Menschenverstand würde nahelegen, dass die Formeln, wenn sie in zwei diagonalen Paaren verknüpft werden, äquivalent sind: Ist nicht „alle x sind der Funktion Φ unterworfen“ strikt äquivalent zu „es gibt kein x, das von der Funktion Φ ausgenommen sein könnte“? Und ist andererseits „nicht-alle x sind der Funktion Φ unterworfen“ nicht strikt äquivalent zu „es gibt (mindestens) ein x, das von der Funktion Φ ausgenommen ist“? Doch, wie wir soeben gesehen haben, verläuft für Lacan die Äquivalenz vertikal. Wir kommen der Lösung näher, wenn wir den Allquantor des unteren Formelpaars nicht auf der Ebene des Reflexionsurteils, sondern auf der Ebene des Notwendigkeitsurteils lesen: nicht „alle x sind der Funktion Φ unterworfen“, sondern „x als solches ist der Funktion Φ unterworfen“.

Lacans Φ bedeutet natürlich die Funktion der (symbolischen) Kastration: „der Mann ist der Kastration unterworfen“ impliziert die Ausnahme des „mindestens einen“, des Urvaters des freudschen Mythos in Totem und Tabu, eines mythischen Wesens, das alle Frauen hatte und vollständige Befriedigung erreichen konnte. Doch bleiben wir besser bei unserem Beispiel der Sterblichkeit: Wahr ist, dass „Es gibt keinen Menschen, der unsterblich ist“ äquivalent ist zu „Alle Menschen sind sterblich“, aber nicht – wie wir bereits gesehen haben – äquivalent zu „der Mensch ist sterblich“: Im ersten Fall haben wir es mit der empirischen Menge der Menschen zu tun, in der wir sie „einen nach dem anderen“ nehmen und so feststellen, dass es keinen gibt, der unsterblich ist; im zweiten Fall hingegen haben wir es mit dem Begriff des Menschen selbst zu tun. Und Lacans Grundprämisse lautet, dass der Sprung von der allgemeinen Menge „aller Menschen“ in den universellen „Menschen“ nur durch eine Ausnahme möglich ist: Das Universelle (in seiner Differenz zur empirischen Allgemeinheit) konstituiert sich durch die Ausnahme; wir gehen nicht von der allgemeinen Menge zur Universalität des Einen-Begriffs, indem wir der Menge etwas hinzufügen, sondern im Gegenteil, indem wir ihr etwas entziehen, nämlich den „einzigen Zug“ [trait unaire], der die allgemeine Menge totalisiert, der aus ihr eine Universalität macht.

Es gibt hier eine Fülle von Beispielen sowohl für die „männliche“ Seite der Totalisierung-durch-Ausnahme wie für die „weibliche“ Seite der Nicht-Alle-Sammlung ohne Ausnahme. War es nicht Marx, der – im ersten Kapitel des Kapitals, in der Dialektik der Warenform (in der Artikulation der drei Formen, durch die eine Ware ihren Wert in einer anderen Ware ausdrückt, die als ihr Äquivalent dient) – als Erster die Logik der Totalisierung-durch-Ausnahme entwickelte? Die „entfaltete“ Form schlägt in die „allgemeine“ Form um, wenn eine Ware aus der Sammlung der Waren ausgeschlossen, ausgenommen wird und so als allgemeines Äquivalent aller Waren erscheint, als unmittelbare Verkörperung der Ware als solcher, als ob es neben allen realen Tieren „das Tier, die individuelle Inkarnation des gesamten Tierreichs“ gäbe.21

Erst durch diese Totalisierung-durch-Ausnahme gelangen wir von der empirischen Menge „aller Waren“ zur Universalität der Ware, die in einzelnen Waren verkörpert ist. Auf einer anderen Ebene wiederholt Hegel dieselbe Operation in Bezug auf den Monarchen: Die Menge der Menschen wird erst dann zu einer rationalen Totalität (dem Staat), wenn ihre Einheit als solche in irgendeinem nicht-rationalen, „biologisch“ bestimmten Individuum verkörpert ist – dem Monarchen. Von besonderem Interesse ist hier die Weise, wie Hegel den Ausnahmecharakter des Monarchen bestimmt: Alle anderen Menschen sind nicht von Natur aus das, was sie sind, sondern müssen „gemacht“, erzogen, gebildet, geformt werden, während der Monarch darin einzigartig ist, von Natur aus das zu sein, was sein symbolisches Mandat ist – wir haben hier in klarer Form die Exemplifikation der „männlichen“ Seite von Lacans Formeln der Sexuierung: Alle Männer sind der Funktion der „Kastration“ unterworfen (sie sind nicht unmittelbar das, was ihr symbolisches Mandat ist, sie gelangen zu ihrer positiven sozialen Rolle nur durch die harte Arbeit der „Negativität“, durch Hemmung, Training …) unter der Bedingung, dass es den Einen gibt, der davon ausgenommen ist – der von Natur aus das ist, was er ist (der König).

Dieses Paradox hilft zugleich dabei, die hegelianische Logik der „negativen Selbstbeziehung des Begriffs“ zu verstehen: Ein allgemeiner Begriff gelangt zu seinem Fürsichsein, er wird als Begriff gesetzt, erst dann, wenn er sich im eigentlichen Bereich der Besonderheit in der Gestalt seines Gegenteils reflektiert (in einem Element, das das grundlegende Merkmal seiner begrifflichen Allgemeinheit selbst negiert). Der Begriff des Menschen (als tätiges Wesen, als Wesen, das nicht von Natur aus das ist, was es ist, sondern sich selbst hervorbringen, sich „bestimmen“ muss, durch harte Arbeit) gelangt zu seinem Fürsichsein, indem er sich in einer Ausnahme reflektiert, in einem Individuum, das als Verkörperung des Menschen überhaupt, als solchen, erscheint, gerade insofern er bereits von Natur aus das ist, was er ist (der Monarch). Der Wert in seinem Gegensatz zum Gebrauchswert (das heißt: Wert als Ausdruck eines sozialen Verhältnisses) wird als solcher gesetzt, wenn er in einer bestimmten Ware verkörpert ist; wenn er als eine quasi-„natürliche“ Eigenschaft einer bestimmten Ware erscheint (Geld: Gold).

Was die andere, „weibliche“, Seite der Formeln der Sexuierung betrifft, genügt es, sich daran zu erinnern, wie der Begriff des Klassenkampfs im historischen Materialismus funktioniert. Der gute alte linke Slogan (heute, in der angeblich „postideologischen“ Welt, gültiger denn je) „es gibt nichts, was nicht politisch ist“ muss nicht als das universelle Urteil „alles (die Gesellschaft als Ganzes) ist politisch“ gelesen werden, sondern auf der Ebene der „weiblichen“ Logik einer Nicht-Alle-Menge: „es gibt nichts, was nicht politisch ist“ bedeutet gerade, dass das gesellschaftliche Feld irreduzibel durch eine politische Spaltung geprägt ist; dass es keinen neutralen „Nullpunkt“ gibt, von dem aus die Gesellschaft als Ganzes gedacht werden könnte. Mit anderen Worten: „es gibt nichts, was nicht politisch ist“ bedeutet, dass es auch in der Politik „keine Metasprache“ gibt: Jede Art von Beschreibung oder Versuch, Gesellschaft zu denken, impliziert per definitionem eine partielle Äußerungsposition; in einem radikalen Sinn ist sie bereits „politisch“, wir haben immer-schon „Partei ergriffen“. Und der Klassenkampf ist nichts anderes als der Name für diese unergründliche Grenze, Spaltung, die nicht objektiviert, nicht innerhalb der gesellschaftlichen Totalität lokalisiert werden kann, da sie selbst jene Grenze ist, die uns daran hindert, Gesellschaft überhaupt als Totalität zu denken. Gerade die Tatsache, dass „es gibt nichts, was nicht politisch ist“, verhindert also, dass Gesellschaft als Ganzes gedacht werden kann – selbst wenn wir dieses Ganze mit dem Prädikat „politisch“ bestimmen und sagen: „Alles ist politisch“.22

Ist diese Logik des Nicht-Alle jedoch mit der hegelianischen Dialektik vereinbar? Stützt sie sich nicht auf eines der Schlüsselthemen der traditionellen Kritik an Hegel: auf die irreduzible Kluft, die Allgemeinheit und die Realität besonderer Existenz trennt? Ist nicht die hegelianische Illusion, dass das Besondere aus der Selbstbewegung des allgemeinen Begriffs deduziert werden könne (und restlos in sie aufginge)? Und steht dem nicht gerade die Lehre des aristotelischen logischen Quadrats entgegen: dass es eine irreduzible Kluft zwischen dem Allgemeinen und der Existenz gibt, dass die Existenz nicht aus dem Allgemeinen deduziert werden kann? Lacan versucht tatsächlich, aus dieser Kluft die Angst zu demonstrieren, die Hegels „Panlogismus“ bei Schelling und Kierkegaard hervorgerufen hat: die Angst, dass unsere gesamte Existenz in die Selbstbewegung des Begriffs subsumiert würde und so ihre Einzigartigkeit, ihr Paradox bodenloser Freiheit, verlöre. Wie Freud es formulierte, ist Angst der einzige Affekt, der nicht täuscht; durch sie begegnen wir dem Realen: dem Realen eines verlorenen Objekts, das nicht in eine zirkuläre Bewegung der Symbolisierung aufgenommen werden kann.

Wenn wir jedoch das Paradox der hegelianischen rationalen Totalität zulassen, das sich etwa am König als Bedingung des Staates als rationaler Totalität erkennen lässt, ändert sich die gesamte Perspektive. Insofern Angst – wie Lacan Freud umkehrt – die Nähe, nicht den Verlust, des Objekts als Realen anzeigt, sollte man fragen, welchem Objekt wir mit der Etablierung einer rationalen Totalität zu nahe gekommen sind. Dieses Objekt ist natürlich genau das absolut kontingente Objekt, das „kleine Stück des Realen“, das als Inkarnation der rationalen Totalität selbst hervortritt – durch das die rationale Totalität zu ihrem Fürsichsein, zu ihrer Wirklichkeit, gelangt – im Fall des Staates: der König als biologisches, kontingentes Individuum. Dies ist das Objekt, dessen Existenz mit der Allgemeinheit selbst impliziert ist, weil nur durch es das Allgemeine „gesetzt“ wird, zu seinem Fürsichsein gelangt. Hegel ist daher weit davon entfernt, die Kluft zwischen dem Allgemeinen und der besonderen Existenz dadurch zu transzendieren, dass er „das Besondere aus der Selbstbewegung des allgemeinen Begriffs deduziert“; vielmehr legt er die kontingente Besonderheit offen, an die das Allgemeine selbst wie durch eine Nabelschnur gebunden ist (in der Sprache der Formeln der Sexuierung: er legt die besondere Ausnahme offen, die existieren muss, wenn die universelle Funktion in Kraft bleiben soll).

Wie Notwendigkeit aus Zufälligkeit entsteht

Kehren wir also zum Notwendigkeitsurteil zurück. Wie wir gesehen haben, wird das Prädikat in ihm als notwendige, inhärente Spezifikation gesetzt, als Selbstbestimmung des Subjekts. So gelangen wir zur ersten Form des Notwendigkeitsurteils, zum kategorischen Urteil, durch das das „Kategorische“ – das begrifflich Notwendige – Verhältnis von Subjekt und Prädikat als Verhältnis einer Art zu ihrer Gattung gesetzt wird: „Eine Rose ist eine Pflanze“, „Die Frau ist Mensch“, zum Beispiel. Dieses Urteil ist jedoch unzureichend, insofern es außer Acht lässt, dass der Inhalt der Gattung nicht nur diese Art ist – die Gattung artikuliert in sich eine Reihe von Arten. Die andere Form des Notwendigkeitsurteils, das hypothetische Urteil, setzt daher einen besonderen Inhalt (eine Art) der Gattung in sein notwendiges Verhältnis zu einer anderen Art: sagen wir, in unserem Fall: „Wo Frauen sind, sind auch Männer“; oder vielmehr: „Das Sein der Frau ist nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Sein eines anderen, des Mannes“. In der dritten Form, dem disjunktiven Urteil, wird der besondere Inhalt des Urteils ausdrücklich als Selbstartikulation, Selbstspezifikation, des allgemeinen Begriffs gesetzt: „Ein Mensch ist entweder ein Mann oder eine Frau“.

Hier, an genau diesem Punkt, begegnen wir der größten Überraschung in Hegels Urteilstheorie. Das heißt: Aus der stereotypen Sicht auf Hegel würden wir erwarten, nun am Ende zu sein: Enthält nicht die Triade der Urteile (Dasein, Reflexion, Notwendigkeit) die Triade Sein–Wesen–Begriff? Ist das Daseinsurteil nicht gerade insofern zur Auflösung in eine leere Tautologie verurteilt, als es auf der Ebene des Seins verbleibt und als solches nicht fähig ist, das reflexive Verhältnis von Subjekt und Prädikat wiederzugeben? Ist das Reflexionsurteil nicht, wie schon der Name nahelegt, ein Urteil, das das Verhältnis irgendeines kontingenten, phänomenalen Seienden zu seiner wesentlichen Bestimmung artikuliert, ein Verhältnis, in dem diese wesentliche Bestimmung in der Vielheit kontingenter Entitäten reflektiert wird? Und liefert uns schließlich das Notwendigkeitsurteil nicht aus der kontingenten Äußerlichkeit heraus, ist nicht der gesamte Inhalt in ihm ausdrücklich als Resultat der Selbstbewegung des allgemeinen Begriffs gesetzt – das heißt als dessen immanente Selbstspezifikation? Was kann da noch folgen? Hegels Antwort lautet: Zufälligkeit.

Auf das Notwendigkeitsurteil folgt eine vierte Form, das Begriffsurteil. Erst mit diesem wird das Urteil tatsächlich das, was das Wort nahelegt: eine Beurteilung von etwas. Prädikate, die dieses Urteil enthalten, sind nicht Prädikate auf derselben Ebene wie Prädikate der früheren Urteilsformen; das Begriffsurteil ist wörtlich Urteil über den Begriff: Der Inhalt des Prädikats ist hier das Verhältnis des Subjekts zu seinem Begriff selbst (also zu dem, was in den früheren Urteilsformen das Prädikat war) – es ist ein Prädikat vom Typ „gut, schlecht, schön, gerecht, wahr“. Nach Hegel ist Wahrheit nicht einfach die Angemessenheit oder Entsprechung irgendeines Satzes zum Objekt oder zum Sachverhalt, den der Satz beschreibt, sondern die Angemessenheit des Objekts selbst zu seinem eigenen Begriff: In diesem Sinn könnten wir von einem „realen“ Objekt – einem Tisch, zum Beispiel – sagen, dass es „wahr“ ist (insofern es dem Begriff des Tisches entspricht, der Funktion, die es als Tisch erfüllen muss).

Das Begriffsurteil ist auf dieser Ebene zu verorten: Mit ihm bewerten wir, in welchem Ausmaß etwas „wahr“ ist, wie weit es seinem Begriff entspricht. Die erste, unmittelbare Form des Begriffsurteils, das assertorische Urteil, umfasst daher Sätze vom Typ „Dieses Haus ist gut“. Das Problem, das sich natürlich sofort ergibt, ist, dass nicht jedes Haus gut ist – manche Häuser sind es und manche nicht; es hängt von einer Reihe kontingenter Umstände ab – das Haus muss in einer bestimmten Weise gebaut sein und so weiter. Die zweite Form des Begriffsurteils, das problematische Urteil, problematisiert genau diese Bedingungen der „Wahrheit“ des Objekts (des Subjekts des Urteils): Ob ein Haus gut ist oder nicht, hängt von den Umständen ab, davon, welche Art Haus es ist … Die dritte Form, das apodiktische Urteil, stellt in positiver Form die Bedingungen der „Wahrheit“ des Subjekts des Urteils dar: Eine solche und solche Bauart eines Hauses ist gut, eine solche und solche Handlung ist rechtmäßig und so weiter.

Es ist nicht schwierig, hier den Übergang vom Urteil zum Schluss herauszuarbeiten, da man sich bereits im Schluss befindet, sobald die im Begriffsurteil enthaltenen Elemente als solche gesetzt werden: „Eine solche und solche Bauart eines Hauses ist gut; dieses Haus ist so gebaut; dieses Haus ist gut.“ Es ist auch nicht schwer zu erraten, wie die vierte Urteilsform das Moment der Zufälligkeit bejaht: Die Umstände, von denen es abhängt, ob das Haus gut ist oder nicht – ob es wirklich ein Haus ist, ob es seinem Begriff entspricht –, sind irreduzibel kontingent, oder vielmehr werden sie durch die Form des Begriffsurteils selbst als solche gesetzt. Darin besteht die entscheidende Verschiebung von der zweiten zur dritten Form des Begriffsurteils, vom problematischen zum apodiktischen Urteil: Das problematische Urteil setzt das innere, notwendige Begriffliche des Objekts (was ein Haus sein muss, um wirklich ein Haus zu sein) und die äußeren kontingenten Bedingungen, von denen es abhängt, ob irgendein empirisches Haus wirklich ein Haus ist, auf äußerliche Weise gegeneinander; das apodiktische Urteil überwindet dieses äußere Verhältnis zwischen Zufälligkeit und Notwendigkeit, zwischen den kontingenten Bedingungen und dem Inneren des Begriffs – wie?

Die traditionelle Antwort lautet natürlich: indem man den Begriff als teleologische Notwendigkeit begreift, die sich kraft eigener Logik durchsetzt und die scheinbar äußere Menge von Umständen reguliert, im Einklang mit der üblichen Vorstellung, dass in der „Dialektik“ die Notwendigkeit sich durch eine Menge von Zufälligkeiten realisiert. Beispiele, die einem sofort einfallen, sind die großer historischer Persönlichkeiten wie Caesar oder Napoleon: Im Verlauf der Französischen Revolution brachte ihre eigene immanente Logik die Notwendigkeit eines Übergangs von der republikanischen Form zu der einer persönlichen Diktatur hervor – das heißt die Notwendigkeit einer Person wie Napoleon; dass sich diese Notwendigkeit jedoch gerade in der Person Napoleons realisierte, war einer Reihe von Zufälligkeiten geschuldet … So wird Hegels Theorie der Zufälligkeit gewöhnlich verstanden: Zufälligkeit ist der Notwendigkeit nicht abstrakt entgegengesetzt, sondern deren Erscheinungsform – Notwendigkeit ist die umfassende Einheit ihrer selbst und ihres Gegenteils. Doch Hegels Theorie, wie ein gegebenes Phänomen seine Notwendigkeit dadurch ausweist, dass es seine kontingenten Voraussetzungen selbst setzt, eröffnet die Möglichkeit einer ziemlich anderen Lesart:

Das Mögliche, das wirklich geworden ist, ist nicht zufällig, sondern notwendig, da es sich seine eigenen Bedingungen setzt … Die Notwendigkeit setzt sich ihre Bedingungen, aber sie setzt sie als zufällig.23

Mit anderen Worten: Wenn aus den kontingenten äußeren Bedingungen ihr Resultat Gestalt annimmt, werden diese Bedingungen rückwirkend – vom Standpunkt des Endresultats selbst – als dessen notwendige Bedingungen wahrgenommen. „Dialektik“ ist letztlich eine Lehre davon, wie Notwendigkeit aus Zufälligkeit entsteht: davon, wie eine kontingente Bastelei ein Ergebnis hervorbringt, das seine anfänglichen Bedingungen in innere notwendige Momente seiner Selbstreproduktion „transkodiert“. Es ist daher die Notwendigkeit selbst, die von der Zufälligkeit abhängt: Die Geste selbst, die Notwendigkeit in Zufälligkeit verwandelt, ist radikal kontingent.

Um diesen Punkt klarzumachen, erinnern wir uns daran, wie an irgendeinem Wendepunkt der Geschichte des Subjekts (oder der kollektiven Geschichte) ein Akt der Interpretation, der an sich vollständig kontingent ist – aus der vorangehenden Reihe nicht deduzierbar –, das vorangehende Chaos neu lesbar macht, indem er Ordnung und Sinn in es einführt, das heißt: Notwendigkeit. John Irvings ungerechtfertigt unterschätzter Roman A Prayer for Owen Meany ist eine Art lacanscher „roman à thèse“, ein Traktat über dieses Thema, wie Notwendigkeit aus einer traumatischen Zufälligkeit entsteht. Sein Held, Owen Meany, trifft zufällig mit einem Baseballschläger und tötet die Mutter seines besten Freundes; um dieses Trauma zu ertragen, es in sein symbolisches Universum zu integrieren, begreift er sich als ein Instrument Gottes, dessen Handlungen vorherbestimmt waren und als Gottes Eingriff in die Welt betrachtet werden können. Sogar sein eigener Tod ist eine schöne zwanghafte Umkehrung des üblichen Prozesses, einer bösen Prophezeiung auszuweichen (wobei man unbewusst ihre Erfüllung herbeiführt): Als Owen irgendeinen Zufall als Prophezeiung auffasst, dass er in Vietnam sterben werde, tut er alles, um die Prophezeiung wahr werden zu lassen – er ist von der Aussicht erschreckt, seinen Tod zu verfehlen, denn in diesem Fall ginge jeder Sinn verloren und er selbst wäre schuldig am Tod der Mutter seines Freundes …

Obwohl diese rückwirkende Notwendigkeit auf symbolische Prozesse beschränkt zu sein scheint, ist es für die Psychoanalyse von höchstem Interesse, dass dieselbe Logik sogar in der heutigen Biologie erkennbar ist – etwa in der Arbeit von Stephen Jay Gould, der den Darwinismus von evolutionärer Teleologie befreite und die radikale Kontingenz der Bildung neuer natürlicher Arten herausstellte. Der Burgess Shale, den er in Wonderful Life analysiert,24 ist einzigartig, weil die in ihm erhaltenen Fossilien zu dem Moment gehören, als die Entwicklung einen völlig anderen Verlauf hätte nehmen können: Er hält die Natur sozusagen am Punkt ihrer Unentscheidbarkeit fest, an dem eine Reihe von Möglichkeiten koexistiert, die heute, rückblickend, von einer bereits etablierten Evolutionslinie aus, absurd, undenkbar erscheinen; an dem wir einen Überreichtum an (heute) undenkbaren Formen vor uns haben, an komplexen, „hoch entwickelten“ Organismen, die nach anderen Plänen gebaut sind als die heutigen und nicht wegen eines ihnen innewohnenden geringeren Werts oder mangelnder Anpassungsfähigkeit ausstarben, sondern vor allem wegen ihrer kontingenten Unstimmigkeit mit einer bestimmten Umwelt. Wir könnten sogar wagen zu sagen, dass der Burgess Shale ein „Symptom“ der Natur ist: ein Monument, das innerhalb der Evolutionslinie, wie sie sich damals entwickelt hatte, nicht verortet werden kann, da es den Umriss einer möglichen alternativen Geschichte darstellt – ein Monument, das uns sehen lässt, was geopfert, verbraucht wurde; was verloren ging, damit die Evolution, die wir heute kennen, stattfinden konnte.

Es ist wesentlich zu begreifen, wie diese Art Verhältnis von Zufälligkeit zu Notwendigkeit, in der Notwendigkeit aus dem rückwirkenden Effekt der Zufälligkeit hervorgeht – in der Notwendigkeit immer eine „rückwärts gerichtete Notwendigkeit“ ist (weshalb Minervas Eule erst in der Dämmerung fliegt) –, nur eine weitere Variante des Motivs Substanz-als-Subjekt ist. Das heißt: Solange die Zufälligkeit zur Erscheinungsform einer zugrunde liegenden Notwendigkeit reduziert wird, zu einer Erscheinung, durch die sich eine tiefere Notwendigkeit realisiert, sind wir noch auf der Ebene der Substanz: Es ist die substantielle Notwendigkeit, die sich durchsetzt. „Substanz als Subjekt begriffen“ ist demgegenüber jener Moment, in dem diese substantielle Notwendigkeit sich als der rückwirkende Effekt eines kontingenten Prozesses erweist. Damit haben wir auch die Frage beantwortet, warum es vier und nicht drei Urteilsarten gibt: Wäre die Entwicklung der Urteile mit dem Notwendigkeitsurteil abgeschlossen worden, wäre sie auf der Ebene der Substanz geblieben, auf der Ebene der substantiellen Notwendigkeit des Begriffs, der durch seine Teilung seinen besonderen Inhalt aus sich selbst heraus entwickelt. Ein solches Bild der „Selbstbewegung des Begriffs“, der seinen eigenen besonderen Inhalt setzt, mag sehr „hegelianisch“ erscheinen; es entspricht der konventionellen Vorstellung von Hegels „Arbeit des Begriffs“; tatsächlich aber sind wir so weit wie möglich vom hegelianischen Subjekt entfernt, das rückwirkend seine eigenen Voraussetzungen setzt. Erst mit der vierten Urteilsart wird die Tatsache voll bejaht, dass „die Wahrheit der Substanz das Subjekt ist“; erst hier setzt das Subjekt seine eigene substantielle Voraussetzung (es setzt rückwirkend die kontingenten Bedingungen seiner begrifflichen Notwendigkeit). Der Kern von Hegels „Setzen der Voraussetzung“ besteht genau in dieser rückwirkenden Umwandlung von Zufälligkeit in Notwendigkeit, in dieser Verleihung einer Form von Notwendigkeit an die kontingenten Umstände.

Um jedoch zu erkennen, dass wir mit der vierten Urteilsart die Ebene des Subjekts erreichen, braucht man nicht einmal einen ausgefeilten begrifflichen Apparat: Es genügt, sich daran zu erinnern, dass diese Art das enthält, was wir – unzureichend – Bewertung nennen, ein wertendes Urteil, das (nach philosophischem Alltagsverständnis) das Subjekt betrifft („subjektive Wertung“). Es genügt hier nicht, nur auf die elementare Tatsache hinzuweisen, dass bei Hegel das Urteil nicht „subjektiv“ im üblichen Sinn des Wortes ist, sondern die Beziehung des Objekts selbst zu seinem eigenen Begriff betrifft – die radikale Schlussfolgerung ist zu ziehen, dass es kein Subjekt ohne eine Kluft gibt, die das Objekt von seinem Begriff trennt – dass diese Kluft zwischen dem Objekt und seinem Begriff die ontologische Bedingung der Entstehung des Subjekts ist. Das Subjekt ist nichts anderes als die Kluft in der Substanz, die Unangemessenheit der Substanz zu sich selbst: Was wir „Subjekt“ nennen, ist die Perspektivillusion, durch die die Substanz sich selbst in verzerrter („subjektiver“) Form wahrnimmt. Entscheidend ist zudem, dass hier allgemein übersehen wird, dass eine solche Art Urteil über die Entsprechung eines Objekts zu seinem eigenen Begriff eine Art reflexiver Verdopplung des Willens und Begehrens des Subjekts impliziert.

In genau diesem Sinn ist Lacans Dialektik des Begehrens zu fassen – seine Grundthese, dass Begehren immer Begehren eines Begehrens ist: Begehren ist niemals unmittelbar auf irgendein Objekt gerichtet, sondern stets ein „quadriertes“ Begehren – das Subjekt findet in sich eine Vielzahl heterogener, sogar wechselseitig ausschließender Begehrungen vor, und die Frage, vor die es dadurch gestellt ist, lautet: Welches Begehren soll ich wählen? Welches Begehren soll ich begehren? Diese konstitutive Reflexivität des Begehrens zeigt sich im paradoxen Gefühl, auf sich selbst wütend oder beschämt zu sein, wenn man etwas begehrt, das man für des eigenen Begehrens unwürdig hält – eine Verlegenheit, die sich genau mit den Worten beschreiben ließe: Ich begehre mein Begehren nicht (oder: ich will mein Begehren nicht begehren). Was wir „Wertung“ nennen, gründet also immer in dieser Reflexivität des Begehrens, die natürlich nur innerhalb der symbolischen Ordnung möglich ist: Dass Begehren immer-schon „symbolisch vermittelt“ ist, bedeutet nichts anderes, als dass es immer das Begehren eines Begehrens ist. Diese Reflexivität des Begehrens eröffnet die Dimension symbolischer Täuschung: Wenn das Subjekt X will, folgt daraus nicht, dass es auch dieses Begehren will; oder vielmehr ist es ihm möglich, sein Begehren nach X vorzutäuschen, gerade um die Tatsache zu verbergen, dass es X nicht will.

Wie diese Reflexivität mit dem Motiv der Zufälligkeit verbunden ist, ist ebenfalls nicht schwer zu fassen. Nehmen wir zum Beispiel das philosophische Motiv der „Werte“: Es ist falsch, von Menschen in sogenannten „traditionellen“ Gesellschaften – Gesellschaften, die auf der unreflektierten Annahme eines Wertesystems beruhen – zu sagen, sie „besäßen“ Werte; was wir aus unserer externen Perspektive „ihre Werte“ nennen, akzeptieren die Menschen selbst als einen unhinterfragten Rahmen, dessen sie sich als solchen nicht bewusst sind; ihnen fehlt völlig die reflexive Haltung dazu, die der Begriff „Wert“ impliziert. Sobald wir anfangen, von „Werten“ zu sprechen, haben wir a priori Werte als etwas Relatives, Kontingentes gesetzt, dessen Bestand nicht fraglos ist, als etwas, das zu diskutieren nötig ist – das heißt: gerade zu bewerten; wir können der Frage nicht ausweichen, ob diese Werte „wahre Werte“ sind, ob sie „ihrem Begriff entsprechen“. In Hegelisch: Insofern der Begriff des Werts „gesetzt“, expliziert wird, insofern dieser Begriff zu seinem Fürsichsein gelangt, wird Wert als etwas Kontingentes erfahren, gebunden an das „Wertproblem“: Haben wir die richtigen Werte gewählt? Wie bewerten wir sie? und so weiter.

Dasselbe lässt sich über den Begriff des „Berufs“ sagen: In der vorkapitalistischen Gesellschaft, in der die Stellung eines Individuums primär durch eine Menge traditioneller organischer Bindungen entschieden wird, ist es anachronistisch, von einem „Beruf“ zu sprechen (schon auf unmittelbarer Ebene spürt man, wie unangemessen es ist zu sagen, im Mittelalter habe jemand den „Beruf“ eines Leibeigenen gehabt) – der Begriff „Beruf“ setzt ein gleichgültiges, abstraktes Individuum voraus, das von seiner Bestimmtheit durch substantiell-organische Bindungen entbunden ist und „frei“ über seinen Beruf entscheiden, ihn wählen kann. Auf einer weiteren, dritten Ebene ist es mit dem Begriff des künstlerischen Stils ebenso: Es ist anachronistisch, von mittelalterlichen oder sogar klassischen Stilen zu sprechen; wir können von ihnen nur sprechen, wenn die Möglichkeit der Wahl verschiedener Stile als solche gesetzt ist; wenn Stil daher als etwas grundsätzlich Beliebiges wahrgenommen wird.

„Im Vater mehr als der Vater selbst“

Die Spaltung, die das Begriffsurteil hervorbringt, ist daher – trotz des trügerischen ersten Eindrucks – nicht einfach eine Spaltung zwischen dem Begriff und seiner empirischen Verwirklichung (zum Beispiel zwischen dem Begriff eines Tisches und empirischen Tischen, die in der Tat, von den Umständen abhängig, ihrem Begriff mehr oder weniger entsprechen); wäre es nur das, dann hätten wir es mit einer einfachen Spannung zwischen dem Idealen, dem idealen Begriff, und seiner stets unvollständigen Realisierung zu tun – am Ende fänden wir uns wieder auf der Ebene des Reflexionsurteils, da das Verhältnis Ideal–Real ein typisches Reflexionsverhältnis ist. Die Bewegung, um die es im Begriffsurteil tatsächlich geht, ist subtiler: Die Spaltung wird im Begriff selbst getragen.

Die Reflexivität, von der wir soeben gesprochen haben, wird durch die Frage angezeigt: Ist der Begriff selbst etwas, das „sich selbst angemessen“ ist? Zwar spricht Hegel von den Umständen, von denen es abhängt, ob das Haus gut ist (sagen wir: „wirklich ein Haus“); der Punkt ist hier jedoch nicht, dass kein empirisches Haus seinem Begriff vollkommen entsprechen könne, sondern dass in dem, was als „äußere Umstände“ erscheint, in denen der Begriff eines Hauses verwirklicht wird, bereits ein weiterer Begriff am Werk ist, der nicht mehr der des Hauses ist, obwohl er dem Haus mehr entspricht als das Haus selbst – hier spielen wir auf die Dialektik an, die im bekannten Paradox gezeigt wird, von irgendeinem Nicht-X zu sagen, es sei „mehr X als X selbst“ (zum Beispiel von einem Geizhals: „Er ist mehr Schotte als die Schotten selbst“; von einer liebenden Stiefmutter, dass sie „mütterlicher als die Mutter selbst“ sei; von einem fanatischen Janitscharen, dass er „mehr Türke als die Türken selbst“ sei).

Der Mangel an Identität, der die Bewegung im Begriffsurteil antreibt, ist somit nicht der Mangel an Identität zwischen dem Begriff und seiner Verwirklichung, sondern reicht bis zu der Tatsache, dass der Begriff sich selbst niemals entsprechen, sich selbst angemessen sein kann, weil er, sobald er sich vollständig verwirklicht, in einen anderen Begriff übergeht: Ein X, das vollständig als X verwirklicht ist, ist „mehr X als X selbst“ und ist damit nicht länger X. Im Mangel an Identität zwischen dem Begriff und seiner Verwirklichung liegt der Überschuss daher auf der Seite der Verwirklichung, nicht auf der Seite des Begriffs: Die Verwirklichung eines Begriffs erzeugt einen begrifflichen Überschuss über den Begriff selbst hinaus.

Diese Art Spaltung ist in den Gemälden des amerikanischen „Realisten“ Edward Hopper am Werk; Hopper hat in einigen seiner bekannten Aussagen behauptet, dass er Menschen nicht mag, dass Menschen uninteressant seien, dass sie ihm fremd seien; und man kann in seinen Bildern tatsächlich spüren, wie die menschliche Figur neutral, ohne Interesse, dargestellt ist, während es ein sehr viel intensiveres Gefühl für bestimmte Arten von Gegenständen gibt, vor allem für seine berühmten leeren sonnenbeschienenen Fenster. In einem sehr präzisen Sinn könnte man sagen, dass in diesen Gegenständen – obwohl, oder vielmehr gerade weil, der Mensch in ihnen abwesend ist – die menschliche Dimension intensiv hervortritt, dass (wenn wir eine heideggerianische Formel wagen dürften) diese Dimension durch die Abwesenheit des Menschen selbst präsentiert wird. Ein Mensch ist in diesen Spuren mehr präsent als in seiner direkten physischen Präsenz; erst durch solche Spuren (ein halb hochgezogener Vorhang im Fenster und so weiter) wird die authentische „menschliche“ Dimension effektiv zur Darstellung gebracht – wie in der bekannten Erfahrung nach dem Tod eines Menschen, wenn es dadurch, dass man seine zurückgebliebenen alltäglichen persönlichen Gegenstände durchgeht – seinen Schreibtisch, kleine Dinge in seinem Schlafzimmer –, dazu kommt, dass man gewahr wird, wer der Verstorbene wirklich war; das heißt, in Hegelisch, seines Begriffs.

Hoppers Gemälde stellen somit ein Nicht-X (unbelebte, „tote“ Gegenstände: leere Straßen, Fragmente von Mietshausfassaden) dar, das „mehr X als X selbst“ ist; in dem menschliche Dimensionen mehr offenbar werden als im Menschen selbst. Und, wie wir bereits gesehen haben, ist der höchste Fall, der Fall, der das eigentliche Exempel dieser paradoxen Umkehrung ist, der Signifikant selbst: Sobald wir in die symbolische Ordnung eintreten, ist das „Ding“ im Wort, das es bezeichnet, mehr präsent als in seiner unmittelbaren Präsenz – das Gewicht eines Elefanten ist auffälliger, wenn wir das Wort „Elefant“ aussprechen, als wenn ein realer Elefant den Raum betritt.

Darin besteht das Rätsel des Status des Vaters in der psychoanalytischen Theorie: Die Nicht-Koinzidenz von symbolischem und realem Vater bedeutet gerade, dass irgendein „Nicht-Vater“ (mütterlicher Onkel, der vermeintliche gemeinsame Ahnherr, Totem, Geist – letztlich der Signifikant „Vater“ selbst) „mehr Vater“ ist als der (reale) Vater. Aus diesem Grund bezeichnet Lacan den Namen-des-Vaters, diese ideale Instanz, die den legalen, symbolischen Austausch reguliert, als die „väterliche Metapher“: Der symbolische Vater ist eine Metapher, ein metaphorischer Ersatz, eine Aufhebung [Aufhebung] des realen Vaters in seinem Namen, der „mehr Vater ist als der Vater selbst“, während der „nicht aufgehobene“ Teil des Vaters als die obszöne, grausame und seltsam impotente Instanz des Über-Ichs erscheint. In gewisser Weise war Freud sich dessen bereits bewusst, als er in Totem und Tabu schrieb, dass nach dem ursprünglichen Vatermord der tote Vater „stärker zurückkehrt, als er lebendig war“ – das entscheidende Wort ist hier „zurückkehrt“, das anzeigt, wie wir eine weitere geheimnisvoll klingende Proposition Lacans auffassen sollen – dass der Vater ein Symptom ist: Der symbolische Vater ist ein Symptom, insofern er die „Wiederkehr des Verdrängten“ des ursprünglichen Vaters ist, des obszönen und traumatischen Vater-Genießens, das seine Horde terrorisierte.25

Was wir jedoch in Bezug auf das ursprüngliche Vater-Genießen im Auge behalten müssen, ist erneut die Logik der „Nachträglichkeit“; die Tatsache, dass der nicht symbolisierte Vater sich nur rückwärts, retroaktiv, in das erschreckende Gespenst des Vater-Genießens verwandelt, nachdem das symbolische Netzwerk bereits da ist: „Vater-Genießen“ füllt letztlich nur eine strukturelle Unzulänglichkeit der symbolischen Funktion des Namens-des-Vaters aus, sein ursprünglicher Status ist der eines Restes, der durch das Scheitern der Aufhebungsoperation [Aufhebung] produziert wird, die die Herrschaft des Namens-des-Vaters etabliert; sein angeblich „ursprünglicher“ Status („ursprünglicher Vater“) ergibt sich aus einer Perspektivillusion, durch die wir den Rest als Ursprungspunkt wahrnehmen.26

In einem anderen Zugang bestimmt Lacan den Namen-des-Vaters als den metaphorischen Ersatz für das Begehren der Mutter – das heißt:

Um es zu fassen, muss man sich nur Hitchcocks North by Northwest in Erinnerung rufen, den präzisen Moment im Film, in dem Roger O. Thornhill „irrtümlich identifiziert“ wird als der geheimnisvolle „George Kaplan“ und so an seinen Namen-des-Vaters, seinen Herrensignifikanten, angehängt wird: Es ist genau der Moment, in dem er die Hand hebt, um dem Begehren seiner Mutter zu entsprechen, indem er sie anruft. Was er im Gegenzug vom Anderen erhält – das heißt, was er an der Stelle des Begehrens der Mutter erhält, dem er entsprechen will –, ist „Kaplan“, seine väterliche Metapher. North by Northwest präsentiert somit einen Fall „gelungener“ Substitution der väterlichen Metapher anstelle des Begehrens der Mutter. Man ist sogar versucht, die Hypothese zu wagen, dass North by Northwest eine Art spektrale Analyse der Vaterfigur präsentiert, die sie in ihre drei Komponenten zerlegt: den imaginären Vater (den UNO-Funktionär, dessen Erstechung in der Lobby der Generalversammlung – der Vatermord – Thornhill zugeschrieben wird); den symbolischen Vater („Professor“, den CIA-Funktionär, der den nicht existierenden „George Kaplan“ ausheckt) und den realen Vater (die tragische, obszöne und impotente Figur Van Damm, Thornhills Hauptgegner).

Ein Film wie Shadow of a Doubt hingegen zeigt die schlimmen Konsequenzen des Scheiterns dieser metaphorischen Substitution: Die Analyse dieses Films wird gewöhnlich auf die duale Beziehung der beiden Charlies (der jungen Nichte und ihres mörderischen Onkels) zentriert; was dabei außer Betracht bleibt, ist die Präsenz des entscheidenden dritten Elements, das sie zusammengebracht hat – nämlich das Begehren der Mutter: Onkel Charlie besuchte die Familie als Antwort auf das Begehren der Mutter (seiner Schwester). Mit anderen Worten: Die Lehre des Films lautet, dass die duale Beziehung in einer mörderischen Sackgasse endet, wenn das dritte Element, das zwischen ihren Polen vermittelt, Begehren der Mutter bleibt und nicht in der väterlichen Metapher „aufgehoben“ wird.

Der letzte Beweis dafür, dass Hegels Gliederung der vier Urteilsarten einer inneren Logik folgt, liegt darin, dass ihre Konsistenz die des greimasianischen „semiotischen Quadrats“ von Notwendigkeit/Möglichkeit/Unmöglichkeit/Zufälligkeit ist:

Die Grundkategorie des Daseinsurteils ist die der Unmöglichkeit (seine „Wahrheit“ ist das unendliche Urteil, in dem das Verhältnis von Subjekt und Prädikat als unmöglich gesetzt wird); das Reflexionsurteil ist durch Möglichkeit gekennzeichnet (nämlich durch die Möglichkeit der immer verständlicher werdenden Entsprechung von Subjekt und Prädikat); das Notwendigkeitsurteil behauptet ein notwendiges Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat (wie schon sein Name zeigt), während das Begriffsurteil die letzte Zufälligkeit ausstellt, von der die Notwendigkeit selbst abhängt. Müssen wir hinzufügen, wie dieses begriffliche Instrumentarium zur lacanschen Triade des RSI in Beziehung steht? Der Status der Unmöglichkeit ist real („das Reale als unmöglich“); jede Notwendigkeit ist letztlich eine symbolische; das Imaginäre ist der Bereich dessen, was „möglich“ ist, während das Auftreten des Symptoms, das die drei Dimensionen des RSI miteinander verknüpft, radikal kontingent ist.

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