Der erhabenste Hysteriker 13

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Die ‘Willkür’ des Signifikanten
Die grundlegende Einsicht, die eine lakansche Ideologietheorie bietet, ist ein Verständnis der Kluft zwischen der Realität und den Modi ihrer Symbolisierung. Aber was genau heißt es zu sagen, dass Symbolisierung fundamental kontingent ist?
Ich beginne mit dem, was es nicht heißt. Zuallererst heißt es nicht das, was oft ‘die Willkür des Zeichens’ genannt wird; sowohl ‘table’ als auch ‘Tisch’ sind willkürliche Zeichen, die einen Tisch bezeichnen, und so weiter. Wie Lacan hervorhebt (vgl. Lacan 1998b: 29), ist ein Vorwurf der ‘Willkür’ dieser Art der Diskurs eines Meisters. Indem man diese Behauptung aufstellt, bringt man sich in eine äußere Position jenseits der Sprache, von der aus man Zeichen hochhalten und sie mit ihrem realen oder idealen Referenten vergleichen könnte, um die Willkür des Zeichens in Beziehung zu dem von ihm bezeichneten Inhalt zu demonstrieren. Als ersten Zugriff könnten wir sagen, dass die Kontingenz der Symbolisierung das genaue Gegenteil dieser Art ist, die Willkür des Zeichens zu konzeptualisieren. Sobald wir sprechen, sind wir in den Abgrund eines Teufelskreises verstrickt; ein Signifikant verweist immer auf andere Signifikanten. ‘Der Andere hat keinen Anderen’ – es gibt keinen letzten Garanten, der dem Spiel der Bedeutungsbildung einen festen Grund gibt. Kurz: Der Signifikant ist ‘willkürlich’ gerade deshalb, weil wir ihn nicht verlassen und hinter uns lassen können; wir können die Linie, die ihn von der Realität trennt, nicht überschreiten; wir können keine Position außerhalb von ihm einnehmen, von der aus wir ihn beobachten könnten; es gibt keinen externen Standpunkt, der es uns erlauben würde, ihn zu ‘relativieren’.

Der Stepppunkt der Ideologie: Oder warum
Lacan kein ‘Poststrukturalist’ ist

196 Post-Hegelianische Sackgassen

Auch ist die Kluft zwischen der Realität und der Art, wie sie symbolisiert wird, nicht die Distanz zwischen einer symbolischen Bestimmung und dem konkreten Reichtum der ‘Realität’, die durch die Bestimmung bezeichnet wird, irgendein Überschuss an ‘Reichtum’ der Realität, der aus dem abstrakten Netz symbolischer Bestimmungen überfließen würde. Jeder Versuch, den ‘Reichtum’ des Konkreten im Gegensatz zur abstrakten Natur symbolischer Bestimmungen zu betonen, wird immer den grundlegenden Mechanismus der Symbolisierung verfehlen, den ‘Stepppunkt’. Der ‘Stepppunkt’ verwandelt das Defizit des symbolischen Merkmals im Verhältnis zum Reichtum der ‘Realität’ in ein Zeichen seiner Überlegenheit über die ‘Realität’. Das mag zunächst kontraintuitiv erscheinen, also gebe ich ein Beispiel dafür, wie dies funktioniert, bezogen auf das Beispiel der Rolle, die die Figur des ‘Juden’ in der Nazi-Ideologie spielt. Wir sind immer schnell dabei, den Unterschied zwischen dem ideologischen Stereotyp des Juden (ein dämonisches Wesen, die Inkarnation des Bösen, ein Krebs im gesellschaftlichen Körper, etc.) und unserer alltäglichen Erfahrung unseres Nachbarn, Herrn Blumenstein, eines feinen Kerls, dessen Kinder mit unseren spielen und der sich am späten Nachmittag oft gern hinsetzt und die Zeit mit Reden vertreibt, zu betonen. Diese alltägliche gelebte Erfahrung soll eine unanfechtbare Widerlegung liefern, die das ideologische Gebäude angeblich zum Einsturz bringen würde. Aus dieser Perspektive konstituiert Erfahrung eine Realität, die Ideologie niemals auslöschen könnte, ohne einen Rest zu hinterlassen. Die Distanz zwischen dem ideologischen Stereotyp des Juden und der Ebene der Alltagserfahrung ist jedoch tatsächlich keine Grenze oder auch nur ein Hindernis für die volle Macht des antisemitischen Projekts; im Gegenteil, sie ist der Funktionsweise des Antisemitismus von vornherein bereits einbegriffen. Diese Dissonanz fungiert als weiterer, noch verdammenderer Beweis jüdischer Verderbtheit – ‘Man muss bei Juden sehr vorsichtig sein, es ist nicht immer leicht, sie zu erkennen, weil sie das Aussehen gewöhnlicher Menschen annehmen können. Sie werden sich wie normale Leute verhalten, um ihre wahrhaft korrupte Natur zu verbergen!’ Die Spaltung, die Dissonanz zwischen ihrem jüdischen Charakter und ihrem irreführenden Erscheinungsbild ist daher Teil dieses jüdischen Charakters selbst, eine weitere Bestätigung jüdischer Heuchelei. Der ‘Jude’ ist eine paradoxe Figur, die nur im Schatten existieren kann, deren grundlegendes Merkmal darin besteht, dass er seine wahre Natur verbirgt.
Das gibt uns einen Hinweis auf das erfolgreiche Funktionieren eines ‘Stepppunkts’. Ein Element, das, beim Wort genommen, die These widerlegt (zum Beispiel die Alltagserfahrung meines jüdischen Nachbarn im Gegensatz zum Stereotyp des Juden – der dämonischen Inkarnation des Bösen), beginnt als Beweis seines Gegenteils zu funktionieren; es wird zur weiteren Bestätigung eben der These, die es zu widerlegen schien. Wenn die eigenen ‘Alltagserfahrungen’ der Wirksamkeit der eigenen Ideologie im Weg zu stehen scheinen, zeigt das nur an, dass die betreffende Ideologie nicht besonders erfolgreich gewesen ist. Deshalb kann man die Wirksamkeit des Antisemitismus nicht dadurch schwächen, dass man Beispiele der nicht-ideologischen Realität von Juden anführt, indem man sagt: ‘Aber schaut euch doch die Juden an, sie sind freundliche und fleißige Menschen.’ Wenn Antisemitismus funktioniert, verstärkt eine solche Erinnerung nichts als die Angst vor dem ‘schlüpfrigen’ Juden.
Was also ist die Kluft zwischen Realität und dem Symbolischen? Sie liegt darin, dass die Art und Weise, in der Realität symbolisiert wird, in der ein ‘Stepppunkt’ das symbolische Universum strukturiert und totalisiert, weder in der Realität eingeschrieben ist noch von ihr vorgeschrieben wird. Es gibt keine Notwendigkeit derart, dass wir die Realität betrachten und dann den Modus ihrer Symbolisierung deduzieren könnten. Die Teilung verläuft nicht zwischen ‘Wörtern’ und ‘Dingen’, sondern vielmehr zwischen, einerseits, den ‘Dingen’ selbst als Elementen einer symbolischen Realität, einbezogen in das Feld der Bedeutungsbildung, und, andererseits, der Realität außerhalb des Symbolischen. Die Weise, in der das ‘Ding’ symbolisiert wird, ist radikal kontingent und der ‘Natur’ des Dings äußerlich.
Um zu zeigen, wie diese Kluft wirklich aussieht, untersuchen wir die Konzeption der ‘revolutionären Situation’, die in der marxistischen Tradition vorherrscht. Die soziale Realität ist immer kompliziert, und die Akteure, die in ein Handgemenge verstrickt sind, sind blind für ihre wahre Rolle: Sie hegen eine Vielzahl von Illusionen, die sie daran hindern, die Situation klar zu sehen. Aber aus all dieser Verwirrung tritt die revolutionäre Situation hervor, in der die soziale Realität schließlich selbsttransparent wird, in der, plötzlich – um den Ausdruck zu verwenden, der an einem solchen Punkt oft gebraucht wird – ‘die Umstände selbst zu sprechen beginnen’. Die Masken fallen, die Kluft zwischen Sein und Bedeutungsbildung wird endlich aufgehoben, der revolutionäre Agent (die Arbeiterklasse) muss nur noch seine wahre Lage schultern und das Ziel verwirklichen, das unmittelbar in ihr eingeschrieben ist. Hier ist es nützlich zu fragen, ob es nicht die größte ‘ideologische Illusion’ von allen ist zu glauben, wir könnten die Distanz zwischen dem Sein und seiner ‘illusorischen’, ‘ideologischen’ Bedeutung aufheben, es könne eine Konjunktion zwischen Realität und Bedeutung geben, wie sie von den ‘bestehenden Bedingungen’ selbst artikuliert würde, statt durch das leere und chimärische Subjekt. Anders gesagt: Ist nicht das Gefühl, dass ‘die Umstände selbst zu sprechen beginnen’, der ideologische Effekt par excellence? Ist nicht der Eindruck, dass unsere Sprache unmittelbar zur ‘Sprache des wirklichen Lebens’ werden könnte (um einen Ausdruck von Marx aus Die deutsche Ideologie zu entlehnen), ein Hinweis darauf, dass wir in eine ‘ideologische Falle’ geraten sind? Wir sind wirklich in den Klauen einer Ideologie, wenn wir sie nicht mehr als ‘Ideologie’ im Gegensatz zur ‘Realität’ erfahren, sondern als ‘die Sprache der Realität selbst’. Das Ziel der ‘Ideologiekritik’ ist schlicht, die Art und Weise offenzulegen, in der dieses Gefühl, dass ‘die Umstände selbst begonnen haben zu sprechen’, aus einer Reihe symbolischer Operationen hervorgeht, die durch und durch ‘gemacht’ und kontingent sind.
Der ‘offene’ und kontingente Charakter des Symbolisierungsprozesses wird in Krisensituationen noch deutlicher, wenn das symbolische Gebäude, das der Gesellschaft ihre ideologische Kohärenz gegeben hatte, auseinanderfällt. In diesen Situationen ist es einer fundamental kontingenten symbolischen Operation überlassen zu bestimmen, welche Art von Diskurs als ‘Stepppunkt’ für das soziale Feld dienen und damit eine hegemoniale Rolle übernehmen kann. Nehmen wir das von Gérard Miller (1975) analysierte Beispiel Frankreichs im Jahr 1940, im Nachgang seiner schockierenden militärischen Niederlage. Das Land ist völlig desorganisiert, völlig verwirrt, in Schock, nachdem es dem unmöglich-Realen begegnet ist (‘Wie konnte uns so etwas passieren?’). Es war Pétains Diskurs, der in der Lage war, die Situation verständlich, ‘lesbar’ zu machen, indem er sie in den Kontext einer Erzählung stellte und so ihre Symbolisierung-Historisierung herbeiführte. Pétain zufolge war der wahre Feind nicht Deutschland; Frankreichs Zusammenbruch war die notwendige Folge jüdisch-liberaler Dekadenz, von ‘democrascum’ [„democrassouille“], die die natürliche Einheit des Volkes zerfressen hatte. Die militärische Katastrophe war daher, selbst in ihrem Schrecken, eine willkommene Entwicklung, eine Gelegenheit, der Gesellschaft wieder Ordnung zu geben, das französische Volk hinter einem autoritären-patriarchalen Staat zu vereinen. Die ganze Situation wurde wieder subtil lesbar, ‘alles hatte wieder Sinn’; es schien, als habe Pétain die Bedeutung freigelegt, die den Ereignissen selbst eingeschrieben war, als hätten ‘die Umstände selbst begonnen zu sprechen’.
Der mythische revolutionäre Moment, in dem Symbolisierung perfekt mit der Realität zusammenfallen würde, ist noch offensichtlicher, wenn es um die Ausbeutung, das Leiden, die Repression und den Terror geht, die gegen die ‘Massen’ ausgeübt werden. Es ist, als wären die Massen bereit, das legitime – legitim gemäß dem ideologischen Diskurs – Leiden zu ertragen, das im ‘normalen’ Gang der Dinge liegt, würden aber revoltieren, wenn ihr Leiden unerträglich wird, wenn es einen Kipppunkt erreicht, der das gesamte ideologische Gebäude zum Einsturz brächte. Im Gegensatz zu diesem mythischen Bild sollten wir uns stattdessen auf die Unterscheidung zwischen der faktischen Beschaffenheit eines sozialen Herrschafts- oder Ausbeutungsverhältnisses und dem Moment konzentrieren, in dem dieses Verhältnis als ‘unerträglich’ und ungerecht ‘erfahren’ wird (vgl. Laclau und Mouffe 2001). Der Unterschied zwischen diesen beiden Ebenen ist radikal. Ein Aufstand ist niemals in die Realität selbst eingeschrieben, er wird niemals durch die ‘unerträgliche’ Natur des ‘tatsächlichen Leidens’ ausgelöst, ohne zuvor durch ein symbolisches Netzwerk vermittelt zu sein. Nehmen wir zum Beispiel den Feminismus. Erst in Bezug auf den bürgerlich-demokratisch-egalitären Diskurs der ‘natürlichen Rechte des Individuums’ wurde es möglich, dass Frauen ihre Lage als ‘ungerecht’ erfahren und ihre Forderungen artikulieren konnten.
Lacans These, dass ‘Geschichte nicht existiert’, sollte als Bezug auf den kontingenten Modus verstanden werden, in dem Realität symbolisiert wird. Geschichte ist kein homogenes, durch eine Kontinuität-der-Bedeutung zusammengebundenes Geschehen, das es uns erlauben würde, seine vielen Sackgassen und verworfenen Ereignisse zu totalisieren. Sie ist ein ‘offener’ Prozess, eine kontingente Abfolge von ‘Stepppunkten’, die rückwirkend Ordnung unter dem Vorzeichen ‘rationaler’ Notwendigkeit einführen. Ich möchte besonders auf das grundlegende Paradox des ‘Stepppunkts’ aufmerksam machen. Der ‘Stepppunkt’ ist eine fundamental kontingente Operation, durch die das ideologisch-symbolische Feld rückwirkend seine ‘Vernunft’, seine Notwendigkeit erhält, oder, in hegelschen Begriffen ausgedrückt, durch die es seine eigenen Voraussetzungen setzt.

Das Eine und das Unmögliche
Um den ideologischen Stepppunkt präzise zu definieren, ist es nützlich, auf Ernesto Laclaus Analyse der faschistischen Ideologie zurückzugreifen (vgl. Laclau 1977). Das faschistische ideologische Gebäude ist aus heterogenen Elementen zusammengeschustert, deren ‘Bedeutungen’ keineswegs vorbestimmt sind (seine Wurzeln in Blut-und-Boden, populistischem Nationalismus, Korporatismus, einer elitären Ethik aristokratisch-militärischen Ursprungs, etc.). Jedes dieser Elemente hätte von anderen ideologischen Projekten genutzt werden können (populistischer Nationalismus hätte zum Beispiel von der Linken genutzt werden können). Wie wird ein derartiges Flickwerk zu einem geschlossenen und einheitlichen Gebäude? Es ist nötig, dass ein Ausnahme-Element (ein Herrensignifikant) interveniert und als ‘Stepppunkt’ dient, das Feld somit totalisiert und seine Bedeutung stabilisiert. Im Fall der Nazis wurde diese Rolle von der ‘jüdischen Verschwörung’ gespielt, die den Sackgassen des Alltags ihre wahre Bedeutung gab, so wie in der christlichen Ideologie die ‘Furcht Gottes’ allen Mühen des irdischen Lebens Sinn gab. Der ‘Stepppunkt’ ist ein Eins, ein einzelnes Element, das die anderen totalisiert, das sie teilt und sie eine bestimmte Art von ‘Transsubstantiation’ durchlaufen lässt, durch die sie als Ausdruck eines zugrunde liegenden Prinzips zu funktionieren beginnen (alles irdische Leiden ist ein ‘Ausdruck’ göttlichen Zorns, etc.).
Das Eine liegt an der Schnittstelle zwischen der Innerlichkeit ideologischer Bedeutung und der Äußerlichkeit des Automatismus, des sinnlosen Rituals. Von innen her, aus dem Feld ideologischer Bedeutungsbildung, dient das Eine als dessen konstitutive Äußerlichkeit. Das ist das grundlegende Paradox des ‘Stepppunkts’. Das Element der Kette, das seine Bedeutung totalisiert und stabilisiert, das sein metonymisches Gleiten anhält, ist nicht der Punkt ‘überreicher’ Bedeutung, kein Garant, der vom differentiellen Zusammenspiel der Elemente ausgenommen wäre und als stabiler und fixer Referenzpunkt diente. Vielmehr ist es das Element, das von innen her, aus der Struktur der Äußerungen, die Rolle des Prozesses des Sprechens selbst spielt. Es ist das Element, das von innen her, aus dem Feld des Signifikats, die Rolle des signifikanten Automatismus spielt. Es ist ‘reine Differenz’, das Element, dessen Rolle rein strukturell ist, dessen Natur rein ‘performativ’ ist, das heißt, dessen Bedeutung mit dem Akt seiner eigenen Äußerung zusammenfällt – es ist der ‘Signifikant ohne Signifikat’. Deshalb besteht der entscheidende Schritt in der Analyse eines ideologischen Gebäudes darin, hinter den blendenden und faszinierenden Glanz des Elements zu blicken, das das Feld totalisiert, und seinen selbstreferenziellen, tautologischen, performativen Gehalt zu finden. Am Ende ist ein ‘Jude’ nur eine Person, der wir das Etikett ‘Jude’ angeheftet haben: Der ganze phantasmatische Reichtum seiner angeblich charakteristischen Züge (gierig, konspirativ, etc.) verdeckt die Tatsache, dass er eine rein strukturelle Funktion erfüllt, nicht dass ‘in Wahrheit Juden anders sind’. Die ‘Furcht Gottes’ ist das Produkt einer Umkehrung, die rein auf der Ebene der Bedeutungsbildung stattfindet; die gesamte Bildlichkeit göttlichen Zorns wird nur durch eine einfache strukturelle Verschiebung getragen.
Die spezifisch ‘ideologische’ Dimension ergibt sich aus einer bestimmten Art von ‘Fehler der Perspektive’. Dieses Element, das von innen her, aus dem Feld der Bedeutungsbildung, die Rolle des referenzlosen Signifikanten spielt, wird in der ideologischen Erfahrung als der Punkt signifikanten Sättigung wahrgenommen, der das Feld der Bedeutungsbildung schließt. Der Moment, der in der Struktur einer Äußerung nur kraft des Prozesses ihres Äußerns wahr ist, wird durch die Linse der ideologischen Erfahrung als transzendenter Garant des Sinns wahrgenommen. Der Signifikant, der als Mangel dient, der in der Tat nichts anderes ist als die Positivierung des Mangels, wird als Punkt letzter Fülle wahrgenommen – kurz: reine Differenz erscheint als volle Identität, die vom Spiel der Differenzierung ausgenommen ist und Garant ihrer eigenen Homogenität. Wir können diesen Perspektivfehler ‘ideologische Anamorphose’ nennen. Lacan bezog sich mehrfach auf Holbeins Gesandte, weil sich, aus einem bestimmten Winkel betrachtet, eine Form im Vordergrund des Gemäldes als Totenschädel erweist (vgl. Lacan 1998a: 85–9). Eine ‘Ideologiekritik’ sollte eine ähnliche Operation ausführen. Wenn wir den Garanten des Sinns, das ‘phalische’, erigierte, sich erstreckende Element, von einem anderen Standpunkt aus betrachten, erweist es sich als die Marke des Mangels, als der leere Raum der Bedeutungsbildung.
Nun lässt sich das Verhältnis zwischen dem Stepppunkt als ‘reinem’ Signifikanten und dem Realen als dem traumatischen, nicht symbolisierbaren Kern bestimmen. Jedes sozio-ideologische Feld strukturiert sich um einen unmöglich-Realen ‘harten Kern’, um einen ‘Antagonismus’, eine unregierbare Spaltung, die sich durch die gesamte Struktur der Gesellschaft zieht, deren eine Variante der ‘Klassenkampf’ ist. Der ‘Klassenkampf’ ist daher keineswegs das ‘letzte Signifikat’, die ultimative Referenz, die die Richtigkeit unserer Interpretation des sozialen Feldes garantieren würde (in dem Sinne, dass ‘die letzte Bedeutung aller sozialen Phänomene aus ihrer Rolle im Klassenkampf kommt’), sondern im Gegenteil das Unmögliche, das jede ideologische Totalisierung der Gesellschaft zum Scheitern verurteilt und bedeutet, dass jede notwendig ein Symptom produzieren wird. Es ist das Unmögliche, das dafür sorgt, dass wir die Prozesse der Gesellschaft nicht auf ein einheitliches Feld der Bedeutungsbildung reduzieren können. Klassendifferenz wäre daher ein wenig wie sexuelle Differenz bei Lacan, ein ‘unmögliches, nicht totalisierbares Verhältnis’. Es ist bemerkenswert, dass in beiden Fällen – ‘Klassenreduktionismus’ und ‘Pansexualismus’ – der Ideologisierungsprozess dieselbe Form annimmt, in der der nicht symbolisierbare ‘harte Kern’ zum letzten Signifikat gemacht wird, zum Referenzpunkt, der die Bedeutung aller betreffenden Phänomene garantiert.
Die ‘Schläue’ des Stepppunkts besteht darin, dass er das, was am besten als ein ‘Taschenspielertrick’ mit dem Real-Kern beschrieben werden kann, vollzieht. Wir tun so, als beherrschten wir die Sackgasse des Realen durch das Element, das in Wahrheit nichts anderes tut, als diese Sackgasse als solche zu inkarnieren, zu positivieren. Wenn wir ‘jüdische Verschwörung’ statt ‘Klassenkampf’ sagen, scheint es, als sei die Sache beherrscht; die durch das soziale Gebäude laufende Spaltung scheint nun symbolisiert, beherrscht, in einem existierenden Element lokalisiert. Im Nazi-Diskurs spielt der ‘Jude’ die Rolle des Fetischs in einem strikt freudianischen Sinn. Er ist das Element, das den ‘Klassenkampf’ zugleich verkörpert und verleugnet (so wie, in der analytischen Theorie, der Fetisch die Kastration der Mutter zugleich bejaht und verleugnet). Das Element, das das ideologische Feld totalisiert, tut nichts anderes, als den Real-Kern des Feldes, seine eigene Unmöglichkeit, zu positivieren.

Die Figur des ‘Juden’, der ‘jüdischen Verschwörung’, ist daher die Weise, in der der Nationalsozialismus seine eigene Unmöglichkeit vergegenwärtigt. Der ‘Jude’ ist in seiner positiven Gestalt nichts anderes als die Vergegenwärtigung der grundlegenden Unmöglichkeit des totalitären Projekts. Deshalb genügt es nicht, zu erkennen, dass das totalitäre Projekt mit seinem Ziel, eine völlig transparente und homogene Gesellschaft wiederherzustellen und so weiter, unmöglich ist. Das Problem ist, dass der Totalitarismus dies in einem bestimmten Sinne weiß, er hat es bereits erkannt, und er schließt dieses Wissen in seinem System in der Gestalt des ‘Juden’ ein. Auf diese Weise zielt das faschistische Projekt darauf, eine nicht-antagonistische Gesellschaft zu errichten, in der die Beziehungen zwischen ihren verschiedenen Gruppen komplementär wären, zusammenwirkend wie die verschiedenen Glieder eines einzigen Organismus (die Kapitalisten und die Arbeiter als ‘Kopf’ und ‘Hände’ des ‘gesellschaftlichen Körpers’, etc.), das heißt, dass der Faschismus auf der Zurückweisung des ‘antagonistischen’ Charakters der Gesellschaft (des ‘Klassenkampfs’) beruht. Und die Figur des Juden, der Fetisch, verkörpert diese Verleugnung des gesellschaftlichen Antagonismus (der Jude ist die Kraft hinter der Zersetzung der Gesellschaft, er kann der skrupellose Kapitalist oder der kommunistische Demagoge sein, der den ‘Klassenkampf’ von außen in die Gesellschaft einführt). Die faschistische ideologische Perspektive ist daher als ein Kampf gegen das Element strukturiert, das die Rolle der Unmöglichkeit des faschistischen Projekts spielt. Der ‘Jude’ ist nur die fetischistische Verkörperung einer grundlegenden Blockierung. Daher muss eine ‘Ideologiekritik’ von Anfang an die Kausalität umkehren, so wie sie vom totalitären Blick wahrgenommen wird; der Jude ist, weit davon entfernt, die tatsächliche ‘Ursache’ des gesellschaftlichen Antagonismus zu sein, in seiner positiven Gestalt nichts als die Vergegenwärtigung dieses ‘Antagonismus’, der Blockierung, der ‘Unmöglichkeit’, die die Gesellschaft daran hindert, zu einer vollen und geschlossenen Totalität zu werden.

Lacan versus ‘Poststrukturalismus’
Es mag zunächst so scheinen, als ließe sich die lakansche Logik des ‘Stepppunkts’ leicht in eine ‘poststrukturalistische’ Problemstellung eines offenen, zerstreuten, pluralen Prozesses (Schrift, Text, Differenz, der Fluss des Begehrens, etc.) übertragen, der dann durch einen ‘Knotenpunkt’ ‘totalisiert’ wird. Die ‘pas-tout’, ‘weibliche’ Seite wäre ein Fluss unverbundener Elemente, ‘floating signifiers’, ein Zusammenspiel von Verschiebungen und Verdichtungen, etc. (der ‘Primärprozess’). Die Intervention eines Ausnahme-Elements, eines Einen, totalisiert dann diesen frei flottierenden Fluss und verwandelt ihn in eine feste Struktur. Der ‘Poststrukturalismus’ betont, dass die Totalisierung des offenen, pluralen Prozesses durch das Eine, seine ‘Vernähung’, stets zum Scheitern verurteilt ist, dass sie stets umgestoßen, beiseitegeschoben werden wird, und eine ‘symptomale Lektüre’ macht sich daran, die Punkte zu detektieren, an denen die Risse in dieser Totalisierung erscheinen. Das endet in einer Art ‘schlechter Unendlichkeit’, in einem endlosen Tauziehen zwischen dem Stepppunkt und seiner Subversion. Jeder Text ist irgendwo zwischen beiden, weder vollständig gesteppt, vernäht, noch völlig zerstreut (was der Psychose entspräche), sondern vielmehr in ein Hin und Her verfangen, in dem auf einen Stepppunkt stets seine Subversion folgt.
Laclau und Mouffe (2001) hatten ein genau solches Modell der Funktionsweise des ideologischen Feldes. Für sie besteht das Feld aus unverbundenen Elementen, ‘floating signifiers’, deren Identität selbst ‘offen’ ist, überdeterminiert durch ihre Verstrickung mit den anderen Elementen, deren ‘wörtliche’ Bedeutung auf ihrem metaphorischen Bedeutungsüberschuss beruht. Nehmen wir zum Beispiel den Umweltschutz. Die ideologischen Positionen, mit denen er sich verbinden wird, sind nicht vorbestimmt. Es ist leicht, sich Strömungen des Umweltschutzes vorzustellen, die etatistisch wären (nur staatliche Intervention kann die Katastrophe abwenden!), sozialistisch (der Kapitalismus ist die Wurzel der Umweltprobleme!), konservativ (was wir brauchen, ist eine Rückkehr zum Boden!), und so weiter. Feminismus kann sozialistisch oder apolitisch sein; sogar Rassismus kann elitär oder populistisch sein, etc. etc. Der ideologische ‘Stepppunkt’ ist genau die Totalisierung, die die frei flottierenden ideologischen Elemente festpinnt und sie in ein strukturiertes Netz der Bedeutungsbildung einbindet. Der Sozialismus zum Beispiel, oder der ‘Klassenkampf’, geben den anderen Elementen eine spezifische und stabile Bedeutung: der Demokratie (die angeblich ‘wahre Demokratie’ im Gegensatz zur bürgerlichen ‘formalen’ Demokratie), dem Feminismus (die Ausbeutung der Frauen als Ergebnis der Klassenunterschiede zu sehen), dem Umweltschutz (die Ausbeutung der Natur durch die Herrschaft des Kapitals), der Friedensbewegung (die größte Gefahr ist der imperialistische Abenteurertum), und so weiter. Natürlich betonen Laclau und Mouffe, dass ein ‘Stepppunkt’ stets temporär, instabil ist, dass die radikale Kontingenz des historischen Prozesses das dominante Netz in jedem Moment auflösen kann.
Wie also können wir aus dieser ‘schlechten Unendlichkeit’ herauskommen? Wie geht der lakansche Ansatz mit diesem Feld um, in dem jeder Versuch, zu ‘vernähen’, stets dabei ist, durch die Kontingenz des Textprozesses subvertiert und aufgespalten zu werden? Was Lacan hervorhebt, ist, dass die Frage nicht lautet, wie Totalisierung zu subvertieren ist, sondern vielmehr: wie es überhaupt die Möglichkeit eines ‘Stepppunkts’ in einem diffusen Text gibt. Nebenbei sollte ich erwähnen, dass dies eine eigentlich hegelsche Verschiebung des Fokus ist. Für Hegel ist das wahre Problem nicht, die Spaltung zu überwinden, sondern die Frage: ‘Woher kam die Spaltung?’ Nicht Entfremdung zu überwinden, sondern vielmehr zu fragen: ‘Woher kam die Entfremdung?’ Wenn Totalisierung und der ‘Stepppunkt’ scheitern, dann weil sie ihre eigene Existenz nur durch ein Element herbeiführen können, das diese Unmöglichkeit selbst verkörpert. Der Stepppunkt verkörpert, weit davon entfernt, die Totalität unmittelbar herzustellen, ihre eigene Unmöglichkeit, die Totalität als eine Unmöglichkeit.
Es ist daher überflüssig, nach symptomalen Punkten zu suchen, nach Rissen, die die Totalität zum Einsturz bringen könnten. Es ist überflüssig zu sagen, der Stepppunkt versuche, das diffuse und diverse Feld zu totalisieren, werde aber stets scheitern – als ob der Stepppunkt selbst nicht die Verkörperung, die Positivierung dieses grundlegenden Scheiterns, dieser Unmöglichkeit als solcher wäre. Hier haben wir es mit einer negativen Version von ‘Wahrheit ist Evidenz ihrer selbst’ zu tun; der Stepppunkt ist die Evidenz seiner eigenen Unmöglichkeit. Anders gesagt: Eine Totalität funktioniert so, dass ein Element, das Ausnahme-Eine, die Unmöglichkeit der Totalität trägt. Das ist das Paradox des Phallus, der selbst in seiner positiven Gestalt der Signifikant der Kastration ist, das heißt, der Signifikant seines eigenen Mangels. Hier unterscheidet sich Lacan von Jung, dem das berühmte Zitat zugeschrieben wird – und das mag eine falsche Zuschreibung sein, aber se non e vero, e ben trovato – ‘Was ist der Penis, wenn nicht das phallische Symbol?’ Das ist der Unterschied zwischen dem Phallus und dem prä-phalischen Objekt: die Brust und das Exkrement sind verlorene Objekte, während der Phallus als Signifikant nicht einfach verloren ist, sondern ein Objekt ist, das durch seine bloße Präsenz diesen Verlust verkörpert. Der phallische Signifikant ist natürlich der ‘transzendentale Signifikant’, aber nur, wenn wir die grundlegende Ambiguität des Begriffs des Transzendentalen im Auge behalten. Das einzigartige Merkmal dieses Begriffs ist, dass er die radikale Begrenzung der ‘menschlichen Bedingung’ in eine positive, konstitutive Macht verwandelt, mit anderen Worten, dass er die Endlichkeit, den Abschluss der ‘menschlichen Bedingung’ in ihr eigenes positives Fundament verwandelt.1
1 Dies erlaubt es uns auch, die Frage des Subjekts auf eine Weise zu untersuchen, die radikal anders ist als der ‘Poststrukturalismus’. Der entscheidende Schritt des ‘Poststrukturalismus’ ist die Umkehrung des Motivs des ‘Subjekts der Produktion’ in die ‘Produktion des Subjekts’. Das ‘Subjekt der Produktion’ (jenes autonome, aktive, produktive Zentrum, das sich objektiviert und seine eigene Welt produziert) ist selbst produziert, ein einzigartiger Effekt des trans-subjektiven Textprozesses. Der ‘Subjektivierungseffekt’ besteht in den verschiedenen ‘Positionen des Subjekts’, den diversen Modi der ‘gelebten Erfahrung’, der Blindheit, durch die Individuen ihre Position im Textprozess erfahren, den diversen Modi, durch die die Individuen sich als ‘Akteure’ im historischen Prozess sehen. Als solches wird das Subjekt auf das ‘Subjekt des Signifikats’ mit einer festen Identität reduziert. Der ‘Poststrukturalismus’ betont den prekären und fragilen Charakter dieser Identität: die Grenzen der Identität eines Individuums können in jedem Moment durchbrochen oder subvertiert werden, das Subjekt kann niemals zu einer wirklich stabilen Identität gelangen.
Eine lakansche Theorie würde dieselbe Umkehrung vollziehen wie bei der Totalisierung. Die signifikante Struktur subjektiviert sich durch die Einbeziehung eines paradoxalen Elements, das die Rolle ihrer Unmöglichkeit, ihres leeren Raums, spielt. Anders gesagt, durch den Signifikanten, der das Subjekt für die anderen Signifikanten repräsentiert. Dieses Subjekt ist genau das leere, unmögliche ‘Signifikat’ des quasi-transzendentalen Signifikanten ‘Eins’. Das Subjekt entsteht vor dem Hintergrund seiner eigenen Unmöglichkeit; bevor es zur Identität-an-sich des produktiven Zentrums wird, zum Akteur seiner eigenen Geschichte, ist es stricto sensu nicht-historischer leerer Raum, es ist, sozusagen, Nicht-Position, reine Nicht-Identität. Anders gesagt: die Grenze des Subjekts des Signifikats, seiner Identität, ist nicht seine Auflösung durch den diffusen trans-subjektiven Prozess, sondern vielmehr das Subjekt selbst als Subjekt des Signifikanten. Wenn wir das ‘Subjekt des Signifikats’ entfernen, alle Inhalte, die ihm seine Identität gegeben hatten, das ganze ‘Flickwerk’ seiner Identifikation, dann ist in diesem Moment, in dem ‘nichts stattfindet außer dem Ort’, die reine und leere Form, die übrig bleibt, genau das ‘Subjekt des Signifikanten’.

‘Es gibt keine Metasprache’
Dieselbe Aporie wiederholt sich in Bezug auf die Metasprache. Aus der ‘poststrukturalistischen’ Perspektive ist zu sagen ‘Es gibt keine Metasprache’ gleichbedeutend damit zu sagen, dass der Text und sein Kommentar, der angeblich seine Wahrheit ist, zusammenfallen. Literaturtheorie wird dasselbe wie ihr ‘Gegenstand’, sie wird Teil des literarischen Körpers, so dass wir am Ende einen endlosen Text erhalten, der den ständig unvollendeten Versuch seiner eigenen Interpretation präsentiert. Der ‘poststrukturalistische’ Ansatz besteht im Kern darin, einen theoretischen Text zu lesen, als wäre er Literatur, seinen Wahrheitsanspruch ‘in Klammern’ zu setzen, und genauer gesagt die textuellen Mechanismen bloßzulegen, die seinen ‘Wahrheitseffekt’ produzieren. Wir haben eine verallgemeinerte Ästhetisierung, die ‘Wahrheit’ als einen stilistischen ‘Effekt’ der diskursiven Struktur sieht (das ist die nietzscheanische Tendenz im ‘Poststrukturalismus’, und das Interessante an Lacan ist sein fast völliges Fehlen jeglicher Bezugnahme auf Nietzsche). In Wahrheit war es Lévi-Strauss, der bereits – trotz seiner Kritiken an der poststrukturalistischen ‘Mode’ – die Tore für ‘dekonstruktivistische’ Poetisierung geöffnet hat, indem er die Theorien der Interpretationen von Mythen als neue Versionen der Mythen selbst las.
In dieser Sicht hat die Metonymie eine logische Primatstellung gegenüber der Metapher. Der metaphorische Schnitt ist nur ein zum Scheitern verurteilter Versuch, die metonymische Zerstreuung des Textflusses zu stabilisieren, zu kanalisieren, zu beherrschen. Aus dieser Perspektive zeigt Lacans Beharren auf dem Primat der Metapher über die Metonymie, sein Argument, dass metonymisches Gleiten sich stets auf einen metaphorischen Schnitt stützen müsse, nur, dass seine Theorie von einer ‘Metaphysik der Präsenz’ beeinflusst bleibt. Ist nicht die lakansche Theorie des Stepppunkts, des phallischen Signifikanten als Signifikant des Mangels, ein Versuch, die ‘Dissemination’ des Textprozesses zu beherrschen, den Mangel in einem Signifikanten zu lokalisieren, selbst wenn es der Signifikant des Mangels selbst ist? Derrida (1987) kritisierte Lacan mehrfach für die paradoxe Geste, den Mangel durch sein eigenes Affirmieren zu reduzieren oder zu annullieren. Weil er als ‘symbolische Kastration’ bestimmt ist, weil der Phallus ihr Signifikant ist, wird der Mangel in einem einzigartigen äußeren Punkt positioniert, der die Konsistenz aller anderen Elemente garantiert.
Auch wenn dies vielleicht nur auf der Ebene einer ‘naiven’ Lektüre ist, scheint es schwierig, das Gefühl zu vermeiden, dass es in der poststrukturalistischen Position etwas gibt, ‘das nicht zusammenhält’, oder vielleicht etwas, das ein wenig zu gut zusammenhält. Eine Sicht, die ständig wiederholt: ‘Es gibt keinen Text, der vollständig metaphysisch ist, noch gibt es irgendeinen Text, der vollständig nicht-metaphysisch ist.’ Diese Sicht behauptet einerseits, dass es unmöglich ist, sich durch den bloßen Akt der Distanznahme aus der metaphysischen Tradition zu befreien, dass man nicht außerhalb der Metaphysik treten könne, weil die Sprache selbst, die wir verwenden müssen, mit Metaphysik gesättigt ist. Aber sie hält zugleich daran fest, dass jeder Text, so metaphysisch er auch sein mag, stets Lücken produzieren wird, in denen die Brüche im metaphysischen Kreis hervortreten, Punkte, an denen der Textprozess das subvertiert, was der Autor ‘sagen wollte’. Ist eine solche Position nicht ein wenig zu selbstsicher, oder, direkter gesagt: impliziert sie nicht tatsächlich die Position einer Metasprache, eine, in der der ‘Dekonstruktivist’ sich stets vergewissern kann, dass ‘es keine Metasprache gibt’, dass keine Äußerung das bedeutet, was sie bedeuten sollte, dass der Prozess des Sprechens stets das Gesagte subvertiert?
Wenn man die leidenschaftliche Weise beobachtet, in der der ‘Poststrukturalist’ darauf insistiert, dass jeder Text, einschließlich seines eigenen, fundamental ambivalent bleibt und vom Textprozess, den er durchläuft, überwältigt wird, kann man nicht umhin, den Anflug hartnäckiger Verleugnung zu bemerken, die kaum verhüllte Anerkennung, dass man aus einer sicheren, unangreifbaren Position spricht. Deshalb ist der ‘Poetizismus’ des Poststrukturalismus im Kern erzwungen. Die ganze Anstrengung, ‘poetisch’ zu schreiben, zu zeigen, wie der eigene Text in einen Prozess verstrickt ist, der ihn überwältigt, die rein theoretische Form zu vermeiden, indem man auf Vorgehensweisen zurückgreift, die normalerweise der Literatur vorbehalten sind: all dies dient nur dazu, einen festen theoretischen Standpunkt zu maskieren, der sich ohne Rest in einer reinen und einfachen ‘Metasprache’ ausdrücken ließe. Deshalb fühlen sich so viele ‘dekonstruktivistische’ Texte – besonders jene aus den USA – wie eine ‘schlechte Unendlichkeit’ im hegelschen Sinne an, eine pseudo-poetische unendliche Variation über ein theoretisches Motiv, eine Variation, die nichts Neues hervorbringt. Das Problem des ‘Dekonstruktivismus’ ist nicht, dass er auf strenge theoretische Formulierung verzichtet und sich einer poetischen Ästhetisierung hingibt; vielmehr ist sein Problem, dass er zu ‘theoretisch’ ist (in dem Sinne, dass er eine Position einnimmt, die uns nicht engagiert, die unsere subjektive Position nicht berührt).
Wie also können wir diese Sackgasse vermeiden? Hier kommen wir zur radikalen Differenz zwischen Lacan und dem ‘Poststrukturalismus’. In Seminar XI beginnt er einen seiner Sätze: ‘Das ist genau das, was ich meine, und sage – denn was ich meine, sage ich . . .’ (1998a: 218). Aus ‘poststrukturalistischer’ Sicht zeigen Formulierungen wie diese an, dass er in die Position des Meisters zurückgerutscht ist. ‘Sagen, was ich zu sagen meine’ setzt eine perfekte Koinzidenz zwischen dem voraus, was ich zu sagen beabsichtigte, und dem, was ich tatsächlich sagte, und ist das nicht die eigentliche Definition des Meisters? Zeigt das nicht, dass Lacan die Position des Meisters für sich behalten wollte, dass er so tat, als wäre sein eigener Text von der Kluft zwischen Sagen und Sagenwollen ausgenommen, als könne er die Effekte seines Textes kontrollieren? Aus lakanscher Perspektive sind es jedoch gerade diese Art von ‘unmöglichen’ Äußerungen – Äußerungen, deren Logik dieselbe ist wie die des Paradoxons ‘Ich lüge’ –, die, weil sie ‘die Unmöglichkeit selbst’ sind, die grundlegende Kluft des signifikanten Prozesses offen halten und verhindern, dass wir in die metasprachliche Position zurückfallen. Hier ist Lacan brechtianisch. In Brechts ‘Lehrstücken’ aus den frühen 1950er Jahren äußern Figuren ‘unmögliche’ Kommentare zu ihren eigenen Handlungen. Ein Schauspieler kommt auf die Bühne und sagt: ‘Ich bin ein Kapitalist, dessen Ziel es ist, meine Arbeiter auszubeuten. Jetzt werde ich auf einen meiner Arbeiter zugehen und versuchen, ihn von der Richtigkeit der bürgerlichen Ideologie zu überzeugen, die die Ausbeutung legitimiert’, dann geht er zu einem Arbeiter hin und beginnt, mit ihm zu sprechen. Ein solcher Ansatz, in dem der Schauspieler seine eigenen Akte aus der Position einer reinen Metasprache kommentiert, hilft uns auf greifbare Weise, die grundlegende Unmöglichkeit einer solchen Position zu verstehen. Ist er nicht gerade in seiner Absurdität unendlich viel subversiver als der erzwungene Poetizismus, der jede ‘einfache’, ‘direkte’ Aussage verbietet, der uns stets sagt, noch einen Kommentar hinzuzufügen, noch mehr Distanz zu nehmen, noch weiter zurückzuweichen, noch mehr Dinge in Klammern zu setzen, zwischen Anführungszeichen, all diese Zeichen, dass ‘wir das, was wir lesen, nicht direkt, wörtlich, als mit sich selbst identisch nehmen sollten . . .’?
Dasselbe gilt für Hegel. Die Standardkritik wirft ihm vor, mit dem absoluten Wissen den Prozess zu ‘schließen’. Da das Momentum des dialektischen Prozesses die Unstimmigkeit zwischen Sagenwollen und tatsächlich Sagen ist – die Tatsache, dass wir in Bezug auf das, was wir sagen wollten, stets etwas anderes sagen –, ist dann nicht der letzte Moment dieses Prozesses, das absolute Wissen, durch die perfekte Konjunktion von Sagenwollen und Sagen definiert, endlich verwirklicht? In dieser ‘Dämmerung des Lebens’ wäre das Subjekt schließlich in der Lage, zu sagen, was es zu sagen meinte, und würde nur zu sagen meinen, was es tatsächlich sagte. Wir müssen daher den ‘geschlossenen Kreis’ der dialektischen Bewegung aufbrechen und argumentieren, dass es eine irreduzible Dezentrierung des Sagens im Verhältnis zum Sagenwollen gibt. Das radikale Hervortreten eines Differenzierungsprozesses kann in der Selbstvermittlung absoluter Selbstidentität nicht unterdrückt werden. Das Subjekt ist vom Anderen durchquert, dessen konstitutives Merkmal die Entfremdung ist. Wir haben gesehen, wie diese Idee, den Prozess zu ‘öffnen’, dieses Beharren auf der irreduziblen Kluft, eine metasprachliche Position impliziert.
Aber wenn es keine Metasprache gibt, wie können wir sagen, dass die Kluft zwischen Sagen und Sagenwollen unheilbar ist, dass das Subjekt stets zurückbleibt und vom dezentrierten Anderen durchquert wird? Die einzige Weise, die ‘Offenheit’ dieses Prozesses, die irreduzible Kluft, die die metasprachliche Position unmöglich macht, zu bejahen, besteht darin, diese Kluft in einem ‘unmöglichen’ Element zu verkörpern. Wenn eine Metasprache unmöglich ist, dann ist die einzige Weise, ein Zurückgleiten in Metasprache zu vermeiden, indem man bejaht, dass sie nicht existiert oder dass sie sich in jeder Äußerung verdünnt, die Äußerung einer reinen Metasprache zu produzieren, die durch ihre eigene Absurdität ihre eigene Unmöglichkeit demonstriert und materialisiert, das heißt, ein paradoxales Element, das in seiner Identität selbst die Kluft, absolute Differenz, verkörpert. Für Derrida kanalisiert die Lokalisierung des Mangels in seinem Zeichen ihn, zähmt ihn, begrenzt seine Dissemination in den Textprozess, etc., während für Lacan nur die Präsenz dieses ‘mindestens einen Dings’ die radikale Distanz der Kluft offen halten kann.

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