Der erhabenste Hysteriker 6

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Scheitern bei Austen
Jane Austen ist Hegels einzig wahres literarisches Gegenstück. Stolz und Vorurteil ist die literarische Phänomenologie des Geistes, Mansfield Park ist die Logik, und Emma die Enzyklopädie. In Stolz und Vorurteil empfinden Elizabeth und Darcy eine gegenseitige Sympathie, obwohl sie unterschiedlichen sozialen Klassen angehören: er stammt aus einer reichen und adeligen Familie, sie aus dem heruntergekommen-vornehmen mittleren Bürgertum. Ein äußerst stolzer Mann, empfindet Darcy die Liebe, die er erlebt, als unwürdig. Als er Elizabeth bittet, ihn zu heiraten, bekennt er offen seine Verachtung für die Welt, der sie angehört, und erwartet, dass sie seinen Antrag als eine undenkbare Ehre annimmt. Da sie sich mit solchem Vorurteil betrachtet sieht – und selbst Opfer ihres eigenen Vorurteils ist –, erlebt Elizabeth Darcys Angebot als Demütigung und weist ihn zurück. Dieses doppelte Scheitern, dieser zweifache Fehler, hat die Struktur einer doppelten kommunikativen Bewegung, in der jede Person von der anderen ihre eigene Botschaft in invertierter Form empfängt. Elizabeth will sich Darcy als gebildete junge Frau präsentieren, voller Geist, aber die Botschaft, die sie von ihm erhält, lautet: ‘du bist nur eine eitle und triviale Person’. Darcy wünscht sich, sich ihr als stolzer Gentleman zu präsentieren, erhält aber die Botschaft von ihr zurück: ‘dein Stolz ist nichts weiter als verächtliche Überheblichkeit’. Nachdem sie den Kontakt abbrechen, führt eine Reihe von Zufällen dazu, dass jede:r etwas über das wahre Wesen der anderen Person erfährt. Sie erfährt von Darcys zarter und sensibler Seite, er erfährt von Elizabeths gebildetem und verfeinertem Geist, und die Geschichte endet, wie sie enden muss, in der Ehe.

Die ‘List der Vernunft’ oder die wahre
Natur der hegelianischen Teleologie

84 Hegel mit Lacan

Wo ist hier die hegelianische Stratagem, die ‘List der Vernunft’? Sie liegt im Scheitern ihrer ersten Begegnung, im doppelten Missverständnis hinsichtlich des Charakters der jeweils anderen Person, das eine notwendige Bedingung für die abschließende Auflösung ist. Wir können die Wahrheit nicht direkt erreichen; wir können nicht sagen: ‘wenn sie von Anfang an sein wahres Wesen gekannt hätte und er das ihre, hätte die Geschichte sofort in der Ehe enden können.’ Nehmen wir der Argumentation halber an, die erste Begegnung der Liebenden wäre ein Erfolg gewesen und Elizabeth hätte Darcys anfängliches Angebot angenommen. Was würde in diesem Fall geschehen? Statt zweier Menschen, vereint durch wahre Liebe, wären sie ein banales Ehepaar – ein hochmütiger reicher Spross und ein eitles junges Mädchen. In dem Versuch, ihnen ihren Weg durch den Irrtum zu ersparen, würden wir die Wahrheit selbst verfehlen. Erst durch die ‘Übertragungsarbeit’ [Durcharbeitung]¹ des Irrtums konnte jede:r von ihnen die andere Person in einem wahren Licht sehen – für Darcy, um sich von seinem Stolz zu befreien, für Elizabeth, um ihre Vorurteile zu überwinden. Elizabeth sieht in Darcys Stolz das Spiegelbild ihrer Vorurteile und er sieht in Elizabeths Eitelkeit das Spiegelbild seines Stolzes. Mit anderen Worten: Darcys Stolz ist keine positive Gegebenheit, unabhängig von seiner Beziehung zu Elizabeth; er wird durch die Perspektive ihrer Vorurteile hervorgebracht und umgekehrt ist Elizabeth für Darcys stolze Augen nur eitel.
Wir fallen der teleologischen Illusion in dem Moment zum Opfer, in dem wir das Verhältnis zwischen wechselseitigem Missverständnis und finalem Triumph auf das eines Mittels zu einem Zweck reduzieren. Als ob das Endziel (der Triumph der wahren Liebe) den Prozess im Voraus leiten würde, als ob das doppelte Missverständnis schon im Vorhinein die Rolle eines Mittels zur Erzeugung der Liebe spielen würde. Ja, ‘Wahrheit entsteht aus Irrtum’, aber das impliziert keineswegs, dass dieser Irrtum, dieses Hineinfallen in die Illusion, auf eine machiavellistische List seitens der Wahrheit reduziert werden könnte, die diese Stratagem benutzt hätte, um ihre Zwecke und ihren endgültigen Sieg zu erreichen. Es ist ganz buchstäblich der Irrtum selbst, der schafft, der den (noch) leeren Raum der Wahrheit öffnet. Das ist zweifellos die ‘List der Vernunft’ am Werk, aber das eigentliche Problem besteht darin, eine präzise Charakterisierung dessen zu geben, was ‘List der Vernunft’ bedeutet.
Normalerweise wird die ‘List der Vernunft’ auf ein Verhältnis technischer Manipulation reduziert. Statt direkt auf das Objekt einzuwirken, verwenden wir ein anderes Objekt als Instrument. Wir geben dem anderen Objekt ‘freien Lauf’, und durch die Interaktion zwischen den Objekten selbst, ihre gegenseitige Reibung und Erosion, wird das Ziel verwirklicht, während wir die ganze Zeit einen sicheren Abstand zum Geschehen halten. Die Idee ist, dass

¹ Žižek verwendet das französische Wort perlaboration, das die Standardübersetzung des freudschen Begriffs Durcharbeitung ist. Lacan selbst bevorzugte travail de transfert, das Bruce Fink als ‘transference work’ übersetzt (Lacan 2006: 526).

Die wahre Natur der hegelianischen Teleologie 85

das Absolute dasselbe Verhältnis zu den Handlungen historischer Subjekte hat. Das Absolute ist wie Adam Smiths ‘unsichtbare Hand’ des Marktes; jedes Subjekt verfolgt seine eigenen persönlichen egoistischen Ziele, und durch diese Tätigkeit wird – ohne dass es den Handelnden selbst bewusst wäre – das gemeinsame Interesse erreicht. In der Geschichte handeln Subjekte mit dem Ziel, eine große Vielfalt von Zielen zu verwirklichen (utilitaristische, religiöse, moralische usw.), aber in Wahrheit sind sie, ohne es zu wissen, nichts weiter als Werkzeuge bei der Verwirklichung des göttlichen Plans.
Das Erste, was wir zur Kenntnis nehmen sollten, und das wird oft übersehen, ist, dass Hegels Erörterung der List der Vernunft im Allgemeinen eine Kritik an ihr ist. Genauer zeigt er, dass die Position des Subjekts der ‘List der Vernunft’ grundsätzlich unmöglich ist. Die ‘List der Vernunft’ ist immer doppelt, in sich selbst verdoppelt. Zum Beispiel nutzt der Arbeiter Naturkräfte aus, indem er ihnen erlaubt, Zwecke zu vollbringen, die diesen Kräften äußerlich sind (wie etwa den Zweck der Lust, die durch den Konsum des gewonnenen Produkts erzeugt wird). Für ihn ist das Ziel der Produktion die Befriedigung seiner Bedürfnisse. Das wahre Ziel des Prozesses gesellschaftlicher Produktion ist jedoch nicht die Befriedigung individueller Bedürfnisse, sondern die Transformation der Natur in Maschinen und Werkzeuge, das heißt die Entwicklung der Produktivkräfte als ‘Vergegenständlichungen des Geistes’. Hegels These ist daher, dass der Manipulator immer schon manipuliert wird. Ohne dass es ihm bewusst ist, verwirklicht der Arbeiter, der meint, er nutze die Natur mittels der ‘List der Vernunft’ aus, am Ende die Interessen des ‘objektiven Geistes’.
Aber wir mussten nicht auf Hegel warten, damit die Idee der ‘List der Vernunft’ auftaucht. Kant, enttäuscht und beunruhigt über den Ausgang der Französischen Revolution (der Terror usw.), suchte Zuflucht bei der Idee eines ‘geheimen Plans der Natur’, eines göttlichen Projekts, das die Entwicklung der Geschichte lenken würde. Um die Idee des rationalen Charakters des historischen Prozesses zu retten, den Glauben, dass dieser Prozess durch die ‘regulative Idee’ eines idealen Staates geleitet wird, dem wir uns schrittweise nähern, musste Kant – nach den ‘Exzessen’ der Französischen Revolution, die Affirmationen reiner Subjektivität waren – ein transsubjektives Absolutes setzen, das die Teleologie des historischen Prozesses garantieren würde. Diese Denkfigur enthält ein offensichtliches Paradox: Das Absolute benutzt moralische Subjekte; es bedient sich ihrer als unwissender Mittel zur Verwirklichung seiner verborgenen Zwecke. Subjekte können nur auf die Weisheit des Absoluten vertrauen und ihr Schicksal ertragen, im Wissen, dass sie dem höchsten Ziel geopfert werden, dass sie zur Errichtung eines Staates beitragen, in dem der Mensch nicht länger das Spielzeug transzendentaler Kräfte wäre, sondern wirklich frei.

86 Hegel mit Lacan

Wir finden dieselbe These in Fichtes (1889) Vorträgen über die Bestimmung des Gelehrten. Für Fichte regiert das Absolute die Geschichte in der Form der göttlichen Vernunft. Die Rolle des Gelehrten besteht darin, zumindest teilweise zu wissen, was das göttliche Projekt ist, und die Handlungen unaufgeklärter Individuen in Übereinstimmung mit diesem Projekt zu leiten. Fichtes Ideen enthalten hier den Keim der leninistisch-stalinistischen Parteikonzeption. Sie sahen die Partei als eine Gemeinschaft von Gelehrten (‘die kollektive Intelligenz’), die aufgrund ihres Verständnisses des göttlichen Projekts (der ‘notwendigen Entwicklung der Geschichte’) die Tätigkeit der Massen leiten könne. Es mag zunächst so erscheinen, als ob Hegel dasselbe tut, wenn er den Begriff der ‘List der Vernunft’ einführt.
Dies kann die List der Vernunft genannt werden – dass sie die Leidenschaften für sich arbeiten lässt, während das, was sein Dasein durch einen solchen Antrieb entfaltet, die Strafe zahlt und Verlust erleidet. . . . Individuen werden geopfert und aufgegeben. Die Idee zahlt die Strafe des bestimmten Daseins und der Verderblichkeit nicht aus sich selbst, sondern aus den Leidenschaften der Individuen. (2001: 33)
Es gibt dennoch einen grundlegenden Unterschied zwischen Hegels Sicht der ‘List der Vernunft’ und Fichtes Konzeption der Rolle des Gelehrten. Für Hegel wäre die Verwirklichung von Fichtes Idee in der Form der leninistisch-stalinistischen Partei undenkbar und a priori ausgeschlossen. Hegel würde die Idee zurückweisen, dass irgendeine Kraft, irgendein politisch-historischer Akteur, seine Tätigkeit durch die ‘List der Vernunft’ legitimieren könnte, dass irgendein politisch-historisches Subjekt fähig wäre, seine eigene Rolle im Rahmen eines ‘göttlichen Projekts’ zu verstehen, zu verstehen, in welcher Weise seine eigenen Aktivitäten die Werkzeuge der ‘List der Vernunft’ seien, und sich daher im Voraus als Inkarnation der historischen Vernunft setzen könnte. Mit anderen Worten: Eine solche Verbindung – eine subjektive Position, die behauptet, Kenntnis vom Absoluten zu haben, und die praktisch-historische Dimension – ist für Hegel unmöglich. Hegel wusste, dass eine solche Kombination, ein Akteur, der sich als Verkörperung der Vernunft in der Geschichte legitimiert, nur zu totalitärem Terror führen kann. Die ‘List der Vernunft’ tritt nur nachträglich auf; wir können sie nur rückwirkend erfassen, wenn das Subjekt erkennt, dass die wahren Resultate seiner Tat andere waren als sein Ziel. Es ist a priori unmöglich, mit dem Wissen um das wahre Ziel, die Bedeutung, der eigenen Tat zu handeln. Handeln ist immer grundlegend ein Scheitern, es beinhaltet immer irgendeinen grundlegenden Fehlgriff. Mit anderen Worten: Wir können nur blind handeln. Warum ist das so? Wenn wir hegelianisch bleiben und ‘die Substanz als Subjekt verstehen’ wollen, das heißt, wenn wir vermeiden wollen, in die traditionelle Metaphysik zurückzufallen (das Absolute als transzendentale Substanz, den Subjekten unzugänglich usw.), gibt es nur eine mögliche Antwort, die wir geben können. Das tatsächliche Ziel, die ‘wahre Bedeutung’ einer Tat, insofern sie sich von ihrem Ziel unterscheidet, wird erst nachträglich konstituiert, durch das Scheitern dieser Tat. Die Vorstellung, dass wahre Bedeutung im Voraus durch göttliche Vernunft gegeben sein könnte, ist nur die teleologische Illusion des ‘naiven Bewusstseins’. Hegelsche ‘Teleologie’ hingegen ist immer rückblickend. Es ist wahr, dass Individuen in der Geschichte die unwissenden Mittel der Verwirklichung der Vernunft sind, ihrer unendlichen Ziele. Doch wovon Individuen ‘Mittel’ sind, wird erst durch ihre Tätigkeit selbst konstituiert.

Das hegelianische Subjekt versus das fichteanische Subjekt
Wir sollten daher eine strikte Unterscheidung zwischen dem hegelianischen Subjekt und Fichtes Subjekt ziehen. Für Fichte gibt es eine wahre ‘Gewalt der Subjektivität’, die durch ihre synthetische Tätigkeit die Autonomie des Objekts aufheben will, die am Ende zu einem Imperativ zum Handeln reduziert worden ist. Das grundlegende Verhältnis des Subjekts zum Objekt ist eines der Produktion, des Subjekts, das das Objekt aktiv verändert.
Zwei voneinander abweichende Interpretationen des deutschen Idealismus, die so verschieden sind wie Heideggers und Marx’, überschneiden sich darin, dass sie die Grundlage der hegelianischen ‘Arbeit des Begriffs’ in den Begriff der Arbeit legen. Beide argumentieren, dass die hegelianische Dialektik im Kern eine Metaphysik der Arbeit ist, die Artikulation eines technisch-produktiven Verhältnisses zur Objektivität. Für den Marxismus gibt es eine ‘Mystifikation’, eine ‘idealistische Verabsolutierung’ der gesellschaftlichen Arbeit (vgl. z. B. Adorno 1993). Heideggers Position, wie sie in seinem Brief über den Humanismus (1993) bestimmt ist, lautet, dass der Begriff der Arbeit der Schlüssel zum Verständnis der Phänomenologie des Geistes ist. Aus dieser Perspektive wird die hegelianische ‘Versöhnung’ vulgari eloquentia zu ‘Fichte auf Steroiden’, als ob die hegelianische Dialektik dort erfolgreich sein könnte, wo Fichte scheiterte, als ob im hegelianischen ‘absoluten Idealismus’ das Subjekt schließlich in der Lage wäre, das Objekt zu ‘verschlingen’, zu internalisieren, den Rest abzuschaffen, jenen unvermittelbaren Überschuss, den Fichtes ‘subjektiver Idealismus’ nicht zu beseitigen vermochte.
Mein Ziel ist natürlich, das genaue Gegenteil zu zeigen. Es gibt einen radikalen Unterschied zwischen Fichte und Hegel. Arbeit ist nicht der grundlegende Charakter der hegelianischen Dialektik. Es wäre vergeblich, nach der Matrix des dialektischen Prozesses im Arbeitsprozess zu suchen, in der Externalisierung-Vergegenständlichung des Subjekts in seinem Produkt. Auch sollten wir nicht nach der Matrix der ‘Versöhnung’ im Akt suchen, sich in seinem eigenen Produkt wiederzuerkennen und sich das entfremdete Resultat seiner Arbeit anzueignen. Für Hegel ist die Tat grundsätzlich tragisch; sie erreicht niemals ihr Ziel. Durch ‘Versöhnung’ erkennt das Subjekt, dass es durch das bloße Scheitern seiner Tat ein anderes Ende verwirklicht hat, das ‘endlose Ende’. Eine solche nachträgliche Struktur schließt jeden progressiven oder evolutionären Rahmen radikal aus.
Obwohl die Standardauffassung dieses Begriffspaares darin den ultimativen Beweis für die evolutionäre Natur des dialektischen Prozesses sieht, ist Hegels radikaler Anti-Evolutionismus im Begriffspaar an sich/für sich (die progressive Entwicklung des An-sich zum Für-sich) deutlich sichtbar. An-sich als Gegensatz zu Für-sich ist sowohl (1) das Mögliche, das nur als Potential existiert, als innere Möglichkeit, der Gegensatz zum Verwirklichten – das ist das, was externalisiert, aktualisiert worden ist; und (2) Verwirklichung im objektiven Sinn, in ihrer rohen äußerlichen gegebenen Form, der Gegensatz zur subjektiven Vermittlung, zur Internalisierung, zur Selbstprüfung. In diesem Sinn ist An-sich Verwirklichung, die das begriffliche Niveau noch nicht erreicht hat.
Diese beiden Aspekte gleichzeitig voranzutreiben, unterläuft die traditionelle Auffassung des dialektischen Prozesses als eine allmähliche, progressive Verwirklichung des inneren Potentials des Objekts durch seine spontane Selbstentwicklung. Hegel ist in diesem Punkt sehr klar: In einem Objekt sind sein inneres Potential zur Selbstentwicklung und der Druck, der durch eine äußere Kraft auf das Objekt ausgeübt wird, streng korrelativ; sie sind die zwei Seiten derselben Verbindung. Das potentielle Objekt muss auch in einer äußeren Verwirklichung in der Form einer heteronomen Zwangsbestimmung präsent sein. Zum Beispiel (und dieses Beispiel stammt von Hegel selbst): Zu sagen, der Schüler sei am Anfang des Bildungsprozesses derjenige, der das Potential zu wissen hat, derjenige, der sein kreatives Potential im Rahmen dieses Prozesses verwirklichen wird, bedeutet, dass sein inneres Potential von Anfang an in irgendeiner äußeren Verwirklichung präsent sein muss, in der Form der Autorität des Meisters, der Druck auf den Schüler ausübt. Heute könnten wir hierzu auch das tragische Beispiel der Arbeiterklasse als potentielles revolutionäres Subjekt an sich hinzufügen. Zu sagen, dass der revolutionäre Charakter an sich, in seinem Potential in der Arbeiterklasse, existiert, ist strikt gleichbedeutend damit zu sagen, dass diese Möglichkeit bereits aktualisiert, präsent, verwirklicht ist in der Partei, die ihn im Voraus kannte und daher Druck auf die Arbeiterklasse ausübte, um sie auf die Verwirklichung ihres Potentials auszurichten. So wird die Partei in ihrer Rolle als Erzieher-Führer legitimiert, so erhält sie das Recht, die Arbeiterklasse gemäß ihrem Potential zu führen, sie mit ihrer ‘historischen Mission’ zu erfüllen.
Das Gegenargument zu dieser Theorie lautet, dass der dialektische Prozess trotz alledem dennoch in einem allmählichen Fortschreiten zu einer zunehmend konkreten, vermittelten Wahrheit besteht. Jede aufeinanderfolgende Stufe ist die ‘Wahrheit’ der ihr vorausgehenden Stufe; es wird dennoch Fortschritt gemacht. Nehmen wir den ersten Übergang des hegelianischen Systems – den Übergang vom Sein zum Leeren – und versuchen wir, die genaue Bedeutung der Proposition zu bestimmen, dass das Leere, das ‘Nichts’, die Wahrheit des Seins ist. Zuerst setzen wir das Sein als Subjekt (im grammatischen Sinn), dann versuchen wir, ihm irgendein Prädikat zuzuschreiben, es in irgendeiner Weise zu bestimmen. Aber jeder Versuch scheitert. Es gibt nichts, was wir über das Sein sagen können, es gibt kein Prädikat, das wir ihm zuschreiben könnten. Das Leere, das ‘Nichts’, als die ‘Wahrheit’ des Seins, ist nur diese Unmöglichkeit, die Substanz geworden ist, verwirklicht. Es ist wesentlich, die Weise zu erkennen, in der Unmöglichkeit in jedem (hegelianischen) Übergang von einem Moment zum nachfolgenden Moment als die ‘Wahrheit’ des ersten Moments verwirklicht wird. Wir haben es nie mit einem einfachen Abstieg zu einer zunehmend tiefen und konkreten Essenz zu tun. Die Logik des Übergangs ist immer die einer reflexiven Verwirklichung des Scheiterns, der Unmöglichkeit, des Übergangs selbst. Nehmen wir Moment X. Wenn wir versuchen, ihn ‘tiefer’ zu bestimmen, indem wir seine verborgene Essenz aufdecken, werden wir feststellen, dass wir es nicht können. Der nächste Moment ist dann die Verwirklichung dieses Scheiterns. Im Versuch, die verborgene Wahrheit von X zu erreichen, die Essenz zu bestimmen, die angeblich hinter seiner Erscheinung verborgen war, verfehlen wir diese Wahrheit – und dieses Scheitern ist die Wahrheit von X.
Kehren wir zur hegelianischen Kritik an Zenons Argument zurück, dass Bewegung nicht existiere. Indem er den widersprüchlichen Charakter der Bewegung zeigt, will Zenon die Existenz eines ruhigen, unbeweglichen, selbstidentischen Seins jenseits der falschen Erscheinung der Bewegung beweisen. Wenn dieses Sein jedoch an sich leer ist, kann Zenon nur die Bewegung selbst der Selbstaufhebung der Bewegung beschreiben. Darum ist Heraklits Bewegung die ‘Wahrheit’ des eleatischen Seins. Der Übergang zum Sein jenseits der Erscheinung der Bewegung scheitert; alles, was bleibt, ist die Bewegung selbst dieses Übergangs, die reflexive, selbstreferentielle Bewegung der Selbstaufhebung der Bewegung.

Die ‘Versöhnung’
Der Witz über Rabinovitch, Christi Tod und die Schließung und Auflösung des Unbewussten in der Übertragung greifen alle auf dieselbe Grundmatrix zurück, eine, die die Weise illustriert, in der Wahrheit aus Scheitern hervorgeht, in der Scheitern sich selbst zu einem immanenten Bestandteil der Wahrheit macht. Um die Logik dessen zu verstehen, müssen wir die klassische Sicht des hegelianischen Prozesses vollständig verwerfen, nach der es zuerst einen positiven Ausgangspunkt gibt – die These –, gefolgt von der Negation, der Spaltung, der Umkehrung der These in die Antithese, und schließlich, auf einer höheren Ebene, kommt die These dazu, die Antithese wieder einzuschließen. Die Synthese ist keine Rückkehr zur anfänglichen These; in einem gewissen Sinn ist es erst durch die Synthese, dass wir die Perspektive der These loswerden, dass wir uns von ihr befreien.
Kehren wir zum Witz über Rabinovitch zurück. In diesem Witz ist die ‘Synthese’ genau dasselbe wie die Antithese; sie ist das Argument des Bürokraten selbst (‘die Sowjetmacht ist ewig und unzerstörbar’). Das Einzige, was wir tun müssen, ist zu bemerken, dass das Gegenargument zum anfänglichen Argument bereits das wahre Argument für die Emigration ist. Der ganze Übergang von der Antithese zur Synthese lässt sich auf diesen Perspektivwechsel reduzieren. Dasselbe gilt für Christi Tod. Die ‘These’ ist Christi irdische Mission – die Befreiung der Juden. Die ‘Antithese’ ist ihre Niederlage, die jedoch nur aus der Perspektive der These wie ein Scheitern aussieht. Die ‘Synthese’ wiederholt die ‘Antithese’ (die Niederlage von Christi Mission auf Erden, sein Tod am Kreuz), aber aus einer anderen Perspektive, in der sie als Triumph erscheint, als Vollendung von Christi wahrer Mission: die Versöhnung von Mensch und Gott, von Endlichem und Unendlichem.
Der Prozess ist wiederum derselbe im Fall der Übertragung als der ‘Vollzug der Realität des Unbewussten’ (Lacan 1998a: 136). Das ‘Ende der Analyse’ kann im Wesentlichen auf einen einfachen Perspektivwechsel reduziert werden, die Erfahrung der Weise, in der die Übertragung – der Rückzug, die Schließung, des Unbewussten – zugleich ihren Vollzug verwirklicht. Die ‘Rückkehr zur These’ in der Synthese ist daher nicht die Rückkehr zur selben These – der These, die durch die Antithese negiert wurde –, sondern vielmehr wird die Antithese selbst, sozusagen, zu ihrer eigenen These.
In einem gewissen Sinn ‘geschieht nichts’ im dialektischen Prozess. Der Übergang von einer Stufe zur nächsten impliziert immer, dass ‘dies schon der Fall war’. Wir gehen nicht von der These zur Antithese über, indem wir die These entwickeln, indem wir die Weise demonstrieren, in der die These die Antithese voraussetzt. Vielmehr besteht der ganze Übergang in der Erkenntnis, dass die These bereits an sich ihre eigene Antithese ist, ihr eigener Widerspruch. Sein, wenn wir versuchen, es zu bestimmen, es zu verstehen, ‘wie es ist’, in seinen eigenen spezifischen Inhalten, ist bereits das Leere. Ebenso gehen wir nicht von der Antithese zur Synthese über, indem wir zu verstehen versuchen, in welcher Weise These und Antithese beide Teil derselben Totalität sind, so dass sie einander wechselseitig implizieren und ergänzen würden. Die Antithese ist ein reflexiver Begriff: Die wahre Antithese ist nicht die Antithese als der Widerspruch der Synthese, sondern die Antithese zwischen Antithese und Synthese selbst. Wir bleiben innerhalb der Antithese, solange wir glauben, dass ‘ihr etwas fehlt’, dass ihre zwei Pole durch eine zusätzliche Synthese vereinigt werden sollten. Wir ‘überwinden’ die Antithese, wenn wir erkennen, dass ihr nichts fehlt, dass die Antithese selbst bereits die Synthese war, die wir außerhalb von ihr gesucht hatten.
Wir können daher sagen, dass ‘Entfremdungsaufhebung’ – die ‘Versöhnung’ des Subjekts mit der entfremdeten Substanz – nichts verändert außer der Perspektive des Subjekts. Weit davon entfernt, den entfremdeten substantiellen Gehalt anzueignen, weit davon entfernt, den Gehalt als ‘sein eigenes Produkt’ zu erkennen, bemerkt das Subjekt lediglich, dass es bereits innerhalb der Substanz ist, und zwar gerade aufgrund des Merkmals, von dem es meinte, es schließe es aus ihr aus, dass die Distanz, die es von dem substantiellen Anderen zu trennen schien, eine Distanz vom Selbst war, eine Lücke innerhalb des Anderen. Durch diese Linse können wir sehen, wie hegelianische ‘Entfremdungsaufhebung’ sich radikal von Marx’ unterscheidet. Marx’ Sicht der ‘Entfremdungsaufhebung’ entspricht Fichtes ‘produktiver’ Perspektive eines Subjekts, das seine eigene Welt produziert, das Objektivität als die Vergegenständlichung dieser Welt setzt, eine Welt, von der sein eigenes Produkt sich entfremdet, sich in eine fremde Kraft verdreht. ‘Entfremdungsaufhebung’ wird daher als der Akt verstanden, durch den das Subjekt die Illusion einer autonomen objektiven Welt abstreift, sein eigenes Produkt erkennt und sich dessen Inhalte aneignet. Aus dieser Perspektive erscheint hegelianische ‘Versöhnung’ wie ‘verborgener Positivismus’ (Marx). Es ist leicht zu zeigen, dass sich bei der hegelianischen Art der ‘Entfremdungsaufhebung’ nichts ändert; die Verwirklichung bleibt dieselbe wie zuvor. Aber diese Sicht hat den Kernpunkt der hegelianischen ‘Versöhnung’ bereits verfehlt. Dass ‘nichts sich ändert’ ist genau das, was Hegel sagen will. Mit anderen Worten: Das, was sich in der hegelianischen ‘Versöhnung’ radikal ändert, ist der Modus, in dem Realität symbolisiert wird. Zu sagen, dass bei einem solchen Wandel ‘die Realität bleibt, wie sie war’, impliziert die Idee einer Realität, die dem Symbolischen schlicht äußerlich ist, das heißt ein Verständnis des Symbolischen als Mittel, vorbestehende Fakten zu bezeichnen.

Hegel ‘neutralisiert’ nicht, er ‘hebt’ nicht auf, die Spaltung, in die die fichteanische Philosophie geraten war. Hegel ‘überwindet’ nicht das Hindernis der trägen Objektivität, das Hindernis, das für Fichte weiterhin der subjektivierenden Internalisierung widerstand. Die gesamte hegelianische Operation lässt sich auf die rückblickende Anerkennung reduzieren, dass das Hindernis kein Hindernis war, dass das, was Fichte als ein ‘Hindernis’ für die Bewegung der Subjektivierung erschienen war, in Wahrheit ihre notwendige Bedingung war. Der undialektisierbare Rest, der die volle Verwirklichung des Subjekts zu blockieren schien, erweist sich als sein gegenständliches Korrelat. Das Subjekt muss diesen trägen Überschuss als sein Dasein anerkennen, es muss begreifen, dass das nicht-integrierte Objekt nur die Verwirklichung der Leere ist, des leeren Raums des Subjekts.

92 Hegel mit Lacan

So bleibt unsere Proposition dieselbe wie bei Fichte: ‘Das träge Objekt markiert die Grenze, die die volle Verwirklichung des Subjekts blockiert.’ Alles, was wir tun müssen, ist lediglich, die spekulative Bedeutung dessen zu nehmen und die Betonung ganz leicht zu verschieben: Das Subjekt selbst ist nichts weiter als die Leere, die Blockierung, seine eigene Unmöglichkeit, und darum fungiert das träge, nicht-subjektivierte Objekt, weil es diese Blockierung verkörpert, als Dasein des Subjekts, als sein gegenständliches Korrelat. Das Subjekt, reine Negativität, die absolute Bewegung der Vermittlung, kann das Für-sich-Sein, die wirksame Existenz, nur erreichen, indem es sich erneut in einem absolut trägen, nicht-subjektiven Moment verkörpert.

‘Der Geist ist ein Knochen’
Auf der Ebene des Unmittelbaren, des ‘Verstandes’ und der ‘Vorstellung’ [Vorstellung], scheint diese Proposition gewiss eine extreme Variante des vulgären Materialismus zu sein. Wir reduzieren den Geist – das Subjekt, reine Negativität, das beweglichste und flexibelste Element – auf ein starres, erstarrtes, totes Objekt, totale Trägheit, eine absolut nicht-dialektische Präsenz. Daher ist unsere erste Reaktion die des sowjetischen Bürokraten im Witz über Rabinovitch. Wir sind empört, die Proposition ‘der Geist ist ein Knochen’ scheint sinnlos; sie erzeugt in uns das Gefühl eines radikalen, unerträglichen Widerspruchs, das Bild einer grotesken Unstimmigkeit, eines extrem negativen Verhältnisses. Und genau diese Reaktion – wie im Fall Rabinovitchs – ist ihre spekulative Wahrheit, weil diese Negativität, diese unhaltbare Dissonanz, die Subjektivität selbst ist; sie ist die einzig mögliche Weise, die Negativität der Subjektivität darzustellen. Es gelingt uns, die Dimension der Subjektivität mittels des Scheiterns selbst zu übermitteln, durch seine radikale Unzulänglichkeit, durch die absolute Nicht-Entsprechung des Prädikats zum Subjekt. Die ‘spekulative Proposition’ ist somit eine Proposition, deren Terme nicht vergleichbar sind.
Die Proposition ‘der Geist ist ein Knochen’, die Äquivalenz zweier absolut nicht vergleichbarer Terme – die reine negative Bewegung des Subjekts und die totale Trägheit des erstarrten, starren Objekts – ist das nicht so etwas wie eine hegelianische Version der Phantasie: ◊ a? Um dies mit Sicherheit zu zeigen, müssen wir diese Proposition nur in ihrem spezifischen Kontext verstehen: dem Übergang von der Physiognomik zur Phrenologie in der Phänomenologie des Geistes. Physiognomik – die Sprache des Körpers, der Ausdruck der Innerlichkeit des Subjekts durch Gesten und Mimik – ist noch sprachlich, bedeutend, Vorstellung. Ein körperlicher Ausdruck (eine Geste, eine Grimasse) repräsentiert, bezeichnet, die Innerlichkeit des Subjekts.
Das Endresultat der Physiognomik ist ihr Scheitern: Jede bedeutende Repräsentation verrät und verschiebt das Subjekt. Es gibt keinen Signifikanten, der dem Subjekt gehört. Der Übergang von der Physiognomik zur Phrenologie funktioniert genau auf dieselbe Weise wie der Übergang von Repräsentation zu Präsenz. Der Schädel ist, anders als Gesten und Mimik, kein Zeichen, kein Ausdruck einer Innerlichkeit; er repräsentiert nichts. Er ist, in seiner eigenen Trägheit, die unmittelbare Präsenz des Geistes:
In der Physiognomik . . . soll der Geist in seiner eigenen äußeren Gestalt erkannt werden, als in einem Sein, das die Äußerung des Geistes ist – die sichtbare Unsichtbarkeit seines Wesens. . . . In der noch zu betrachtenden Bestimmung [der Phrenologie] jedoch ist das Äußere zuletzt eine gänzlich unbewegliche Realität, die nicht in sich selbst ein sprechendes Zeichen ist, sondern, vom selbstbewussten Bewegungsleben getrennt, sich für sich darstellt und ein bloßes Ding ist. (Hegel 1977: 195)
Nimm den Knochen, den Schädel. Hier ist ein Objekt, das durch seine Präsenz die Leere füllt, die unmögliche bedeutende Repräsentation des Subjekts. Es ist – um es in lacanianischen Begriffen zu sagen – die Verwirklichung des Mangels. Es ist das Ding, das den Platz füllt, wo der Signifikant fehlt, das phantasmatische Objekt, das den Mangel im Anderen füllt. Man könnte sagen, Hegels ‘idealistische’ Wette sei sein Glaube gewesen, dass es möglich sein könnte, die Trägheit des Phantasieobjekts durch die Bewegung der Aufhebung zu dialektisieren, die Umkehrung des fehlenden Signifikanten in den Signifikanten des Fehlens. Wir wissen, dass der Signifikant dieser Aufhebung der Phallus ist, und – das ist die größte Überraschung von allen bei Hegel – am Ende des Abschnitts über die Phrenologie verwendet Hegel selbst die phallische Metapher, um das Verhältnis zwischen den beiden Ebenen zu bezeichnen, auf denen die Proposition ‘der Geist ist ein Knochen’ gelesen werden kann: die traditionelle Lektüre des Vorstellungsdenkens und die spekulative Lektüre.
Die Tiefe, die der Geist aus dem Inneren hervorbringt – aber nur so weit, wie sein vorstellendes Bewusstsein, in dem er sie stehen lässt –, und die Unwissenheit dieses Bewusstseins darüber, was es wirklich sagt, sind dieselbe Verbindung des Hohen und des Niedrigen, die die Natur im lebendigen Wesen naiv ausdrückt, wenn sie das Organ ihrer höchsten Vollendung, das Organ der Zeugung, mit dem Organ des Urinierens verbindet. Das unendliche Urteil, als unendliches, wäre die Vollendung des Lebens, das sich selbst begreift; das Bewusstsein des unendlichen Urteils, das auf der Stufe des Vorstellungsdenkens bleibt, verhält sich wie das Urinieren. (Hegel 1977: 210)

‘Reichtum ist das Selbst’
Wenn eine ‘Gestalt des Bewusstseins’ in der Phänomenologie des Geistes erscheint, ist die Frage, die wir immer stellen müssen: Wo wiederholt sie sich, wo ist die spätere, reichere, ‘konkretere’ Gestalt, die, insofern sie eine Wiederholung der ursprünglichen Gestalt ist, uns den Schlüssel zu ihrem Verständnis anbieten könnte (vgl. Labarrière 1968)? Zum Beispiel wird der Übergang von der Physiognomik zur Phrenologie im Kapitel über den entfremdeten Geist wieder aufgenommen, in der Form des Übergangs von der ‘Sprache der Schmeichelei’ zum Reichtum.
Die ‘Sprache der Schmeichelei’ ist das mittlere Glied in der Triade Edles Bewusstsein – Sprache der Schmeichelei – Reichtum. Das edle Bewusstsein befindet sich in der Position extremer Entfremdung. Es setzt all seine Inhalte in das allgemeine Gute, das durch den Staat inkarnieren wird. Das edle Bewusstsein dient dem Staat mit aufrichtiger und totaler Hingabe und handelt entsprechend. Es spricht nicht: Seine Sprache ist auf einige wenige ‘Ratschläge’ bezüglich des allgemeinen Guten beschränkt. Hier ist dieses Gute eine durch und durch substantielle Entität, aber im Übergang zur nächsten Entwicklungsstufe subjektiviert es sich. An die Stelle des substantiellen Staates tritt ein Monarch, der sagen kann: ‘Ich bin der Staat.’ Diese Subjektivierung des Staates bringt eine radikale Veränderung der Weise mit sich, in der dem Staat gedient wird: ‘der Heroismus des stummen Dienstes wird zum Heroismus der Schmeichelei’ (Hegel 1977: 310; Hervorhebung von mir). Das Medium der Tätigkeit des Bewusstseins wechselt von der Handlung zur Sprache, in der Form der Schmeichelei, die an die königliche Person gerichtet ist, welche den Staat verkörpert.
Der offensichtliche historische Hintergrund dieses Übergangs ist der Übergang vom mittelalterlichen Feudalismus mit seinen Vorstellungen von Ehre, loyalem Dienst usw. zur absoluten Monarchie. Das ist weit mehr als eine bloße Korruption, eine Degeneration vom stummen und hingebungsvollen Dienst zur heuchlerischen Schmeichelei. Der paradoxe Ausdruck ‘der Heroismus der Schmeichelei’ sollte nicht als ironische Nebeneinanderstellung zweier widersprüchlicher Begriffe verstanden werden; vielmehr meint Hegel Heroismus im vollen Sinne des Wortes. Wir müssen den Begriff der ‘heroischen Schmeichelei’ im selben Register verstehen wie die Idee der ‘freiwilligen Knechtschaft’, weil er zu derselben theoretischen Aporie führt: Wie kann ‘Schmeichelei’, normalerweise als eine nicht-ethische Tätigkeit par excellence angesehen, als ein Verfolgen der ‘pathologischen’ Interessen von Gewinn und Lust, einen ethischen Status erhalten, den Status einer Pflicht, die ‘jenseits des Lustprinzips’ geht?
Der Schlüssel zu diesem Rätsel ist nach Hegel die Rolle, die die Sprache spielt. Gewiss ist Sprache das Medium selbst des Weges des Bewusstseins in der Phänomenologie, bis zu dem Punkt, dass wir jeden Schritt dieses Weges, jede ‘Gestalt des Bewusstseins’, durch eine spezifische sprachliche Modalität definieren könnten. Gleich zu Beginn, in der ‘sinnlichen Gewissheit’, wird die dialektische Bewegung durch die Dissonanz zwischen dem, was das Bewusstsein ‘sagen will’, und dem, was es tatsächlich sagt, in Gang gesetzt. Die ‘Sprache der Schmeichelei’ präsentiert uns jedoch eine Ausnahme in dieser Reihe. Erst hier reduziert sich Sprache nicht auf das Medium des Prozesses, sondern wird als solche, in ihrer Form selbst, zu dem, worum im Kampf gestritten wird; ‘hier hat sie zum Inhalt die Form selbst, die Form, die die Sprache selbst ist, und ist als Sprache autoritativ. Sie ist die Macht der Rede, als das, was vollbringt, was zu vollbringen ist’ (Hegel 1977: 307).
Darum sollten wir ‘Schmeichelei’ nicht auf psychologischer Ebene zu verstehen suchen, als heuchlerische und gierige Schmeichelei. Was sie vielmehr repräsentiert, ist die Dimension einer Art von Entfremdung, die zur Sprache als solcher gehört. Es ist die Form der Sprache selbst, die diese radikale Entfremdung einführt. Das edle Bewusstsein verrät die Aufrichtigkeit seiner inneren Überzeugungen, sobald es zu sprechen beginnt. Sobald wir sprechen, liegt die Wahrheit auf der Seite des Universalen, dessen, was wir ‘tatsächlich sagen’, und die ‘Aufrichtigkeit’ unserer persönlichen Empfindungen wird im kantischen Sinn ‘pathologisch’, radikal nicht-ethisch, aus dem Bereich des Lustprinzips kommend. Das Subjekt kann glauben, die Schmeichelei, die es äußert, sei einfach vorgetäuscht und nichts weiter. Es kann denken, Schmeichelei sei nur ein äußerer Ritus, der mit seinen persönlichen und aufrichtigen Überzeugungen nichts zu tun habe. Das Problem ist, dass es, sobald es meint, unaufrichtig zu sein, bereits Opfer seiner eigenen Unaufrichtigkeit ist, da es nicht erkennt, dass sein wahrer Ort in dieser leeren Äußerlichkeit liegt. Was es für seine persönlichste Überzeugung hielt, war nichts weiter als die Eitelkeit seiner nichtigen Subjektivität. Um es in moderneren Begriffen zu sagen: Die ‘Wahrheit’ dessen, was ich sage, ist an die performative Funktion der Rede gebunden, an die Weise, in der sie das soziale Band bekräftigt (erschafft), nicht an die psychologische ‘Aufrichtigkeit’ dessen, was ich gesagt habe. Der ‘Heroismus der Schmeichelei’ treibt dieses Paradox auf die Spitze. Seine Botschaft lautet: ‘Obwohl ich mir bewusst bin, dass das, was ich sage, eine vollständige Verleugnung meiner persönlichsten Überzeugungen ist, weiß ich, dass diese Form, die jeder Aufrichtigkeit entleert ist, wahrer ist als meine Überzeugungen, und in diesem Sinn bin ich aufrichtig in meinem Wunsch, meine Überzeugungen aufzugeben.’
So kann ‘den Monarchen gegen die eigenen Überzeugungen zu schmeicheln’ ein ethischer Akt sein. Du unterwirfst dich einem Zwang, der deine narzisstische Homöostase destabilisiert; du ‘äußerst’ dich vollständig. Indem du die leeren Worte sprichst, die deine persönlichen Überzeugungen verneinen, gibst du heroisch das auf, was dir am kostbarsten ist: deinen ‘Ehrbegriff’, deine moralische Konsistenz. Schmeichelei höhlt die ‘Persönlichkeit’ radikal aus. Übrig bleibt die leere Form des Subjekts, das Subjekt als diese leere Form. Eine vollkommen parallele Logik finden wir im Übergang vom leninistisch-revolutionären Bewusstsein zum stalinistischen nachrevolutionären Bewusstsein. Auch hier schlägt nach der Revolution der loyale Dienst an der Sache notwendigerweise in den ‘Heroismus des Schmeichelns’ gegenüber dem Führer um, dem Subjekt, das angeblich die revolutionäre Macht verkörpert. Auch hier besteht die wahrhaft heroische Dimension dieser Schmeichelei darin, dass man im Namen der Loyalität zur Sache bereit ist, Ehrlichkeit und sogar die Aufrichtigkeit selbst zu opfern – und die zusätzliche Nötigung hinzuzufügen, dass man bereit ist, diese Unaufrichtigkeit selbst einzugestehen und zu verkünden, man sei ein ‘Verräter’. Ernesto Laclau hatte völlig recht, als er sagte, es genüge nicht zu sagen, ‘Stalinismus’ sei ein wesentlich sprachliches Phänomen gewesen; wir müssen so weit gehen, diese Proposition umzukehren und zu sagen, dass Sprache selbst in einem bislang unbemerkten Sinn bereits ein ‘stalinistisches Phänomen’ ist. Im stalinistischen Ritus, in der leeren Schmeichelei, die jene Gemeinschaft zusammenhält, in der neutralen, völlig entpsychologisierten Stimme, die ‘gesteht’, liegt die Verwirklichung, in ihrer reinsten bisher existierenden Form, einer Dimension, die vielleicht das wesentliche Merkmal der Sprache markiert. Es ist nicht nötig, zu vorsokratischen Fundamenten zurückzukehren, um ‘in die Ursprünge der Sprache einzudringen’; die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki): Kurzer Lehrgang genügt.
Wo ist das gegenständliche Korrelat dieses vollständig ‘entleerten’ Subjekts? Die hegelianische Antwort: im Geld, das es im Austausch für seine Schmeichelei gewinnt. Auf dieser Ebene vollzieht die Proposition ‘der Reichtum ist das Selbst’ dieselbe Operation wie ‘der Geist ist ein Knochen’. In beiden Fällen haben wir eine Proposition, die zunächst sinnlos erscheint, eine Gleichung, deren Terme nicht vergleichbar sind. In beiden Fällen hat dieser Übergang dieselbe logische Struktur: Das Subjekt, das sich im sprachlichen Medium vollständig verliert (die Sprache der Gesten und der Mimik; die Sprache der Schmeichelei), findet sein gegenständliches Korrelat in der Trägheit eines nicht-sprachlichen Objekts (der Schädel, das Geld). Das Paradox, die offensichtliche Sinnlosigkeit der Idee, dass Geld, ein träges, äußeres, passives Objekt, das ich in der Hand halten kann, die unmittelbare Inkarnation des Selbst sein soll, ist nicht weniger schwer zu akzeptieren als die Proposition, dass der Schädel die unmittelbare Verwirklichung des Geistes sein soll. Ihr Unterschied liegt in den unterschiedlichen Ausgangspunkten der dialektischen Bewegung. Wenn wir mit Sprache im Sinne der Gesten und der Mimik des Körpers beginnen, ist das gegenständliche Korrelat des Subjekts dasjenige, was auf dieser Ebene den Punkt totaler Trägheit darstellt – der Knochen, der Schädel. Wenn man jedoch mit Sprache im Sinne des Mediums sozialer Herrschaftsbeziehungen beginnt, ist das gegenständliche Korrelat, das sich anbietet, das Geld als soziale Macht in ihrer materiellen Form.

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