Der erhabenste Hysteriker 7

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Kant und McCullough
Es ist eine geläufige, dem gesunden Menschenverstand entsprechende Wahrheit, dass wir uns vor einem übermäßigen, überradikalisierten, absoluten Guten hüten müssen, weil es sich plötzlich in Böses verwandeln kann. Selbst eine gemäßigte religiöse Doktrin warnt uns davor, dass die subtilste Versuchung des Teufels darin besteht, uns dazu zu bringen, Böses im Namen des Guten selbst zu tun, dass eine ausschließliche Fixierung auf das Gute zu Hass auf das Weltliche und das Säkulare führen kann (vgl. Umberto Ecos Der Name der Rose). Meist jedoch verdeckt eine solche Weisheit eine weit beunruhigendere umgekehrte Wahrheit: Das Böse selbst, wenn es radikalisiert, bis zu dem Punkt erhoben wird, an dem es eine ‚nicht-pathologische‘ (im kantischen Sinn) Haltung, eine ‚prinzipielle‘ Haltung jenseits möglicher Kosten oder Nutzen wird, wird zu einer ethischen Position, wird zu Gutem. Am Ende von Mozarts Don Giovanni kommt die Statue des Komturs, um ihn zu retten. Alles, was er tun muss, ist zu bereuen und seinen Ausschweifungen abzuschwören, und er wird den Qualen der Hölle entgehen. Obwohl er weiß, was ihn erwartet, lehnt Don Giovanni das Angebot ab, das ihn gerettet hätte. Er weicht nicht von seinem bösen Weg ab, auch wenn diese Wahl vom Standpunkt des Lustprinzips unsinnig ist. Indem er sich weigert zu bereuen, bekräftigt er sein Bösesein als eine eigentlich ethische Position, mehr als eine bloß gierige Suche nach Lust.

Das ist es, was Kant, der Philosoph der unbedingten Pflicht, der größte Besessene in der Geschichte der Philosophie, verfehlte. Doch was Kant entging, ist etwas, das unsere zeitgenössische vulgäre sentimentale Literatur, unser Kitsch, sehr wohl kennt. Daran ist nichts überraschend, wenn wir uns daran erinnern, dass gerade im Universum dieser Art von Literatur die Tradition der höfischen Liebe überlebt hat, eine Tradition, deren definierendes Merkmal darin besteht, die Liebe zur Dame als oberste Pflicht zu setzen. Nehmen wir ein exemplarisches Beispiel des Genres, An Indecent Obsession von Colleen McCullough (das unlesbar ist und deshalb in Frankreich als Teil der Sammlung ‚J’ai Lu‘ [wörtlich: „Ich habe gelesen“ – Übers.] veröffentlicht wurde). Das Buch spielt gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, in einem kleinen Krankenhaus im Pazifik, wo eine Krankenschwester schockierten Soldaten hilft. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer beruflichen Pflicht und ihrer Liebe zu einem ihrer Patienten. Am Ende des Buches entschließt sie sich, was sie wirklich will, verzichtet auf die Liebe und kehrt zu ihrer Pflicht zurück. Auf den ersten Blick scheint dies Moralismus der unerquicklichsten Art zu sein; die Pflicht siegt über die romantische Leidenschaft, die ‚pathologische‘ Liebe wird im Namen der Pflicht aufgegeben, und so weiter. Die Beschreibung ihrer Motive für diesen Verzicht ist jedoch etwas nuancierter. Aus den Schlussabsätzen des Romans:
Sie hatte hier eine Pflicht . . . Das war nicht bloß ein Job – ihr Herz steckte darin, Klafter tief darin! Das war es, was sie wirklich wollte . . . ohne jede Angst, sich selbst endlich verstehend. Und verstehend, dass Pflicht, die unanständigste aller Obsessionen, nur ein anderer Name für Liebe war. (McCullough 1981: 324)

Was wir hier haben, ist eine wahrhaft hegelsche dialektische Wendung: Der Gegensatz von Liebe und Pflicht wird ‚aufgehoben [aufgehoben]‘, wenn man die Pflicht selbst als ‚einen anderen Namen für Liebe‘ erfährt. Durch diese Umkehrung – die ‚Negation der Negation‘ – fällt die Pflicht, die zunächst als Negation der Liebe erschien, mit der höchsten Liebe zusammen, die alle anderen ‚pathologischen‘ Lieben abschafft. Oder, in lacanianischen Begriffen, sie fungiert als ‚Stepppunkt‘ in Bezug auf die anderen ‚gewöhnlichen‘ Lieben. Die Spannung zwischen Pflicht und Liebe, zwischen der Reinheit der Pflicht und der Unanständigkeit, der obszönen Pathologie romantischer Leidenschaft, löst sich in dem Moment auf, in dem wir den radikal obszönen, unanständigen Charakter der Pflicht selbst erfahren. In der französischen Version ist der letzte Satz des Romans auf verräterische Weise falsch übersetzt. Die Pflicht wird als ‚la plus tyrannique des obsessions‘ [„die tyrannischste aller Obsessionen“] bezeichnet, obwohl es in Wirklichkeit ‚die unanständigste aller Obsessionen‘ ist.

Der Schlüssel liegt hier in der Verschiebung des Ortes der ‚unanständigen Obsession‘ in Bezug auf den Gegensatz zwischen Pflicht und Liebe. Am Anfang erscheint die Pflicht als rein und universal, das Gegenteil der pathologischen, partikularen, unanständigen romantischen Leidenschaft. Dann aber erweist sich die Pflicht selbst als die unanständigste aller Obsessionen. Das ist die hegelsche Logik der ‚Versöhnung‘ zwischen dem Universalen und dem Partikularen. Das radikalste, absolute Partikulare ist das Universale selbst, insofern sein Verhältnis zum Partikularen eines der negativen Ausschließung ist, das heißt: Es stellt sich dem Partikularen entgegen und schließt den Reichtum seiner konkreten Inhalte aus. So müssen wir die lacanianische These verstehen, dass das Gute nur die Maske für radikales, absolutes Böses ist, die die ‚unanständige Obsession‘ hinter das Ding, das schrecklich-obzöne Ding, verbirgt. Hinter dem Guten liegt radikales Böses; das höchste Gute ist nur ein anderer Name für ein Böses, das keinen partikularen, ‚pathologischen‘ Status hat. In dem Maße, in dem es uns in unanständiger, obszöner Weise besetzt, macht das Ding es uns möglich, uns zu lösen, uns zu befreien von unseren ‚pathologischen‘ Bindungen an weltliche, partikularen Objekte. Das ‚Gute‘ ist nur eine Weise, Distanz zum bösen Ding zu halten, eine Distanz, die es erträglich macht.

Das ist es, was Kant, im Unterschied zu unserer zeitgenössischen Kitsch-Literatur, missverstanden hat. Er sah nicht die andere Seite, die obszöne, unanständige Seite der Pflicht selbst. Und deshalb konnte er den Begriff des Ding nur in seiner negativen Form evozieren, als eine unbegreifliche (Un)Möglichkeit. In seiner Abhandlung über negative Größen etwa erörtert er den Unterschied zwischen logischem Widerspruch und realer Opposition. Für Kant ist der Widerspruch ein logisches Verhältnis, das in der Realität nicht existiert, während in Fällen realer Opposition beide Pole positiv sind, das heißt, ihr Verhältnis ist nicht das Verhältnis eines Dinges zu seinem Mangel, sondern vielmehr zweier existierender Phänomene, die einander entgegenstehen. Zum Beispiel – und dieses Beispiel ist nicht zufällig, insofern es sich direkt auf das hier in Frage Stehende bezieht, das Lustprinzip – Lust und Unlust.
Betrachten wir die folgende Frage: Ist Unlust einfach nur das Fehlen von Lust? Oder ist Unlust ein Grund der Entziehung von Lust? Und in diesem Fall ist Unlust, während sie in der Tat etwas an sich Positives ist und nicht bloß das widersprüchliche Gegenteil der Lust, der Lust im realen Sinne des Wortes entgegengesetzt. (Kant 1992: 219)

Daher sind Lust und Schmerz, die beiden Pole einer realen Opposition, positive Phänomene; eines ist nur in Beziehung auf das andere negativ, während Gut und Böse widersprüchlich sind, ihr Verhältnis ist das eines + zu einem 0. Darum ist das Böse keine positive Entität, es ist nur der Mangel, die Abwesenheit des Guten. Es wäre absurd, zu versuchen, den negativen Pol eines Widerspruchs als etwas Positives zu verstehen und daher ‚sich eine besondere Art von Dingen zu denken und solche Dinge negative Dinge zu nennen‘ (Kant 1992: 214). Doch das Ding ist, in seiner lacanianischen Konzeptualisierung, gerade ein solches ‚negatives Ding‘, ein paradoxes Ding, das nur die Positivierung eines Mangels ist, ein Loch im symbolischen Anderen. Das Ding als ‚das Böse inkarniert‘ ist ein Objekt, irreduzibel auf das Lustprinzip, auf den Gegensatz zwischen Lust und Schmerz. Anders gesagt ist es im strengen Sinne ein ‚nicht-pathologisches‘ Objekt. Dieses Paradox wäre für den Kant seiner ‚kritischen‘ Phase undenkbar, und deshalb müssen wir über Kant ‚mit Sade‘ nachdenken.

Das ne explétif
Daraus folgt, dass es eine grundlegende Unvereinbarkeit zwischen dem lacanianischen Realen und dem kantischen ‚Ding an sich‘ gibt und dass es ein Fehler ist, das Ding, das lacanianische Ding, den nicht-symbolisierbaren Kern des Realen, durch die Linse des Dinges an sich zu interpretieren. Das lacanianische Reale ist kein nicht-symbolisierbarer Überschuss, der uns immer entgehen wird. Vielmehr erscheint es in der Form einer traumatisierenden Begegnung; wir stoßen darauf dort, wo wir gedacht hatten, es nur mit irreführenden ‚Erscheinungen‘ zu tun zu haben. Eine solche Begegnung – eine paradoxe Fügung, in der die ‚Erscheinung‘ selbst unbewusst die Wahrheit berührt – war für Kant undenkbar, und deshalb müssen wir ihn ‚an der Seite Sades‘ lesen. Das wahre Ziel von Kants ‚obsessiver‘ Ökonomie ist gerade die Vermeidung dieser traumatischen Begegnung mit dem Realen. Zunächst scheint Kants Ansatz, der das Feld möglicher Erfahrung auf Phänomene begrenzt und das ‚Ding an sich‘ ausschließt, eine Wahrheitssuche zu repräsentieren, eine Angst, zu schnell von den Phänomenen getäuscht zu werden, sie für das ‚Ding an sich‘ zu halten. Doch wie Hegel sagte, ist der Inhalt dieser Furcht vor Irrtum, vor der Verwechslung von Phänomenen und ‚Ding an sich‘, ihr Gegenteil, die Furcht vor der Wahrheit selbst. Sie enthält ein Begehren, um jeden Preis die ‚Begegnung mit der Wahrheit‘ zu vermeiden.
Wenn die Furcht, in Irrtum zu geraten, ein Misstrauen gegen die Wissenschaft hervorruft, die, ohne solche Skrupel, ans Werk geht und tatsächlich etwas erkennt, so ist schwer einzusehen, warum wir uns nicht umwenden und dieses Misstrauen selbst misstrauen sollten. Müssen wir uns nicht darum sorgen, ob diese Furcht vor Irrtum nicht gerade der Irrtum selbst ist? (Hegel 1977: 47)

Das Verhältnis zwischen Erscheinung und Wahrheit ist daher dialektisch. Die radikalste Illusion ist nicht der Akt, eine irreführende Erscheinung für Wahrheit, für ‚die Sache selbst‘ zu halten, sondern vielmehr die Weigerung, die Wahrheit anzuerkennen, weil man behauptet, man habe es nur mit Erscheinung, Illusion, Fiktion zu tun. Mit anderen Worten: Das ‚ne‘ [nicht] in ‚peur de ne pas être sujet à l’erreur‘ [„Ich sorge mich: bin ich nicht dem Irrtum ausgesetzt?“] ist nicht rein explétif.¹ Oder, wenn es es ist, dann insofern als Symptom einer vollen semantischen Negation, die das wahre Begehren des Subjekts verrät. Das kantische Subjekt ‚will sagen‘, dass seine Absicht darin besteht, Irrtum zu vermeiden, doch in Wirklichkeit hat es Angst vor ‚ne plus être sujet à l’erreur‘ [„nicht mehr dem Irrtum ausgesetzt zu sein“], davor, die Wahrheit zu berühren.

Die hegelsche Idee, dass der Hauptfehler die tatsächliche Furcht vor Fehlern ist und dass daher die Furcht vor Fehlern ihr Gegenteil (Furcht vor der Wahrheit) verbirgt, erinnert an die unendlichen Vorsichtsmaßnahmen und die unendliche Aufschiebung, die für das obsessive Subjekt charakteristisch sind. Das Verständnis der Parallelen zur obsessiven Ökonomie erlaubt es uns, die irrige Ansicht zurückzuweisen, wonach diese Furcht vor der Wahrheit aus der Sorge stammt, die Wahrheit könne, in all ihrem Reichtum, ‚zu stark‘ sein, zu hell für unsere Augen, es wäre uns unmöglich, direkt in das strahlende Licht der Wahrheit zu blicken. Doch das ist nicht der Fall; hinter der Furcht vor der Wahrheit steht die Furcht vor der Leere im Herzen der Wahrheit, verwurzelt in einer Vorahnung, dass die Wahrheit bereits in sich selbst ‚pas-tout‘, durchlöchert ist – ein Verhältnis zur Wahrheit, das dem Verhältnis des Obsessiven zur jouissance gleicht. Indem der Obsessive eine ganze Reihe von Regeln, Hindernissen, Umwegen usw. aufstellt, versucht er die Begegnung mit dem Ding, das jouissance verkörpert, hinauszuschieben – scheinbar weil er meint, die Erfahrung der jouissance wäre zu stark, zu traumatisch für ihn, tatsächlich aber weil er fürchtet, dass jouissance ihn nicht befriedigen würde, dass die Begegnung mit dem Ding eine schreckliche Enttäuschung wäre. Der Überschuss ist daher nur die Form, in der der Mangel erscheint; die Flucht vor dem Ding, das uns zu viel jouissance geben würde, verrät unsere Vorahnung, dass das Ding enttäuschend wäre.

‚Das Übersinnliche ist das Phänomen als Phänomen‘
In seinem Kapitel ‚Kraft und Verstand‘ in Die Phänomenologie des Geistes – dem Kapitel, in dem das Bewusstsein in das Selbstbewusstsein übergeht – untergräbt Hegel das eigentliche Fundament von Kants obsessiver Ökonomie, indem er Folgendes feststellt: Das Wesen, nach dem wir suchen, ist nichts anderes als Erscheinung als Erscheinung. Indem es impliziert, dass etwas hinter ihm ist, etwas, das sich durch es manifestiert, dass es eine Wahrheit verbirgt und uns zugleich einen Hinweis auf diese Wahrheit gibt, verbirgt und enthüllt das Phänomen zugleich das Wesen, das hinter seinem Vorhang verborgen ist. Aber was ist es, das tatsächlich hinter dem Phänomen verborgen ist? Einfach die Tatsache, dass es nichts zu verbergen gibt. Das, was verborgen ist, ist der Akt der Verstellung, der in Wahrheit nichts verstellt. Das, was verborgen werden muss, ist die Tatsache, dass das Übersinnliche – das Wesen, das wir zu erblicken meinten – nichts anderes ist als das Phänomen als Phänomen.
Ist das Übersinnliche dann bloß eine reine Illusion des Bewusstseins, ähnlich einer einfachen optischen Täuschung? Ist es so, dass ‚wir‘ sehen, dass hinter dem Vorhang nichts ist, während das Bewusstsein in Irrtum fällt? Für Hegel sollten wir niemals den Zustand der Dinge, wie ‚wir‘ ihn ‚richtig‘ sehen, dem Standpunkt des irrenden Bewusstseins gegenüberstellen. Wenn es eine Illusion gibt, können wir sie nicht von der Sache abziehen, denn sie liegt in ihrem Herzen. Wenn hinter dem Phänomen nur eine Leere ist, dann ist dies der Ort, an dem sich das Subjekt konstituiert, auf der Grundlage seiner eigenen Verkennung. Die Illusion, dass hinter dem Vorhang etwas verborgen ist, ist selbst reflexiv; das hinter dem Phänomen verborgene Ding ist die Möglichkeit selbst dieser Illusion. Hinter dem Vorhang ist nichts außer dem Glauben des Subjekts an die Existenz oder Präsenz eines Dinges. Damit die Illusion ‚falsch‘ sein kann, muss sie sich in einem leeren Raum hinter dem Vorhang befinden. Sie hat einen Raum geöffnet, in dem sie möglich war, einen leeren Raum, den sie füllte (mit dem, was wir zum Beispiel ‚das Heilige‘ nennen), und in dem sich illusorische Realität konstruieren konnte. ‚Wir‘ können sehen, dass dort nichts ist, wo das Bewusstsein meinte, etwas zu sehen, doch unser Wissen kann nur durch diese Illusion hervorgebracht werden, unser Wissen ist ein Moment in ihr. Wenn wir die Illusion aufgelöst haben, bleibt der leere Raum, in dem sie möglich war – es gibt nichts jenseits des Phänomens außer dieser Leere, und diese Leere ist das Subjekt. Um das Phänomen als Phänomen zu fassen, musste das Subjekt bereits aus ihm heraustreten, doch dort wird es nur seinen eigenen Durchgang finden.
Normalerweise wird dieses Argument Hegels nur so gesehen, als würde es ontologisch das Subjekt auf die Position des substantiellen Wesens der Totalität des Seins erheben. Zunächst meint das Bewusstsein, hinter dem Vorhang der Phänomene gebe es ein verborgenes, transzendentales Wesen. Dann, wenn das Bewusstsein in das Selbstbewusstsein übergeht, erfährt es, dass das Wesen hinter den Phänomenen, ihre belebende Kraft, das Subjekt selbst ist. Eine solche Lektüre identifiziert das Subjekt unmittelbar als das Wesen hinter dem Vorhang und unterschlägt so die Weise, in der Hegel den Übergang vom Bewusstsein zum Selbstbewusstsein als Erfahrung eines radikalen Scheiterns sah. Das Subjekt (das Bewusstsein) will in das Geheimnis hinter dem Vorhang eindringen, aber sein Bemühen scheitert, weil hinter dem Vorhang nichts ist, ein Nichts, das das Subjekt ist. Lacan sagt genau dasselbe, wenn er feststellt, dass das Subjekt (des Signifikanten) und das (phantasmatische) Objekt korrelativ, ja identisch sind. Das Subjekt ist der leere Raum, das Nichts hinter dem Vorhang, und das Objekt ist der träge, nicht-dialektisierbare Inhalt, der diese Leere füllt. Das gesamte Dasein des Subjekts wird ihm durch das Phantasieobjekt gegeben, das diese Leere füllt. Diese hegelsche Formulierung ist Schritt für Schritt ähnlich zu Lacans Apolog in Seminar XI:
In der klassischen Erzählung von Zeuxis und Parrhasios hat Zeuxis den Vorteil, Trauben gemacht zu haben, die die Vögel anzogen. Der Akzent liegt nicht darauf, dass diese Trauben in irgendeiner Weise perfekte Trauben waren, sondern darauf, dass das Auge der Vögel von ihnen getäuscht wurde. Das wird dadurch bewiesen, dass sein Freund Parrhasios über ihn triumphiert, indem er an die Wand einen Schleier malt, einen Schleier so lebensnah, dass Zeuxis, sich zu ihm wendend, sagte: Nun, und jetzt zeig uns, was du dahinter gemalt hast. Damit zeigte er, dass es gewiss darum ging, das Auge zu täuschen [tromper l’oeil]. Ein Triumph des Blicks über das Auge. (Lacan 1998a: 103)
Wir können Tiere mit einer Erscheinung täuschen, die Realität imitiert und sie ersetzt. Aber um einen Menschen zu täuschen, auf eine eigentümlich menschliche Weise, imitiert man die Verstellung der Realität. Verborgen ist der Akt des Verbergens, der so scheint, als verberge er etwas. Hinter dem Vorhang ist nichts außer dem Subjekt, das bereits hinter den Vorhang getreten ist:
Es ist offenbar, dass hinter dem sogenannten Vorhang, der die innere Welt verbergen soll, nichts zu sehen ist, es sei denn, wir gehen selbst dahinter, sowohl damit wir sehen, als auch damit dort etwas ist, das gesehen werden kann. (Hegel 1977: 103)

So müssen wir die hegelsche Unterscheidung zwischen Substanz und Subjekt verstehen. Die Substanz ist das positive, transzendentale Wesen, das angeblich hinter dem Vorhang der Phänomene verborgen ist. ‚Die Substanz als Subjekt zu fassen‘ heißt zu erfahren, dass der sogenannte ‚Vorhang der Phänomene‘ nur die Tatsache verbirgt, dass es nichts zu verbergen gibt – und dass dieses Nichts hinter dem Vorhang das Subjekt ist. Mit anderen Worten: Erscheinung auf der Ebene der Substanz ist in der Tat irreführend; sie bietet uns das falsche Bild eines substantiellen Wesens. Hingegen ist Erscheinung auf der Ebene des Subjekts gerade deshalb irreführend, weil sie vorgibt, irreführend zu sein; sie tut so, als gebe es etwas zu verbergen, sie verbirgt die Tatsache, dass es nichts zu verbergen gibt; sie tut nicht so, als sage sie die Wahrheit, während sie in Wirklichkeit lügt, sie tut so, als lüge sie, während sie in Wirklichkeit die Wahrheit sagt. Kurz: Sie täuscht uns, indem sie die Form der Täuschung annimmt. Wie in der berühmten Geschichte von den zwei Juden, in der einer lügt, indem er die Wahrheit sagt (über das Ziel seiner Reise), kann ein Phänomen die Wahrheit gerade dadurch sagen, dass es sich als Lüge präsentiert. In seinem Kommentar zu dem Apolog gibt Lacan das Beispiel von Platons Kritik an der Illusion der Malerei:
Der Punkt ist nicht, dass die Malerei dem Objekt eine illusorische Äquivalenz gibt, auch wenn Plato dies zu sagen scheint . . . Das Bild konkurriert nicht mit der Erscheinung, es konkurriert mit dem, was Plato uns jenseits der Erscheinung als die Idee bezeichnet. Gerade weil dieses Bild die Erscheinung ist, die sagt, sie sei das, was die Erscheinung gibt, greift Plato die Malerei an, als wäre sie eine Tätigkeit, die mit der seinen konkurriert. (Lacan 1998a: 112)
Für Plato war die wahre Gefahr die Erscheinung, die sich als Erscheinung präsentiert, weil dies nichts weniger ist – und Hegel wusste das – als die Idee. Das ist das Geheimnis, das die Philosophie verbergen muss, um ihre Konsistenz zu bewahren. Und Hegel, der auf der höchsten Ebene der metaphysischen Tradition arbeitet, lässt uns einen Blick auf dieses Geheimnis werfen – auf diese Weise war er ein wichtiger Vorläufer der Psychoanalyse.

¹ In der französischen Grammatik ist das ne explétif eine optionale doppelte Negation, die die Negativität einer einfachen Negation beibehält.

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