Der erhabenste Hysteriker 9

Posthegelianische Sackgassen

Buch II

9
Das Geheimnis der Warenform:
Warum ist Marx der Erfinder des
Symptoms?

Marx, Freud: die Analyse der Form
Es gibt eine grundlegende Parallele zwischen den interpretativen Vorgehensweisen von Marx und Freud, besonders in der Art und Weise, wie jeder von beiden seine jeweiligen ‚Geheimnisse‘ aufsuchte, das Geheimnis der Ware und das Geheimnis der Träume. In beiden Fällen schützen sie uns vor der Blindheit, die aus einer fetischistischen Faszination für einen verborgenen ‚Inhalt‘ hinter der Form entsteht – das ‚Geheimnis‘, das wir durch Analyse aufdecken, ist nicht der von der Form (Traumform, Warenform) verdeckte Inhalt; im Gegenteil, es ist die Form selbst. Eine theoretische Analyse der Form des Traums ist keine Erklärung seines ‚verborgenen Kerns‘, des in ihm begrabenen latenten Gedankens; ihr Zweck ist vielmehr, die Frage zu beantworten: Warum nahm der im Traum latente Gedanke diese besondere Form an, warum setzte er sich in die Form eines Traums um? Dasselbe gilt für unsere Analyse der Ware. Es ist nicht so, dass wir in den ‚verborgenen Kern‘ der Ware eindringen müssten – dass ihr Wert durch die bei ihrer Produktion aufgewendete Arbeitsmenge bestimmt ist –, sondern dass wir zu erklären suchen müssen, warum Arbeit die Form des Warenwerts annahm, warum sie ihren gesellschaftlichen Charakter nur durch die Warenform ihres Produkts zu bekräftigen vermochte.
Wir alle sind mit dem gängigen Vorwurf vertraut, die freudianische Traumdeutung sei ‚pansexuell‘. Hans-Jürgen Eysenck insbesondere, ein scharfer Kritiker der Psychoanalyse, machte auf das aufmerksam, was er als einen grundlegenden Widerspruch in Freuds Zugang zu Träumen sah. Freud zufolge soll das im Traum artikulierte Begehren – zumindest in der Theorie – ein Begehren sein, das zugleich sowohl unbewusst als auch sexueller Natur ist. Dies trifft jedoch nicht einmal auf die meisten Beispiele zu, die Freud selbst anführt, einschließlich des Traums, mit dem er den Begriff der Traumlogik einführte, seines Traums von Irmas Injektion. Der im Traum latente Gedanke war Freuds Versuch, die Schuldgefühle, die er wegen des Scheiterns von Irmas medizinischer Behandlung empfand, wegzurationalisieren, indem er dachte: ‚Ich war nicht schuld, es gab so viele Gründe für das, was geschah. . . .‘ Das ‚Begehren‘, die Bedeutung des Traums, war jedoch weder sexueller Natur (es war größtenteils eine Frage der Berufsethik) noch unbewusst (diese Sorge hatte Freud auf einem sehr bewussten Niveau gequält und war daher eine Selbstprüfung seines eigenen Gewissens).

128 Posthegelianische Sackgassen

In dieser Kritiklinie liegt ein grundlegender theoretischer Fehler: Sie setzt das unbewusste Begehren, das hinter dem Traum am Werk ist, mit dem ‚latenten Gedanken‘, der Bedeutung, des Traums gleich. Wie Freud jedoch an mehreren Stellen betonte, ist am ‚im Traum latenten Gedanken‘ an sich nichts Unbewusstes, er ist ein durch und durch ‚normaler‘ Gedanke, der durch die Syntax der gewöhnlichen Sprache artikuliert werden kann. Topologisch gehört er zum System ‚bewusst/vorbewusst‘. Gewöhnlich ist sich das Subjekt seiner bewusst – vielleicht sogar übermäßig; er könnte ständig an ihm nagen. Unter bestimmten Bedingungen kann dieser Gedanke aus dem Bewussten ausgestoßen und ins Unbewusste hineingezogen werden, das heißt, den Gesetzen des ‚Primärprozesses‘ unterworfen, in die ‚Sprache des Unbewussten‘ übersetzt werden. Das Verhältnis zwischen dem ‚latenten Gedanken‘ und dem, was ‚manifester Inhalt‘ des Traums genannt wird – dem Traumtext, dem Traum in seiner wörtlichen Phänomenalität – ist daher das Verhältnis zwischen einem durch und durch ‚normalen‘, bewusst-vorbewussten Gedanken und der Übersetzung dieses Gedankens in das ‚Rebus‘ des Unbewussten, den ‚Primärprozess‘. Das Wesen des Traums ist nicht der ‚latente Gedanke‘, sondern der Mechanismus (der Mechanismus der Verschiebung, der Verdichtung, der Figuration der Inhalte der Wörter und Symbole usw.), der ihm seine Traumform gibt. Dies ist systematisch missverstanden worden; wenn wir das ‚Geheimnis des Traums‘ im latenten Inhalt suchen, der vom manifesten Text verborgen wird, werden wir enttäuscht sein, da wir nur einen vollkommen ‚gewöhnlichen‘ Gedanken finden werden, dessen Natur größtenteils nichtsexuell ist und der darüber hinaus überhaupt nichts Unbewusstes an sich hat.
Dieser ‚gewöhnliche‘, bewusst-vorbewusste Gedanke wird verdrängt – ins Unbewusste hineingezogen – nicht einfach, weil er dem Bewusstsein ‚unangenehm/unbequem‘ erscheint, sondern wegen eines ‚Kurzschlusses‘ zwischen ihm und einem anderen, bereits verdrängten Begehren, das immer schon unbewusst ist, einem Begehren, das an sich absolut nichts mit dem ‚im Traum latenten Gedanken‘ zu tun hat.

Das Geheimnis der Warenform 129

Ein ‚normaler Gedankengang‘ – normal und daher fähig, in ‚alltäglicher‘, ‚öffentlicher‘ Sprache, in der Syntax des ‚Sekundärprozesses‘, ausgedrückt zu werden – ‚ein normaler Gedankengang wird nur einer abnormen Behandlung der Art unterworfen, die wir beschrieben haben [wie Träumen oder Hysterie]‘ – mit anderen Worten, er wird nur den Wirkungen des Traums, den Mechanismen des ‚Primärprozesses‘, unterworfen – ‚wenn ein unbewusster Wunsch, aus der Kindheit stammend und im Zustand der Verdrängung, auf ihn übertragen worden ist‘ (Freud 2010: 594). Und wenn dieses unbewusste Begehren nicht auf ‚einen normalen Gedankengang‘ reduziert werden kann, wird es von Anfang an fortwährend verdrängt – dies ist die ‚ursprüngliche Verdrängung‘. Sein ‚Ursprung‘ liegt nicht in der ‚normalen‘ Sprache der alltäglichen Kommunikation, in der Syntax des bewusst-vorbewussten; sein einziger Raum liegt in den Mechanismen des ‚Primärprozesses‘. Daher dürfen wir die Arbeit der Interpretation nicht – wie Habermas es zum Beispiel tat (vgl. Habermas 1971) – auf die Rückübersetzung des ‚im Traum latenten Gedankens‘ in ‚normale‘, ‚alltägliche‘ Sprache reduzieren, weil die Struktur immer ternär ist, es gibt immer drei Momente: den manifesten Traumtext, den im Traum latenten Inhalt oder Gedanken UND das unbewusste Begehren, das sich im Traum artikuliert. Dieses Begehren heftet sich an den Traum in der Lücke zwischen latentem Gedanken und manifestem Text. Es ist nicht ‚noch verborgener, noch tiefer weggepackt‘; es ist – in Relation zum latenten Gedanken – erheblich näher an der Oberfläche. Es besteht vollständig im Bedeutungsmechanismus, in den Prozessen, die auf den latenten Gedanken einwirken; sein einziger Raum ist die Form des Traums.
Dies ist das grundlegende Paradox des Träumens: Das unbewusste Begehren, das angeblich das Dunkelste ist, artikuliert sich gerade durch den Prozess der Verdunkelung des ‚Kerns‘ des Traums, seines latenten Gedankens, durch diesen Prozess, der den Kern-Inhalt verkleidet, indem er ihn in das Rebus des Traums übersetzt. Hier ist die Schlüsselpassage bei Freud:
Ich fand es einmal außerordentlich schwierig, die Leser an die Unterscheidung zwischen dem manifesten Inhalt der Träume und den latenten Traumgedanken zu gewöhnen. Immer wieder wurden Argumente und Einwände auf der Grundlage irgendeines nicht interpretierten Traums in der Form vorgebracht, in der er im Gedächtnis behalten worden war, und die Notwendigkeit, ihn zu interpretieren, wurde ignoriert. Doch nun, da Analytiker sich wenigstens damit abgefunden haben, den manifesten Traum durch den Sinn zu ersetzen, den seine Interpretation enthüllt, sind viele von ihnen schuldig geworden, in eine andere Verwirrung zu verfallen, an der sie mit gleicher Hartnäckigkeit festhalten. Sie suchen das Wesen der Träume in ihrem latenten Inhalt, und dabei übersehen sie die Unterscheidung zwischen den latenten Traumgedanken und der Traumarbeit. Im Grunde sind Träume nichts anderes als eine besondere Form des Denkens, ermöglicht durch die Bedingungen des Schlafzustands. Es ist die Traumarbeit, die diese Form erzeugt, und sie allein ist das Wesen des Träumens – die Erklärung seiner eigentümlichen Natur. (2010: 241–2)
Freuds Argument hat hier zwei Stufen. Erstens argumentiert er, dass wir unseren ersten Eindruck aufbrechen müssen, Träumen sei nichts weiter als sinnlose Verwirrung, eine Störung, die durch physiologische Prozesse bedingt ist, die mit irgendeiner Art von Bedeutung überhaupt nichts zu tun haben. Mit anderen Worten, wir müssen zuerst den hermeneutischen Schritt tun; wir müssen anerkennen, dass Träume als bedeutungstragende Phänomene angegangen werden müssen, als etwas, das eine verdrängte Botschaft übermittelt, die durch das interpretative Verfahren freigelegt werden könnte. Dann müssen wir uns von unserer Faszination für den bedeutungstragenden Kern, den hinter der Form des Traums verborgenen Inhalt – die ‚verborgene Bedeutung‘ des Traums – befreien und unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Form des Traums selbst richten, auf die ‚Übertragungsarbeit‘ des latenten Gedankens durch den Mechanismus der ‚Traumarbeit‘.
Diese gleiche zweistufige Analyse findet sich in Marx’ Diskussion des ‚Geheimnisses der Warenform‘. Marx zufolge müssen wir zunächst den Anschein beseitigen, der Wert einer Ware sei willkürlich, das Ergebnis eines zufälligen Verhältnisses, sagen wir, von Angebot und Nachfrage. Wir müssen den wesentlichen Schritt hin zur ‚Bedeutung‘ tun, die hinter der Warenform verborgen ist, die in dieser Form ‚ausgedrückt‘ wird; wir müssen in das ‚Geheimnis‘ des Warenwerts eindringen:
Die Bestimmung der Wertgröße durch die Arbeitszeit ist daher ein Geheimnis, das unter den scheinbaren Bewegungen der relativen Werte der Waren verborgen ist. Seine Entdeckung zerstört den Schein einer bloß zufälligen Bestimmung der Wertgröße der Produkte der Arbeit, hebt aber keineswegs die stoffliche Form dieser Bestimmung auf. (Marx 1992: 168)
Wie Marx jedoch schreibt, gibt es ein ‚aber‘ – einfach beim Geheimnis anzukommen, reicht nicht. Die klassische bürgerliche politische Ökonomie ist bereits beim ‚Geheimnis‘ der Warenform angekommen; ihre Begrenzung ist, dass sie von ihrer Faszination für die ‚verborgene Bedeutung‘ der Warenform geblendet bleibt und an der Arbeit als der wahren Quelle des Reichtums fixiert bleibt. Mit anderen Worten, die bürgerliche politische Ökonomie interessiert sich nur für den hinter der Warenform verborgenen Inhalt, und darum kann sie das wahre Geheimnis nicht erklären – nicht das Geheimnis hinter der Form, sondern das Geheimnis der Form selbst. Der bürgerlichen politischen Ökonomie fehlt eine exakte Bestimmung des ‚Geheimnisses der Wertgröße‘, und so bleibt die Ware rätselhaft, mysteriös – und wir sehen dasselbe bei Träumen. Träumen bleibt ein rätselhaftes Phänomen, selbst nachdem wir seine verborgene Bedeutung, den in ihm latenten Gedanken, erklärt haben. Das, was unerklärt bleibt, ist ganz einfach die Form-selbst des Traums, der Prozess, durch den die ‚verborgene Bedeutung‘ auf diese besondere Weise dazu kam, sich zu verkleiden.
Wir müssen daher einen weiteren – absolut entscheidenden – Schritt tun und die Genese der Warenform selbst analysieren, nicht nur die Form auf ihr Wesen, auf ihren geheimen Inhalt, reduzieren, sondern den Prozess untersuchen – analog zur ‚Traumarbeit‘ –, durch den der verborgene Inhalt diese Form annimmt, weil, wie Marx sagte: ‚Woher entspringt also der rätselhafte Charakter dieses Produkts der Arbeit, sobald es die Form einer Ware annimmt? Offenkundig aus dieser Form selbst‘ (Marx 1992: 164). Die klassische politische Ökonomie ist außerstande, diesen entscheidenden Schritt zur Genese der Form zu machen, und dies ist ihr grundlegender Mangel:
Die politische Ökonomie hat zwar den Wert und seine Größe analysiert, wenn auch unvollständig, und hat den in diesen Formen verborgenen Inhalt aufgedeckt. Aber sie hat nicht ein einziges Mal die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene besondere Form angenommen hat, das heißt, warum Arbeit im Wert ausgedrückt wird und warum das Maß der Arbeit durch ihre Dauer in der Größe des Werts des Produkts ausgedrückt wird. (Marx 1992: 173–4)

Die Warenform im Unbewussten
Was ist es an der marxistischen Analyse der Warenform, das sie so faszinierend macht? Es ist die Tatsache, dass seine Analyse die Matrix lieferte, die all die späteren ‚fetischistischen Umkehrungen‘ möglich machte. Es ist, als ob seine Erörterung der Warenform den Grundmechanismus in seiner reinen Form offenlegte, einen Mechanismus, der für das Funktionieren von Phänomenen wesentlich ist, die an der Oberfläche nichts mit dem Feld der politischen Ökonomie gemein zu haben scheinen (Recht, Religion usw.). In der Warenform steckt viel mehr als einfach die Warenform, und ihre Macht zu faszinieren kommt aus diesem ‚Überschuss‘. Alfred Sohn-Rethel, einer der ‚Mitläufer‘ der ‚kritischen Sozialtheorie‘, ist gewiss der Denker, der am weitesten ging, den universellen Umfang der Warenform zu beschreiben. Seine grundlegende These lautete, dass ‚im innersten Kern der Warenstruktur das ‚transzendentale Subjekt‘ zu finden sei‘ (Sohn-Rethel 1978: xiii). Die Warenform präfigurierte die Anatomie, das Skelett, des kantischen transzendentalen Subjekts, das transzendentale Netz von Kategorien, die den apriorischen Rahmen des ‚objektiven‘ wissenschaftlichen Wissens konstituieren. Dies ist das Paradox der Warenform. Als weltliches – im kantischen Sinne ‚pathologisches‘ – Phänomen bietet sie uns die Lösung der fundamentalsten Frage der Erkenntnistheorie: Wie könnte es möglich sein, dass es universell gültiges objektives Wissen gibt?
Nach einer Reihe minutiöser Analysen kam Sohn-Rethel zu folgender Schlussfolgerung: Der kategoriale Apparat, den das wissenschaftliche Verfahren (der newtonischen Wissenschaft) voraussetzt, die begriffliche Linse, durch die es sich der Natur nähert, ist bereits in der sozialen Wirksamkeit vorhanden, er ist bereits im Akt des Warentauschs am Werk. Bevor das Denken zur reinen Abstraktion gelangte, war die Abstraktion bereits in der sozialen Wirksamkeit des Marktes am Werk. Der Austausch von Waren beinhaltet eine doppelte Abstraktion: die Abstraktion von der veränderlichen Natur der Ware während des Tauschakts und die Abstraktion von ihrer konkreten, besonderen, empirischen, greifbaren Bestimmtheit. In einem Austausch wird eine Ware als undifferenziert gesetzt trotz ihrer spezifischen Qualitäten; sobald von ihrer spezifischen Natur, ihrem ‚Gebrauchswert‘, abstrahiert wurde, hat eine Ware ‚denselben Wert‘ wie eine andere Ware. Noch bevor wir zur Idee einer rein quantitativen Bestimmung gelangten – die sine qua non der modernen Naturwissenschaft – war die reine Quantität bereits in der Form des Geldes am Werk, der Ware, die es möglich machte, den Wert aller anderen Waren zu messen, was immer ihre spezifischen qualitativen Bestimmungen sein mögen. Lange bevor die Physik den Begriff einer rein abstrakten Bewegung artikulierte, die sich im geometrischen Raum ereignet, unabhängig von jeglichen qualitativen Bestimmungen, hatten alltägliche Tauschakte bereits eine solche ‚reine‘ abstrakte Bewegung realisiert, eine Bewegung, die von den konkret-greifbaren Qualitäten des bewegten Objekts unberührt blieb: die Übertragung des Eigentums. Sohn-Rethel zeigte dann dasselbe im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Substanz und Akzidens, im Hinblick auf den Kausalitätsbegriff in der newtonischen Wissenschaft . . . kurz, für die ganze Reihe der Kategorien der reinen Vernunft.
Darum sieht sich das transzendentale Subjekt, das Fundament aller apriorischen Kategorien, schließlich mit der sehr beunruhigenden Tatsache konfrontiert, dass seine formale Genese aus einem weltlichen, ‚pathologischen‘ Prozess hervorging. Dies ist ein Skandal, ein ‚unmögliches‘ non sequitur aus transzendentaler Perspektive, da das formal-transzendentale Apriori definitionsgemäß von allen Inhalten unabhängig ist. Und dieser Skandal entspricht vollkommen dem ‚skandalösen‘ Charakter des freudianischen Unbewussten, das ebenso unerträglich für den transzendental-philosophischen Standpunkt ist. Wenn wir tatsächlich den ‚ontologischen‘ Status dessen, was Sohn-Rethel die ‚reale Abstraktion‘ [‚reale Abstraktion‘] nannte (den Akt der Abstraktion, der in der Praxis des Warentauschs enthalten ist), genau untersuchen, wird die Parallele zwischen diesem Status und dem des Unbewussten – jener Signifikantenkette, die ‚auf einer anderen Bühne‘ existiert – überdeutlich: Die ‚reale Abstraktion‘ ist das Unbewusste des transzendentalen Subjekts, genau das, was das Fundament für objektiv-universelles wissenschaftliches Wissen liefert.
Einerseits gibt es nichts ‚Reales‘ an der ‚realen Abstraktion‘ im Sinne tatsächlicher Eigenschaften der Dinge; die Bestimmung des ‚Werts‘ ist nicht Teil des Objekts-Ware in der Weise, wie die besonderen Eigenschaften, die ihren ‚Gebrauchswert‘ ausmachen (Form, Farbe, Geschmack usw.), es sind. Wie Sohn-Rethel hervorhob, hat die ‚reale Abstraktion‘ den Charakter eines Postulats, das durch die wirklich-weltliche Praxis des Austauschs impliziert ist; ihre Natur ist die eines ‚als ob‘ [‚als ob‘]. Im Akt des Austauschs handeln Individuen so, als ob die Ware während des Akts keinen physischen Veränderungen unterworfen sei, als ob sie nur auf der Ebene des ‚Bewusstseins‘ existiere, obwohl die Beteiligten ‚sehr genau wissen‘, dass ‚das nicht wahr ist‘. Dieses Postulat ist noch evidenter, wenn wir die Materialität des Geldes betrachten. Wir wissen sehr genau, dass Währung Abnutzung unterliegt, dass ihre physische Form sich mit der Zeit verändert, aber dennoch behandeln wir sie in der sozialen Realität des Marktes als ‚unveränderliche Substanz, eine Substanz, über die die Zeit keine Macht hat und die in antithetischem Gegensatz zu jeder in der Natur vorfindlichen Materie steht‘ (Sohn-Rethel 1978: 59). Dies erinnert an die fetischistische Verleugnung: ‚Natürlich weiß ich, aber trotzdem . . .‘ Wir sollten daher zur Liste der gängigsten Beispiele dieser Formulierung – ‚natürlich weiß ich, dass meine Mutter keinen Phallus hat, aber trotzdem . . .‘; ‚natürlich weiß ich, dass Juden Menschen sind wie wir übrigen, aber trotzdem . . .‘ – das Beispiel des Geldes hinzufügen.
Hier berühren wir ein Problem, das Marx nicht gelöst hat, das der Materialität des Geldes. Nicht die ‚empirische‘, ‚greifbare‘ Materialität des Geldes, sondern seine erhabene Materialität, seinen anderen Körper, der ‚unzerstörbar und nicht geschaffen‘ ist, der jenseits der Degradation des physischen Körpers existiert – der Körper des Geldes ist genau wie der des sadischen Opfers, das jede Folter erträgt, nur um makellos schön wieder hervorzutreten (vgl. Riha 1986). Die immaterielle Körperlichkeit eines ‚Körpers ohne Körper‘ ist die Definition selbst des erhabenen Objekts, und nur in diesem Sinne können wir das Argument machen, dass Geld ein ‚prä-phallisches‘, ‚anales‘ Objekt ist – solange wir nicht vergessen, dass die postulierte Existenz dieses erhabenen Körpers von der symbolischen Ordnung abhängt. Der unzerstörbare ‚Körper ohne Körper‘, der durch Gebrauch nicht abgenutzt werden kann, setzt eine Garantie durch eine symbolische Autorität voraus.

134 Posthegelianische Sackgassen

Sein Gewicht und seine metallische Reinheit werden durch die ausgebende Autorität garantiert, so dass, wenn es durch die Abnutzung der Zirkulation an Gewicht verloren hat, voller Ersatz geleistet wird. Seine physische Materie ist sichtbar zu einem bloßen Träger seiner sozialen Funktion geworden. Eine Münze ist daher ein Ding, das den Postulaten der Austauschabstraktion entspricht und unter anderem aus einer unveränderlichen Substanz bestehen soll, einer Substanz, über die die Zeit keine Macht hat und die in antithetischem Gegensatz zu jeder in der Natur vorfindlichen Materie steht. (Sohn-Rethel 1978: 59)
Wenn also die ‚reale Abstraktion‘ nicht auf der Ebene der ‚Realität‘, der existierenden Eigenschaften des Objekts, operiert, ist sie dennoch keine ‚Gedankenabstraktion‘, kein Prozess, der ‚im Inneren‘ des denkenden Subjekts stattfindet. Anders als ein ‚innerer‘ Prozess ist die Abstraktion des Tauschakts irreduzibel äußerlich, dezentriert, oder, um Sohn-Rethels recht prägnante Formulierung zu verwenden: ‚Die Abstraktion des Austauschs ist nicht Denken, aber sie hat die Form des Denkens‘ (1970: 98). Hier haben wir eine mögliche Definition des Unbewussten: eine Form des Denkens, deren ‚ontologischer‘ Status nicht der des Denkens ist, das heißt eine, die dem Denken irreduzibel äußerlich bleibt – eine andere Bühne außerhalb des Denkens, auf der die Form des Denkens bereits vorher artikuliert worden ist. Als formale Ordnung ist das Symbolische genau ein solcher dritter Weg in Bezug auf die doppelte empirische Realität des ‚Außen/Innen‘ der subjektiven gelebten Erfahrung. Sohn-Rethel hatte daher durchaus recht, Althusser dafür zu kritisieren, der Abstraktion den Status des Denkens zu geben und sie damit auf einen Prozess zu reduzieren, der nur auf der Ebene des Wissens stattfinden kann, und die Kategorie der ‚realen Abstraktion‘ als erkenntnistheoretische Verwirrung zurückzuweisen. ‚Reale Abstraktion‘ war für Althusser undenkbar, weil sie seine grundlegende erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen dem ‚realen Objekt‘ und dem ‚Erkenntnisobjekt‘ sprengte, indem sie eine dritte Option einführte: die der Form vor dem Denken und außerhalb des Denkens; schlicht, das Symbolische.
Nun sind wir in der Lage, zu präzisieren, was genau an Sohn-Rethels Argumenten für das philosophische Denken unerträglich ist – das, was an seinem Ansatz ‚skandalös‘ ist. Er ließ den Kreis des philosophischen Denkens mit einem äußeren Raum konfrontiert werden, in dem seine Form bereits ‚vorausgesetzt‘ worden ist. Philosophisches Denken fand sich mit einer beunruhigenden Erfahrung konfrontiert, ähnlich dem östlichen Sprichwort ‚du bist das‘; hier, in der äußeren Praxis des Austauschs, ist dein wahrer Ort, dies ist die Bühne, auf der deine Wahrheit vollzogen wurde, bevor du dir ihrer bewusst wurdest. Die Konfrontation mit diesem Ort ist daher für den Philosophen unerträglich, weil sich die Position des Philosophen dadurch definiert, diesen Raum nicht zu sehen. Sie kann sich dieses Raums nicht bewusst werden, ohne auseinanderzufallen, ohne ihre Konsistenz zu verlieren.

Das Geheimnis der Warenform 135

Das bedeutet nicht, dass – im Unterschied zum philosophisch-theoretischen Bewusstsein – das ‚praktische‘ Bewusstsein, das Bewusstsein der Subjekte, die am Akt des Austauschs beteiligt sind, nicht eine ähnliche konstitutive Verkennung einschließt. Dieses Bewusstsein ‚praktiziert‘ seine eigene Blindheit. Das Individuum, das den Tauschakts vollzieht, verfährt in der Weise eines ‚praktischen Solipsisten‘. Im Akt des Austauschs verfehlt es, die sozio-synthetische Funktion des Austauschs zu sehen, die Ebene der ‚realen Abstraktion‘, auf der private Produktion durch den Marktplatz vergesellschaftet wird. Dieses Verfehlen ist die sine qua non der erfolgreichen Vollendung des Tauschakts; würden die Beteiligten sich der ‚realen Abstraktion‘ bewusst werden, wäre ‚effektiver‘ Austausch nicht länger möglich:
Austausch als synthetische soziale Form des Verkehrs blendet sich selbst . . . Hier kann Vergesellschaftung nur stattfinden, wenn sie nicht wahrgenommen wird. Bewusstsein würde eine Reflexion erfordern, die mit dem Austauschakt unvereinbar wäre; die Beobachtung des Vergesellschaftungsprozesses würde seine Schnur durchschneiden. Diese Unwissenheit über die Realität ist Teil seines Wesens. (Sohn-Rethel 1970: 119)
Diese Verkennung bringt die Spaltung im Bewusstsein zwischen dem ‚praktischen‘ Bewusstsein und dem ‚theoretischen‘ Bewusstsein zum Vorschein. Der Eigentümer, der am Austauschakt teilnimmt, verfährt in der Weise eines ‚praktischen Solipsisten‘. Er blendet sich gegenüber der universellen sozio-synthetischen Dimension seines Akts, indem er ihn auf eine Relation zwischen atomisierten Monaden reduziert, die einander auf dem Marktplatz begegnen. Die verdrängte, soziale Dimension seines Akts erscheint dann in der Form ihres Gegenteils: universelle Vernunft, ausgerichtet auf die Beobachtung der Natur (das Netz der Kategorien der ‚reinen Vernunft‘ als begrifflicher Rahmen der Naturwissenschaften).
Hier begegnen wir der Beziehung zwischen ‚Sein‘ und ‚Wissen‘, die die freudianische Konzeption des Unbewussten charakterisiert. Es gibt ein paradoxes ‚Sein‘, das nicht ‚unabhängig vom Bewusstsein‘ ist (die Standarddefinition für materialistischen Realismus: ein objektiver Prozess, der gemäß seiner immanenten Notwendigkeit operiert, ‚unabhängig davon, was Subjekte darüber denken‘), aber dennoch kein Entität ist, die vom Bewusstsein abhängt, noch eine, die nur als Objekt eines Bewusstseins existiert (esse-percipi: die Formel des subjektiven Idealismus), sondern eine Entität, deren Existenz einen Mangel an Wissen impliziert. Seine gegebene Form ist selbst das Ergebnis eines Fehlgriffs; seine ‚ontologische‘ Konsistenz beruht vollständig auf einem Missverständnis. Dies ist vielleicht eine mögliche Definition der imaginären Ordnung. Zum Beispiel: Sobald das Subjekt ‚zu viel über‘ das imaginäre Ich weiß, verschwindet es, verflüchtigt sich, verliert seine Konsistenz. Die volle Präsenz des Imaginären bekommt ihre Konsistenz daraus, dass es irgendwo eine ‚verbotene Zone‘ gibt, eine Zone tödlichen Wissens.

Marx, Erfinder des Symptoms
Lacans These, Marx habe das Symptom erfunden, bezieht sich auf die Weise, in der jener die Warenfetischisierung problematisierte. Er tat dies, indem er eine Spalte, eine Asymmetrie, ein ‚pathologisches‘ Ungleichgewicht aufdeckte, das die Universalität bürgerlicher ‚Rechte und Pflichten‘ untergräbt. Dieses Ungleichgewicht, weit davon entfernt zu zeigen, dass dieser Universalismus ‚unzureichend umgesetzt‘ war, dass es einen Rest gab, der durch weitere Radikalisierung abgeschafft werden müsse, fungiert in der Tat als sein konstitutiver Moment. In einem strengen Sinn ist das ‚Symptom‘ ein Ausnahmeelement genau dieser Art, eines, das das Universale untergräbt, dessen Teil es ist.

Marx’ theoretischer Ansatz, seine ‚Ideologiekritik‘, ist grundlegend symptombezogen; er besteht darin, den ‚Bruchpunkt‘ [‚point d’écrasement‘] (J.-A. Miller 1967) aufzusuchen, der von einem ideologischen Feld verschieden und zugleich für dieses Feld notwendig ist, damit es Totalität erreicht, damit sich sein Kreis schließt. Die Logik der Ausnahme ist integraler Bestandteil von Marx’ theoretischem Ansatz. Jede ideologische Universalität – etwa die von Freiheit, Gerechtigkeit oder Gleichheit – ist ‚falsch‘; sie enthält notwendig einen spezifischen Fall, der ihre Einheit bricht, der ihre Fehlbarkeit exponiert. Freiheit ist ein universeller Begriff, der eine ganze Reihe von Unterarten enthält (Rede- und Gewissensfreiheit, Presse- und Handelsfreiheit usw.). Es gibt jedoch, aus struktureller Notwendigkeit, eine besondere Freiheit, die den universellen Begriff der Freiheit untergräbt: die Freiheit der Arbeit, die Freiheit des Arbeiters, seine Arbeit auf dem freien Markt frei zu verkaufen. Diese Freiheit ist das Gegenteil wirksamer Freiheit selbst, denn durch den freien Verkauf seiner Arbeit verliert der Arbeiter seine Freiheit. Der wirksame Inhalt dieses freien Verkaufsakts ist Unterwerfung unter das Kapital. Und genau diese paradoxe Freiheit, die Form-selbst der Sklaverei, ist es, die das Feld vervollständigt, die den Kreis der bürgerlichen Freiheiten schließt. Dasselbe gilt für das Ideal des Marktplatzes: fairer, äquivalenter Austausch. Jede Ware muss vollständig bezahlt werden, aber es gibt eine paradoxe Ware – die natürlich wiederum die Arbeit ist –, die gerade deshalb ausgebeutet wird, weil sie vollständig bezahlt worden ist. Die Ausbeutung der Arbeit besteht nicht darin, dass ihr nicht ihr voller Anteil bezahlt würde; der Austausch zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter ist – zumindest dem Prinzip nach – ein vollkommen fairer, äquivalenter Austausch, in dem der Arbeiter den vollen Preis für seine Arbeit erhält. Der Taschenspielertrick besteht darin, dass ‚Arbeit‘ eine paradoxe Ware ist, deren Gebrauch – die Arbeit selbst – einen Wertüberschuss im Verhältnis zu ihrem eigenen Wert produziert, und es ist dieser Mehrwert, den der Kapitalist sich aneignet. Wir haben also eine weitere ideologische Universalität, die des fairen, äquivalenten Austauschs, und einen paradoxen Austausch – von Arbeit gegen Lohn –, der gerade weil er äquivalent ist, die Form-selbst der Ausbeutung ist.
Wir könnten diese Frage auch mit der inzwischen berüchtigten Beschreibung, der ‚Dialektik von Quantität und Qualität‘, formulieren. Nehmen wir an, wir haben eine Qualität, eine Eigenschaft, ein universelles Merkmal. Sobald wir jeden Fall einer Universalität verstehen, vereinheitlichen, totalisieren wollen, die ganze Quantität einer Qualität, oder, um es in den Begriffen eines Logikers zu sagen, die volle Extension eines Begriffs, wird es notwendig ‚mindestens Einen‘ paradoxen Bestandteil geben, der – gerade weil er intern ist – die Universalität der betreffenden Qualität untergräbt und zerstört. Als in der vorkapitalistischen Gesellschaft die Warenproduktion nicht universal war, als Naturalproduktion überwog, waren die Eigentümer der Produktionsmittel zumindest der Theorie nach noch selbst Produzenten. Dies ist handwerkliche Produktion, in der der Eigentümer selbst arbeitet und seine Produkte auf dem Markt verkauft. Auf dieser Entwicklungsstufe gibt es – zumindest dem Prinzip nach, wenn wir von der Ausbeutung von Lehrlingen usw. absehen – keine Ausbeutung, und der Marktaustausch ist äquivalent, jede Ware wird zu ihrem vollen Wert bezahlt. Sobald jedoch die Marktproduktion zu universalisieren beginnt, sobald sie beginnt, zum vorherrschenden Modell im ökonomischen Rahmen der Gesellschaft zu werden, gibt es einen ‚qualitativen Sprung‘. Eine neue und paradoxe Ware beginnt auf dem Marktplatz zu erscheinen: Arbeit, Arbeiter, die nicht selbst Eigentümer der Produktionsmittel sind und die daher nicht die Produkte ihrer Arbeit, sondern ihre Arbeit selbst verkaufen müssen, um zu überleben. Mit dem Auftreten dieser neuen Ware wird der äquivalente Austausch zu seiner eigenen Negation, er kehrt sich in die Form-selbst der Ausbeutung um, der Aneignung von Mehrwert. Die ‚qualitative‘ Entwicklung selbst, die Universalisierung der Warenproduktion, produziert daher eine ‚neue Qualität‘ und führt zum Auftreten einer neuen Ware, die als interne Negation des universellen Prinzips des äquivalenten Warenaustauschs fungiert. Die Utopie des ‚kleinbürgerlichen‘ Sozialismus ist genau der Glaube an die Möglichkeit einer Gesellschaft, in der Austauschverhältnisse universalisiert sind, Marktplatzproduktion überwiegt, die Arbeiter jedoch dennoch Eigentümer der Produktionsmittel bleiben. Eine Ökonomie, die die Warenproduktion universalisiert hat, dies aber ohne Ausbeutung tut, ist präzise eine Universalität ohne Symptom, ohne die paradoxe Ausnahme, die die Rolle ihrer internen Negation übernimmt.

138 Posthegelianische Sackgassen

Dies ist auch die marxistische Kritik an Hegel, an der hegelianischen Idee einer rationalen Totalität. Sobald man versucht, die bestehende gesellschaftliche Ordnung als rationale Totalität zu fassen, muss man ein paradoxes gesellschaftliches Element hinzufügen, das, während es dieser rationalen Totalität intern ist, als ihr Symptom fungiert und das Prinzip der universellen Totalität untergräbt. In der Gesellschaft der Epoche von Marx war das irrationale Element der gesellschaftlichen Struktur natürlich das Proletariat, das als die ‚Unvernunft der Vernunft selbst‘ (Marx) fungierte, als der Moment, in dem universelle Vernunft auf ihre eigene Unvernunft traf. (Zum Proletariat als ‚Symptom‘ vgl. auch Naveau 1983). Wenn Lacan Marx die Entdeckung des Symptoms zuschreibt, ist er noch spezifischer. Lacan argumentiert, die Entdeckung liege in Marx’ Konzeptualisierung des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus: ‚Der Ursprung des Begriffs des Symptoms ist nicht bei Hippokrates zu suchen, sondern bei Marx, in der Verbindung, die er als Erster herstellt zwischen dem Kapitalismus und was? – den guten alten Tagen, dem, was man die Feudalzeit nennt‘ (Lacan o. J.: 33).
Um diese Verbindung zu verstehen, müssen wir bei ihrer theoretischen Grundlage beginnen: dem marxistischen Begriff des Warenfetischismus.

Fetisch und Ware
Der fetischistische Charakter der Ware besteht darin, dass: ‚das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst hier für sie die phantastische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt‘ (Marx 1992: 165). Der Wert einer Ware ist in Wahrheit nur die Repräsentation eines bestimmten Typs von Netzwerk gesellschaftlicher Beziehungen zwischen den Produzenten verschiedener Waren. Dieser Wert erhält seine Form als ‚quasi-natürliche‘ Eigenschaft von einer anderen Waren-Sache, dem Geld; wir sagen, der Wert einer Ware sei soundsoviel Geld. Der Schlüsselmoment im Fetischisierungsprozess ist nicht die berüchtigte Ersetzung von Menschen durch Dinge (‚ein Verhältnis zwischen Menschen nimmt die Form eines Verhältnisses zwischen Dingen an‘); vielmehr findet er sich in einem bestimmten Irrtum, der das Verhältnis zwischen dem strukturierten Netzwerk und einem seiner Elemente betrifft. Etwas, das tatsächlich ein Struktureffekt ist (des Netzwerks der Beziehungen zwischen den Elementen), erscheint so, als wäre es eine unmittelbare Eigenschaft eines Elements, eine Eigenschaft, die es unabhängig von seiner Beziehung zu anderen Elementen besäße. Ein solcher Irrtum kann sowohl aus Beziehungen ‚zwischen Dingen‘ wie auch ‚zwischen Menschen‘ entstehen. Marx sagt dies ausdrücklich über einfache Wertausdrücke. Ware A kann ihren Wert nur in Beziehung zu einer anderen Ware, B, ausdrücken, die dadurch zu ihrem Äquivalent wird. Aufgrund des Wertverhältnisses wird ‚der physische Körper‘ – das heißt die bestehenden Eigenschaften, der Gebrauchswert – ‚von Ware B zu einem Spiegel für den Wert von Ware A‘ (Marx 1992: 144). Marx führt diesen Gedanken in einer Fußnote aus:
In gewissem Sinne steht ein Mensch in derselben Lage wie eine Ware. Da er weder mit einem Spiegel auf die Welt kommt, noch als fichtescher Philosoph, der sagen kann: ‚Ich bin Ich‘, sieht und erkennt ein Mensch sich zuerst in einem anderen Menschen. Peter bezieht sich nur durch seine Beziehung zu einem anderen Menschen, Paul, in dem er seine Ähnlichkeit erkennt, auf sich selbst als Mensch. Damit wird aber auch Paul von Kopf bis Fuß, in seiner physischen Gestalt als Paul, zur Erscheinungsform der Gattung Mensch für Peter. (Marx 1992: 144)
In gewisser Weise präfiguriert dieser kleine Einschub das lacansche Spiegelstadium. Das Ich kann seine eigene Einheit, seine eigene Identität, nur erreichen, wenn es in einem anderen gespiegelt wird, weil diese andere Person mir ein Bild meiner eigenen Einheit anbietet. Marx setzt diese Parallele dann fort: Die andere Ware, B, ist nur insofern Äquivalent, als A sie als die Form anspricht, in der sein eigener Wert erscheint; sie ist nur innerhalb dieses Verhältnisses Äquivalent. Aber es erscheint – und dies ist der Schlüsseleffekt des Fetischismus – es erscheint, als ob genau das Gegenteil wahr wäre. A scheint zu B ein Verhältnis zu entwickeln, als ob Bs Eigenschaft, ein-Äquivalent-zu-sein, nicht eine ‚Reflexionsbestimmung‘ (Marx) von A wäre, als ob B bereits an sich ein Äquivalent wäre. Die Eigenschaft, Äquivalent zu sein, scheint ihm sogar außerhalb seiner Beziehung zu A zuzukommen, als nur eine weitere seiner bestehenden, ‚natürlichen‘ Eigenschaften, die seinen Gebrauchswert konstituieren. Marx bietet erneut einen recht interessanten Einschub:
Solche Reflexionsbestimmungen sind überhaupt sehr sonderbar. So ist z. B. ein Mensch nur König, weil andere Menschen sich als Untertanen zu ihm verhalten. Sie dagegen bilden sich ein, Untertanen zu sein, weil er König ist. (Marx 1992: 149)
‚König-sein‘ ist ein Effekt des Netzwerks gesellschaftlicher Beziehungen zwischen dem ‚König‘ und seinen ‚Untertanen‘, und – und hier ist der Fetischeffekt – insofern man in diese sozialen Bindungen verstrickt ist, fällt man einem Irrtum zum Opfer und das Verständnis der Beziehung kippt. Man glaubt, Untertan zu sein, man verhält sich dem König gegenüber wie ein Untertan, als ob der König bereits an sich, außerhalb seiner Beziehung zu seinen Untertanen, König wäre, als ob ‚König-sein‘ eine natürliche Eigenschaft der königlichen Person wäre. Dies erinnert natürlich an Lacans berühmte Aussage, dass der Verrückte nicht nur der Bettler ist, der glaubt, er sei König, sondern auch der König, der glaubt, er sei König, das heißt, der sein Selbst unmittelbar mit der Bezeichnung ‚König‘ identifiziert.
Es gibt also eine Parallele, eine tiefe Ähnlichkeit, zwischen den beiden Modi des Fetischismus, und nun wird die Schlüsselfrage: Wie ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Ebenen? Tatsächlich ist dieses Verhältnis keine einfache Parallele. Wir können nicht sagen, dass in Gesellschaften, in denen Marktproduktion überwiegt – das heißt im Grunde kapitalistischen Gesellschaften –, ‚was für Waren gilt, auch für Menschen gilt‘. Tatsächlich ist gerade das Gegenteil wahr. Während Warenfetischismus in der kapitalistischen Gesellschaft die Regel ist, sind Beziehungen unter Menschen im Kapitalismus nicht-fetischistisch; sie sind Beziehungen zwischen ‚freien‘ Akteuren, von denen jeder nach seinem oder ihrem eigenen Interesse handelt. Der vorherrschende und bestimmende Beziehungstyp ist nicht der von Herrschaft und Knechtschaft, sondern vielmehr ein Vertrag zwischen freien Subjekten, die vor dem Gesetz gleich sind, direkt dem Marktaustausch nachgebildet. Zwei Subjekte begegnen einander, und ihre Beziehung ist unbeschwert von irgendeinem Joch der Herrschaft oder Knechtschaft, der Verehrung des Herrn, der patriarchalen Verpflichtungen des Herrn gegenüber dem Knecht. Wenn ich dir begegne, ist es, als wären wir zwei Menschen, deren Verhalten durch und durch von ‚egoistischem‘ Interesse bestimmt ist, jeder von uns handelt wie ein guter Nutzenmaximierer. Du hast keine mystische Aura; ich sehe dich nur als Partner, der, genau wie ich selbst, seinem eigenen Interesse folgt, und du bist für mich nur interessant, weil du etwas hast – ein Gut, eine Ware –, das meine Bedürfnisse befriedigen kann.
Damit sind die beiden Formen des Fetischismus unvereinbar. Wo Warenfetischismus herrscht, gibt es eine totale Entfetischisierung der ‚Beziehungen unter Menschen‘, und umgekehrt: Dort, wo der Fetischismus ‚menschlicher Beziehungen‘ die Norm ist – das heißt in vorkapitalistischen Gesellschaften –, hat sich Warenfetischismus noch nicht entwickelt, weil ‚natürliche‘ Produktion und nicht Marktproduktion überwiegt. Nennen wir den Fetischismus, der zwischen Menschen existiert, bei seinem wahren Namen: Es sind, wie Marx sagt, ‚Verhältnisse der Herrschaft und Knechtschaft‘, und genauer das hegelianische Verhältnis des Knechts zum Herrn. Es ist, als hätte der durch den Kapitalismus bewirkte Rückzug des Herrn in Wahrheit nur eine Verlagerung verursacht, als wäre die Entfetischisierung zwischenmenschlicher Beziehungen durch die Fetischisierung der ‚Beziehungen zwischen Dingen‘ bezahlt worden. Die entscheidenden gesellschaftlichen Beziehungen, die der Produktion, sind nicht unmittelbar sichtbar in der Weise, wie die zwischenmenschliche Beziehung von Herr und Knecht (Herr zu Leibeigenem usw.) es ist. Sie verkleiden sich – um Marx’ äußerst präzise Beschreibung zu verwenden – als ‚gesellschaftliche Beziehungen zwischen Dingen, Produkten der Arbeit‘, das heißt als Waren.
Darum liegt die Entdeckung des Symptoms in Marx’ Konzeptualisierung des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Mit der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft wurden Verhältnisse der Herrschaft und Knechtschaft verdrängt. Im Kapitalismus erscheint es so, als ob es der Theorie nach freie Subjekte gibt, deren zwischenmenschliche Beziehungen frei von jedem Fetischismus sind. Die verdrängte Wahrheit – die des fortbestehenden Daseins von Herrschaft und Knechtschaft – bricht in einem Symptom durch, das das von der Ideologie präsentierte Bild von Gleichheit, Freiheit usw. untergräbt. Das Symptom, durch das die Wahrheit der gesellschaftlichen Beziehungen einbricht, ist die ‚gesellschaftliche Beziehung der Dinge‘. Die entscheidenden gesellschaftlichen Beziehungen, die der Ausbeutung, lassen sich nicht durch die Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen finden. Wir müssen auf die ‚gesellschaftlichen Beziehungen der Dinge‘ blicken, anders als in der feudalen Gesellschaft, in der:
Was immer wir also von den verschiedenen Rollen denken mögen, in denen Menschen einander in einer solchen Gesellschaft gegenübertreten, so erscheinen die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Individuen bei der Verrichtung ihrer Arbeit jedenfalls als ihre eigenen persönlichen Beziehungen und sind nicht verkleidet als gesellschaftliche Beziehungen zwischen Dingen, zwischen den Produkten der Arbeit. (Marx 1992: 170)
Dass die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen, statt sich sauber als persönliche Beziehungen anzukündigen, sich als gesellschaftliche Beziehungen unter Dingen verkleiden – das ist eine schöne Definition des Symptoms, das ist die ‚Konversionshysterie‘ des Kapitalismus.

Die ‚Subjekte, die angeblich . . .‘
Wir dürfen uns nicht davon ablenken lassen, dass die Opposition zwischen ‚Menschen‘ und ‚Dingen‘ zunächst ‚naiv‘ und ‚humanistisch‘ erscheinen mag. Marx’ Argumentation ist gerade deshalb so subversiv, weil er diese Unterscheidung in einer Weise nutzt, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: In der kapitalistischen Gesellschaft sind Beziehungen unter ‚Menschen‘ transparent und entmythologisiert, Individuen sind von ‚naiven‘ Glaubensformen, von allen obskurantistischen Vorurteilen befreit. Sie alle handeln als rational-utilitaristische Subjekte; mit anderen Worten: Es sind die ‚Dinge‘ selbst, die für sie glauben, und dieser Glaube ist verkörpert, materialisiert, in den ‚gesellschaftlichen Beziehungen der Dinge‘. Das ist ähnlich den tibetischen Gebetsmühlen; ich drehe die Mühle (oder besser: wenn ich durch die ‚List der Vernunft‘ handle und eine Windmühle baue, die sie von selbst dreht), und so betet das Ding selbst für mich. Genauer: Ich bete durch sie. Das Ding fungiert als Vermittler, während ‚ich selbst‘ gehen und tun kann, was immer ich will; ich kann losziehen und mich den schmutzigsten Phantasien hingeben. Um es in stalinistischen Begriffen auszudrücken: Es ist egal, was ich tue, denn objektiv bete ich.

142 Posthegelianische Sackgassen

Zum Thema der paradoxen Möglichkeit, den eigenen Glauben an einen anderen zu delegieren, bin ich versucht, die lacansche These über den grundlegend antipsychologischen Charakter der Psychoanalyse anzuführen. ‚Emotionen‘ selbst folgen bereits einer bestimmten Logik, und sie können übertragen, kombiniert, delegiert usw. werden, ohne ihre ‚Aufrichtigkeit‘ oder ‚Authentizität‘ zu unterminieren. Nicht nur kann ich den Glauben an den anderen delegieren, sondern auch die ‚spontansten‘ Emotionen, wie zum Beispiel Lachen oder Weinen. Zum Thema der Rolle des Chors in der antiken Tragödie bemerkte Lacan:
Wenn Sie abends ins Theater gehen, sind Sie mit den Angelegenheiten des Tages beschäftigt, mit dem Stift, den Sie verloren haben, mit dem Scheck, den Sie am nächsten Tag unterschreiben müssen. Sie sollten sich nicht zu viel anrechnen. Ihre Emotionen werden von der gesunden Ordnung, die auf der Bühne gezeigt wird, in Beschlag genommen. Der Chor kümmert sich um sie. . . . Daher brauchen Sie sich nicht zu sorgen; selbst wenn Sie nichts fühlen, wird der Chor an Ihrer Stelle fühlen. (Lacan 1997a: 252)
Der Chor fühlt Schrecken und Mitleid für uns, für uns Zuschauer, so dass wir das Schauspiel ansehen können, selbst wenn wir müde sind oder von unseren täglichen Sorgen in Anspruch genommen. Indem der Chor in die Position eines Vermittlers gesetzt wird, können wir dennoch ‚objektiv‘ die angemessenen Emotionen fühlen. In sogenannten primitiven Gesellschaften finden wir ein analoges Phänomen in der Form bezahlter Klageweiber, Frauen, die dafür bezahlt werden, bei Beerdigungen zu weinen. Durch diese Frauen erfüllt man die Verpflichtungen der Trauer durch den anderen, so dass wir uns auf wichtigere und lukrativere Angelegenheiten konzentrieren können, etwa darauf, wie das Erbe aufgeteilt wird. Und dieses Phänomen hört nach der sogenannten ‚primitiven Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung‘ nicht auf zu existieren. Denken Sie einen Moment an Fernsehsendungen, in denen ‚Konservenlachen‘ Teil der Sendung ist. Nach den angeblich urkomischen Witzen oder Gags gibt es einen Ausbruch von Gelächter oder Applaus – das ist gewiss das moderne Äquivalent des antiken Chors; das ist ‚lebende Antike‘. Was ist der Sinn dieses Lachens? Die erste Antwort – dass es uns daran erinnert, dass wir lachen müssen, dass es uns zum Lachen zwingt – ist nicht ausreichend, obwohl sie ein interessantes Paradox präsentiert, in dem Sinne, dass Lachen eine Art Pflicht sein könnte. Die einzig angemessene Antwort ist, dass der andere für uns lacht. Das setzt natürlich voraus, dass unsere Position, die Position ‚unserer-selbst‘, schon im Voraus die Position des Anderen war – wie ließe sich sonst die Wirksamkeit einer solchen Substitution erklären? Auf diese Weise waren wir ‚objektiv‘ durchaus amüsiert, obwohl wir in Wirklichkeit, still und müde, einfach nur dasaßen und auf den Bildschirm starrten.

Das Geheimnis der Warenform 143

Marx ist hier viel subversiver als die meisten zeitgenössischen Kritiker. Nehmen wir etwa Umberto Eco. In Der Name der Rose erweist sich das verborgene Geheimnis im Zentrum des Labyrinths des Klosters als ein angeblich verlorener Abschnitt von Aristoteles’ Poetik über die Komödie. Die Lehre scheint klar: Das Fundament des Totalitarismus ist blinder Glaube und Fanatismus, das höchste Böse ist die obsessive Faszination für das Gute, die wir durch die befreiende Distanz des Lachens untergraben müssen: das Lachen, das jeden festen, dogmatischen Satz unterminiert. Für den zeitgenössischen ‚realen, poststalinistischen Sozialismus‘ gibt es keine schlechter passende Idee als diese. Die herrschende Ideologie in diesem System ist gerade die Tatsache, dass es niemand ‚ernst nimmt‘ (außer ein paar Dissidenten, die die Macht dafür kritisieren, ihre eigenen Regeln nicht zu befolgen); die zynische ironische Distanz ist eine sine qua non-Komponente seiner Funktionsweise. Das berühmte karnevaleske ‚befreiende Lachen‘ steht durch und durch auf der Seite der Macht.
Die Frage, die wir nun an eine ideologische Konjunktur wie diese stellen müssen, lautet: Auf welche Weise ist der Glaube – eine notwendige Bedingung für die Etablierung einer gesellschaftlichen Ordnung – hier am Werk, trotz dessen, was ich bisher gesagt habe? Um darauf zu antworten, müssen wir zuerst die Idee des Subjekts einführen, das angeblich glaubt, das Korrelat des Subjekts, das angeblich weiß (vgl. Mocnik 1986). Um genau festzulegen, wer dieses Subjekt ist, gebe ich ein Beispiel, das für zeitgenössische sozialistische Länder charakteristisch ist, in denen es immer an irgendetwas mangelt – etwa an Toilettenpapier. Zunächst sind die Geschäfte gut mit Toilettenpapier bestückt. Dann beginnt sich das Gerücht zu verbreiten, es werde einen Mangel an Toilettenpapier geben, und alle stürzen los, um welches zu kaufen, und am Ende ist kein Toilettenpapier mehr in den Regalen. Dies mag wie ein einfacher Fall einer selbsterfüllenden Prophezeiung erscheinen, aber der am Werk befindliche Mechanismus ist tatsächlich etwas komplizierter. Das Räsonnement jeder Person lautet wie folgt: ‚Ich weiß, dass es keinen tatsächlichen Mangel an Toilettenpapier gibt, aber es gibt Leute da draußen, die dumm genug sind zu glauben, dass es ihn gibt, und sie werden es deshalb alles aufkaufen. Daher sollte ich, obwohl es keinen tatsächlichen Mangel gibt, sofort losgehen und Toilettenpapier kaufen.‘
Die Handlungen jeder Person beruhen auf denen eines anderen Subjekts, das angeblich glaubt, und dieses andere, das angeblich ‚direkt‘, ‚naiv‘ glaubt, hat eine Wirkung, selbst wenn es in der realen Welt nicht existiert. In einer sozialen Gruppe kann jeder diese Rolle für die anderen spielen. Selbst wenn kein existierendes Individuum tatsächlich zur Beschreibung des Subjekts passt, das angeblich glaubt, hindert das dieses Subjekt nicht daran, eine Reihe von Effekten in der sozialen Realität auszulösen, einschließlich zum Beispiel eines tatsächlichen Mangels an Toilettenpapier. Dies ist das Paradox eines Objekts, das, obwohl es nicht existiert, dennoch Eigenschaften hat. Dies ist eine neue Version von ‚zu clever um die Hälfte‘; der wahre Narr ist die Person, die zu klug ist, um auf die Gerüchte hereinzufallen, und weiter an der wahren Tatsache festhält, dass es eine ausreichende Versorgung mit Toilettenpapier gibt. Am Ende wird sie ohne Papier dastehen.
Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig die Kategorie des Subjekts, das angeblich glaubt, für eine bestimmte Art psychoanalytischer Praxis ist. Ich bin versucht zu sagen, dass der Hauptunterschied zwischen wahrer freudianischer Analyse und ‚revisionistischen‘ Methoden darin besteht, dass in letzteren der Analytiker für den Analysanden die Rolle des Subjekts spielt, das angeblich glaubt, statt das Subjekt zu verkörpern, das angeblich weiß. Das heißt, das Räsonnement des Analysanden lautet wie folgt: ‚Ich brauche Analyse, um bei meinen psychologischen Problemen zu helfen, aber ich glaube nicht an den mütterlichen Phallus, Kastration oder diesen ganzen Unsinn. Aber der Analytiker, er glaubt, und vielleicht kann er mir trotz allem helfen, weil er glaubt.‘ Die Lehre, die wir daraus für die Gesellschaft ziehen können, ist, dass der Glaube, weit davon entfernt, ‚innerlich‘ und ‚intim‘ zu sein, immer in unserer ‚wirksamen‘ Tätigkeit materialisiert ist. Um unseren Glauben herum wird die Phantasie artikuliert, die die soziale Wirksamkeit regiert.
Nehmen wir das Beispiel Kafka. Man sagt uns, dass Kafka in der ‚irrationalen‘ Welt seiner Romane die moderne Bürokratie in ‚übertriebener‘, ‚phantastischer‘ und ‚subjektiver‘ Weise dargestellt habe. Das ignoriert jedoch den Schlüsselfakt, dass diese ‚Übertreibung‘ genau der Ort ist, an dem die Phantasie, die in der libidinösen Operation der ‚realen‘ Bürokratie selbst am Werk ist, eingeschrieben ist. Das sogenannte ‚kafkaeske Universum‘ ist kein ‚phantastisches Bild der sozialen Realität‘, sondern im Gegenteil die inszenierte Darstellung der Phantasie, die bereits im Herzen der sozialen Realität selbst am Werk ist. Natürlich wissen wir, dass Bürokratie nicht allmächtig ist, aber unser ‚wirksames‘ Verhalten ist bereits durch einen Glauben an ihre Allmacht reguliert. Anders als die standardmäßigen ‚ideologischen Kritiken‘, die eine Ideologie aus der Konjunktion tatsächlicher sozialer Beziehungen deduzieren wollen, zielt der analytische Ansatz darauf, die ideologische Phantasie zu finden, die über der tatsächlichen Gesellschaft präsidiert. Was wir ‚soziale Realität‘ nennen, ist ein ethisches Konstrukt, das sich auf ein als ob stützt (wir handeln, als ob wir glaubten, dass die Bürokratie allmächtig ist, als ob der Präsident den Willen des Volkes repräsentierte, als ob die Partei die objektiven Interessen der Arbeiterklasse verkörperte usw.). Wenn dieser Glaube (wir müssen im Kopf behalten, dass an ihm absolut nichts ‚Psychologisches‘ ist; er ist in der ‚objektiven‘, ‚realen‘ Funktionsweise der Gesellschaft materialisiert) verloren geht, löst sich die Textur der Gesellschaft selbst auf.
Aber das Subjekt, das angeblich glaubt, ist nur das erste von drei Subjekten, die wir nach dem Modell des Subjekts konstruieren können, das angeblich weiß. Nach dem Subjekt, das angeblich glaubt, kommt das Subjekt, das angeblich jouissant ist (vgl. Dolar 1986), der andere als Besitzer einer Jouissance, die unbegrenzt, unerträglich, traumatisch ist. Jacques-Alain Miller hat bereits die Weise hervorgehoben, in der diese Logik innerhalb des Rassismus operiert. Das, was uns am anderen (dem Juden, dem Araber) beunruhigt, ist grundlegend seine besondere Art, Jouissance zu organisieren (‚sie genießen sich zu laut, ihr Essen riecht unangenehm . . .‘). Oder es ist die Frau, die dem Zwangsneurotiker als Besitzerin einer überquellenden, selbstzerstörerischen Jouissance erscheint. Der Zwangsneurotiker wird dann so handeln, um sie vor ihrer eigenen Jouissance zu retten, selbst wenn es zum Preis ihrer Zerstörung geschieht. Und schließlich gibt es das Subjekt, das angeblich begehrt. Wir nehmen an, der andere ‚wisse, wie man begehrt‘, dass sie wisse, wie man die grundlegende Aporie menschlichen Begehrens umgeht. Die Parallelen dazu und zur Grundstruktur der Hysterie sind offensichtlich. Wenn der Zwangsneurotiker vom unerträglichen Jouissance-Genießen des anderen traumatisiert ist, braucht der Hysteriker den anderen, um sein Begehren zu organisieren. In diesem sehr spezifischen Sinn sollten wir Lacans Aussage interpretieren, dass ‚das Begehren des Hysterikers das Begehren des anderen ist‘, d. h. des anderen, der für den Hysteriker das Subjekt verkörpert, das angeblich begehrt. Die Frage, die wir an den Hysteriker stellen müssen, lautet nicht: ‚Was ist das Objekt seines Begehrens?‘, sondern vielmehr: ‚Woher kommt sein Begehren?‘ ‚Was ist das andere Subjekt, durch das er sein Begehren organisiert?‘ Im Fall von Freuds Patientin Dora ist klar, dass für sie Madame K die andere ist, die ‚zu begehren weiß‘ verkörpert.
Ich sollte betonen, dass in dieser Triade das Subjekt, das angeblich weiß, seinen Platz als Schlussstein der Grundmatrix behält; die anderen drei sind nur Derivate, deren Funktion spezifisch darin besteht, die radikale Dimension der Implikationen des angeblichen Wissens zu verdunkeln.

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